Doch körperlich...??? (Histamin-Intoleranz o.a.?)

Salvatore
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Re: Doch körperlich...??? (Histamin-Intoleranz o.a.?)

Beitrag von Salvatore »

Hallo ihr,

Pesto, danke auch für deine Ansichten und Einsichten! ;) Die Ausgangsfrage für mich ist weiterhin: woran liegt es, dass Psychopharmaka auf die einen eine sehr gute Wirkung hat und auf andere so wenig? Das Gleiche gilt für Psychotherapie. Warum leiden manche Menschen jahre- oder jahrzehntelang trotz Behandlung unter Depressionen? Und warum fällt den Behandlern nicht mehr dazu ein, als schon probierte Methoden wieder und wieder zu empfehlen?

Ich sage nicht, dass Antidepressiva Blödsinn und unwirksam sind und ich werde sicherlich jetzt nicht herumgehen und anderen von der Einnahme abraten. Ich sage auch nicht, dass ich von AD überhaupt nicht profitiere; ich frage mich aktuell nur, ob mein jetziges vielleicht mehr Probleme schafft als löst. Dass es als Abnehm-Hilfe benutzt wird, macht mir am meisten Sorge, weil ich untergewichtig bin und Schwierigkeiten habe, selbst dieses niedrige Gewicht zu halten. (Ich weiß leider nicht mehr, ob die Tendenz dazu in etwa auf den Beginn der Einnahme vom Elontril fällt, das kann evtl. meine Ärzte anhand ihrer Aufzeichnungen rekonstruieren. Lange Zeit war ich stabil im Normalgewicht, was wohl aufs Seroquel zurückzuführen ist.)
Ich hatte auch vorher schon gehört, dass Kritiker meinen, AD wären maßlos überbewertet. Aber irgendwie habe ich dem nie wirklich meine Aufmerksamkeit geschenkt. Nun gucke ich mal genauer hin und die Kritiker sind nicht so leicht zu widerlegen, wie ich dachte und es erklärt, warum AD so vielen nicht helfen.

Was als nächtes daraus folgt ist dann die Frage: wenn AD nicht/kaum helfen, WAS HILFT DANN?
Ich denke, gerade die behandlungsresistenten Depressionen müssten sehr viel individueller betrachtet werden, als es momentan üblich ist. Mir kommt es so vor, als wäre es fast immer ein "trizyklisches Verfahren" ;) 1. Bluttest - Werte ok, weiter zu 2. Antidepressiva, dann bzw. außerdem 3. Psychotherapie und wenn sich keine deutliche Besserung einstellt, alles von vorn.
Ich gucke gerade, welche Diagnosen (außer psychische Störungen) noch auf mich passen und bin verblüfft, was alles nicht abgeklärt wurde. Nichtmal in Erwägung gezogen wurde. Und da kommt mir doch unwillkürlich der Gedanke, meine Güte, wie viele Menschen leiden ihr ganzes Leben und irgendetwas Simples könnte so leicht Abhilfe schaffen...

Zarra,
danke noch mal für deinen Auszug, hatte ich gar nicht gefunden. Daraus lese ich, dass Johanniskraut ebenso wirksam ist wie AD, dabei aber weniger Nebenwirkungen hat. Auch spannend, mir wurde gesagt, es wäre zwar sanfter, aber auch weniger wirksam.

Also, ja, ich habe auf jeden Fall auch psychische Anteile. Habe drei Jahre Therapie gemacht und wäre da nix gewesen, hätte er mich wohl nicht so lange kommen lassen... ;)
Ich denke inzwischen über vieles anders, insbesondere Ereignisse aus der Vergangenheit; ich habe zwar kein Trauma, aber ein paar Dinge hatten mich doch belastet, ohne dass ich sehen konnte, dass mir auch unrecht getan wurde und ich nicht alles zu verantworten habe.
Aber insgesamt denke ich schon, dass meine Einschränkungen nicht durch das Psychische gerechtfertigt sind; es macht einfach keinen Sinn.

Bei Wikipedia wird nicht zwischen Meta-Studie und Meta-Analyse unterschieden, vielleicht war ich da völlig auf dem Holzweg. Ich meine gelesen zu haben (meine Lieblings-Antwort beim Publikumsjoker von Wer wird Millionär :lol: ), dass die Verfasser von Meta-Analysen auswählen können, welche Studien sie miteinbeziehen, während es bei Meta-Studien alle sind, die unveröffentlichten ebenfalls.


Lg, Salvatore
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Nachtflug
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Re: Doch körperlich...??? (Histamin-Intoleranz o.a.?)

Beitrag von Nachtflug »

Nur mal so zu Johanniskraut:

Da steht auch bei schweren Depressionen nicht so wirksam. So auch meine Erfahrung, anstatt mit was richtigem behandelt zu werden, habe ich es über ein halbes Jahr damit versucht. Am Anfang, wo ich noch behandlungswillig war, ich hätte was viel stärkeres gebraucht, eigentlich hätte ich auch stationär gehört. Irgendwann bin ich dann so abgeglitten und hatte so starke Demenzsymptome, dass ich quasi 1,5 Jahre für mein Umfeld kaum erreichbar war, immer in meinem Zimmer in einer fremden Stadt. Konnte weder arbeiten noch studieren, wollte mich aber auch nicht mehr behandeln lassen. Weil hilft ja eh nichts.

Ich denke tatsächlich, dass die schwere der Erkrankung eine Rolle spielt. Ich habe es zwei Jahre ohne Medikamente versucht und in der Zeit nichts auf die Reihe bekommen, so schwer depressiv war ich. Aus einer Majordepression mit starken demenzartigen Symptomen und Verwirrungszuständen kommt man ohne Medikamente nicht oder erst nach sehr langer Zeit wieder raus (bei mir hats ohne Medis fast 2 Jahre gedauert, bis ich wieder die Kraft hatte zum Arzt zu gehen und mir Hilfe zu holen).
Ich bin bipolar und habe sehr von einer geringen Dosis eines Neuroleptikums profitiert - allerdings habe ich auch gemerkt, dass es mich langfristig zu sehr einschränkt. Ganz ohne Medikament traue ich mich noch nicht, weil ich gerade mein zweites Studium versuche zu schaffen, wieder bei meinen Eltern wohnen muss und kein Fundament habe, auf dem ich sicher aufbauen kann. Daher versuche ich es nun mit einem Antiepileptikum als Phasenprohylaxe, da ich zu schweren depressiven Episoden mit leicht psychotischen Symptomen neige (hoffe ich kann das Neuroleptikum dann wenigstens reduzieren).

Also sanft klingt zwar schön und ich finde es durchaus auch gut die Pharmaindustrie mit einem kritischen Auge zu betrachen, aber es kommt halt immer auf die Ausprägung der Erkrankung an. Gerade ADs sind bei schweren Depressionen doch nachgewiesen deutlicher wirksam als Johanniskraut oder Placebo.

Bei leichten Depressionen würde ich eher kein AD nehmen, auch mittelschweren es erstmal mit Therapie versuchen. Aber bei schweren, bei denen man kaum noch aufstehen und duschen kann und schon gar nicht einem 45 minütigen Therapiegespräch folgen kann, kommt man oft nicht ohne aus. Auch wenn erstmal viele durchprobiert werden müssen in vielen Fällen.
Das ist eben der springende Punkt: die Art und Schwere der Erkrankung. Dass ADs also bei Depressionen nicht wirksam sind, halte ich gefährlich so zu erzählen. Vielmehr würde ich sagen: Man sollte Medikamente vor allem bei schweren Ausprägungen einer Depression einsetzen, da ist ihre Wirksamkeit auch bestätigt.


Achja: Ich denke auch, dass Depressionen kein einheitliches Krankheitsbild sind. Man weiß noch nicht genug über die Ursachen, aber alleine das total unterschiedliche ansprechen auf verschiedene Medikamente ist da vielleicht in Hinweis. Analog spricht man auch z.B. nicht mehr von DER bipolaren Störung, sondern bipolaren StörungEN. Ich kann mir vorstellen, dass da bei unipolaren DepressionEN auch davon auszugehen ist, dass da unterschiedliche Ursachen eine Rolle spielen.

@ Salvatore: Hast du dich denn mal neurologisch durchchecken lassen?

LG
Nachtflug
Salvatore
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Re: Doch körperlich...??? (Histamin-Intoleranz o.a.?)

Beitrag von Salvatore »

Hallo Nachtflug,

dass AD bei schweren Depressionen wirksam sind, wurde bereits gesagt, u.a. von mir:
Salvatore hat geschrieben:Einzig bei sehr schweren Depressionen haben die Patienten schlechter auf das Placebo als auf das Medikament angesprochen (Kirsch, Moore).
Und es kam noch ein zweites Mal, das finde ich jetzt beim Überfliegen nur nicht. Natürlich spielt die Schwere der Erkrankung eine große Rolle.
Nachtflug hat geschrieben:Dass ADs also bei Depressionen nicht wirksam sind, halte ich gefährlich so zu erzählen.
Ich behaupte das nicht. Schau mal, was ich in meinem letzten Post dazu geschrieben habe:
Salvatore hat geschrieben:Ich sage nicht, dass Antidepressiva Blödsinn und unwirksam sind
Dass AD u.U. nicht wirksamer als Placebos sind, heißt ja nicht, dass sie nicht wirksam sind. Dazu habe ich geschrieben:
Salvatore hat geschrieben:Placebos haben eine 50:50 Wirkchance, wenn ich das richtig lese und AD mindestens auch. Das finde ich gar nicht soooo schlecht
;)

Außerdem möchte ich hier mal betonen, damit keine Missverständnisse aufkommen (die vielleicht bereits entstanden sind): diese Diskussion bezieht sich einzig und allein auf Antidepressiva und schließt andere Medikamente wie Neuroleptika, Antipsychotika, Benzodiazepine, benzodiazepin-ähnliche usw. NICHT mit ein.
Nachtflug, hattest du auch AD genommen? Und hatten die bei dir auch eine antidepressive Wirkung (also wirklich stimmungsaufhellend und nicht anderes, z.B. schlafverbessernd etc.)? Wie lange hat es bei dir ab dem Beginn der Behandlung (wie sah die aus?) gedauert, bis es dir wieder so gut ging, dass du ein Studium anfangen konntest? (Brauchst nicht zu antworten, falls dir das zu persönlich ist!)
Mit Johanniskraut habe ich mich noch nicht im Einzelnen beschäftigt, mein Kommentar bezieht sich allein auf den von Zarra zitierten Text und das, was ich daraus lese.

Der erste Facharzt, den ich wegen der Depression gesehen habe, war ein Neurologe; er hat keinerlei Tests angeordnet. Erst viel später, im Zuge der Gutachteruntersuchung für die EM-Rente, wurde ein EEG veranlasst, das aber unauffällig war.
Ansonsten nur Bluttests, wurde bei euch noch was anderes gemacht? Würde mich sehr interessieren - nicht, weil ich das unbedingt auch machen möchte, sondern weil mich das grundsätzlich interessiert. ;)

Lg, Salvatore
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Nachtflug
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Re: Doch körperlich...??? (Histamin-Intoleranz o.a.?)

Beitrag von Nachtflug »

Hallo Salvatore,

okay, dann sind wir ja praktisch gleicher Meinung. Wollte das nur nochmal betonen. Mich wundert es nur sehr, dass ADs auch bei leichten Depressionen eingesetzt werden...

Also AD habe ich bisher nicht genommen wegen Switchrisiko. Auch wenn man mittlerweile der Meinung ist, dass das Switchrisiko bei Bipolaren mit dem richtigen AD gar nicht so hoch ist. Aber da ich auch massive Schlaf und Angst- und Panikprobleme hatte sowie eben leicht psychotische Symptome, hat sich das Neuroleptikum für mich angeboten. Es ist Quetiapin und hat nachweislich bei vielen Bipolaren und sogar z.T. auch bei Unipolaren eine antidepressive Wirkung. Ich konnte bereits 2-3 Wochen nach Einnahme anfangen auf halbe Kraft zu studieren (allerdings war die depressive Episode zuvor schon etwas von alleine abgeklungen nach 1,5 Jahren, sonst hätte ich es gar nicht zum Arzt geschafft). Richtig voll studieren ist auch jetzt 1,5 Jahre nach Beginn der Einnahme ein Kampf, da ich immer noch Auf und ABs habe antriebmäßig. Bei gutem Zeitmanagement aber machbar. Ich habe viel an Lebensqualität zurückgewonnen.

Ich will hier aber gar nicht Neuroleptika anpreisen - die Dinger sind starke Medikamente mit zum Teil heftigen Nebenwirkungen wie starke Müdigkeit, Kreislaufprobleme oder Gefühlsabflachung. Aber bei manchen Unipolaren konnte Quetiapin helfen, wenn zuvor ADs fehlschlugen in der Behandlung. Eigentlich sind die ja nicht für reine Depressionen gedacht - nur wenn dem Patienten nichts anderes hilft, ist eine schwere Depression auch ein Grund sowas zumindest noch zu versuchen, finde ich.

Bei mir war am wichtigsten, dass ich wieder schlafen konnte. Ich war sonst oft tagelang wach und das hatte natürlich massive Auswirkungen auf Stimmung, Antrieb und Konzentration. Aber wie gesagt sind die Nebenwirkungen nicht ganz ohne, deswegen versuche ich es mit einem Antiepileptikum - Lamotrigin. Ich hoffe ich kann das Quetiapin dann reduzieren auf 25/12,5 mg als Einschlafhilfe oder vielleicht auch irgendwann ganz weglassen

Übrigens werden Antiepileptika wie Lamotrigin auch bei Unipolaren manchmal als Rezidivprophylaxe gegen schwere depressive Episoden eingesetzt, akut sind sie nur nmicht so stark wirksam in einer Depression.

Also ein Placebo hätte bei mir sicher nicht gewirkt - ich habe Johanniskraut geschluckt zudem Baldrian in fünfachen Dosen und auch daran geglaubt, dass die helfen werden (als ich nicht zum Arzt wollte). Haben sie aber trotzdem nicht.

Ich wollte bei mir auch mal eine neurologische Untersuchung einfordern. Gerade da immer mal wieder Schwindelsymptome dazukommen. Ansonten hatte ich bisher nur große Blutuntersuchungen. Ahja, bei der HNO war ich auch mal wegen dem Schwindel und habe da nachgucken lassen.

Hast du schwere oder eher mittelschwere Depressionen?


LG
Nachtflug
Lupine_84
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Re: Doch körperlich...??? (Histamin-Intoleranz o.a.?)

Beitrag von Lupine_84 »

Hallo ihr!

Ich bin aktuell noch in Frankreich, Rückreise-Zwischenstopp. Ich sende euch allen erstmal liebe (noch) Urlaubsgrüße!

Bin im Hotel mit Smartphone im WLAN,ein Kampf.
Habe aber gerade mit Begeisterung euren wahnsinnig informativen Thread gelesen! Ich möchte gerne in kurz auch ein paar Worte vorab schicken, ehe ich ab morgen wieder am PC tippen kann.

Also mal nur zum letzten Teil des Threads:
Ich glaube auch, dass mir aus der schweren depr.Episode mit leichten psychotischen Symptomen einzig und allein ein AD raushelfen konnte. 10Tage Citalopram &Mirtazapin, dann Umstellung auf Venlafaxin mit Mirtazapin. Reine ADs wie ich meine (also keine Antiepileptika etc).
Ich kann zu 1000% eine Placebowirkung ausschließen, da ich dachte eine unerforschte neue Krankheit zu haben, gegen die es keine Mittel gibt. Ich verteufelte meine Tabletten, da ich dachte sie sind Ursache meiner Handlungsunfähigkeit. Mein Mann hat mit Engelszungen auf mich eingeredet immer wieder eine zu nehmen.

Zum Arzt kam ich auch nicht alleine, ausgeschlossen. Und Therapie war absolut nicht machbar in dem Zustand. Aber dann nach ca. 3Wochen als die Wirkung mich zurück in diese Welt brachte.

Ich zähle mich zu den glücklichen die von AD profitieren. Sie haben mir das Leben gerettet.
Daher ist seit Episode Nr 2 auch eine Placebowirkung jedenfalls nicht ganz auszuschließen ;)

Demnächst mehr und differenzierte!

Liebe Grüße aus Frankreich an Salvatore und den Rest!
Ich finde euch alle sehr berreichernd mit all diesen interessanten Beiträgen :)

Eure Lupine
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Salvatore
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Re: Doch körperlich...??? (Histamin-Intoleranz o.a.?)

Beitrag von Salvatore »

Hallo ihr,

@Nachtflug: Quetiapin nehme ich auch, 100mg, aus verschiedenen Gründen, hauptsächlich zum Schlafen (im Moment verbesserungswürdig), für meine angekratzten Nerven (klappt überhaupt nicht) und als Unterstützung des Elontrils (hrmpf).

Ist dein Blutdruck vielleicht zu niedrig (wegen Schwindel)? Mir ist auch sehr schnell duselig, aber mein BD ist immer zu niedrig.
Nachtflug hat geschrieben:Hast du schwere oder eher mittelschwere Depressionen?
Ursprünglich mal schwere, jetzt wahrscheinlich mittelschwer, aber keine Ahnung - fällt mir schwer selbst einzuschätzen. Schwankt ja auch brutal.


@Lupine: BONJOUR!!! Les Bleus dürfen ja wenigstens noch mitspielen... ;) ;) ;)
Ist schon erstaunlich, oder, dass die Schere so weit auseinandergeht zwischen Wirken und Kaumwirken.
Gute Rückreise!

Mehr bringe ich heute nicht mehr zuwege, sorry, mein Kopf ist so vernebelt, als hätte ich gekifft. ALTER, hab ich aber leider nicht.

Lg, Salvatore
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Lupine_84
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Re: Doch körperlich...??? (Histamin-Intoleranz o.a.?)

Beitrag von Lupine_84 »

Hallo liebe Salvatore und der Rest der Runde!

Lupine ist zurück in Deutschland und am PC ;)

Nur kurz am Rande: Der Urlaub hat gut geklappt, ich fühle mich ziemlich stabil und konnte alles genießen. Wir hatten traumhaftes Wetter und haben wunderschöne Landschaft erkundet. Es hat mir also gut getan. Wie der Alltag nun weiterhin klappt wird sich zeigen. Vielleicht bin ich durch’s Schlimmste diesmal schon durch.

Ich hoffe, dir geht es heute wieder besser Salvatore? Hast du aktuell Probleme mit den Medikamenten oder war es ein schlechter Tag?

Ich möchte auch mal ein paar meiner Gedanken niederschreiben.
Euer Thread ist wirklich spannend. Ihr seid super informiert und interessiert und ich finde gut, dass auch solche Diskussionen zu der Erkrankung geführt werden.

Ich selbst habe ja schon kurz erläutert, wie ich die Wirkung v.a. von Venlafaxin an mir spüren konnte. Ich halte Placebowirkung in meinem Fall für ausgeschlossen.
Auch bei meinem kleinen Rückfall jetzt, habe ich ja zunächst 5(!) Monate beobachtet, ob es tatsächlich wieder die Krankheit ist, die sich da meldet. Und ich habe abgewartet, ob sich nicht evtl. von alleine ein erneuter Besserungstrend einstellt. Es hätte ja durchaus passieren können. Der Körper kann sich selbst gut helfen und heilen. Und ich konnte auch keine schwerwiegende Belastungssitutation feststellen. Also wäre der Weg ohne AD da gewesen. Aber als es sich bedenklicher zuspitzte war mir klar, dass ich eine Bruchlandung wenn dann jetzt nur noch mit meinem Venlafaxin abfangen kann. – Und es hat funktioniert. Mein Auf und Ab haben manche von euch vielleicht am Rande mitgelesen, aber im Großen und Ganzen sehe ich einen absoluten Erfolg innerhalb von 6 Behandlungswochen. Ich vertraue vorerst weiter darauf.

Dennoch beschäftigt auch mich die Thematik der Wirksamkeit der Behandlungsverfahren für Depressionen. Und v.a. gruselt es mich extrem, dass die Fachwelt selbst zugibt, dass die Depression bisher immer noch weitestgehend unverstanden ist bezügl. Ursache-Wirkung-biolog.Prozesse. Alles sind Annahmen aufgrund der Datenlage von Patienten aus den letzten ca. 50 Jahren.

Die Krankheit ist furchtbar und wie furchtbar ist da erst die Vorstellung, dass sich die Wissenschaft auf einem Irrweg befinden könnte.

Was mich manchmal umtreibt, ist der etwas provokante Gedanke: Was ist, wenn es alles reine „Zufälle“ sind?! Typische Statistik-Interpretationen, die vielleicht völlig zufällig entstehen.

Man schaut z.B. was war bei den Depressiven los: Aha, Trauma, Krisensituation, langes Leid, große Sorgen, Stress jeglicher Art, bestimmte Charaktereigenschaften, bestimmte Verhaltensweisen. Und dann sieht man, dass sich hier eine Gemeinsamkeit finden lässt.

Was ist aber mit dem Teil der Menschen, die nach Trauma, Krise, Leid, Sorgen, Stress etc. mit eben diesen Verhaltensweisen und Charaktereigenschaften KEINE Depression entwickeln???
Nicht jeder Soldat entwickelt mal eine Depression. Es gibt Überlebende der Konzentrationslager, die vom Leben gezeichnet sind, aber nie im klinischen Sinn eine Depression entwickelt haben. Es gibt Menschen die schwere Schicksalsschläge gut bewältigen können.

Waren die einfach nur stärker??? Gefestigter???
Oder ist eben die eine Teilmenge an Menschen mit dieser „Vorgeschichte“ von Depressionen betroffen und die andere Teilmenge eben nicht?! Heißt das eventuell, dass all die herangezogenen vermutlichen Ursachen nur auf Zufällen beruhen, weil es eben bei anderen Menschen in vergleichbarer Situation nicht zu einer Erkrankung kommt? Depressionen treffen ca. 20% der Menschen…, die Menge derer, die sicher auch schwere Phasen in ihrem Leben haben, aber eben dennoch nicht depressiv werden, müsste relativ groß sein!

Genauso denke ich manchmal bei Arzneimitteln. Was ist, wenn jede Depression nach einer völlig unterschiedlichen Dauer von alleine ausheilt?!
Und wenn man dann wieder schaut, was war gerade los, als die Symptome nachließen, dann wird man feststellen: Ja, es wurde gerade Medikament Nr. 1, 2, 3,…10 ausprobiert, das hat dann gegriffen. Es wurde aktuell eine Therapie durchgeführt, die hat Wirkung gezeigt. Es war der Klinikaufenthalt, der hat die Heilung begünstigt. Es war die Krankschreibung, der Stress hat endlich nachgelassen. Es war der Sport, der ist ganz elementarer Bestandteil einer erfolgreichen Therapie….. bla…bla…

Zufälle?? Zeitliche Zufälle??

Mal einfach ne Spinnerei: Was wenn die Depression eine Art Virus ist, den sich ca. 20% der Menschen irgendwann einfangen und der dann im Körper schlummert (vergleichbar mit einem Herpes Virus) und immer mal wieder Chaos im Körper stiftet??!!

Sind so meine sorgenvollen Gedanken. Es ist nicht angenehm zu wissen, dass die Ärzte die genauen Mechanismen der Krankheit nicht kennen. Es heißt auch, dass jeder Betroffene einmal in einer Sackgasse landen könnte was die Behandlung angeht.

Aktuell spüre ich wirklich Hilfe durch die Tabletten. Das heißt ich stelle nicht das ganze System in Frage. Aber etwas Verunsicherung bleibt immer. Besonders, wenn man die Vielfalt der Verläufe der Forumsteilnehmer mitbekommt.

Liebe Grüße!
Lupine
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Salvatore
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Re: Doch körperlich...??? (Histamin-Intoleranz o.a.?)

Beitrag von Salvatore »

Hallo in die Runde,

Lupine, willkommen zurück! Super, dass der Urlaub so schön war und sich deine Befürchtungen nicht bewahrheitet haben, toll, dass das Venla wieder angeschlagen hat. Freue mich außerdem, dass du wieder da bist.

Kurz zu mir: Das Elontril schleiche ich jetzt aus, eben wegen der Appetitlosigkeits-/Gewichtsabnahme-Problematik. Fange morgen an und werde sehen, wie sich das auswirkt. Stattdessen habe ich Cymbalta/Duloxetin mitbekommen. Ein Blick in den Beipackzettel verrät, tadaa, häufige Nebenwirkung: Appetitverlust, Gewichtsabnahme. :shock: Pest gegen Cholera? Ich hatte beschlossen, dass ich AD noch diese letzte Chance geben will. F***.
Meine Ärztin steht der Histamin-Intoleranz- und Schilddrüsentheorie grundsätzlich aufgeschlossen gegenüber.

War nun auch bei meinem Ex-Thera und er glaubt nicht, dass meine Probleme mit einer körperlichen Erkrankung whatsoever zu tun haben, schließt es aber auch nicht aus. Er meint, ich solle mich ruhig in das Thema reinhängen, aber wenn schon, dann auch volle Lotte. 1. weil Vollgas besser ist als Stillstand, 2. weil es Hoffnungen weckt, was besser ist als Sackgasse und 3. weil es ja immer noch tatsächlich sein könnte.
Er findet aber, dass die Behandlungsresistenz chronifizierter Depressionen sehr wohl breitbändig darauf zurückgeführt werden kann, dass betreffende Patienten sich "nicht einlassen" können, nicht vertrauen können etc. pp. (Er ist Tiefenpsychologe. ;) )

Lupine_84 hat geschrieben:Was ist aber mit dem Teil der Menschen, die nach Trauma, Krise, Leid, Sorgen, Stress etc. mit eben diesen Verhaltensweisen und Charaktereigenschaften KEINE Depression entwickeln??? [...] Waren die einfach nur stärker??? Gefestigter???
Das ist eine sehr gute Frage. Therapeuten sprechen ja gerne von der "Vulnerabilität". Es wäre denkbar, dass wir das schon - bzw. eine gewisse Tendenz - mit den Genen bekommen. Das heißt, die einen sind eben von Hause aus anfälliger als andere.
Ein Teil sind sicher auch gemachte Erfahrungen und das soziale Umfeld. Wenn man weiß, dass man jemanden hat, der einen auffängt, komme was wolle, lässt sich einiges bestimmt leichter wegstecken als wenn man es mit sich alleine ausmacht/ausmachen muss. Habe mit meinem Thera auch über Urvertrauen gesprochen, ich habe das z.B. nicht, bin immer mit dem Kopf bei den möglichen Gefahren und ich verlasse mich möglichst nicht auf andere. Andere sind bis ins tiefste Innere davon überzeugt, dass alles am Ende schon irgendwie gutgeht.
Lupine_84 hat geschrieben:Es gibt Überlebende der Konzentrationslager, die vom Leben gezeichnet sind, aber nie im klinischen Sinn eine Depression entwickelt haben.
Es gibt ein ganz phantastisches Buch dazu: "... und trotzdem Ja zum Leben sagen - Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager" von Viktor Frankl (http://www.deprilibri.de/doku.php?id=tr ... tionslager). Viktor Frankl erlebt die schrecklichsten Greuel und verliert niemals die Hoffnung, baut noch seine Mitgefangenen auf und behält sogar seinen Humor. Für ihn zählt nur ein Gedanke: er muss um jeden Preis das KZ überleben, damit er anschließend der Welt davon berichten kann. Er plant schon seine Vorträge.
Das muss also auch wichtiger Aspekt sein: der Sinn. Finde DEN SINN und du kannst alles schaffen. Deshalb geraten ja auch so viele ins Burnout, die eigentlich gar nicht so sehr überlastet sind, die aber viel Arbeit leisten müssen, die sie als absolut sinnlos empfinden.
Lupine_84 hat geschrieben:Genauso denke ich manchmal bei Arzneimitteln. Was ist, wenn jede Depression nach einer völlig unterschiedlichen Dauer von alleine ausheilt?!
Ja, mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit wird sie von alleine ausheilen oder sich zumindest deutlich verbessern und natürlich bei dem einen schneller als bei dem anderen - aber ohne jegliche Behandlung wird es sehr viel länger dauern, die Depression wird schwerer werden als bei einem frühzeitigen Eingreifen und die Rückfallquote ist viel höher. Ich beziehe das jetzt aber mal auf eine generelle Behandlung und beziehe Psychotherapien und andere Therapien bewusst mit ein. Ich glaube, dass nur bei einer geringen Zahl an Patienten Medikamente allein die Lösung sind.
Lupine_84 hat geschrieben:Mal einfach ne Spinnerei: Was wenn die Depression eine Art Virus ist, den sich ca. 20% der Menschen irgendwann einfangen und der dann im Körper schlummert (vergleichbar mit einem Herpes Virus) und immer mal wieder Chaos im Körper stiftet??!!
Nein, daran glaube ich nicht. Jedenfalls nicht in Form eines Virus, den man sich beim Busfahren nebenbei einfängt. Depressionen sind nicht ansteckend. ;) ;) ;)
Ich bin mir sicher, dass Depressionen IMMER Gründe, Auslöser haben. Auf psychischer Ebene wären das dann vielleicht die Gene, vielleicht frühe Kindheitserfahrungen, Traumata, ungünstige Verhaltens- und Denkmuster. Solche Dinge. Ich glaube aber nicht, dass absolut jeder hierfür anfällig ist.
Trotzdem kann grundsätzlich jeder an Depressionen leiden, das würde ich dann wiederum auf den Körper zurückführen. Es gibt so viele Krankheiten mit dieser Symptomatik und niemand weiß, ob seine Ernährung möglicherweise zu einem Ungleichgewicht bei Darmbakterien führt, was möglicherweise zu einem durchlässigen Darm führt, was möglicherweise dazu führt, dass entzündliche Stoffe die Blut-Hirn-Schranke passieren. Oder etwas in der Art. ;)

Lg, Salvatore
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Re: Doch körperlich...??? (Histamin-Intoleranz o.a.?)

Beitrag von Lupine_84 »

Hallo liebe Salvatore!

Finde es auch schön, mich wieder mit dir austauschen zu können :)

Dein Therapeut hat 3 sehr gute Gründe genannt, der Histamin-Intoleranz nachzugehen. Ich finde auch, dass du das einmal konsequent verfolgen solltest. Auch um es für dich selbst ggf. abhaken zu können.
Und da Unsereins sich ja meist gut in solche Fachthemen einarbeiten kann, wenn’s um die eigene Erkrankung geht, bist du vielleicht gut beraten, dich selbst erstmal richtig schlau zu machen. Und dann als nächster Schritt ggf. einen Facharzt zu suchen. Mein Hausarzt sagte damals, dass die Ärzte „hier“ oft nichts mit HIT anfangen können. Es klang für mich aber so, als hätte er zur Not Adressen parat, wo einem besser weitergeholfen werden könnte.

Urvertrauen. Ja, das habe ich auch nur schwach ausgeprägt. Bin Meister in Horrorszenarien und alles-geht-schief.
Wenn ich jetzt mal typisch tiefenpsychologisch grabe, dann könnte ich meinen Keuchhusten dafür verantwortlich machen. Ich lag als 6 Wochen alter Säugling 14 Tage im Krankenhaus und habe teils um mein Leben gekämpft. Da hat sicher alles an Geborgenheit- und Schutzempfinden gefehlt und der Kontakt zur Mama, der für Säuglinge so unendlich überlebenswichtig ist, konnte auch nur spärlich ausfallen.
… aber was hilft mir dieses Wissen.
Sonst hatte ich halt eine sorglose Kindheit. Wenn ich einen tiefenpsychologischen Anlass *finden will*, dann kann ich nur den Keuchhusten verantwortlich machen.

Ja, okay, dass mit der Suche nach dem Sinn ist mir eine wirklich logische Erklärung. Das Buch würde ich gerne mal lesen, mit dem Psychologen und seinen Erfahrungen im Konzentrationslager…, da mache ich mich mal schlau.

Der SINN fehlt mir auch phasenweise am meisten. Aktuell habe ich wenig „schlechte“ Tage, aber wenn dann überfällt mich am ehesten noch das Sinnlosigkeits-Gefühl. Wir sind so unwichtig, wir sind so klein, unser Leben ist so kurz erdgeschichtlich gesehen. Es gibt so unendlich viele Menschen, alle möchten gesund sein… klar, das ist unmöglich. Ich kann versuchen mein Leben angenehm zu gestalten… aber *Sinn* hat es nicht. Ich mache nichts Herausragendes, ich bringe die Menschheit nicht weiter.
Und um mal wieder das Thema Kind anzuschneiden: Kinder in die Welt setzen sehe ich als biologischen und natürlichen Sinn an, ich halte es aber für extrem gefährlich es ausnahmslos zu dem Sinn des eigenen Lebens zu erklären. Ich glaube das tut einer Mutter-Kind-Beziehung nicht gut.
Und es ist einfach keine „Alternative“ für mich, solange ich mich nicht stabil und dem Ganzen gewachsen fühle. Außerdem möchte mein Mann eher keine Kinder haben.

Okay, die Depression ist kein Virus ;) das glaube ich selbst auch nicht wirklich. Aber ich finde scheußlich, dass man ihr eigentlich nicht auf die Schliche kommt. Ich frage mich, wann das bahnbrechende Geheimnis gelüftet werden kann. In 50 Jahren? In 100 Jahren? Ich sehe schon in den Lehrbüchern stehen …“damals glaubte man noch eine Depression sei durch (…) bedingt“.

Liebe Salvatore, ich würde gerne immer mal mit dir weiterschreiben und weiß nicht genau, ob der „meine Zukunft II“-Thread da passend bleibt. Ich hab gemischte Themen im Kopf.
Ich würde gerne einen Stammtisch für wechselnde Themen, geöffnet für alle, eröffnen. Vielleicht magst du dort ein bißchen mit mir schreiben? Packe ihn in die Rubrik "Umgang mit der Krankheit".
Schreibe dort die weiteren Sachen, die ich dir noch erzählen wollte.

LG, Lupine
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Salvatore
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Re: Doch körperlich...??? (Histamin-Intoleranz o.a.?)

Beitrag von Salvatore »

Hallo!

Ein paar Gedanken, zum Teil Synthesis aus dem bereits Gesagten:

- Antidepressiva wirken bei einigen gut und bei anderen schlecht. Dass sie sich in Studien in ihrer Wirkung von Placebos nicht deutlich absetzen, könnte mehrere Gründe haben. Es ist möglich, dass (chemisch gesehen) die Ursache von Depressionen nicht bei allen gleich ist, so dass AD bei einigen an der richtigen Stelle ansetzen und bei anderen nicht. Somit hätte man auf der einen Seite Menschen, denen AD gut helfen und auf der anderen Seite jene, bei denen sie nicht gut helfen. Im Mittel wäre die Wirkkraft dann wenig überzeugend. Ich fände es spannend, wenn beide Patientengruppen auch mal gesondert betrachtet würden.
Es wäre auch möglich, dass AD bei vielen tatsächlich eine hauptsächliche Placebowirkung haben (die meisten AD haben ja einen "Zusatznutzen", was zu einer Verbesserung in Teilbereichen führen kann, was wiederum als positiv erlebt wird und so quasi hintenrum die Stimmung aufhellen könnte).

- AD sollten von Ärzten achtsamer verschrieben werden und evtl. nicht bei milden Depressionen. Hier sehe ich folgendes Problem: die Menschen kommen mit Beschwerden zum Arzt - vermutlich zunächst zum Hausarzt - und erwarten sich von ihm Hilfe. Er weiß, dass er für den Patienten nicht so viel Zeit hat, wie es nötig wäre. Er weiß auch, dass es unheimlich schwierig und vor allem langwierig ist, einen Therapieplatz zu bekommen. Schickt er seine Patienten also nach Hause mit dem Hinweis, doch vielleicht in 6-12 Monaten eine Therapie zu machen, was die Beschwerden lindern wird... wird ihm das mit Sicherheit keine Freunde machen.
Was soll er machen, außer Pharmazeutika zu verschreiben? (Zumal es viele Patienten geben dürfte, die gezielt danach fragen.)

Die DGPPN fordert: "Es braucht Kurzzeit- und Langzeittherapien, die Möglichkeit einer kurzzeitig intensiven Behandlung in Krisen, die Möglichkeit von psychotherapeutischen Gesprächen zur Stabilisierung des Erreichten und sogar jahrelanger niederfrequenter psychotherapeutischer Unterstützung, zum Beispiel bei wiederholten Krankheitsepisoden oder bei Patienten mit schweren Persönlichkeitsstörungen. Psychotherapie muss zudem auch neben der klassischen Richtlinienpsychotherapie neue, nachweislich hochwirksame störungsorientierte Methoden und störungsübergreifende Techniken einsetzen können."

- Besonders die Pharmalobby in den USA, bestimmt aber weltweit, setzt sich dafür ein, dass auch normale Reaktionen immer schneller einen Krankheitswert erhalten. Früher war es normal, nach einem Todesfall ein Jahr lang zu trauern - heute wird bereits nach zwei Wochen eine "Anpassungsstörung" oder etwas ähnliches diagnostiziert und behandelt. Noch vor zwanzig Jahren wäre man auf die Idee wohl nicht gekommen, ABER das dürfte auch damit zu tun haben, dass das soziale Netz immer grobmaschiger wird. Früher war es üblich, dass in den ersten Wochen der Trauer die Nachbarn Essen vorbeigebracht und sich auch anderweitig gekümmert haben.
(Ich will Trauernden die Behandlung nicht verweigern, falls das jetzt jemand denken sollte. Ich denke nur, dass viele inzwischen denken, Trauer müsste nicht sein und ließe sich mit Hilfe von Tabletten oder PT abwenden. Wenn die Verfassung aber zu schlecht ist, ist Behandlung natürlich notwendig und wichtig.)

- Abgesehen davon, dass es zu wenige Therapieplätze gibt, ist Psychotherapie teuer. Pharmazeutika dürften aufgrund der großen Einsatzbreite erheblich günstiger sein.

Lupine_84 hat geschrieben: Ich frage mich, wann das bahnbrechende Geheimnis gelüftet werden kann.
Mal in den Raum geworfen: Vielleicht gibt es nicht DAS bahnbrechende Geheimnis, das gelüftet werden könnte. Fakt ist zwar, dass wir eigentlich nix so richtig verstehen, das auch nur ansatzweise mit dem Gehirn zu tun hat; aber wir kennen auch heute schon eine ganze Reihe Auslöser für depressive Symptome und trotzdem werden Patienten daraufhin gar nicht erst untersucht.


Lg, Salvatore
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rovigo
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Re: Doch körperlich...??? (Histamin-Intoleranz o.a.?)

Beitrag von rovigo »

Hallo Salvatore,

ich denke, die Ursachen einer Depression sind multifaktoriell. Ein Punkt ist sicherlich Anlage, die in manchen Fällen allein zur Entstehung der Depression ausreicht, in anderen (vielleicht den meisten) Fällen muss noch eine ungünstige Entwicklung (schlimme frühkindliche Erlebnisse, starker ständiger Stress, gelernte Hilflosigkeit, etc.) hinzukommen, damit die Krankheit ausbricht. Und selbst die "Anlage" (im Gehirn) ist vermutlich bei jedem anders. Wie auch immer die Entstehung war, es ist dann (da bin ich sicher) eine Störung im Gehirn (also, wenn man so will, eine körperliche), wenn auch keine wohldefinierte. Das heisst aber nicht zwangsläufig, dass überhaupt nur Medikamente helfen können. Auch zielgerichtete Therapie kann Prozesse im Gehirn positiv beeinflussen. (Ebenso, wie "falsche" Denkweisen sie auch negativ beeinflussen können.) Allerdings ist mein Eindruck, dass man von Psychoanalyse und tiefenpsychologischen Verfahren nun schon eine Weile abgerückt ist; vielversprechender gelten heute ja (kognitiv-) verhaltenstherapeutische Verfahren. Und in schweren Fällen werden wohl immer Medikamente eingesetzt.

Bei mir stehen ja Angst- und Zwangsstörung im Vordergrund, weiss aber auch, dass ich oft sehr depressive Phasen hatte, in denen mir die leichteste Bewegung schwer fiel. Nun bin ich momentan in der glücklichen Lage, dass Medis bei mir definitiv helfen. Ich habe kaum Angst, kaum Zwänge. Kein Vergleich zu der Zeit davor. Ich selbst habe meine psychischen Probleme schon lange als eher körperlich empfunden und bin (für mich selbst persönlich) zu der Überzeugung gekommen, dass mir Psychotherapie nicht hilft. Um das zu beschreiben, ich habe in den depressiven Phasen (und die hatte ich oft) immer meinen ganzen Körper als unangenehm empfunden, mit "schweren" Gliedern etc. Fast wie bei Grippe, aber ohne Schnupfen und Fieber, allerdings war ich auch oft erkältet. Auch meine Ängste empfand ich so körperlich, ich hatte meinen Körper nicht unter Kontrolle (z. B. zittern), konnte nicht ich selbst sein. Wenn ich dann trotzdem Situationen durchgestanden hatte (und das waren viele, sogar sehr erfolgreich), war ich danach entsprechend erschöpft, teilweise fast völlig ausgebrannt. Seitdem bei mir nun das Sertralin wirkt, fühle ich auch meinen Körper ganz anders. Diese unangenehmen Gefühle in den Glieder etc. sind einfach weg, genau wie die Ängste. Ich hätte das nicht mehr für möglich gehalten. Auf dieses neue, eigentlich normale, Gefühl, möchte ich nicht mehr verzichten. Auch wenn meine Gefühlsamplitude insgesamt deutlich geringer geworden ist, aber ich fühle mich frei. Ja, früher war ich unfrei, und habe meinen Körper als Last empfunden.

Die Sache mit DSM-V und den Neuerfindungen von immer mehr Störungen finde ich auch bedenklich. Insbesondere auch das Beispiel mit der Trauer. Ich habe diesen Zustand jahrelang durchlebt. Allerdings habe ich ihn (für mich) auch zugelassen und hätte ihn nicht medikamentös abdämpfen wollen, denn Trauer bedeutet auch ein tiefes Nähegefühl. Andererseits könnte ich verstehen, wenn sich manche Betroffene eine Weile krankschreiben lassen wollen, was mit dem entsprechenden Code im DSM oder ICD vermutlich leichter geht. Hat alles seine zwei Seiten.

LG, pesto
Salvatore
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Re: Doch körperlich...??? (Histamin-Intoleranz o.a.?)

Beitrag von Salvatore »

Hallo Pesto,

aber was ist, wenn weder Medikamente noch Psychotherapie wirken?

So vieles ergibt bei mir keinen Sinn. Ok, als ich mich endlich überwinden konnte, mir Hilfe zu holen, war es extrem. Ich war auf Arbeit so dermaßen überlastet, dass ich sowohl auf dem Hin- als auch auf dem Rückweg geheult habe und ich konnte leicht begreifen, dass ich unter dem Druck zusammengebrochen bin.
Aber das ist nur die halbe Wahrheit, denn es ist Jahre her und ich habe keinen Stress mehr. Ich habe auch nichts Schlimmes in meiner Kindheit erlebt, auch wenn nicht alles Bombe war - meine Denkfehler von damals habe ich bearbeitet und, glaube ich, erfolgreich. Meine Familie ist intakt, ich bin superglücklich verheiratet und wenn ich nicht so antriebslos wäre, hätte ich einen relativ großen und alten Freundeskreis.

Ich habe schon Ewigkeiten Anfälle von Atemnot, die ich immer für Asthma gehalten habe, bevor Therapeuten sie Panikatacke nannten. Meine erste Reaktion darauf war: das kann nicht sein, ich habe ja gar keine Angst!? Man sagte mir, das könne schon sein. Die Diagnose lautet "Generalisierte Angststörung". Ich habe das akzeptiert, das sind Fachleute, die wissen schon Bescheid.
Aber nicht alles passt, z.B. dauerten diese Panikattacken teilweise stundenlang. Ein Arzt, frisch von der Uni, sagte zu mir: "So gehen aber keine Panikattacken, die dauern nicht so lange. Eigentlich nur zehn Minuten bis maximal eine halbe Stunde."
Was sollte ich machen? (Heute denke ich, vielleicht hat er als einziger den Nagel auf den Kopf getroffen.)
Verschiedene Verhaltenstherapeuten haben mit mir sehr viele Übungen gemacht und ich habe die identifizierten Ängste auch bewältigt. Die Panikattacken blieben und ließen sich nie zuordnen. Sie kommen mir heute weniger oft und weniger intensiv, aber immer noch aus heiterem Himmel.
Ich nehme seit vier Jahren die unterschiedlichsten Tabletten. Die Beruhigungsmittel beruhigen mich, die Schlafmittel machen mich müde, aber die Antidepressiva heben nicht meine Stimmung. Jetzt bin ich seit drei Tagen "ohne" und ich fühle mich nicht schlechter.

Ich weiß, dass KVT als Mittel der Wahl gilt, aber ich konnte relativ wenig damit anfangen - sie ist genauso verkopft wie ich. Bei konkreten Ängsten, Zwängen etc. ist die Verhaltenstherapie perfekt, aber bei mir ist alles zu diffus - keiner hat einen wirklichen Punkt zum Ansetzen gefunden.
Darum war für mich die TP geeignet, weil es eben nicht verkopft ist und ich mich mit einem Teil von mir beschäftigen musste, zu dem ich wenig Zugang habe. Aber in Bezug auf meine Symptomatik hat es nichts gebracht.

So vieles passt nicht zusammen. Ist es also vielleicht gar keine Depression :?: :?: :?:

Lg, Salvatore
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Nachtflug
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Re: Doch körperlich...??? (Histamin-Intoleranz o.a.?)

Beitrag von Nachtflug »

Hallo Salvatore,

hast du denn mal andere Ärzte (also keine Psychiater/Psychologen) gefragt, zu welchen Fachärzten man sollte, um solche Symptomatiken abzuklären?

Vielleicht würde es auch helfen, mal zu einem neuen Arzt zu gehen und ihn nichts von deiner bisherigen psychiatrischen Diagnose zu erzählen, damit du eine ganz unvoreingenommene Beurteilung deiner Symptomatik erhältst.

Weil: Es gibt tatsächlich Patienten, die tatsächlich eine körperliche Krankheit haben und aufgrund ihrer psychiatrischen Diagnose nicht richtig behandelt werden. Unter anderem berichtete mir in einem anderen Forum ein Teilnehmer von seiner Ex-Freundin, dass ihre Unterleibsschmerzen lange auf psychsomatische Ursachen geschoben wurde, bis die Betroffene (bipolar) dann als Notfall auf dem OP-Tisch lag...

Also so eine psychiatrische Diagnose bei anderen Ärzten zu nennen kann durchaus auch Nachteile haben. Ich würde an deiner Stelle schonmal versuchen, diesen Anfällen durch andere (Fach)-ärzte auf den Grund zu gehen. Wenn es doch psychisch ist oder man es nicht herausfinden kann, hast du nichts verloren. Wenn es aber körperlich ist, vielleicht sogar behandelbar, aber man das nicht herausfindet, dann schon.

Ansonsten redest du viel von Therapie usw. - aber was hast du den auch konkret in deinem Leben geändert seit deiner Diagnose, im Alltag, bei deiner Lebenseinstellung? Gibt es Dinge, die dir Kraft geben, die deine Stimmung aufhellen, wenn du ihnen nachgehst?

LG
Nachtflug
Salvatore
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Re: Doch körperlich...??? (Histamin-Intoleranz o.a.?)

Beitrag von Salvatore »

Hallo Nachtflug,

stimmt, alle meine Ärzte kennen natürlich meine psychiatrische(n) Diagnose(n)! Insofern ist da niemand unvoreingenommen. Ich habe jeden gefragt, der mir untergekommen ist, ob es nicht auch was anderes sein könnte - aber alle waren sich immer so sicher mit der Diagnose und schienen keinen Zweifel zu haben. Und ich habe immer gedacht, die sind sich alle so einig, das muss einfach stimmen.
Nachtflug hat geschrieben:aber was hast du den auch konkret in deinem Leben geändert seit deiner Diagnose, im Alltag, bei deiner Lebenseinstellung?
Ja, da gibt es schon einiges. Und ich arbeite auch noch immer an mir, wie gesagt habe ich mit Sicherheit auch psychische Anteile. Einige Denkmuster konnte ich aufdecken, so dass sie mir inzwischen manchmal auch auffallen, bevor ich in eine bestimmte Situation gerate. So habe ich z.B. kürzlich eine Hochzeit abgesagt, auf die ich auf keinen Fall gehen wollte - kenne das Brautpaar wenig (hatte nichtmal eine Adresse oder Telefonnummer, bevor ich die Einladung bekommen habe) und fast niemanden von den anderen Gästen. Früher wäre ich trotzdem hingegangen, denn "eine Hochzeitseinladung sagt man einfach nicht ab, das kann man nicht machen" - ich hätte mich hingequält, total unwohl gefühlt und hätte den Zeitpunkt herbeigesehnt, an dem es ok ist zu gehen. Jetzt habe ich mir gesagt, ich möchte nicht hin, werde da auch keinen Spaß haben und das Brautpaar hat uns womöglich nur eingeladen, weil sie dachten, sie müssten. Vermissen werden sie uns nicht, also was soll's? Das hätte ich mir früher niemals erlaubt. Solche Dinge, es ist jetzt nur ein Beispiel.
Habe außerdem in der Ergotherapie ein neues Hobby für mich entdeckt. Ich erlaube mir ein paar Sachen, die ich mir früher nicht gestattet hätte. Ich darf sagen "Ich schaffe das nicht" und ich muss auch nicht alles von Anfang an können.

Und trotz allem ist alles noch da, was mich im Alltag einschränkt: die Schlafschwierigkeiten, morgens nicht hochzukommen, die schlechte Konzentration und das schlechte Gedächtnis, die Antriebsschwäche, Müdigkeit, Kraftlosigkeit usw. usf.
Nachtflug hat geschrieben:Gibt es Dinge, die dir Kraft geben, die deine Stimmung aufhellen, wenn du ihnen nachgehst?
Ich wüsste jetzt nichts, was mir Kraft gibt - aber ich liebe Tiere über alles und die heitern mich auch oft auf. Ich würde gerne im Tierheim helfen und stehe schon jahrelang auf der Warteliste - die können sich hier vor Hilfswilligen kaum retten. Was natürlich auch wieder gut ist...
Früher sind wir oft ins Tierheim gegangen, aber da suche ich nach Ausreden. Was blöd ist.


Lg, Salvatore
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