Umgang mit der Diagnose

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phoenix33
Beiträge: 10
Registriert: 30. Jan 2021, 12:41

Umgang mit der Diagnose

Beitrag von phoenix33 »

Hallo zusammen,

hoffentlich ist es in Ordnung, dass ich dieses Thema eröffne - ich habe bereits in viele Themen hinein gelesen, aber bisher nichts "passendes" für mein Anliegen gefunden. Bitte lasst mich wissen, falls ich etwas übersehen habe.

Ich würde gern von Euch wissen, wie Ihr mit Eurer Diagnose umgegangen seid?
In vielen Dokumentationen oder Erfahrungsberichten wird gesagt, dass die Patienten:innen erleichtert waren, endlich eine Diagnose erhalten haben. Bei mir ist es leider komplett anders. Ich habe Angst, abgestempelt zu werden. "Es" nie mehr los zu werden. Und frage mich sogar, ob die Diagnose korrekt ist. Letzteres passiert dann in meinem Kopf mit den Stimmen die rufen: "Stell dich nicht so an! Jedem geht es mal schlecht. Du bist einfach nicht so ein Sonnenschein wie andere. Reiß dich zusammen."

Im Jahr 2012 war ich das erste Mal (mit Anfang 20) für 1,5 Jahre in Therapie - die Diagnose damals war Burn-Out bzw. Erschöpfungszustand. Seitdem habe ich häufiger den Job, den Partner, den Wohnort gewechselt. Aber ich fühle mich schon sehr lange wie unter einer Glocke. Immer eher bedrückt als fröhlich. Halb leeres Glas, anstatt halb voll. Oft und dann sehr schnell unzufrieden mit den Umständen. Sei es der Job, die Partnerschaft, etc.
Hobbies habe ich keine, auch kaum Interessen. Und wenn, steht mir mein Perfektionismus im Weg.
Nun wurden die Tränen-Tage (Tage, an denen ich nur weinen kann) im letzten Jahr immer häufiger und nach einem großen Umbruch in meinem Leben (Trennung, Auszug, Job gekündigt, zurück bei meiner Mutter) mit trotzdem kurzzeitiger Hochphase (habe für vier Wochen Sertralin genommen und dann aber abgesetzt, weil ich dachte, mir geht es ja gut- lag es daran?) bin ich in diese mittelgradige Depression gerutscht. Und habe jetzt entschieden, in eine Klinik zu gehen.

Aber mich quälen die Gedanken, ob ich krank genug bin. Ob es nicht vielleicht einfach nur Erschöpfung ist. "Kein Wunder, bei dem was Dir gerade passiert ist!"
Ich weiß nicht wo ich wohnen will, was ich beruflich machen will (komme aus dem Tourismus), wer ich sein will.

Hattet Ihr auch Zweifel, ob es eine Depression ist? Obwohl Arzt und Therapeut es diagnostizieren? Gehören diese Zweifel zur Depression?

Ich danke Euch im Voraus und bin wirklich froh, dieses Forum gefunden zu haben :!:
Liane1973
Beiträge: 24
Registriert: 15. Jan 2021, 08:52

Re: Umgang mit der Diagnose

Beitrag von Liane1973 »

Hallo phoenix33
phoenix33 hat geschrieben: In vielen Dokumentationen oder Erfahrungsberichten wird gesagt, dass die Patienten:innen erleichtert waren, endlich eine Diagnose erhalten haben. Bei mir ist es leider komplett anders. Ich habe Angst, abgestempelt zu werden.
Ich denke, dass einige erleichtert sind, wenn sie endlich eine Diagnose haben, hat vielleicht eher damit zu tun, dass ihr Umfeld es dann oft besser verstehen/akzeptieren kann.
Und man solche Sprüche wie "reiß dich doch einfach mal zusammen" viel besser abwehren kann. Dann steht nicht mehr man selbst, sondern der Sprücheklopfer dumm da (um es freundlich zu formulieren).

Für mich selbst jedoch bin ich allerdings inzwischen extrem vorsichtig geworden, mich zu sehr mit einer Diagnose zu identifizieren, von "meiner Krankheit" zu sprechen oder gar Zukunftsaussagen zu tätigen, a la "das wird nie wieder gut" bzw. überhaupt allzu viel darüber (negativ/"realistisch") zu sprechen.
Mit unseren Worten erschaffen wir unsere Welt und negative Worte über uns selbst auszusprechen, kann meiner persönlichen Erfahrungen nach kontraproduktiv sein.

Damit meine ich jetzt keinesfalls, dass man Diagnosen oder angebotene Behandlungsmöglichkeiten ignoriert oder verleugnet, keineswegs!
Aber ich glaube, man darf sie sich nicht zu sehr zu eigen machen. Sich nicht darüber definieren.
Eine Erkrankung ist etwas, was mir passiert ist, es bin nicht ich und Heilung ist immer möglich (selbst dann, wenn Ärzte etwas anderes behaupten und das sehe ich genauso für körperliche Erkrankungen).

Eine Sicht, die vielleicht nicht sehr viele teilen werden, aber für mich kann ich sagen, dass
es der beste Umgang ist, den ich bisher mit Krankheit gefunden habe.
phoenix33 hat geschrieben: Aber mich quälen die Gedanken, ob ich krank genug bin. Ob es nicht vielleicht einfach nur Erschöpfung ist.
Ich würde mir diesen Gedanken nicht machen und du musst auch nicht "krank genug sein" und einen Highscore erreichen.
Du suchst Hilfe und kannst sie bekommen. Nutze die Chancen, die du hast, wenn es am Ende tatsächlich keine "echte" Depression ist, umso besser. Dann freue dich darüber. Kein Grund für Gewissensbisse.

Dir alles Gute,
Liane
Katerle
Beiträge: 11309
Registriert: 25. Sep 2014, 10:30

Re: Umgang mit der Diagnose

Beitrag von Katerle »

Hallo phoenix,

naja erleichtert war ich jetzt nicht bei der Diagnosestellung damals,

nur deine Angst, abgestempelt werden, ist auch nicht ganz unbegründet, meiner Ansicht nach.

Denn du kannst nicht wissen, wie deine Umgebung damit umgeht, wenn du krank bist. Hatte diesbezüglich nichts aufbauendes erfahren, als ich in die Klinik ging, weil in meinem Umfeld auch viele Vorurteile vorhanden waren.

Solche Äußerungen, reiß dich zusammen oder du willst nur nicht arbeiten musste ich mir besonders von meiner ... anhören müssen. Zum Glück habe ich auch das alles überstanden und schaue weiterhin nach vorne.

Deine Entscheidung, in die Klinik zu gehen ist ganz angebracht. Lass dich da nicht von deinen Gedanken leiten, die dich nur runterziehen.

Ganz viel Mut für dich,
Katerle
aikido_1987
Beiträge: 1133
Registriert: 24. Jul 2011, 20:43

Re: Umgang mit der Diagnose

Beitrag von aikido_1987 »

Hallo phoenix,

nach der 1. Diagnose habe ich mich schnell damit abgefunden. Mich hat aber auch niemand aufgeklärt. Ich hatte nur Schwierigkeiten vor anderen darüber zu sprechen und habe es verheimlicht. Wenn ich in der Klinik war, war ich dann für mein Umfeld eben auf Dienstreise. Heute denke ich, was für ein Quatsch. Naja und in ganz dunklen Zeiten hat auch mein Umfeld gemerkt das was nicht stimmt. Habe mich monatelang nicht bei der Familie gemeldet u.s.w..

Vor gewissen Personen kann ich immer noch nicht offen über meine Erkrankung sprechen und sage dann einfach das ich ausgebrannt war von der Arbeit.

Ich hatte auch mal einen Rückfall nachdem ich meine Medikamente abgesetzt hatte und der hat sich für mich definitiv nicht wie eine Depression angefühlt weil ich mit Übelkeit und Erbrechen und starker Gewichtsabnahme zu kämpfen hatte. Aber ich kam dann in die Psychiatrie und es stellte sich heraus das es eine Depression ist.

Heute kenne ich viele viele Leidensgenossen und manche sind auch zu Freunden geworden und mit denen kann ich immer offen über alles sprechen.

Ich fliege immer nur auf wenn mich mal jm. der nicht informiert ist fragt was ich beruflich mache, weil ich nicht arbeiten gehe.

Herzliche Grüße,
aikido
Suchende2
Beiträge: 1275
Registriert: 29. Sep 2020, 08:05

Re: Umgang mit der Diagnose

Beitrag von Suchende2 »

Hallo Phoenix,

für mich ist die Diagnose Depression eine Erleichterung. Bei meinen Symptomen, weiß ich, daß diese Diagnose richtig ist.
Ich habe etwas, was ich vernünftig kommunizieren kann, wenn ich es möchte.
Das ist eine Diagnose, sie ist ein Teil von mir, hilft mir zu verstehen, was mit mir los ist und Ja, die Krankheit bestimmt mich zur Zeit mehr als ich es möchte (bin seit Monaten in einer schweren Phase).
Ich definiere mich aber nicht über diese Diagnose!

Im Moment geht es mir so schlecht, daß das "abgestempelt sein" mir egal ist. Trotzdem überlege ich genau, wem ich diese Diagnose mitteile. Meine direkten Vorgesetzten und die Betriebsratvorsitzende wissen Bescheid, aber die Kollegen nicht. Ich arbeite in einem Konzern und weiß, daß leider viele Kollegen nicht mit dieser Diagnose umgehen können. Da schütze ich mich und habe das "Glück", daß ich Anfang letzten Jahres mehrere Wochen wegen einer Operation ausgefallen bin und es darauf geschoben werden kann.


Ich der Klinik habe ich allerdings gerade noch eine andere Diagnose erhalten, die nicht mit mir besprochen wurde und die nach meiner Meinung falsch ist (zum Glück sehen daß auch meine Hausärztin und Therapeutin so). Von daher verstehe ich Deine Gedanken sehr.
Hier konnte ich für mich Erleichterung schaffen, indem ich mit einer Beratungsstelle Kontakt hatte und diese mich stark entlastet haben. Diese können in einem längeren Telefongespräch natürlich keine Diagnose stellen, aber fanden es sehr verwunderlich, da mit dieser Diagnose die Klinik in einem Teilbereich bei mir hätte etwas komplett anders machen müssen.

Hast Du Dich schon mal gefragt, was Dich diese Diagnose so schwer annehmen läßt?
Was löst diese Diagnose für Gefühle in Dir aus?
Was würde sich für Dich ändern, wenn Du diese Diagnose als passend ansehen würdest?

Viele Grüße
Suchende
wohin geht die reise
Beiträge: 349
Registriert: 16. Sep 2016, 11:44

Re: Umgang mit der Diagnose

Beitrag von wohin geht die reise »

Hallo phoenix 33,
für mich war die Diagnose damals alles andere als erleichternd - eher im Gegenteil.
Es war für mich auch eine existenzielle Frage: eine Voraussetzung für meinen Beruf ist eine stabile psychische Verfassung. Ich hatte zu meinen Depressionen auch die große Angst, dass ich nicht mehr tragbar für meinen Beruf bin, jedenfalls habe ich mir das depressionsbedingt eingeredet.
Der Vorteil war, ich konnte endlich etwas einordnen, was in mir abgeht. Das ist für mich nämlich ein sehr großes Problem, wenn etwas mit mir geschieht und ich weiß es nicht einzuordnen.
Dieses Gefühl, es passiert etwas mit mir macht mich ohnmächtig.
In meiner ersten Therapie lernte ich dann, die Diagnose anzunehmen und versuche seit dem auch damit umzugehen.
Dir alles Gute
Lore
phoenix33
Beiträge: 10
Registriert: 30. Jan 2021, 12:41

Re: Umgang mit der Diagnose

Beitrag von phoenix33 »

Hallo zusammen,
vielen Dank für Eure Rückmeldungen und Erfahrungsberichte. Es ist das erste Mal, dass ich mit Gleichgesinnten über diese Themen "reden" kann und ich merke, dass allein dies schon irgendwie hilft.

Aktuell wissen nur meine drei wirklich guten Freunde und meine Mutter von der Diagnose. Aber aufgrund des Umzugs melden sich die Leute aus der alten Stadt eh nicht mehr und ich komme gar nicht in die Situation auf die Frage "Wie geht es Dir?" antworten zu müssen. Ist zum Einen irgendwie gut, zum Anderen macht es mich zusätzlich traurig. Aus den Augen aus dem Sinn...

Heute habe ich einen Akuttermin bei der Therapeutin, die die Diagnose gestellt hat. Zusätzlich zur Depression hat sie noch den Verdacht auf Zyklothymia gestellt - das schockiert mich schon ein wenig. Ich werde mal sehen, ob ich sie heute darauf ansprechen kann. Denn irgendwie fühlt sich das - bei allem was ich gelesen habe - doch sehr falsch an.

Ich hoffe ständig, dass es einfach doch keine Depression ist und ich nur noch ein wenig Zeit brauche um wieder zu mir zu finden. Aber dann liege ich wieder eine Stunde weinend auf dem Fußboden und will einfach nur dass der Nebel in meinem Hirn verschwindet. Dieses auf und ab ist das Schlimmste.
phoenix33
Beiträge: 10
Registriert: 30. Jan 2021, 12:41

Re: Umgang mit der Diagnose

Beitrag von phoenix33 »

Suchende2 hat geschrieben:
Hast Du Dich schon mal gefragt, was Dich diese Diagnose so schwer annehmen läßt?
Was löst diese Diagnose für Gefühle in Dir aus?
Was würde sich für Dich ändern, wenn Du diese Diagnose als passend ansehen würdest?
Hallo Suchende,

meine vielen Gedanken und Zweifel lassen mich die Diagnose so schlecht annehmen. Und irgendwie auch immer die Angst, sie könnte doch falsch sein. Sehr verwirrend, ich weiß.

Ich habe schon häufiger gelesen, dass Leute sagen "Menschen mit Depression ruhen sich auf dieser Krankheit aus". Es gibt ein Video von Dr. Stefan Frädrich von GedankenTanken, das mich sehr getriggert hat - hier sagt er diesen Satz zwar nicht, aber es kam bei mir so an, als müsse man es einfach nur fest genug versuchen und dann kann jeder die Depression ohne Klinik und Medikamente überwinden.

Außerdem bedeutet die Diagnose Depression für mich, dass es nie wieder weg geht. Wiederkehrende Depressionen... die werde ich ja nie los.

Ich kann die Diagnose aktuell nicht annehmen, da dadurch mein Gefühl des Versagens noch schlimmer wird. Ich habe aufgrund des Wohnortwechsels meinen Job gekündigt (in einer Pandemie :| ) und bin nun seit Januar arbeitslos. Allein das treibt mich gedanklich in den Wahnsinn - ich bin aber auch gerade nicht in der Lage einen neue Stelle zu suchen. Aber das versteht keiner. In meinem Kopf läuft also den ganzen Tag: "Na toll, jetzt bist du nicht nur arbeitslos sondern auch noch depressiv. Da kannste das ja alles direkt vergessen."
Hörnchen2020
Beiträge: 34
Registriert: 29. Nov 2020, 21:03

Re: Umgang mit der Diagnose

Beitrag von Hörnchen2020 »

Hallo, vor meinem Klinikaufenthalt hatte ich auch immer wieder Zweifel. Da es mir abends immer recht gut ging, ich nicht mehr so müde war und ich mich dann auch wieder besser konzentrieren konnte, habe ich dann auch sehr viel gegoogelt. Dann hatte ich immer ein schlechtes Gewissen, weil ich meine Kollegen in der Arbeit allein gelassen habe und meinte auch immer, ich wäre ja gar nicht krank. Da die Depression auch keine Krankheit ist, mit der man gerne nach außen tritt, hatte ich sehr lange damit zu kämpfen, vor allem, da ich vorher noch keinerlei Erfahrungen mit psychischen Erkrankungen oder Psychotherapie hatte. Morgens sah es dann immer wieder anders aus, mein Morgentief begann jedoch meist erst am Vormittag, meist kurz nach dem Frühstück.
Erst in der Klinik habe ich das für mich verstanden, das heißt aber nicht, dass ich nicht auch heute, ein Dreivierteljahr nach der Diagnose, immer mal wieder Zweifel habe. Das wird mich, so glaube ich noch eine ganze Zeit begleiten, vor allem, weil ich immer noch auf der Suche nach mir bin. Das hängt damit zusammen, dass ich auch noch die Diagnose Persönlichkeitsstörung erhalten habe und ich jetzt versuche herauszufinden, wie das zusammenhängt.
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