Chaos.

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Frühlingserwachen22
Beiträge: 2
Registriert: 9. Mai 2013, 16:52

Chaos.

Beitrag von Frühlingserwachen22 »

Hallo ihr Lieben,

gestern erst bin ich durch Zufall auf diese Seite und dieses Forum gestoßen und obwohl ich erst ein wenig hier gelesen habe, kann ich bereits jetzt sagen, dass ich sehr froh darum bin ein solches gefunden zu haben.

Es tat mir schon in diesen kurzen Augenblicken gut, hier von anderen zu lesen, die in ähnlichen Situationen zu stecken scheinen (ohne dieses wertend zu meinen!).

Ganz kurz zu mir:
Ich bin 22 Jahre alt, studiere (Heilpädagogik im Master), arbeite berufsbegleitend und bin seit fast 2 Jahren mit meinem Freund zusammen, zu welchem ich im letzten Sommer gezogen bin. Mein Freund leidet seit mindestens diesen zwei Jahren an Depressionen - lt. eigener Aussage und Erzählungen seiner Familie aber schon etwa ein Jahr länger (Auslöser war ewohl das gescheiterte Studium).

Vermutlich war dieses also schon seit Anfang unserer Beziehung so, nur fiel es mir anfangs noch nicht zu sehr auf. Er hat es erstaunlich gut beherrscht, sich zu verstellen, anderen Menschen und Freunden vorzumachen, dass es ihm gut gehe, dass alles in bester Ordnung sei. Tut das heute noch oft vor seiner Familie.

Ich bin nach einiger Zeit und vielen Konflikten und Gesprächen dahinter gekommen. Nach noch viel mehr Gesprächen und Konflikten hat er sich Anfang diesen Jahres dazu entschlossen eine Therapie anzufangen.

Diese tut ihm erst einmal ganz gut. Doch alle Probleme löst sie noch lange nicht.
Manchmal denke ich, dass wir gerade dadurch noch viel mehr Konflikte haben, denn er fängt an sein Verhalten zu ändern, worauf ich wiederum reagieren und auch mein Verhalten ändern muss bzw. sollte. Manchmal geraten wir aber dann gerade deswegen aneinander, denn wir beide müssen uns verändern und das ist ganz schön schwierig.

Grundsätzlich geht es ihm besser, aber zwischendurch gibt es immer wieder diese ganz extremen Tiefs. An diesen Tagen schafft er es nicht einmal aus dem Bett und zur Schule bzw. zur Arbeit zu gehen, etwas zu kochen, einzukaufen oder mit mir zu sprechen. Er blockt vollkommen ab, lässt mich nicht an sich herein. Ich versuche für ihn da zu sein oder ihm zu helfen, indem ich Verständnis zeige und mit ihm spreche, doch er lässt dies nicht zu. Stattdessen macht er mir Vorwürfe, kritisiert mein Verhalten und sagt, ich könne ihn sowieso nicht verstehen.

Das stimmt auch - doch wie soll ich ihn bitte verstehen, wenn mich nicht an seinem inneren (Er-)Leben teilhaben lässt?

Manchmal wiederrum - wenn es zu einem solchen Gespräch kommt - erzählt er mir dann solch schlimme Sachen (z.B. Ich denke manchmal, es wäre besser, wenn es mich nicht mehr gibt usw.), dass es mich hinterher enorm belastet und mich sehr beschäftigt. Meine Angst, die ich in solchen Momenten habe, zeige ich ihm nicht, doch innerlich mache ich mir große Sorgen und auch Vorwürfe.

Zusätzlich fühle ich mich oft durch seine Famlie unter Druck gesetzt, die erwartet, dass ich das schon mache und mich melden würde, wenn es wirklich schlimm oder "gefährlich" werden würde. Andererseits denke ich, dass sie erwarten, dass ich für ihn da bin und zwar immer und bedingungslos. das setzt mich zusätlich unter Druck.

Es gibt niemanden, mit dem ich manchmal über diese Dinge sprechen könnte.
Manchmal - wenn ich sehr verzweifelt bin - weine ich, ziehe mich ein wenig zurück, um anschließend wieder für ihn da zu sein. Vor ihm kann ich diese Ängste und diese Schwäche nicht zeigen. Er denkt und sagt oft zu mir, dass ich so stark sei und dass obwohl ich (aufgrund einer schwierigen Kindheit) eher "ein Recht" dazu hätte, Depressionen o.ä. zu haben. Diese Sicht erschwert es zusätzlich.

Oft weiß ich einfach nicht, wie ich mich verhalten soll.

Soll ich sein Verhalten ignorieren? Vorwürfe nicht ernst und persönlich nehmen? Mich zurückziehen und auf mich schauen? Für mich sorgen? Mir selbst einmal eine Möglichkeit suchen, mich auszusprechen und zu entlasten?

Oder soll ich versuchen mit ihm zu sprechen? Ihm besonders viel Aufmerksamkeit schenken? Ihn einfahc ohne große Worte in den Arm nehmen? Stark sein?

Habt ihr Ideen, wie ich auch für mich sorgen kann und wo oder wie oder mit wem ich evtl. einmal sprechen kann, um mich im Umgang mit ihm etwas sicherer zu fühlen?

Gestern habe ich nach einem wieder einmal schwierigen Tag / Nacht einfach nur geweint und ihm gesagt, dass ich ihm nicht versprechen kann, dass ich unter diesen Umständen immer für ihn da sein und mit ihm zusammen sein kann, dass es mich extrem belastet und ich mich neben Arbeit und Studium sehr erschöpft fühle und mir eigentlich am Wochenende auch einmal Erholung wünsche ohne diese schweren Tage mit ihm.

Das war nicht gut von mir. Das weiß ich, doch es war ehrlich und sollte nicht heißen, dass ich ihn verlassen will oder ihn nicht liebe. Er hat es aber so aufgefasst...
Gerbera
Beiträge: 619
Registriert: 31. Mär 2013, 00:24

Re: Chaos.

Beitrag von Gerbera »

Hallo Janine,

herzlich willkommen im Forum. Ich wünsche Dir ganz viele hilfreiche Antworten und einen regen Austausch mit anderen Betroffenen.

Du bist noch sehr jung und hast Dir da ganz schön was aufgeladen/aufladen lassen! Niemand kann von Dir erwarten, dass Du immer für ihn da bist, selbstlos, bis zum Zusammenbruch. Du brauchst auch mal eine Verschnaufpause, kleine Auszeiten im Alltag. Du bist in allererster Linie für Dich verantwortlich, dafür, dass es DIR gut geht - und er für sich.
Deiner Schilderung entnehme ich, dass es Dir aber oft nicht mehr gut geht, Du am Ende Deiner Kräfte bist, mit Deinen eigenen Erwartungen und denen Deiner Umwelt (Freund, Eltern usw.) nicht mehr klar kommst. Zeit, die Notbremse zu ziehen!
Schau, dass Du dir was Gutes tust, such Dir eventuell professionelle Hilfe oder eine Angehörigengruppe. Bei uns bietet der sozialpsychiatrische Dienst so etwas an. Die Leitung dieser Gruppen hat ein Diplompsychologe. Vielleicht gibt es so etwas auch bei Euch. Oder so etwas wie die Telefonseelsorge.

Hast Du denn keine Freunde/-innen, mit denen Du über Deinen Freund, seine Krankheit und Deine Probleme damit sprechen kannst? Oder Deine Eltern?

Von Deinem Freund kannst Du in der akuten Phase weder großartige Unterstützung noch allzu viel Verständnis erwarten. Dazu ist er zu krank. Und er wird - krankheitsbedingt - immer vom Negativsten ausgehen, im Fall Deines "ich kann so nicht weitermachen" also von einer drohenden Trennung. Einen Weg zwischen seinen und Deinen Bedürfnissen zu finden, ist eine echte Gratwanderung. Viele hier kämpfen mit ähnlichen Schwierigkeiten wie Du.

Pass gut auf DICH auf! Damit, dass Du auch abstürzt, ist keinem geholfen, am allerwenigsten Deinem Freund.

Fühle Dich virtuell ganz fest in den Arm genommen!

Gerbera
Frühlingserwachen22
Beiträge: 2
Registriert: 9. Mai 2013, 16:52

Re: Chaos.

Beitrag von Frühlingserwachen22 »

Hallo Gerbera!:)

Vielen lieben Dank für Deine liebe und ausfürhliche Antwort. ICh habe mich sehr gefreut sie zu lesen. Deine lieben Worte haben mir sehr gut getan und ganz viel Kraft gegeben.

Ich habe kurz danach direkt Kontakt zu einer Gruppe für Angehörge von Depressionskranken aufgenommen und bin bereits einmal dort hingegangen. Auch dies hat mir sehr gut getan.

Ich bin sehr froh, nun einmal angefangen zu haben auch für mich zu sorgen und mich ein wenig entlasten zu können, um weiterhin dem Alltag standhalten zu können.

Was mich interessieren würde, ist, ob auch ihr eine Therapie macht? Und ob ihr für Euch das Gefühl habt, dass es euch etwas bringt bzw. auch Eurem depressionskrankem Partner?

Liebe Grüße!
Amrey
Beiträge: 21
Registriert: 14. Apr 2013, 19:27

Re: Chaos.

Beitrag von Amrey »

Liebe Janine

Meine tochter hat das auch solche tiefs,
und sie will auch nicht so richtig mit mir reden und dann erzählt sie mir auch so schlimme dinge.
sie ist ja jetzt schon 13. woche im krankenhaus.
wir haben dann mit ihrer therpeutin gesprochen,
da habe ich ihr gesagt das es mir auch nicht so gut geht.
aber es geht so weiter, mal erzählt sie mir etwas und dann mal nicht mehr.
ich wünsche dir viel kraft und achte auf dich.

liebe grüße petra
Ulysses
Beiträge: 594
Registriert: 19. Jan 2013, 17:34

Re: Chaos.

Beitrag von Ulysses »

Hallo Janine,

ich finde Deinen Kontakt zu einer Angehörigen-Gruppe sehr gut. Respekt, dass Du Dich so um Dich kümmerst. Das ist meiner Erfahrung nach die einzige Chance, für Dich und auch für euch gemeinsam voranzukommen.

Es ist normal, dass sich mit der Therapie vieles erstmal völlig auf den Kopf stellt und verändert. Weil ja meist vorhergehende Verhaltensmuster in die Depression geführt haben. Die muss er für sich ändern und Konflikte (in ihm mit sich und auch im außen, wie dann mit Dir) sind vorprogrammiert. Aber mit Unterstützung kann dadurch vieles in (positive) Bewegung kommen.

Ich will dazu gerne einen Teil Deines Beitags herausgreifen, weil der genau darauf abzielt und gleichzeitig ein "Angehörigen-Betroffenen-Dilemma" aufzeigt, das viele hier betrifft. Wie z.B. auch Dich hier, Petra.

Ich versuche für ihn da zu sein oder ihm zu helfen, indem ich Verständnis zeige und mit ihm spreche, doch er lässt dies nicht zu. Stattdessen macht er mir Vorwürfe, kritisiert mein Verhalten und sagt, ich könne ihn sowieso nicht verstehen.

Das stimmt auch - doch wie soll ich ihn bitte verstehen, wenn mich nicht an seinem inneren (Er-)Leben teilhaben lässt?

Manchmal wiederrum - wenn es zu einem solchen Gespräch kommt - erzählt er mir dann solch schlimme Sachen (z.B. Ich denke manchmal, es wäre besser, wenn es mich nicht mehr gibt usw.), dass es mich hinterher enorm belastet und mich sehr beschäftigt. Meine Angst, die ich in solchen Momenten habe, zeige ich ihm nicht, doch innerlich mache ich mir große Sorgen und auch Vorwürfe.

Ja, so wie Du es beschreibst ist es oft. Und das bringt genau auf den Punkt, warum "reden" nicht immer das erfolgversprechendste Konzept ist. Zumindest nicht in schwereren Phasen.

Ich bin schon der Meinung, dass Kommunikation gelernt werden muss. Aber die Hoffnung des Angehörigen, dass man in schlechten Phasen übers Reden und Verständnis zeigen und Hilfe anbieten (und annehmen) und dies alles Besserung erreichen kann, die ich zunächst meist Illusion.

Als (ehemals schwer) Betroffene kann ich dazu nur rückmelden: Wenn ich das gekonnt hätte, dann wäre ich nicht im heftigen Loch gesteckt. Genau dieses "in Beziehung treten" hat für mich nicht funktioniert.

Der Wunsch an den Erkrankten "rede doch mit mir, aber erzähl mir keine schockierenden Abgründe", der ist in schweren Phasen nicht erfüllbar. Ohne eigene Erfahrungen mit der Depression ist es vielleicht nicht nachvollziehbar und verständlicherweise schockierend, aber was soll man denn sonst anderes erzählen in akuten Phasen bzw. an schlechten Tagen? Das ist es ja gerade, dass man die Löcher fühlt, und eben nichts anderes.

Und nicht immer ist es zielführend, mit den nahen Angehörigen über die abgrundtiefen Löcher wirklich zu reden, die gerade offen sind. Weil es logischerweise Angst und Überforderung verursacht. Und beim Betroffenen schlechtes Gewissen.

Natürlich sind Symptome, Persönlichkeiten und Ausprägungen der Krankheit individuell. Aber trotzdem stecken ganz viele Paare (oder Familien) phasenweise in dieser "unmöglichen Kommunikation". Deshalb haben so Maßnahmen wie z.B. vorübergehende Kontaktsperre in Kliniken durchaus ihren Sinn, genauso wie der Rückzug der Betroffenen, zum Selbstschutz und zum Schutz der Angehörigen. Nicht weil man das als Betroffener unbedingt so will, sondern weil es vorübergehend keine lebbare Alternative gibt.

Meiner Erfahrung nach (mit mir selber und auch mit meiner erkrankten Partnerin) kann man durchaus Kommunikation üben, ohne dabei viele Worte zu brauchen. Und ohne dabei das Innere, die Gefühle, Ängste und Überforderungen zu berühren. Im Alltag zu bleiben, beim konkreten Außen, und erstmal diese Dinge wieder ohne Bedrohung zu üben, bringt uns aktuell viel weiter als das Bemühen "teil doch Dein Leben und Deine Empfindungswelt mit mir".

Der Druck von Seiten seiner Familie tut mir leid für Dich. Ich hoffe, dass Dir die Angehörigen-Gruppe dabei gut helfen kann und Dir die Abgrenzung erleichtert. Solch ein Druck ist unberechtigt und von keinem Angehörigen der Welt erfüllbar. Es ist seine Verantwortung, nicht Deine.

Herzliche Grüße und alles Gute,

Ulysses
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