Das schwarze Loch im Zimmer neben mir

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Mimimia
Beiträge: 1
Registriert: 20. Jul 2017, 22:41

Das schwarze Loch im Zimmer neben mir

Beitrag von Mimimia »

Hallo zusammen,
ich bin Miri und gerade 18 Jahre alt geworden. Im nächsten Jahr werde ich mein Abitur machen. eigentlich könnte mein Leben so schön sein wäre da nicht meine 19 jährige Schwester die seit zwei Jahren an Depressionen erkrankt ist. Den Auslöser für ihre Depressionen kennen wir nicht, wir wissen nur dass sie immer sehr hohe Erwartungen an sich selbst gestellt hat und wenn sie diese nicht erfüllen konnte war sie am Boden zerstört. Als sie 14 war, wollte sie unbedingt Magersüchtig werden, das hat sie (zum Glück) nicht geschafft aber sie war deswegen total fertig. Sie meinte Magersüchtige hätten die totale Kontrolle über ihren Körper und der Geist und die Intelligenz würden das Leben bestimmen und nicht mehr die körperlichen Bedürfnisse.

Seit zwei Jahren kommt sie nun gar nicht mehr raus aus ihrem Loch, verstärkt wurde ihre Depression auch noch durch den Unfalltod einer guten Freundin im vergangenen Winter.

Ich weiß, bei depressiven Menschen muss man Verständnis haben und nicht drängen, aber nach zwei Jahren fühle ich mich leer und erschöpft
Dieses ständige auf Zehenspitzen gehen, nur keine negativen Reaktionen auslösen wollen, jedes Wort, Geste und Handlung abzuwägen geht mittlerweile an meine Substanz.

Manchmal fühle ich als würde sich nur ein Zimmer weiter ein schwarzes Loch auftun, dass der ganzen Familie langsam aber sicher die Lebensenergie aussaugt.
Nach zwei Jahren ist unsere Mutter körperlich angeschlagen. Sie hat mittlerweile ein Magengeschwür. Unser Vater flieht aus dem Haus arbeitet viel und hat sich in seine Hobbies gestürzt.
Früher gab es Familienabende. Da haben wir Brettspiele gespielt, Filme angeschaut oder miteinander gekocht. Das war immer sehr lustig. Wenn aber immer einer dabei ist der nicht wirklich teilnehmen kann dann macht das irgendwann für alle keinen Spaß mehr. Ich weiß dass meine Schwester nicht aus Bosheit nicht mitmacht oder weil sie keinen Bock hat sondern weil sie einfach nicht kann. Aber dieses nicht können und die Traurigkeit darüber dass sie nicht kann sind für mich als Schwester einfach schwer zu ertragen

Manchmal bin ich neidisch, wenn ich Freundinnen mit deren Schwestern sehe. Sie streiten, sie lachen, sie heulen, sie hören Musik, sie gehen zusammen in die Stadt oder an den Badesee.
Mit meiner Schwester rede ich nur noch wenig, es ist eh eine Einbahnstraße. Ihr Antworten sind Einsilbig und für mich oft nicht einzuordnen.
In der Schule habe ich von Paul Watzlawicks Theorien der Kommunikation gehört. Man kommuniziert auch wenn man nicht redet, nur durch Gesten und Gesichtsausdrücke.
Bei meiner Schwester sind die Gesten und Mimik immer gleich.
Manches Mal ertappe ich dabei wie ich den Kontakt mit ihr bewusst vermeide. Wenn ich weiß, dass sie in der Küche ist, dann gehe ich nicht in die Küche. Ich weiß manchmal nichts mit ihr anzufangen und manchmal bin ich einfach nur wütend. Manchmal auch auf sie weil sie sich seit zwei Jahren nicht vom Fleck bewegt und zum Teil Hilfe verweigert, meistens aber nur auf die Gesamtsituation.

Nach dem Abitur will ich studieren. Mein Vater hat mir nahegelegt zum studieren weg zu gehen. Ich habe aber Angst damit das Band zwischen mir und meiner Schwester endgültig so zu zerschneiden dass wir nie wieder richtig zusammenfinden. Eigentlich wünsche ich mir dass meine Schwester und ich irgendwann wirklich Beste Freundinnen sind.

Ich habe im Forum schon gesehen dass es hier einige Menschen gibt die mit Depressiven zusammenleben. Vielleicht habt ihr Tipps wie das Leben einfacher wird oder wie ich die Krankheit meiner Schwester besser bewältigen kann.
Zarra
Beiträge: 5734
Registriert: 12. Mär 2010, 15:16

Re: Das schwarze Loch im Zimmer neben mir

Beitrag von Zarra »

Hallo Mimimia,

ich bin Betroffene (und viel älter; und ich lebe allein), und ich finde Deinen Beitrag sehr gut, weil er - liebevoll (mir fällt kein besseres Wort ein) - zeigt, wie sich Depression auf Angehörige auswirkt.

Allerdings glaube ich nicht, daß sich ein Magengeschwür nur wegen Sorgen um ein Kind oder einen anderen Angehörigen bildet; meines Wissens (nach eher dem heutigen Stand und nicht dem vor der Entdeckung des Bakteriums Helicobacter pylori) spielen da eher ggf. andere Faktoren rein.
Bei meiner Schwester sind die Gesten und Mimik immer gleich.
Das dürfte durch die Depression bedingt sein. Einige "versteinern" da ziemlich.

Du schreibst, Deine Schwester würde auch Hilfe verweigern. Inwiefern? Und: Ist sie in Behandlung? Wie lebt sie (neben dem Wohnen zu Hause)?
Mein Vater hat mir nahegelegt zum studieren weg zu gehen.
Mein Rat: Tu das!

Du mußt "erwachsen", "selbständig" werden.

Deine Schwester auch, doch sie muß da ihren eigenen Weg finden. - Du bist nicht für sie verantwortlich.

Manchmal kann ein Abstand auch hilfreich sein, um Positives in gemeinsamen Zeiten dann stärker zu schätzen, zu genießen und zu leben.

Ob Schwestern irgendwann im Erwachsenenleben wirklich gut miteinander können und viel miteinander zu tun haben, hängt von vielem ab. Und das ist auch nicht immer vorhersagbar. (Außer vielleicht, wenn sie noch nie miteinander konnten ;-), was bei Euch ja nicht der Fall ist.) Ggf. muß es aber von beiden kommen, muß sich Einseitiges zumindest auf Phasen beschränken.

Wenn Ihr als Familie leidet, was mir so scheint, wäre es u.U. (?) vielleicht mal eine Idee, als Familie eine Beratung in Anspruch zu nehmen, das mal von außen beleuchten zu lassen (Familienberatungsstellen, Familien- oder systemische Therapeuten, ...).

Vermutlich kommen ja noch Reaktionen von Angehörigen.

Liebe Grüße, Zarra
RoseMimi
Beiträge: 4
Registriert: 27. Jul 2017, 22:46

Re: Das schwarze Loch im Zimmer neben mir

Beitrag von RoseMimi »

Ich kann dich voll und ganz verstehen. Ich heiße Miriam und werde ebenfalls Miri genannt. Ich bin 18 Jahre alt und habe auch eine große Schwester die im Zimmer neben mir mit sich zu kämpfen hat. Bei mir ist es soweit das wir uns fast nur noch meiden weil ich nicht mehr weiß wie ich damit umgehen soll das sie sich lautstark und oft selbstverletzt. Hast du auch manchmal das Gefühl das du deine Schwester garnicht mehr richtig kennst oder wie bei Fremden das man die Person zwischendurch ein bisschen neu kennenlernt?
Hlfe123
Beiträge: 61
Registriert: 8. Aug 2015, 23:00

Re: Das schwarze Loch im Zimmer neben mir

Beitrag von Hlfe123 »

Ich kann dich auch sehr gut verstehen Du hast das sehr, sehr gut beschrieben! Bei mir ist es ein depressiver Partner (Sorte: alle anderen sind schuld) und eine depressive Tochter (Sorte: nur sie selbst ist schuld). Beides ist auf Dauer schwer erträglich, so gemein das klingt. Das Ergebnis: Co-Depression bei mir.In so einer negativen Atmosphäre zu leben, da kommt man nicht gegen an. Ich bin zumindest in Therapie, die anderen jetzt auch.
P.S. eigentlich finde ich die Form bei meiner Tochter doch einfacher für andere zum Aushalten :-)
Ja, du solltest dein eigenes Leben führen. Du hast das Recht dazu und bald auch die Möglichkeit. Nutze sie und bleibe stark! Das ist wohl die einzige Lösung für dich. Falls hier jemand eine Lösung für mich hat....
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