Um Hilfe bitten

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Conny_11
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Um Hilfe bitten

Beitrag von Conny_11 »

Hallo ihr alle,

Ich hab mal eine Frage, die mich schon seit einer geraumen Zeit umtreibt. Ich versuch's mal zu beschreiben. Ich habe bei mir in letzter Zeit ganz stark gemerkt, dass ich zwar sofort merke, wenn es mir schlechter geht. Dann versuche ich, mir mit den Werkzeugen aus meiner Therapie zu helfen - was dann auch oft funktioniert, aber eben nicht immer (bin noch recht am Anfang meiner Therapie, d.h. meine "Werkzeugkiste" ist noch recht klein...) Und je schlechter es mir geht, desto hilfloser stehe ich mir selber gegenüber. Und oft fühle ich, dass ich eigentlich Hilfe bräuchte, neue Ideen, neue Ratschläge... um mit der Situation besser umzugehen, meine Gedanken zu sortieren, die seelischen Schmerzen besser auszuhalten. Aber obwohl ich dieses Bedürfnis nach Hilfe ganz stark fühle, habe ich dann gleichzeitig doch Hemmungen, um diese Hilfe zu bitten. Habe Probleme MIR SELBER GEGENÜBER einzugestehen, dass es mir nicht gut geht und dass ich eben nicht alleine weiterkomme. Zu sehr ist das Unabhängig-Sein, Funktionieren-Müssen, Sich-nicht-schwach-zeigen-dürfen in meinen Kopf eingebrannt.

Ich habe ein tolle Therapeutin, die ich jederzeit anrufen kann und die sich immer Zeit für mich nimmt. Trotzdem habe ich oft Hemmungen, sie anzurufen und um einen zusätzlichen Termin neben den regulären Terminen zu bitten (auch wenn ich's schon zweimal gemacht habe). Irgendwie kämpfe ich da jedes Mal mit mir selber. Auch wenn ich weiss, dass sie mich nie kritisieren wird, sondern im Gegenteil mir zuhören und helfen wird. Und dann ist der zweite Schritt, in der Therapiestunde auch offen zuzugeben, wie schlecht es mir geht. Auch das schaffe ich oft nicht. Ich konzentriere mich dann mehr auf das positive, obwohl die Therapiestunde ja eigentlich der beste Ort ist, um sich auf meine Probleme zu konzentrieren - und ich gegenüber der Therapeutin ja auch nun wirklich nicht schauspielern muss. Sie kann ja auch nur die Probleme mit mir behandeln, die ich ihr nenne...

Genauso mit meinem Freund und meinen Freunden. Auch da habe ich so oft Schwierigkeiten zu sagen: "Hör zu, ich kann gerade nicht mehr, mir geht's sehr schlecht, kannst du zu mir kommen, um mir Gesellschaft zu leisten / kannst du mal das und das für mich machen?"

Kennt ihr das?

Warum ist es so schwer, um Hilfe zu bitten - zuzugeben, dass man alleine nicht mehr weiter kommt?

Und was macht ihr, um da über euren Schatten zu bringen, und die Hilfe einzufordern, die ihr benötigt?

LG

Conny
pero
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Re: Um Hilfe bitten

Beitrag von pero »

Hallo Conny,
ja das kenne ich auch. Das ist ein Lernprozess. Man muss lernen sich seine Freiräume zu erhalten und das bedeutet häufig das man andere enttäuscht. Damit muss man leben, auch wenn es zunächst schwerfällt. Es ist auch nicht einfach die richtige Balance zu finden. Das geht nur durch Versuch und Irrtum. Und das gleiche gilt auch beim Bitten um Hilfe.
Es ist normal das man nicht alles alleine kann. Und wenn man schlau ist bittet man um Hilfe wenn man sie benötigt.
Und es ist auch keine Schande um Hilfe zu bitten, dafür muss man sich nicht schämen, man muss aber auch eine negative Antwort verdauen können.
Aber solange die nicht kommt solltest Du Dir keine Gedanken darum machen. Bitte um Hilfe wenn Du es als notwendig erachtest und akzeptiere eine "Nein" wenn es kommt.

lg
pero
Was die Raupe Ende der Welt nennt, nennt der Rest der Welt Schmetterling.
Sprotte
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Re: Um Hilfe bitten

Beitrag von Sprotte »

Liebe Conny,

ich kann dich so gut verstehen. Ich hab gerade selbst um einen zusätzlichen Termin gebeten und dabei echt mit mir selbst gekämpft.
Aber immerhin hab ich es gemacht, wenn mir auch nicht wohl dabei war und das ist auch schon ein Schritt. Ich glaube man muss es einfach üben sich das zu erlauben.

Mir fällt es bei meinen Freundinnen auch schwer, vielleicht sogar noch schwerer, weil ich Angst habe sie zu verlieren und dass es ihnen zu viel wird. Eine habe ich gestern konkret darauf angesprochen und wir haben ausgemacht, dass sie das dann sagen soll. Damit muss ich im dem Fall dann natürlich umgehen und ich hoffe, dass sie das auch wirklich tun würde, aber ich denke das ist immer noch besser als gar nicht mehr zu reden, um sich nicht mehr zu belasten. Vielleicht wär das ja eine Möglichkeit für dich, das offen anzusprechen?

Ich bitte nicht gern um Hilfe, weil immer eine fiese, kleine Stimme sagt: Du strengst dich nur nicht genug an und willst es jetzt auf andere abladen. Du bist eine Last.
Es ist schwierig gegen sie anzukommen. Einerseits weil ich in meinen Tiefs tatsächlich kein ganz normales Gefühl dafür habe, dann weil Selbstvorwürfe wohl zur Depression gehören und zum dritten, weil Sätze wie „ja, ja Burnout und Depression sind ja auch so eine Mode“ wirklich dazu führen mich schuldig zu fühlen. (Hab ich echt erst am Wochenende wieder gehört, grrr)

Was ich dagegen mache. Also gut bin ich auch nicht darin , aber:
1. Solche Sätze sind scheiße. (sorry für den Ausdruck, aber das muss mal gesagt sein). Sie kommen von Leuten, die absolut keine Ahnung von Depression haben, sie nicht selbst erlebt haben und sich- warum auch immer -entweder selbst aufwerten müssen oder sich selbst vor irgendwas schützen, blabla DAS IST NICHT UNSER PROBLEM!
2. Hallo, doch, ICH STRENGE MICH AN! Das muss ich dem Kritiker dann immer wieder deutlich sagen. Ich strenge mich an, mehr als ich mich jemals für irgendwas anstrengen musste, sich neue Wege zu erarbeiten und immer wieder aus den Tiefs zu kämpfen IST SCHWERSTARBEIT. Und jeder Leistungssportler hat doch auch seinen Trainer und Manager, der ihn dabei unterstützt!
3. Ich versuche die Außenperspektive einzunehmen. Was fände ich als Gesunder ok, etc. Anderen gegenüber bin ich nämlich meist gnädiger als mir selbst gegenüber. Warum darf ich keine Hilfe brauchen? Wer sagt, dass man immer „stark“ sein muss? Ich bin jetzt leistungsmäßig schwächer, na und? Mal ist man stark und mal ist man schwach. Vielleicht auch länger. Und auch wenn man in der „Gesamtbilanz“ „mehr schwach“ wäre. Das entscheidet nicht über deinen/meinen Wert!
4. Ich glaube du machst das auch schon: So gut es geht versuchen sensibel zu sein gegenüber Freunden und ein „Nein, ich kann grad nicht“, akzeptieren. (sich das aber auch selbst zuzugestehen)
5. Ich versuche den Kritiker positiv zu nutzen und zu prüfen ob ich vielleicht wirklich Verantwortung/Entscheidungen abgeben will. Wenn das so ist, gilt es herauszufinden warum. Und wieder ist man einen „Babyschritt“ weiter…
6. Geduldig sein! Wenn du deiner Therapeutin vertraust, wirst du immer weniger das Gefühl haben schauspielern zu müssen. Dieses Vertrauen wächst durch immer mehr Situationen in denen du dich ernstgenommen und angenommen fühlst.

Mir hat auch ein Beitrag von einer Angehörigen hier im Forum geholfen. Sie hat klar gesagt, dass sie trotz der Schwierigkeiten, den schlimmen Stunden und Tagen ihren Freund/Freundin (weiß ich nicht mehr so genau) auch als Bereicherung empfindet.

Übrigens, Conny, bittest du zwar um Hilfe, aber du gibst auch welche! Mir zum Beispiel.

Lieber Gruß
Sprotte
FrauRossi
Beiträge: 3166
Registriert: 2. Jul 2011, 11:23

Re: Um Hilfe bitten

Beitrag von FrauRossi »

Hallo Conny,

ich kenne das auch. Ich kann nur schlecht um Hilfe bitten, ich lerne es gerade. Schwierig ist halt für mich daß andere Leute auch mal Neun sagen. So nach dem Motto: Jetzz frag ich endlich mal und dann hilft mir keiner. Das muss ich akzeptieren. Ich werde ja nicht generell abgelehnt sondern andere haben halt auch mal keine Zeit.

Wo ich dann bei der zweiten Schwierigkeit bin. Das nicht nein sagen können. Bin grad mal wieder total im Loch, hatte aber ner Freundin versprochen mich morgen um die Kinder zu kümmern. Ich will ihr absagen weil ich es nicht aushalte. Habe aber ein schlechte Gewissen weil sie dann Organisationsschwiwrugkeiten bekommt. Aber das sollte nicht mein Probl sein.

Ich weis also daß es schwierig ist und auch es anders zu erlernen ist nicht so leicht.

LG FrauRossi
heike44
Beiträge: 20
Registriert: 15. Jul 2011, 14:50

Re: Um Hilfe bitten

Beitrag von heike44 »

Liebe Conny,

mit dem *um Hilfe bitten* ist es so eine Sache ... kenne ich. (Hier muss ich mich FrauRossi anschließen; mir geht es auch gerade nicht sonderlich gut.)

Ich habe ebenfalls um einen gesonderten Termin gebeten; habe ihn am kommenden Montag erst (früher war es nicht möglich)bekommen.

Mein Freund ist ebenfalls *Betroffener* & ich kann seine wirklich lieb gemeinten (& vor allem hat er ja durchaus Recht)Hinweise & Anmerkungen im Moment überhaupt nicht hören. Ich vertraue mich auch niemandem weiter an; versuche es mit mir alleine zu schaffen (ich weiß, dass es falsch ist, ich kann aber gerade auch nicht anders).

Ich merke nur, dass die Leere mich immer weiter einnimmt... & meine Gefühle mir wieder abhanden gekommen sind.

Wenn ich es nicht mehr aushalte bleibt immer noch die Klinik (dort kann ich mich nach meinem stationären Aufenthalt bei Bedarf melden) & mein Freund - andere Menschen möchte ich nicht mehr *damit belästigen* zumal sowieso das Verständnis fehlt bzw. eher das Nachvollziehen ...

Alles ist ein Kampf & ich will ihn gewinnen, weiß zurzeit nur nicht genau mit welchen Mitteln. Ganz wichtig ist das offene Verhältnis zum Therapeuten, für uns *lebenswichtig* ...
Tja in der Theorie bin ich wieder gut ....
Dieses Forum ist auch ein Stück *Hilfe suchen, geben & annehmen* & somit auch ein Schritt nach vorne...

Liebe Grüße
Heike
Schwert10
Beiträge: 257
Registriert: 9. Mär 2011, 15:50

Re: Um Hilfe bitten

Beitrag von Schwert10 »

Hi Conny,
Mir fallen sofort verschiedene Sätze ein die mein Innerer Madigmacher so losläßt, wenn es um das Thema geht:

-- du willst doch perfekt sein, dann mußt du das schon allein schaffen!
-- streng dich mehr an, du bist bloß zu faul!
-- Hilfe brauchen heißt schwach sein!
-- fall bloß nicht Anderen auf den Wecker! Du bist es nicht wert!
-- bitte bloß nicht um Hilfe, dann mußt Du dankbar sein und darfst nie wieder nein sagen!

Solche Gedanken und Überzeugungen werde ich nur los, indem ich sie durch neue ersetze. Ich führe dazu "Gespräche" mit meinem Miesmacher, schreibe einen Dialog auf, in dem ich das Thema ausdiskutiere. Das Aufschreiben ist für mich wichtig, ich denke klarer, weil ich es ja formulieren muß und durch die erzwungene Langsamkeit kommen mir auch bessere Gedanken.
Das wirkt natürlich auch nur mit viel Übung. Die alten Überzeugungen sind ja eingefahren wie Rillen in einer Schallplatte und laufen automatisch ab. Da hilft nur aufpassen was ich gerade denke und mich wieder an die neuen Überzeugungen erinnern. Die zu etablieren dauert seine Zeit, also immer schön geduldig mit sich selbst sein!

lg WAkora
Das Leben ist wertvoll

ob es nun strahlend ist wie ein diamant

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beide sind aus demselben stoff.
Conny_11
Beiträge: 291
Registriert: 22. Jul 2011, 00:03

Re: Um Hilfe bitten

Beitrag von Conny_11 »

Hallo ihr alle!

Vielen Dank für die vielen lieben und hilfreichen Nachrichten. Ihr habt mir gute Denkanstösse gegeben!

@pero: Danke für diese sehr vernünftige Sichtweise Ich hatte noch nie den Gedanken, dass um Hilfe bitten ja eigentlich schlauer ist als alleine aber verzweifelt zu versacken. Danke für diese neue Idee! Dein Posting gibt mir auf jeden Fall Mut, mehr zu "verlangen" und darauf zu vertrauen, dass die anderen Leute mir sagen werden, wenn es ihnen zu viel wird.

@Sprotte: Weisst du, als du sagtest, dass die Stimme in deinem Kopf sagt: "Du strengst dich nur nicht genug an, und willst es jetzt auf andere abladen." Da dachte ich: Mensch, genau das ist es. Du hast genau in Worte gefasst, warum ich solche Hemmungen habe, um Hilfe zu bitten. Weil ich denke, ich hab mich noch nicht genug angestrengt und verdiene diese Hilfe eigentlich gar nicht. Und du hast recht: Sich aus diesen Tiefs wieder raus zu holen und gegen die Depression anzukämpfen IST Schwerstarbeit. Die Idee mit der Aussenperspektive annehmen ist gut, werd ich mal probieren. Ansonsten, mit dem Geduldig-sein und Mir-eingestehen-auch-mal-nicht-zu-können - das ist ein soooo grosses Problem bei mir. Irgendwie schaffe ich das nicht. Kriegst du das hin? Wenn ja, wie?

@Frau Rossi: Das mit dem Nicht-Nein-sagen-können verstehe ich sehr gut, geht mir genau so! Oder auch ein Nein annehmen können. Oh mann, ich hab noch sooo viel zu lernen

@Heike: Danke für deine Empathie! Ich drücke dir die Daumen, dass es dir mit Hilfe der Therapie am Montag wieder besser geht!

@Wakora: Diese Sätze kenne ich aus meinem eigenen Kopf, vor allem den "Fall bloss den anderen nicht auf den Wecker." Der Witz dabei ist, dass ich selber prinzipiell immer gerne helfe und das (fast) nie als nervig empfinde, wenn mich jemand um Hilfe bittet, sondern eher als einen sehr grossen Vertrauensbeweis - dass diese Person mir zutraut, ihr helfen zu können. Was mir dann auch die Kraft zur Hilfeleistung gibt. Nur wenn ich selber die Um-Hilfe-Bittende bin, da vergesse ich das dann. Interessante Technik mit dem Aufschreiben der Dialoge, werde ich mal probieren. Genug Gesprächsstoff finde ich ja aus dem unendlichen Gedankenspiralen in meinem Kopf

LG

Conny
pero
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Registriert: 8. Apr 2011, 09:23

Re: Um Hilfe bitten

Beitrag von pero »

Hallo Conny,
>Der Witz dabei ist, dass ich selber prinzipiell immer gerne helfe und das (fast) nie als nervig empfinde,

Ich glaube das ist ein sehr wichtiger Punkt und leider auch der Punkt der viele (und auch mich) hierher gebracht hat.

Ich habe versucht allen zu helfen, es allen recht zu machen, immer den in mich gesteckten Erwartungen zu entsprechen, sie zu übertreffen. Ohne dabei zu bemerken das das über meine Kräfte geht. Ich habe mein Selbstbewußtsein daraus gezogen das andere mich für meine Leistung gelobt haben. Daher war (und ist) es für mich schwer um Hilfe zu bitten. Wenn ich es nicht selbst kann gibt es nichts was mich ausmacht...

Jetzt arbeite ich daran mich davon zu lösen, mein Selbstbewusstsein daraus zu ziehen das ich weiss was ich kann und auch akzeptiere das ich nicht alles kann.
Niemand kann das und das muss man einfach akzeptieren.
Die Fähigkeit seine Grenze zu kennen ist eine Kernkompetenz und die Fähigkeit Hilfe zu suchen, zu finden und zu akzeptieren ist ebenso wichtig.

Um Hilfe zu bitten ist auch ein Vertrauensbeweis gegenüber dem Helfenden. Daher reagieren die meisten Menschen darauf auch eher positiv, sie fühlen sich aufgewertet weil Ihnen Vertrauen entgegengebracht wird.

Daher glaube ich das der zentrale Punkt für mich ist eine realistische Selbstwahrnehmung zu entwickeln.

lg
pero
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Conny_11
Beiträge: 291
Registriert: 22. Jul 2011, 00:03

Re: Um Hilfe bitten

Beitrag von Conny_11 »

Hallo Wakora,

Heute hatte ich gerade Therapiestunde und habe mich da auch sehr intensiv mit meiner inneren Kritikerin auseinander gesetzt. Der haben wir jetzt einen Namen gegeben, so dass ich sie direkt ansprechen kann und fragen, was das eigentlich soll, ihre ständige Kritik an mir, wozu das dient. So kann ich besser im gegenwärtigen Moment bleiben, ohne in angstmachende Gedankenspiralen zu versinken und - hoffentlich, mit viel Übung - komme ich so dahin, dass ich mich nicht von meiner inneren Kritikerin lähmen lasse, nicht den Tag lang auf dem Sofa liegen bleibe, sondern in der Lage sein werde, sie vor die Tür zu setzen und mich auf mein Leben zu konzentrieren. Die Tatsache, dass diese innere Kritikerin jetzt einen Namen hat, macht sie mir greifbarer, erinnert mich aber auch daran, dass das ein Teil von mir ist, aber die von ihr ausgelösten Ängste, Selbstabwertungen, etc. nicht meine eigentliche Persönlichkeit sind.

Ich werde das jetzt mal ganz intensiv üben. Auf jeden Fall musste ich da doch gleich an dich denken
Schwert10
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Re: Um Hilfe bitten

Beitrag von Schwert10 »

Hi Conny,
Das klingt ja schon gut!
Ich habe meinem Inneren Kritiker zwar keinen Namen gegeben, aber dafür sehe ich ihn deutlich vor mir: Sehr groß, in einer schwarzen Robe wie ein Staatsanwalt , und wenn er in Aktion ist, redet er aus 5 Mündern gleichzeitig auf mich ein. Ich habe aber inzwischen gelernt, ihn ganz schnell auf ein Normalmaß zurechtzustutzen (meistens jedenfalls).

Ich kann dazu sehr gut meine Vorstellungskraft benutzen. Dazu bin ich auf ihn zugegangen und habe genau hingesehen, und da fiel mir auf, daß unter der Robe in Wirklichkeit ein kleiner Mann auf einer Leiter steht! Solche Bilder kommen bei mir übrigens ganz von selbst und ohne Anstrengung.

Jetzt brauche ich nur noch sein Bild wachzurufen und in der Vorstellung mal kurz an seiner Robe zu zupfen, und schon hat er nur noch einen Mund, und damit kann ich umgehen. Manchmal ist seine Kritik ja auch berechtigt, und ich kann mit ihm diskutieren. Manchmal schicke ich ihn auch in den Feierabend , dann sitzt er mit Strickjacke in einem Ohrensessel und liest ein Buch. Ich wette, es ist ein Gesetzbuch!

lg Wakora
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Sprotte
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Re: Um Hilfe bitten

Beitrag von Sprotte »

Hallo zusammen,

@wakora: Dein Bild vom Kritiker hat mich echt zum schmunzeln gebracht Danke! Und das hat meinen Kritiker dann gleich mal ein bisschen durcheinander gebracht Immer wenn er jetzt rauskommt, versuche ich mich an deinen zu erinnern, haha…

@ Conny,
entschuldige, dass ich erst jetzt antworte, aber ich bin grad einfach nicht so auf der Höhe.
Allerdings beschäftigt mich gerade deswegen dein Thema auch sehr!

Nein, ich kann mir das eigentlich selbst nicht eingestehen, mal nicht zu können. Und meist bin ich auch nicht geduldig.
Das, was ich dir geschrieben habe, kann ich bestenfalls, wenn es mir ganz gut geht, aber wenn ich es aufschreibe, mach ich mir wenigstens selbst damit klar, was ich eigentlich möchte.

Über was ich grüble, ist zum einen schon immer die Frage, ob ich mir Hilfe (Hilfe hier übrigens auch im weiteren Sinne von Baldrian bis Therapeut und Klinik) erlaube (und zwar wirklich erlaube, es nicht nur mache, weil ich keinen andren Weg mehr sehe/ mich dazu „gezwungen“ fühle).
Die andere aber ist, dass ich meistens einfach gar nicht weiß, wann ich sie brauche. Ich versuch es nochmal anders zu beschreiben:
a) Wann ist der Punkt „mehr“ oder „andere“ Hilfe zu holen. Wenn ich zusammenbreche? Wenn ich meinen Alltag gar nicht mehr auf die Reihe bekomme? Wenn ich ihn nur teilweise nicht hinbekomme? Oder auch, wenn ich zwar funktionieren kann, aber eine massive Einschränkung meiner Lebensqualität besteht? Was ist „massiv“? Wie weit darf mein Anspruch auf „glücklich sein“ gehen? Denn „irgendwie“ ging es bei mir bisher ja immer weiter.
Woran also mache ich das fest?
b) Gibt es nicht vielleicht auch ein „zu viel“ an Hilfe? Ich denke irgendwie, dass ich mich mit jeder Hilfe, die ich nutze, auch abhängig mache, im Sinne davon, dass ich mich dann wieder schlecht von ihr verabschieden kann, weil ich denke, dass ich es ohne nicht schaffe.

..und dann immer noch die fiesen Stimmen, über die wir schon gesprochen haben: „Willst du dich nicht nur drücken?“...aber das nur am Rande, viel wichtiger ist mir die Frage:
Wann weißt du/ ihr, dass Hilfe notwendig ist, oder woran machst du/ ihr es persönlich fest? Was ist zu viel und was zu wenig…

Schönen Abend und liebe Grüße!
Sprotte
Schwert10
Beiträge: 257
Registriert: 9. Mär 2011, 15:50

Re: Um Hilfe bitten

Beitrag von Schwert10 »

Hi sprotte,
also am besten suchst du dir Hilfe bevor du zusammenbrichst, bevor gar nichts mehr geht und bevor deine Lebensqualität endgültig den Bach runter geht. jaja, leicht gesagt.

Aus deinem Beitrag klingt eine irrationale Angst vor Hilfe durch ,so als sei sie ein Geist ,den man ruft und dann nicht mehr loswird. Ich glaube, wenn du einfach mal in dich reinhörst und die Befürchtungen ignorierst, wirst du wissen, wann du allein nicht mehr gut klarkommst. Glaub mir, die Gefahr, daß du zu einem gewohnheitsmäßigen Faultier wirst, weil du mal Hilfe möchtest, besteht eher nicht bei Leuten, die sich sonst gewohnheitsmäßig überfordern

Außerdem sind da ja noch die , die dir helfen. Die passen schon auf, daß es nicht zu viel wird. (Hoffentlich). Und es muß ja kein Dauerzustand werden, in besseren Zeiten kannst du vieles ja wieder allein machen , wenn du willst.
Ich finde nichts Verwerfliches daran, sich entlasten zu wollen. Manche Menschen helfen gern, wenn man ihre Grenzen beachtet. Vielleicht ergeben sich auch Möglichkeiten zur gegenseitigen Hilfe, vielleicht kennst du jemanden, der gern bügelt, aber keine Bilder aufhängen kann, du aber schon!

Manchmal braucht man auch ein bißchen Mut, das ist klar. Es ist übel, wenn man etwas nicht schafft, was alle anderen vermeintlich hinkriegen. Wieviele Depris und Burnouts diese Sichtweise schon ausgelöst hat, weiß keiner. Es gibt reihenweise Perfekte, die kleine Pillen und kühle Getränke als Hilfsmittel einsetzen, und wir glauben sie schaffen alles allein. Denkste!

Und: Da wir krank sind, dürfen wir zum Arzt und uns nach allen Regeln der Kunst behandeln lassen! Dafür sind sie da und sie werden dafür ja auch bezahlt. Es sei denn, du möchtest sein wie RAMBO, der sich selbst die Kugeln rausoperiert....

lg und eine Portion Mut wakora
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Conny_11
Beiträge: 291
Registriert: 22. Jul 2011, 00:03

Re: Um Hilfe bitten

Beitrag von Conny_11 »

Hallo Sprotte,

Tut mir leid, dass ich erst jetzt schreibe... Ich war in den letzten Tagen mit meiner Bewerbung für die Uni beschäftigt, und in den Momenten, wo ich nicht rumgerannt bin, war mein innerer Kritiker in Hochform und hat versucht mir einzureden, dass ich das Studium nicht packen werde. Ich mag diesen Kritiker nicht! Hab ihn aber auch nicht ganz zum Schweigen bringen können... Muss mich mal strenger mit ihm unterhalten

So, jetzt ist auf jeden Fall etwas Ruhe eingekehrt, und ich denke über deine Frage nach. Ich habe bzw. hatte genau dieselben Gedanken wie du auch (sieht man ja schon daran, dass ich hier diesen Thread gestartet habe). Als ich damals im Mai zu meiner Therapeutin kam, hatte ich nur die Nase voll davon, dass es mir immer schlecht ging und wollte etwas Hilfe haben, ein paar Ratschläge. Nie hätte ich gedacht, dass dabei eine Diagnose von Burnout und Depression rauskommt. Und selbst nach der Diagnose wollte ich noch vieles alleine packen. Weil ich Angst hatte, abhängig zu werden, weil ich nicht wahr haben wollte, dass ich längst die Kontrolle über mein Leben verloren hatte. Dass ich keine Kraft mehr habe. Vor zwei Wochen dann ging es mir so schlecht, dass ich echt verzweifelt war. Ich habe die Therapeutin angerufen (4 Tage vor unserem eigentlichen Termin) und ihr gesagt: "Ich brauche wirklich Hilfe, ich kann nicht mehr alleine." Sie selber war ganz überrascht, dass es mir so schlecht ging auf einmal. Im Nachhinein sehe ich, dass ich genau das für mich richtige gemacht habe. Meine Therapeutin hat mir so gut geholfen in der folgenden Therapiestunde. Und wir haben die Frequenz der Stunden erhöht. Jetzt fühle ich mich aufgehoben, sicherer - und zuversichtlicher.

Ich glaube, ich habe da etwas für mich gelernt: Es wird nicht besser, wenn ich mir Hilfe versage, wenn ich meine, es immer alleine schaffen zu müssen. Klar geht es immer irgendwie weiter. Zwingen kann ich mich immer. Aber gut geht es mir dabei nicht. Die Kraft, die ich mir mühsam wieder gesammelt habe, geht verloren, wenn ich mich durch diese seelischen Schmerzen ganz alleine durchwurschteln muss. Ich kam irgendwann kaum noch aus dem Haus. Ich glaube, man darf nicht darauf warten, dass man zusammenbricht. Ich hab's gemacht - keine gute Idee! Denn die Schmerzen der Depression werden ja immer schlimmer, wenn man keine Hilfe hat.

Ich bin dieser Tage viel am Lesen und am Überlegen (und arbeite da auch in der Therapie dran), was Liebe zu mir selber bedeutet. Und so langsam lerne ich, dass das auch heisst, sich um mich zu kümmern. Mir Hilfe zu holen, wenn es mir schlecht geht. Wenn meine Lebensqualität eingeschränkt ist. Mich selber als ein Kind zu sehen, um dass ich mich kümmern muss (auch wenn ich schon Ende zwanzig bin Für mein Kind würde ich ja auch sofort zum Doktor rennen, wenn es ihm/ihr schlecht geht. Die eigenen Bedürfnisse kann man zwar immer verdrängen, aber ich habe es jetzt auf die harte Tour gelernt, dass einen diese verdrängten Bedürfnisse immer irgendwann einholen. Irgendwann zieht der Körper die Reissleine, und dann dauert die Heilung nur noch länger. Als nächstes muss ich wohl lernen, mir selber zu verzeihen, dass ich mich so schlecht behandelt habe.

Soweit zu a)

b) Ich glaube mittlerweile nicht mehr, dass es ein zu viel an Hilfe gibt. Ich habe keine Angst, von meiner Therapeutin abhängig zu werden. Erstens passt sie da sehr gut auf. Ich habe schon öfters gezielte Fragen gestellt, aber anstatt mir die Antwort zu geben, hat sie mir geholfen, die Antwort selber zu finden. Und zweitens sehe ich, dass je mehr ich tue, um mein Leben wieder neu aufzubauen, und je mehr ich mein Leben meinen Wünschen und Bedürfnissen anpasse, mir das Kraft gibt, weiter zu kämpfen. Aber ich hätte das alles nicht ohne meine Therapeutin geschafft - eine neue Karriere anfangen, neue Freunde finden, neue Hobbys lieben lernen... Und ich weiss, dass wenn die Therapie irgendwann (in weiter Zukunft ) mal zu Ende sein wird, mir diese Sachen, die ich mir aufgebaut habe, immer eine Kraftquelle sein werden.

Ich glaube, zu viel an Hilfe ist es, wenn man erwartet, dass andere Leute einem das Leben einrichten werden - und die anderen Leute das dann auch machen. Da muss ich schon selber ran, selber für arbeiten. Aber wie gesagt, ein guter Therapeut weiss das ja.

Auch das Antidepressivum ist mir eine grosse Hilfe. Ich hatte nie Angst es zu nehmen, denn ich wusste, ich brauche etwas, um wieder zu funktionieren und das ganze hier auszuhalten. (Als ich zum Arzt bin, ging es mir so schlecht wie noch nie in meinem Leben, da war ich für alles dankbar, auch für Tabletten.) Auch da habe ich vor Abhängigkeit keine Angst (die Dinger machen ja eh nicht abhängig). Aber es tut gut, diese Hilfe zu haben.

Überhaupt: Ich glaube, man weiss, dass man eine gute Menge an Hilfe hat, wenn man sich damit gut fühlt, wenn es erleichtert, und wenn endlich dieses Gefühl aufhört, immer mit allem Mist allein zu sein.

Notwendig ist die Hilfe in meinen Augen, wenn ich das Gefühl habe, alleine nicht mehr klar zu kommen, wenn ich zu viele seelische Schmerzen habe, wenn ich weiss, dass ich nicht das Leben führe, dass ich führen will, aber keine Kraft habe, es zu ändern. Obwohl es bestimmt klüger wäre, schon früher Hilfe zu holen, nicht erst wenn man total kraftlos ist. Sondern schon dann wenn im Kopf der Hamster im Rad in Hochgeschwindigkeit läuft.

Soweit meine Gedanken. Hilft dir das etwas, Sprotte?

LG!
Conny_11
Beiträge: 291
Registriert: 22. Jul 2011, 00:03

Re: Um Hilfe bitten

Beitrag von Conny_11 »

Hi,

Ich nochmal

Ich lese gerade ein super super gutes Buch: "Choices - Taking control of your life and making it matter." (von Melody Beattie) Es hilft mir so gut, vieles von dem, was ich in der Therapie lerne und bespreche, besser zu verstehen. Ganz kurz zusammen gefasst geht es darum, dass wir immer und in jeder Situation eine Wahl haben - auch wenn wir es manchmal nicht glauben und denken, wir sind gezwungen, einen bestimmten Weg zu gehen oder etwas bestimmtes auszuhalten. Und da habe ich doch gleich ein wunderbares Zitat gefunden:

" Sometimes the REAL solution to our problem feels like the hardest thing to do, the opposite of what we think we should do, and the least likely winning approach. We simply admit the truth to others and ourselves: I can't solve this problem on my own, and I need some help."
Polarlicht
Beiträge: 121
Registriert: 7. Jun 2011, 23:46

Re: Um Hilfe bitten

Beitrag von Polarlicht »

Hallo Conny,
ich finde es viel wichtiger, sich in der Krise Hilfe im Freundeskreis suchen zu können, als bei Therapeuten, auch wenn Du beides nur selten in Anspruch nimmst. Hilfe zu suchen, zu beanspruchen, finde ich grundsätzlich schon schwierig, weil es auch Schwäche offenbaren beinhaltet. Die Frage stellt sich, wenn ich mich schon offenbare, dann wo?
Ich kenne das nicht aus persönlicher Erfahrung, sondern von Mitpatienten während Klinikaufenthalten oder von Bekannten, die übermotivierte Therapeuten hatten ("sie könne jederzeit anrufen"): man rutscht fix in eine Therapieabhängigkeit - warum soll man sich um andere Kontakte bemühen, wenn der bezahlte Therapeut es einem so leicht macht. Ich halte von letzterem sehr wenig und von der sozialen Netzwerkpflege sehr viel.
Zu deutlich klingen mir die Worte des Chefarztes aus meinem letzten Klinikaufenthalt in den Ohren: "Wer Freunde hat, braucht keine Therapeuten". Ich glaube ihm und ich denke, dass diese übermotivierten jederzeit-erreichbaren Therapeuten eher kontraproduktiv im Hinblick auf eine dauerhafte Genesung sind. Es ist zu leicht, sich an so einen Therapeuten zu wenden und in anderen Lebensbereichen die Vermeidung weiterzupflegen - so schaffen Therapeuten dauerhaften Therapiebedarf.

Ja, man hat grundsätzlich die Wahlfreiheit, einen Weg zu gehen und nein, man hat sie trotzdem nicht, weil Wege schon frühzeitig durch bestimmte und zwar dauerhafte Lebenssituationen versperrt wurden. Hier muss unterschieden werden: was ist nach welcher Belastung überhaupt noch möglich und was nicht. Insoweit finde ich Dein Zitat oberflächlich, bzw. unserer Psychotherapiesituation angemessen, dass man aufgrund fehlender sozialer Infrastruktur heutzugtage beim Erleben eines ganz normalen Gefühlssprektrums (Trennung = traurig) schon eher auf pschotherapeutische Hilfe zurückgreift, statt ein bestehendes soziales Netzwerk zu aktivieren.

Polarlicht
Conny_11
Beiträge: 291
Registriert: 22. Jul 2011, 00:03

Re: Um Hilfe bitten

Beitrag von Conny_11 »

Hallo Polarlicht,

Du hast recht - der Freundeskreis ist auch eine wichtige Unterstützung. Und eine, die ich persönlich auch oft nutze. Allerdings ist dabei das Problem: Wenn die Freunde nicht selber eine Depression durchgemacht haben, verstehen sie oft nicht, wie ich mich fühle und das heisst dann auch, dass sie nicht wissen, wie sie mir helfen können - und wie sie mit meinen Schmerzen und Auf-und-Ab der Gefühle umgehen sollen. Und zum anderen: In einer Therapie ist die Vorgehensweise ganz anders, meine Therapeutin ist dazu ausgebildet, die Probleme zu identifizieren und auch mit meinen schlimmsten Gefühlen umzugehen. Bei ihr habe ich also das Gefühl, dass ich mich fallen lassen kann (zumindest arbeite ich zur Zeit daran, dass ich mehr und mehr meine "Maske" abnehme).

Es scheint, als hättest du oder deine Mitpatienten (?) schlechte Erfahrungen mit Therapeuten gemacht, das ist schade. Das mit dem Aufbauen des sozialen Netzwerks ist sicher ein sehr wichtiger Punkt. Gute Therapeuten sollten das wissen. Als ich vor 5 Monaten meine Therapie anfing, hatte ich nur noch eine Freundin. Eines der ersten Sachen, die meine Therapeutin mit mir bearbeitet hat, war das Aufbauen eines sozialen Netzwerks - wir haben neue Hobbys für mich gefunden, wo ich Leute kennen lernen konnte, und mittlerweile habe ich meinen Freundeskreis schon etwas vergrössern können. Und es tut gut, so habe ich mehr Leute, mit denen ich reden kann. Da war meine Therapeutin aber ganz schön hinterher (und ist es noch immer), dass ich viel unter Leute gehe. Aber sie hat mir erst den Mut dazu gegeben. Ohne sie hätte ich vieles gar nicht ausprobiert.

Andererseits finde ich es aber auch wichtig, dass der Therapeut verfügbar ist, ich also anrufen kann, wenn es mir akut ganz schlecht geht und ich weiss, meine Therapeutin ruft zurück und findet die Zeit, mit mir zu reden.

Ich denke, beides ist wichtig, sowohl Therapeutin als auch Freunde. Denn beide erfüllen unterschiedliche Rollen in meinem Leben.
Schwert10
Beiträge: 257
Registriert: 9. Mär 2011, 15:50

Re: Um Hilfe bitten

Beitrag von Schwert10 »

Hi Polarlicht,

Ich stimme dir vollkommen zu, daß ein soziales Netz das Beste ist, was uns bei normalen Gefühlszuständen helfen kann. Obwohl das auch schon problematisch werden kann. Wir leben in einer Ablenkungsgesellschaft, in der es ziemlich unbeliebt ist, negative Gefühle auch zuzulassen und nicht gleich mit irgendwelchen Unterhaltungsangeboten zuzuschütten. Ich habe "Freunde" verloren, weil ich ehrlich war und meine Gefühle ausgesprochen habe. Ist nicht schade drum, aber es tat weh.

Aber wir reden hier ja nicht nur über normale Gefühlszustände. Im Falle einer Depression halte ich den Ausspruch deines Chefarztes für - sorry -dummbatzig.
Er nimmt nicht nur die Depression als Krankheit nicht ernst, sondern überfordert auch das soziale Netz.
Die Gefahr, daß man von einem Thera abhängig wird, sehe ich auch. Ist ja auch schön, sich retten lassen zu wollen, ohne selbst viel dafür zu tun. Und ich schätze, so ein Thera fühlt sich unter Umständen auch mal ganz wohl als Retter. Zum Glück gibt es auch welche, die keinen Wert drauf legen sondern sich als Helfer zur Selbsthilfe verstehen. Bloß: wie kann man die beiden Sorten frühzeitig voneinander unterscheiden?? Da weiß ich auch keine Antwort..

Du schreibst "Hilfe zu suchen, zu beanspruchen, finde ich grundsätzlich schon schwierig, weil es auch Schwäche offenbaren beinhaltet. " Wie kommst du darauf?

Ich bin nicht schwach, ich kann nur manche Sachen nicht. Oder ich kann sie nur zeitweise nicht. Oder nicht so schnell, so gut,so leicht wie jemand anders.

Mir fehlt zum Beispiel komplett das "Hausfrauengen" Eine Familienfeier mit 13 Personen vorzubereiten, ist für mich purer Streß, zumal ich solche Feiern grausig finde. Meine Schwester mag sowas und demzufolge hat sie zwar genauso viel Arbeit, aber es macht ihr nichts aus. Früher wollte ich mich immer mit ihr messen, aber inzwischen ist mir klar, daß ich das gar nicht muß. Ich habe meine Ansprüche an mich radikal runtergeschraubt und weißt du was? - kein Familienmitglied hat gemeckert! Und seitdem ich kundgetan habe, wie schwer mir das alles fällt, kriege ich zu meinem eigenen Geburtstag manchmal das Essen "geschenkt" Ich putze, dekoriere und decke den Tisch und meine Gäste bringen das Essen mit!

Der Glaubenssatz, daß Hilfe brauchen Schwäche bedeutet, gehört dringend hinterfragt, finde ich. Denn wozu wären wir soziale Wesen, wenn wir alles allein können müßten? Dann bräuchten wir die anderen ja gar nicht und könnten als "einsame Wölfe" unsere Runden drehen....

lg wakora
Das Leben ist wertvoll

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Polarlicht
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Re: Um Hilfe bitten

Beitrag von Polarlicht »

Hi Conny, Hi wakora,
mit Freunden reden heißt für mich nicht, dass man die anderen mit den depressiven emotionalen in alle Tiefen ausgeloteten Ausnahmezuständen zumüllen soll. Natürlich sind sie damit überfordert. Ich meine, dass man sich äußern kann, "es geht mir nicht gut..., ich bin traurig ..." - mehr nicht und erfährt heilsame Unterstützung und Akzeptanz. Kein wegwischen der Probleme ala "andere Mütter haben auch schöne Töchter..." sondern einfach Verständnis in der Art "ich wäre darüber auch traurig, das würde mich auch ärgern..." Diese Qualität der Freundschaft meinte auch der Arzt, nicht die stressbehaftete Dauerbespaßung durch Kontakte, die bei der geringsten Unstimmigkeit in die Tonne gehauen werden.

Ich kann mich noch an früher erinnern, da ging es garnicht darum, dass ich jemandem sagen musste, wie es mir geht. Ich konnte mich ausdrücken, indem wir gemeinsam was unternommen haben (Kino, Theater, Bücher) und uns tief darüber ausgetauscht haben. Dabei teilte man sich mit und machte sich erfahrbar und erlebte auch so die anderen. Das war eigentlich meine instabilste Lebenszeit und genau in dieser zeit konnte die Depression mich nicht erwischen.

Mir ist auch klar, dass gerade in akuter Depression Freundschaft keine Therapie ersetzt. Aber solide und qualitative Freundschaften können vor Depression schützen und helfen beim Weg aus der Depression. Mein Misstrauen richtet sich gegen übermotivierte, jederzeit erreichbare Therapeuten, die Patienten so in die Therapieabhängigkeit ziehen. Ich habe in meinen Klinikaufenthalten viele Menschen kennengelernt, die als einzige Kontakte/Zuwendung nur noch die Aufmerksamkeit ihrer Therapeuten hatten - je engagierter, umso besser war der Therapeut und bestätigte sie darin, wie schlecht es ihnen doch geht. Sie sind seit Jahren in dauerhafter Therapie und Verfahren werden nach Ablauf der Therapiehöchstdauer gewechselt, nahtlos anschließend massenhaft Erstgespräche führen, bei 5 Therapeuten die maximls Anzahl probatorischer Sitzungen ausprobieren ... Begründung, "das sind alles zusätzliche Therapiestunden, die helfen". Das halte ich für absoluten Humbug und für etwas, was zur Chronifizierung führt, gemacht von den Patienten, aber gefördert von den Therapeuten.

Conny, wenn Du eine Therapeutin hast, die Dich auf die richtige Spur schickt und es geht Dir besser, Dein soziales Netz wächst, dann läuft alles richtig. So soll das sein.

Sorry, ich habe mich falsch ausgedrückt, was um Hilfe bitten angeht. Natürlich weiß ich, dass es eine Stärke ist, sich zu offenbaren, dass man Unterstützung braucht und dass man sich unbedingt Hilfe holen sollte, wenn man sie braucht. Dabei sollte man nicht unbedingt nachspüren, warum habe ich damit solche Probleme, sondern besser an der Überwindung der Hemmungen arbeiten. Mich hat der Weg, die Ursache zu ergründen, noch mehr destabilisiert.
Ich, in meiner Depression und in abgrundtiefem Misstrauen gegen andere Menschen erlebe es als Schwäche. Das ist falsch und das hält mich in der Depression. Ich muss immer alles allein machen und flippe innerlich aus, wenn ich in irgenddeinem Punkt die Kontrolle abgeben muss. Das hatte ich in der letzten Woche. Ich musste meine Chefin wegen irgendeinem Kleinkram einschalten, weil es schwerwiegende Folgen gehabt hätte. Es ging mir so furchtbar, dass ich meine Berufsfähigkeit infrage stellte. Fachlich kann nichts kompliziert genug sein, aber an sowas gehe ich unter.
Fazit: für mich ist das nichts. Ich habe da einen kontraproduktiven Hintergrund und alle Therapiebemühungen sind daran gescheitert, dass der Panzer undurchdringlich war.

Ich habe alles das gemacht, was Du, Conny beschreibst und was Bei Dir zum Erfolg führt. Gerade nach dem Klinikaufenthalt im letzten Jahr habe ich noch mal eine Aktivitätsgroßoffensive gestartet - mit null Ergebnis. Bei mir entsteht kein soziales Netz, weil ich keine Bindungen eingehen kann. Das habe ich jetzt akzeptiert und muss mich nicht mehr bemühen und Misserfolgserlebnisse aneinanderreihen.

Polarlicht
Schwert10
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Re: Um Hilfe bitten

Beitrag von Schwert10 »

Hi polarlicht,
wenn du das so gemeint hast, bin ich ganz einverstanden. Ich sebst habe noch keine Therapie gemacht (jedenfalls nicht wegen depri), weil ich mich selbst gut kenne und bisher viel zu viel Angst davor hatte, in die besagte Abhängigkeit zu geraten. Ich lasse mich nämlich gern von Anderen retten... So langsam ist mir allerdings klar, daß es so nicht geht, das Wesentliche muß ich schon selbst tun. Ich stelle mir Theras inzwischen mehr als Helfer zur Selbsthilfe vor...

Als du beschrieben hast, wie das früher mit Freunden war, habe ich an meine Zeit als Heranwachsende gedacht. Da war das auch so ähnlich. Komisch, heute sind solche Formen des Zusammenseins anders. Selbst, wenn man das Gleiche tut. Ich vermute mal, daß wir früher viel mehr auf der Suche waren, nach uns selbst, den Anderen, der Welt...Es ist leichter, einander zu akzeptieren, wenn man noch kein so festgefügtes Bild von allem hat. Wen man in späteren Jahren versucht, einen Freundeskreis aus dem Nichts aufzubauen, stößt man schnell an Grenzen. Die meisten Leute, die so herumlaufen, haben von allem und jedem eine festgefügte Vorstellung, und wehe, man entspricht dem nicht. Es gibt leider nicht allzuviele Leute, die noch neugierig auf Andere sind, die meisten wollen Gleichgesinnte um sich, mit denen es keine Überraschungen gibt. Schade eigentlich...Unterschiede können sehr belebend sein...

lg wakora
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Polarlicht
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Re: Um Hilfe bitten

Beitrag von Polarlicht »

Hi wakora,
ja, was Du schreibst, dass Unterschiede belebend sind, wollte mir damals auch ein Therapeut einreden. Im echten Leben stelle ich aber exakt das Gegenteil fest und dann ist es schwer, sich mit Therapeuten darüber auszutauschen. Ich fühlte mich nicht ernst genommen, meine Probleme kleingeredet - da gibt es dann keine Vertrauensbasis und so habe ich im Sinne des Meinungspluralismus, seine Meinung stehen gelassen und meine behalten
Wenn ich durch die Stadt gehe und mal richtig hingucke, es gibt eine unglaubliche Gleichförmigkeit. Am letzten Wochenende war im Regionalmagazin der Zeitung eine Kolumne, dass man anhand des Kleidungsstils erkennen kann, in welchem Stadtteil man sich aufhält und dass man besser daran tut, sich dem zu fügen, wenn man dabei sein will (subtile Repressalien). Ich glaube, das gilt noch viel stärker für Verhalten und Denkmodelle als für Kleidung.
Den Artikel hätte ich gern dem Therapeuten geschickt, damit er mal seine Position hinterfragt. Aber er wirkte so sicher, wie er mich abfertigte, dass das auch nichts bewirken würde und so habe ich die Zeitung in den Müll geworfen. Ich hatte oft den Eindruck, dass Therapeuten in einer anderen Lebenswirklichkeit sind, als ihre Patienten.

Ich habe nicht das Potenzial, in Abhängigkeit zu geraten - bin ein Kontrollfreak. Für mich gibt es in dem Sinne keine Therapeut-Patienten-Beziehung, sondern eher ein Dienstleistungsverhältnis. Insoweit stellte sich für mich auch garnicht das Problem "um HIlfe bitten". Er ist der Profi und wird dafür bezahlt, dass er mich berät; wie im Job eben ein Unternehmensberater. Wenn es zusammen funktioniert, gut, wenn es nicht funktioniert, sagt das erst mal nichts über die Qualität aus, sondern über die Passgenauigkeit von Anforderung und Inhalt des Werkzeugkastens.
Insoweit fällt es mir auch schwer, Therapeuten ein echtes Interesse an dem jeweiliegn Menschen abzukaufen und ich tu' mich mit diesem Engagement ("jederzeit erreichbar..") schwer - finde das unglaubwürdig oder denke, das Überengagement soll Unsicherheit verdecken. Ich muss hier ganz ehrlich sagen: das geht mir im eigenen Job doch auch so - wenn ich unsicher bin, bin ich unglaublich kontrollierend, bleib' ganz dicht am Thema, damit ich jede Fehlentwicklung mitbekomme, sofort korrigieren kann. Wenn ich sicher bin, kann ich in den Feierabend, ins lange Wochenende, in den Urlaub gehen und habe nur Minimalanweisung, wenn überhaupt eine Info für die Kollegen. Das kenne ich von meinen Kollegen ähnlich. Warum sollten Therapeuten im Job anders sein?
Ich habe oft genug in Therapiesitzungen oder Berichten festgestellt, dass Dinge, die wichtig sind, nicht verstanden werden (andere Lebenswelten?), Zusammenhänge oder Sachverhalte vergessen, bzw. wohl mit anderen Patienten verwechselt werden. Das erklärt sich für mich nur aus professionellem Verhalten (innere Distanz) und Menge der zu bewältigenden Fälle.

Mit meinem Personal Trainer ist das ähnlich: der trainiert mit mir, weil ich ihn bezahle und sieht zu, dass er mir ein Training zur Entwicklung miener Fähigkeiten/Erfüllung mienr Anforderungen anbietet. Das schließt eine gewisse Sympathie nicht aus und wahrscheinlich kann man ohne Sympathie auch garnicht öfter so dicht an jemanden herangehen (körperlich oder seelisch), aber eben da ist eine klare und für mich nicht aufweichbare Grenze.
"Jederzeit" verwischt die Grenze, ich finde es irritierend bis regelverletzend ... da kommt in mir ein unglaubliches Mißtrauen auf und wie soll dann Sicherheit entstehen? Da greife ich erst mal zu den Vertragsbedingungen und frage den Justitiar, wie "jederzeit" zu verstehen ist. Weil ich zuhause keinen Justiziar und mit meinem Therapeuten keine differnzierten Vertragsbedingungen hatte, bin ich bei solchen Tatbeständen in eine Art Erstarrung gefallen - "wer sich bewegt hat verloren".

Andererseits denke ich, dass möglicherweise mein geschäftsmäßiges Herangehen (Distanz) wahrscheinlich die "therapeutische Beziehung" verhindert und insoweit bei mir Therapie nicht wirkt. Ist auch egal, ich kann ohnehin nicht anders, vor allen Dingen das Problem keinem Therapeuten anvertrauen.

Gute Nacht,
Polarlicht
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