Zukunftsperspektiven

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CCHHRRIISS
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Zukunftsperspektiven

Beitrag von CCHHRRIISS »

Hallo Forum,

ich bin neu hier. Daher stelle ich mich mal vor.
Ich bin Chris, 21 Jahre alt und Student im 6. Semester Wirtschaftswissenschaften d.h. ich mache aktuell meinen Bachelorabschluss. Ich wurde vor ungefähr zwei Monaten. nach etwas, das man vielleicht einen Zusammenbruch nennen könnte, mit Depressionen diagnostiziert und mache seitdem eine Therapie. Ich hatte erst ein paar Termine. Deshalb ist das alles neu für mich - vorallem über meine Gefühle zu reden - das bin ich so nicht gewohnt.

Zu dem Grund weshalb ich in dieses Forum schreibe - ich sehe momentan keine Perspektive für die nächsten Monate und Jahre. Bis vor zwei Monaten hatte ich noch den Plan nach meinem Abschluss im Sommer ein Jahr Praktika zu machen und dann meinen Master zu machen. Mein Ziel war es später in einer Bank, als Consultant oder Wirtschaftsprüfer zu arbeiten. Das alles ist irgendwie zusammen mit meinem Selbstbewusstsein verschwunden.
Ich erzähle das, weil diese Planung bisher meine Tagesplanung bestimmt hat. Ich habe Vorlesungen besucht und andere Dinge erledigt mit dieser Perspektive. Aktuell stehe ich morgens auf und bin schon gestresst, weil da wieder ein Tag vor mir liegt, der nicht verschwendet werden will. Aber ich weiß nicht was ich mit dem Tag anfangen soll. Ich besuche noch Vorlesungen und mache Sport, meditiere, weil ich hoffe, dass es mir vielleicht hilft. Aber am Ende weiß ich nicht wieso ich das mache. Ich weiß nicht, ob es wirklich etwas bringt. Ich sorge dafür, dass es nicht schlimmer wird - aber nicht dafür, dass es besser wird.
Ich habe das ständige Gefühl mehr machen zu müssen, besser sein zu müssen. Ich glaube, dass ich seit zwei, drei Monaten nicht mehr richtig abschalten kann. Das wirkt sich auch auf meine Beziehungen aus, weil ich, wenn ich Zeit mit Freunden verbringe emotional nicht da bin. Ich kann das nicht mehr genießen. Mittlerweile vermeide ich es Zeit mit Freunden zu verbringen, weil ich weiß, dass ich sowieso nicht wirklich da sein würde und meine Freunde das merken. Sie wissen nicht das ich depressiv bin.

Wenn ich mit meinem Umfeld darüber rede - auch mit meinem Therapeuten - raten mir alle irgendwie so weiter zu machen wie bisher. Das heißt für mich meinen Abschluss so gut wie möglich zu machen, Praktika organisieren etc. Ich sehe, dass das sinnvoll ist. Die Dinge, die ich dafür aber tun muss, sind schwer für mich. Ich fühle mich von meinem Umfeld allein gelassen. Als würden sie denken, dass es ausreichend, dass ich jetzt zu einem Therapeuten gehe, dass ich wieder voll in der Spur bin und so weiter machen kann und will. Denn wie ich beschrieb ist alles für mich distanziert -wie lange soll ich das noch so machen?

Ich hoffe man kann ausgehend von diesem Text meine Situation einigermaßen nachvollziehen. Ich würde mich über Ratschläge von euch freuen. Gerne gebe ich noch weitere Auskünfte, falls was unklar ist, weil ich etwas vergessen habe hier rein zu schreiben.
Kirsten29
Beiträge: 461
Registriert: 18. Apr 2020, 21:11

Re: Zukunftsperspektiven

Beitrag von Kirsten29 »

Hallo Chris,

schön, dass du dich hier vorstellst und herzlich Willkommen :).

Ich hab deinen Beitrag eben gelesen und musste schmunzeln. In aller Deutlichkeit: Ich mache mich NICHT über dich und deine Situation lustig. Ich glaube dir, dass du dich erstmal unsicher und verwirrt fühlst.

Nach meinem Empfinden meldet sich da das Leben bei dir ;). Und das Leben möchte, dass du im JETZT bist und nicht in deiner Zukunft. Wer weiß schon, was morgen und erst recht übermorgen ist? Was du beschreibst, klingt für mich, als wärst du vom bisherigen "geplanten" Weg abgekommen.

Ungefragt tippe ich mal einen Text ab und mich würde sehr interessieren, wie du ihn findest. Als ich eben deine Geschichte las, fiel mir die Textstelle sofort wieder ein :). Sie muss natürlich nichts für dich sein. Aber dem Impuls möchte ich so gern folgen.

"In der Zen-Tradition wird diese Reise in der Geschichte vom heiligen Ochsen dargestellt. Der Ochse verkörperte im alten Indien die in jedem Wesen schlummernden wunderbaren Kräfte, die erwachen, wenn man zu seiner wahren Natur findet. Auf dem ersten Rollbild mit der Geschichte vom Hüten des Zen-Ochsen ist ein Mann abgebildet, der durch dicht bewaldetes Bergland zieht. Das Bild ist untertitelt mit "Die Suche nach dem Ochsen". Hinter dem Mann liegt ein Gewirr sich kreuzender Wege: die alten Bahnen des Ehrgeizes und der Angst, der Verwirrung und des Verlusts, des Ruhms und der Schande. Lange Zeit hatte dieser Mann die Flüsse in den Tälern und die herrlichen Aussichten vergessen, die die Gipfel bieten. Aber noch am selben Tag, als ihm das alles wieder einfällt, macht er sich auf die Suche nach den Spuren des heiligen Ochsen. Er weiß im Innersten, dass der Ochse niemals verloren gehen kann, mögen die Schluchten noch so tief sein und die Berge noch so hoch. Die Schönheit des Waldes lädt ihn zur Rast ein [Willkommen nochmal im schönen Forum :)]. Und als er sich umschaut, entdeckt er die ersten Spuren."

Herzensgruß
Kirsten
Der Schatz liegt hinter dem Drachen.

"Es gibt nur ein Muss: Du musst wissen, dass du nichts musst." (aus: "Komm, ich erzähl dir eine Geschichte", J. Bucay)
Lebenslöwe
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Re: Zukunftsperspektiven

Beitrag von Lebenslöwe »

Hallo Chris,
CCHHRRIISS hat geschrieben:Als würden sie denken, dass es ausreichend, dass ich jetzt zu einem Therapeuten gehe, dass ich wieder voll in der Spur bin und so weiter machen kann und will.
Das Gefühl kenne ich total. Als wäre mit "Therapie" alles geklärt. Bei mir war/ist das auch so. Es ist manchmal schwer, das nicht-depressiven Menschen zu erklären. Aber hier ist es einfacher, zumindest ist hier der Prozentsatz derer höher, die einen verstehen. :-)

Du schreibst:
CCHHRRIISS hat geschrieben:Bis vor zwei Monaten hatte ich noch den Plan nach meinem Abschluss im Sommer ein Jahr Praktika zu machen und dann meinen Master zu machen. Mein Ziel war es später in einer Bank, als Consultant oder Wirtschaftsprüfer zu arbeiten
Dass das mit so einer Depression und einem Zusammenbruch zu viel Hilflosigkeit und Scham und nicht gerade viel Selbstbewusstsein geführt hat, war/ist bei mir auch so. Ich bin 22, studiere auch und schaffe dieses Semester nicht einmal die 6 ECTS, die ich mir vorgenommen hatte...

Was ich fragen wollte: Angenommen, man würde dir heute per Post ein Paket Selbstbewusstsein schicken, das so groß ist, wie du es möchtest, wäre dein Zukunftstraum dann wieder realistisch?

Ich glaube, dass es einen Unterschied macht, ob man nicht mehr an die Zukunft glaubt, weil man nicht weiß, was man WILL oder weil man nicht weiß, ob man das KANN, was man will.

Ich will später Lehrer werden und auch bei mir gab es in den letzten Monaten und Jahren viele Momente, in denen ich gedacht habe: "Scheiße, wie willst du dich denn um deine Schüler kümmern, wenn du es noch nicht mal schaffst, morgens aufzustehen, einzukaufen und genug zu essen???" Aber Lehrer sein war das, worauf ich mein Leben ausgerichtet hatte, wovon ich träume, seit ich 12 war!

Lehrer zu werden, erschien mir plötzlich absolut unrealistisch, aber es war immernoch mein größter Traum. Und es war die Art von Traum, die mich davon abgehalten hat, scheiße zu bauen. Denn jedes Mal, wenn ich kurz davor war, aufzugeben, habe ich mich gefragt: "Was wäre, wenn ich es doch schaffen könnte, aus der Depression rauszukommen?" "Was wäre, wenn ich mein Studium doch irgendwie hinkriege?", "Was wäre, wenn ich eines Tages vor der Klasse stehen könnte und meinen Schülern helfen und zuhören könnte, wenn es denen nicht gut geht?"
Und dann habe ich weitergekämpft.

Was ich dir raten würde:

1.) Suche einen Traum von deiner Zukunft. Ich sage absichtlich Traum und nicht Plan. Irgendein Bild davon, wie ein Leben aussieht, wenn es dir wieder besser geht. Wie du dir dein Leben wünscht. Das muss nichts mit Arbeit zu tun haben oder Studium, aber irgendwas, was dir Kraft gibt, das jetzt auszuhalten und weiterzukämpfen.

2.) Mach dir klar: Dein aktueller Hauptjob ist "Depression überwinden". Das ist ein Vollzeitjob, zumindest für viele von uns. Wenn du nebenher noch Energie hast fürs Studium, super. Wenn nicht, ist dann halt so. Wenns dir wieder besser geht, hast du wieder mehr Energie und kannst wieder mehr schaffen.

3.) Sprich mit irgendwem von deinen Freunden. Depressionen schafft man nicht alleine. Austausch im Forum ist super, aber man braucht auch einen im "real life". Zumindest bei mir war das so. Und Depressionen machen vor allem dann Freundschaften kaputt, wenn man NICHT darüber redet. So war das zumindest bei mir. Such dir einen Freund, dem du vertraust und erzähl dem grob, was los ist. Erklären kannst du es, das zeigt dein Text! Du musst es nicht deinem ganzen Freundeskreis erzählen und auch nicht zu deinem Whatsapp-Status machen, aber es hilft echt, wenn man einen Menschen in seinem Bekanntenkreis hat, vor dem man keine "Show abziehen" muss, sondern einfach so sein kann, wie man halt jetzt gerade ist.


"Die Zukunft hat viele Namen.
Für die Schwachen ist sie das Unerreichbare.
Für die Furchtsamen ist sie das Unbekannte.
Für die Tapferen ist sie die Chance.“
Victor Hugo

Vielleicht ist das die größte Perspektive, die es gibt.

Du schaffst das!! :-)
CCHHRRIISS
Beiträge: 3
Registriert: 26. Mai 2020, 17:52

Re: Zukunftsperspektiven

Beitrag von CCHHRRIISS »

@Kirsten29
Danke für deine Antwort und entschuldige bitte meine verspätete Antwort darauf.
Mir fällt es schwer nicht die ganze Zeit an die Zulunft zu denken. Aber das ist wohl eine Sache, die ich lernen muss. Mein Therapeut meinte, dass ich rausfinden muss was ich will und darauf hören muss was meine Bedürfnisse sind.
Ich mag den Text sehr. Ich finde er trifft den Punkt sehr gut.

@Lebenslöwe
Auch dir vielen Dank für deine Antwort und entschuldige bitte meine verspätete Antwort darauf.
Den Gedanken "Wenn ich wieder das Selbstbewusstsein hätte, wäre der Zukunftstraum dann wieder realistisch". Ich hatte eine Vorstellung, von dem, was ich später machen möchte - auch wenn ich es nicht unbedingt als Traum bezeichnen würde. Ich bin da irgendwie reingerutscht und hatte gehofft, dass irgendwann der Punkt kommt, an dem ich sage "Das ist es". Meine Vorstellung war es beruflich erfolgreich zu sein, gut Geld zu verdienen, coole Anzüge zu tragen - mein Bruder und ein Freund von mir denken auch so und haben deshalb diese Vorstellung bei mir immer wieder angefacht. Auf der anderen Seite hatte ich die Vorstellung von einer Beziehung; nach Hause zu kommen und nicht alleine zu sein; ein ganz normales 9-5 Leben mit einem Menschen zu verbringen, den ich liebe ohne groß Karriere machen zu wollen. Ich weiß aktuell nicht was wirklich meinem Wesen entspricht.

Ich mache mir den Vorwurf nicht so wie du oder andere eine klare Vorstellung davon zu haben was mein Traum ist. Ich hatte mich bereits nach meinem Abitur für duale Studiengänge im Bereich Wirtschaftsinformatik beworben aber hatte die Angebote abgelehnt, weil ich überfordert war mit der Situation. Das gleiche scheint jetzt wieder zu passieren. Ich versuche nicht den gleichen Fehler nochmal zu machen und z.B. Praktika zu organisieren wie ich das geplant hatte aber alles was ich tue fühlt sich an als wäre es falsch - das ist das Gefühl "Du möchtest das eigentlich nicht". Ich weiß, dass ich z.b. Angst vor den Praktika habe aber ich frage mich auch, ob neben der Angst nicht auch die Realisation da ist, dass ich diesen Weg nicht gehen möchte und ich das deshalb nicht machen möchte.
Gleichzeitig habe ich Angst vor der Konsequenz, wenn ich tatsächlich feststelle, dass dieser Weg nicht zu mir passt. Ich hätte drei Jahre studiert - villeicht sogar 4 mit Praktika und, wäre 22 und müsste nochmal neu anfangen - wenn ich überhaupt könnte. Ich beschreibe jetzt nicht jeden Gedanken aber mein Kopf baut dann ein Horrorszenario auf und ich fühle mich schlecht, wertlos, gescheitert und schäme mich.
Ich hoffe es einigermaßen nachvollziehbar, was ich geschrieben habe.

Ich hoffe sehr, dass du dein Ziel Lehrer zu werden erreichst.
Aurelia Belinda
Beiträge: 7922
Registriert: 23. Aug 2018, 20:03
Wohnort: Mittelfranken

Re: Zukunftsperspektiven

Beitrag von Aurelia Belinda »

Hallo an Lebenslöwe,

Den Spruch von Victor Hugo finde ich echt super. Danke!

LG Aurelia
Alle eure Dinge lasset in Liebe geschehen
Kirsten29
Beiträge: 461
Registriert: 18. Apr 2020, 21:11

Re: Zukunftsperspektiven

Beitrag von Kirsten29 »

Hallo Chris,

du brauchst dich nicht rechtfertigen. Wenn du nicht antwortest, ist das auch ok ;).

In vielem, was du schreibst, erkenne ich mein "früheres Ich" wieder, auch wenn es so lange noch nicht her ist :). Was ich allerdings mittlerweile sehr kostbar finde, ist das Gefühl, das auch du beschreibst und zum Gedanken gehört: "Das möchte ich eigentlich nicht." Ich hab viel Geld für alle möglichen Kurse ausgegeben, um an diese leisen Herzenstöne in mir heranzukommen :).

Selbstfindung und das Herausfinden der eigenen Bedürfnisse und Wünsche ist nichts einfaches. "Wer bin ich?" ist aus meiner Sicht eine der größten Fragen, die wir Menschen uns stellen können. Vielleicht ist Geldverdienen tatsächlich deins? Oder eine Familie? Oder in den Regenwald gehen? Oder in einem indischen Ashram leben? Oder Straßenmusikant werden? Oder ein FSJ? Ich glaube, du weißt, worauf ich hinaus will ;). So vieles ist möglich, aber ich weiß auch, dass diese unzähligen Möglichkeiten erstmal ganz schön überfordern können.

Es ist eine lebenslange Reise, da gehören auch mal Fehlentscheidungen dazu. Vor einer solchen Situation stehe ich im Moment auch. Bleibe ich in meiner Wohnung, in dieser Stadt? Bewerbe ich mich initiativ als irgendwas oder suche ich mir hier einen Job, der nicht viel Geld bringt, aber ich viel Zeit für mich hätte? Ich würde so gern an die Nordsee - warum nicht dorthin? Oder doch hier bleiben? Eigentlich möchte ich den Umzugsstress im Moment nicht - ok, die Nordsee läuft mir ja nicht weg :). Das sind so meine Gedanken derzeit. Früher hätte mir eine solche Situation irre viel Angst gemacht und ich hätte ein sehr starkes Bedürfnis nach Sicherheit gehabt. Heute hab ich natürlich auch Angst. Aber für mich steht fest, dass ich nicht mehr an meiner Natur vorbeilebe und da halte ich die Ungewissheit eine Weile aus :).

Liebe Grüße
Kirsten
Der Schatz liegt hinter dem Drachen.

"Es gibt nur ein Muss: Du musst wissen, dass du nichts musst." (aus: "Komm, ich erzähl dir eine Geschichte", J. Bucay)
Lebenslöwe
Beiträge: 68
Registriert: 21. Sep 2019, 13:34

Re: Zukunftsperspektiven

Beitrag von Lebenslöwe »

Hallo Chris,

erst mal, ich finds voll mutig und beeindruckend, wie du hier über dich schreibst und versuchst, all das in Worte zu fassen!! :) Und - egal in welchem Job oder als was du später arbeiten wirst - emotionale Kompetenz, zu sich und seinen Schwächen stehen, Sorgen artikulieren, sich Hilfe suchen und solche Sachen, das wird alles immer wichtiger!! Und das, was jetzt aktuell scheiße ist, wird vielleicht eines Tages mal ein großer Vorteil im Bewerbungsgespräch.
CCHHRRIISS hat geschrieben: Ich mache mir den Vorwurf nicht so wie du oder andere eine klare Vorstellung davon zu haben was mein Traum ist.
Ich kann mir vorstellen, dass das ein doofes Gefühl ist. Aber du musst dir deswegen definitiv keine Vorwürfe machen. Ich glaube, dass ziemlich viele Leute keine Ahnung haben, was ihr Traum ist. Dass viele das machen, was ihre Freunde sagen, was ihre Eltern sagen, was die Werbung sagt, was grade "in" ist und so. Weil das auch eine ziemlich neue Situation dieses Jahrhunderts ist, dass man so vieles werden kann. Früher machten die Jungs einfach den Beruf ihres Vaters und die Mädchen blieben in der Küche. Jetzt ist für viele plötzlich fast alles möglich.
Vielleicht gilt hier tatsächlich: Probieren geht über studieren. Versuch einfach mal das, was sich aktuell am besten anfühlt, und wenn es das nicht ist, du bist 21 Jahre alt. Vor vierzig Jahren oder so haben die Leute erst in dem Alter angefangen, überhaupt zu studieren!!

CCHHRRIISS hat geschrieben:Gleichzeitig habe ich Angst vor der Konsequenz, wenn ich tatsächlich feststelle, dass dieser Weg nicht zu mir passt. Ich hätte drei Jahre studiert - villeicht sogar 4 mit Praktika und, wäre 22 und müsste nochmal neu anfangen - wenn ich überhaupt könnte.
Ja und? Würde die Welt davon untergehen? Das klingt jetzt ziemlich hart, aber ich meine es positiv. Denn die Welt würde davon nicht untergehen.

Ich habe in den letzten zwei Jahren vier komplette Monate stationär in der Psychiatrie verbracht, ich werde eine Verlängerung der Regelstudienzeit brauchen und es gibt immer wieder Tage, an denen ich nicht weiß, ob ich wirklich stark genug für den Job bin.

Haufenweise Dinge in meinem Leben sind absolut nicht so gelaufen, wie ich sie mir geplant oder gewünscht hatte und für manche Dinge hab ich viel viel länger gebraucht, als geplant. Und trotzdem: Kein Tag davon war Zeitverschwendung. Keine Erfahrung war nutzlos. :-)

Wenn ich an meine Lieblingslehrer und Vorbilder aus der Schulzeit zurückdenke, dann waren die Menschen, die mich am meisten beeindruckt haben, die Menschen, die selber Risse und Knicke und Beulen und Lücken in ihrem Lebenslauf hatten. Die Krisen gemeistert haben, die ursprünglich mal was anderes machen wollten, die hingefallen sind und wieder aufgestanden. Diese Menschen haben mich beeindruckt, weil das Menschen waren, die mir gezeigt haben, dass man schwach sein kann und trotzdem stark.

Welchem Lehrer würdest du deine Kinder anvertrauen? Einem Flower-Power-Typ, der das ganze Leben für einen Ponyhof hält, der straight trough ist und vierfach ausgezeichnet mit dem Deutschen Lehrerpreis. Oder doch eher dem Lehrer, der viel Lebenserfahrung gesammelt hat, der Höhen und Tiefen kennt, der hingefallen ist und wieder aufgestanden, der weiß, wie wichtig Träume sind, aber auch weiß, dass man sich notfalls auch eine Zeitlang durchschlagen kann, wenn man seine Träume aktuell nicht sehen kann?

Und mit Geld bzw. einem Unternehmen oder was auch immer ist das doch das selbe! Oder mit Politik. Wir sind alles Menschen. Und wir dürfen Fehler machen, verzweifeln, zögern, Angst haben, Mut haben. Christoph Columbus wollte auch nach Asien. Wo ist er gelandet? Amerika. Ups. Wäre Columbus genauso berümt geworden, wenn er sein eigentliches Ziel erreicht hätte??

Das Leben ist ein Abenteuer. Es gibt kein Drehbuch dafür. Das ist das tolle. Und die Herausforderung. Es gibt Zeiten, da wissen wir, wer wir sind, und was wir wollen. Es gibt Zeiten, da wissen wir das nicht. Im Zweifelsfall gilt: No risk, no fun. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Probieren geht über studieren. Manchmal muss man einfach ein bisschen improvisieren.

Ich weiß nicht, ob du schon mal Impro-Theater gemacht hast. Also Theater spielen ohne feste Rollen, ohne Drehbuch und so. Das ist anstrengend, aber es kann auch echt viel Spaß machen. Und es ist auch nicht für immer. Könnte ja sein, dass du in vier Wochen plötzlich die Erleuchtung deines Lebens kriegst?
CCHHRRIISS hat geschrieben:ch beschreibe jetzt nicht jeden Gedanken aber mein Kopf baut dann ein Horrorszenario auf und ich fühle mich schlecht, wertlos, gescheitert und schäme mich.
Ich wünsche dir, dass sich in deinem Kopf irgendwann ein Hammerszenario aufbaut, dass du dich gut fühlst, wertvoll, abenteuerlustig und stolz. Weil du ein Abenteurerer bist. Der einzige Mensch auf der ganzen Welt, der DEIN Leben leben kann.

Vielleicht ist das Leben auch wie ein guter Kinofilm. Und ganz ehrlich, du würdest auch nicht in einen Kinofilm gehen, bei dem du vorher schon das Drehbuch auswendig gelernt hast und ganz genau weißt, was passiert, oder? ;)
Kirsten29
Beiträge: 461
Registriert: 18. Apr 2020, 21:11

Re: Zukunftsperspektiven

Beitrag von Kirsten29 »

Da schließe ich mich dir an, Lebenslöwe. Bei der Stelle mit Christoph Columbus musste ich lachen :). Ich finde, der Vergleich passt sehr gut.

Lieber Chris, niemand wird dir genau sagen können, was richtig und was falsch ist. Denn es ist DEIN Weg. Den ist vor dir niemand gegangen und den geht auch nach dir niemand. Als mir das klar wurde, war ich erstmal sehr verängstigt. Aber mit der Zeit wurde mir immer bewusster, welche Freiheit das auch bedeutet.

Was ich an deinen Beiträgen hier so bewundere, ist, dass du im Moment nicht einfach mit dem Strom schwimmst. Du hörst auf eine Stimme in dir und sie scheint dir zu sagen, dass dein ursprünglich geplanter Weg möglicherweise nicht der für dich passende ist. Und dass du den Mut hast, auf diese Stimme zu hören, zu zweifeln, in Frage zu stellen, bewundere ich.

Ich möchte gern noch ein Zitat von Howard Thurman mit dir teilen, das mich schon seit einer ganzen Weile begleitet: "Frag dich nicht, was die Welt braucht, sondern frage dich selbst, was dich lebendig werden lässt. Und dann geh und tu das. Denn was die Welt braucht, sind Menschen, die lebendig geworden sind."
Der Schatz liegt hinter dem Drachen.

"Es gibt nur ein Muss: Du musst wissen, dass du nichts musst." (aus: "Komm, ich erzähl dir eine Geschichte", J. Bucay)
T Ally
Beiträge: 595
Registriert: 30. Jul 2014, 14:34

Re: Zukunftsperspektiven

Beitrag von T Ally »

Hallo Chris,

die Beiträge hier hatte ich bereits vor Tagen gelesen und mir vorgenommen, Dir zu antworten. Nun hast Du schon einige Reaktionen erhalten, ich möchte mich davon nicht entmutigen lassen und Dir trotzdem meine Gedanken mitteilen.

Ich bin in dem Bereich tätig, den Du anstrebst. Allerdings habe ich nicht studiert, sondern die klassische duale Ausbildung absolviert und mich nach und nach weiterentwickelt um aus der Tretmühle des Vertriebes herauszukommen. Hätte ich in diesem Bereich arbeiten müssen, wäre meine Erwerbsbiografie wohl bereits vor Jahren beendet gewesen.
Nun bin ich Stabsbereich bzw. Backoffice tätig in einem eher kleinen Unternehmen. Lass es Dir gesagt sein, die Wirtschaft ist ein Raubtierkäfig. Wenn Du nicht dafür brennst und Deine Ellenbogen einsetzen kannst und magst, sondern ein sensibler, eher zurückhaltender Charakter bist, dann benötigst Du Nerven wie Stahlseile, um Deinen Weg zu gehen. Schwächen werden von den Geiern identifiziert und ohne Hemmungen ausgenutzt. Es herrscht das Gesetz des Stärkeren und wer nicht mithalten kann, kommt unter die Räder. Das wiegt auch ein schicker Anzug nicht auf.

Ich glaube, ich bin nun, nach 25 Jahren, gescheitert. Und mein Anfang lag noch in anderen Zeiten. Mittlerweile mag ich gar nicht mehr daran denken, dass ich ganz bald meine Eingliederung starte und habe große Angst, es nicht zu schaffen. Für psychische Erkrankungen gibt es kein Verständnis in der stark an dem Leistungsprinzip ausgerichteten System der Wirtschaftsunternehmen.
Natürlich gibt es auch nette Kollegen, aber wenn die Luft dünn wird, dann steht man allein.

Nun ist mit Deinem Studiengang ja einiges möglich und Du hast sicher nicht vergeblich studiert und gekämpft. Suche Dir einen Bereich, in dem du Deine Fertigkeiten einsetzen kannst, aber die Menschlichkeit auch wichtig ist.
Im Rahmen Deiner Therapie kannst Du auch Deine Stärken und Schwächen herausarbeiten und vielleicht danach Deine Jobmöglichkeiten überdenken.

Ich wünsche Dir ganz viel Kraft und Mut, Deinen Weg weiter zu gehen, wohin er Dich auch führt!
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