Selbstbewusstsein trotz Depression - wie komme ich dahin?

Maximiliane
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Selbstbewusstsein trotz Depression - wie komme ich dahin?

Beitrag von Maximiliane »

Hallo an diesem Freitag, den 13.,

auf meinem Lebensweg, der geprägt ist durch immerwährende depressive Phasen, hatte ich immer das Gefühl, minderwertig zu sein, auf dieser Welt keinen Platz zu verdienen.
Mittlerweile weiß ich, dass auch ich, so wie ich bin, ein Recht habe, auf dieser Welt zu sein, ohne dass ich dafür etwas tun muss. So wie jeder Mensch.
Mein Selbstbewusstsein ist jedoch ganz schön wacklig, und selbst Kleinigkeiten können mich an einem Tag ganz schön aus der Bahn werfen. Als vor kurzem eine viele Jahre jüngere Cousine geheiratet hat, wurde mir schmerzlich bewusst, wieviel ich verpasst hatte, was ich alles nicht geschafft habe. Mein Gefühl des Versagt-habens kam so richtig an die Oberfläche. Es macht mich sehr nachdenklich, dass ich durch solch äußerlichen Dinge mich so hinunter ziehen lasse.
Immerhin habe ich es trotz Depressionen geschafft, über 40 Jahre am Leben zu bleiben. Ich habe vor über einem Jahr mit dem Reiten angefangen und eine künstlerische Ader habe ich auch aufgedeckt in mir. Eigentlich etwas, worauf ich stolz sein könnte, was mir Selbstbewusstsein geben könnte. Dennoch merke ich, das ich beispielsweise neuen Kontakten aus dem Weg gehe, vor lauter Angst, ich könnte gefragt werden, was ich arbeite oder was ich sonst so tue. Oder das es mir den Nachbarn gegenüber peinlich ist, wenn meine Rolläden erst um 11 Uhr hochgehen. Statt zu sagen, oh,super, du hast es geschafft, jetzt aufzustehen, nein, dann kommt dann dieses Schamgefühl. Es ist so, als ob ich mich schämen würde, nicht das erreicht zu haben, was andere erreicht haben, nicht das machen zu könne, was andere machen, anders zu sein. Eine Erkrankung als Grund, sich zu schämen? Mein Kopf sagt sofort: NEIN! Mein Bauch dagegen .....
Ich habe bisher noch keine zufriedenstellende Strategie gefunden, wie ich mit diesem "Anders sein" umgehen kann, um aus dieser Scham rauszukommen, oder wie ich überhaupt mein Selbstbewusstsein stärken könnte. Die Malerei ist neben dem Reiten eine wichtige Kraftquelle für mich, doch wenn ich solch dunklen Phasen habe wie momentan, dann schaffe ich es nicht, zu malen. Und was nutzt mir dann diese Kraftquelle? Da kommt dann wieder dieses schlechte Gewissen, weil ich es wieder tagelang nicht geschafft habe, zu malen, dabei würde ich doch zu gerne, aber es ist halt zu viel .......
Karusell, Karusell, Karusell .....
Ich würde mich sehr dafür interessieren, welche Strategien, hilfreiche Glaubenssätze, Verhaltensweisen oder ähnliches ihr so für euren Umgang mit den Menschen im Alltag und im Umgang mit dem "Anders Sein" durch die Erkrankung gefunden habt. Vielleicht würde mir das helfen, da einen SChritt mehr ins Selbstbewusstsein anbahnen zu können. Ich nannte das einmal, dass man mit der Krankheit lernen muss, neue Sichtweisen und Werte der Dinge zu erlernen. Weg von dem, worauf ich erzogen wurde. Doch manchmal fehlt mir da schlichtweg die Ideen, was ich wie ausprobieren könnte. Vielleicht gibt es da unter Euch die ein oder andere hilfreiche Anregungen?

Viele Grüße,

Häuptling
elchenspieker
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Re: Selbstbewusstsein trotz Depression - wie komme ich dahin?

Beitrag von elchenspieker »

hallo haüptling!auch ich habe das gefühl immer zu versagen daher habe ich das problem alles perfekt zu machen dieses ist so schlimm das ich angefangen bin nur noch negativ über alles und jeden zu denken,dadurch habe ich meine freunde teilweise im stich gelassen und trinke zu viel bier neuerdings(kein alki)aber ich merke schon das es so nicht weiter geht!geh doch mal schoppen oder zum friseur und las dich um stylen das wirkt manchmal wunder
tomroerich
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Re: Selbstbewusstsein trotz Depression - wie komme ich dahin?

Beitrag von tomroerich »

Hallo Häuptling,

nach meiner Auffassung und Erfahrung ist SB ein natürlicher Zustand, der eintritt, wenn ich mich selbst wahrnehme. Entgegen anderen Auffassungen ist für mich klar, dass SB weder erworben werden kann noch von irgendwelchen äußeren Gegebenheiten abhängt. SB wird aber verschleiert durch den Glauben, dass man es erwerben müsse und dass es davon abhängt, was z.B. andere über mich denken.

Ein solcher Glaube ist sehr häufig und führt leicht zu einem aussichtslosen Kampf um den Erwerb von SB, der z.B. auch in Depressionen enden kann (weil er eben aussichtslos ist).

Wenn man aufdecken möchte, was es für Glaubenssätze sind, mit denen man sich selbst klein hält, hilft die Methode der inneren Reibung sehr viel weiter. Sie besteht darin , dass man den Situationen nicht mehr ausweicht, vor denen man sich fürchtet sondern sich ihnen bewusst aussetzt. Denn man erfindet viele Tricks, um diesem Problem des Mangels an SB zu entgehen, indem man sich z.B. nicht mehr unter Menschen begibt, sich bestimmte großartige Masken zulegt oder auch Autos etc.

Die Situationen nicht mehr zu meiden, die einen die eigene Kleinheit spüren lässt, bringt die wirklichen Motive hervor und die Überzeugungen, die man über sich selbst hat. Was du wirklich so gefürchtet hast, wenn du dein Anderssein nicht verbigst, kannst du erst wissen, wenn du den Mut findest, es nicht mehr zu tun.

Die Gewohnheit, das Urteil anderer so hoch einzuschätzen, hat sich durch die Eltern herausgebildet Aber man kann diese Gewohnheit überwinden, wenn man sich bei Konmflikten, die schmerzhaft sind und einen traurig machen, Rechenschaft darüber ablegt, dass man es selbst ist, der anderen diese Macht verliehen hat. Anstatt andere dafür verantwortlich zu machen, dass man sich nun schlecht fühlt.

Eine konkrete Maßnahme dafür wäre, anderen gegenüber nicht mehr auszudrücken, dass man verärgert über sie ist sondern statt dessen bei sich zu schauen, dass man in Wirklichkeit verletzt ist und getroffen von etwas, was gesagt oder getan wurde.



Thomas
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lens
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Re: Selbstbewusstsein trotz Depression - wie komme ich dahin?

Beitrag von lens »

Hallo Häuptling,

das mit den Rolläden kenne ich auch. Wenn sie spät hochgezogen werden von anderen, während ich vorbeigehe, denke ich ,dass die sicher gut ausgeschlafen sind. Wenn ich es bin, die spät dran ist hoffe ich, dass es niemand bemerkt.

Ich habe mal gelesen, dass Depressive sich möglichst angepasst (an was auch immer) verhalten und leben. Auf mich trifft das zu.
Ich kenne auch das Schamgefühl sehr gut, von dem du sprichst. Es hat mich schon oft dazu gebracht, zuviel Alkohol zu trinken oder nicht unter die Leute zu gehen.

Dann hilft mir das, was Thomas beschreibt,
nämlich das peinigende Gefühl einfach auszuhalten ohne Betäubung. Ich bin immer wieder überrascht, dass diese widrigen Gefühle tatsächlich vorübergehen.

Ganz wichtig ist für mich, unter Menschen zu gehen. Es ist wirklich nicht so, dass die anderen alle mehr erreicht haben, davon kann ich mich überall überzeugen. Unter Menschen gehen rückt für mich manches gerade.

Deine Hobbies sind großartig. Da bist du sicher auf einem guten Weg.

Lieben Gruss
Ibis
steppenwolf1

Re: Selbstbewusstsein trotz Depression - wie komme ich dahin?

Beitrag von steppenwolf1 »

Hi Häuptling,

ich denke auch, dass man sich den Situationen stellen muss, um die Angst zu überwinden. Vermeidung kann zur Verschlechterung führen.

Allerdings sehe ich den Ärger oder die Wut etwas anders als Thomas ( Thomas) ... ich denke, dass man mitunter lernen muss, seinen Ärger auch auszudrücken und nicht mehr gegen sich selbst zu richten. Klar kann man sagen, das verletzt mich jetzt und man kann sich auch zugestehen, das ärgert mich ! Die Gefühle sind nicht falsch und haben Ihre Berechtigung. Und gehören zum Leben dazu !
Ärger entsteht auch meist, wenn man nicht mehr die Schuld nur bei sich sucht.
FönX
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Re: Selbstbewusstsein trotz Depression - wie komme ich dahin?

Beitrag von FönX »

Hallo Wölfin,

sehe ich auch so. Wenn mir einer weh tut, darf ich AUA sagen.
FönX

Bei riesigen Nebenwirkungen essen Sie die Packungsbeilage oder schlagen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.
lens
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Re: Selbstbewusstsein trotz Depression - wie komme ich dahin?

Beitrag von lens »

Ich glaube, es geht Häuptling auch darum, dass sie (?) sich wegen ihrer Krankheit minderwertig fühlt und sogar schämt.

Die anderen können nichts dafür, wenn ich mich minderwertig fühle. Sie wären oft sogar erstaunt, dass dieses oder jenes Wort bei mir soviel anrichtet. Ich komme tatsächlich nur weiter, wenn ich bei mir schaue, was mein Anteil an der Situation ist.

Das wichtigste ist, dass ich mir selbst den Rücken stärke, dass ich mir immer wieder aufs neue versichere, dass ich mich wacker schlage im Leben (oder was mir sonst gut tut). Ich neige nämlich dazu, dass ich meine Startbedingungen auf Erden als furchtbar ungerecht ansehe. Nur hilft mir das in keinster Weise.

Häuptling, wie geht es dir?


Gruss von
Ibis
lens
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Re: Selbstbewusstsein trotz Depression - wie komme ich dahin?

Beitrag von lens »

Als die größte Ungerechtigkeit sehe ich die Tatsache, dass Menschen, denen viel Un recht angetan wurde, und die daraufhin krank wurden, sich auch noch selbst dafür schämen und sich minderwertig fühlen.
Ibis
Maximiliane
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Re: Selbstbewusstsein trotz Depression - wie komme ich dahin?

Beitrag von Maximiliane »

Hallo,

vielen Dank für eure Anregungen, einiges wurde mir dadurch schon bewusst.
Gerade die äußerlichen Dinge sind es, an denen ich mich oft messe. Und damit mache ich mir mein ohnehin schon schweres Leben noch schwerer. Ja, es tut weh, nicht verheiratet zu sein, keine Familie zu haben, nicht mehr arbeiten zu können, "Nur" eine kleinen Freundeskreis zu haben. Gestern konnte ich mich dazu auf einer Geburtstagsfeier gut beobachten, wie es mir einen inneren Stich versetzt hat, wenn die anderen so von früheren Zeiten, z.B. Studium gesprochen haben und was die da alles erlebt haben. Meine Zeit damals war dunkel und einsam, und das tut weh. Und mein ejtziges Leben ist von vielen Klinikbesuchen geprägt. Es ist nicht so, dass ich anderen die Schuld daran gebe oder es anderen nicht gönne. Ich sehe eher, dass ich immer wieder mit meinem Leben, mit meinem, die Therapeuten sagen dazu "Schicksal", hadere.
Dieses mein Leben so anzuerkennen, wie es war und ist,damit tue ich mich schwer und vermutlich erwarte ich da auch zu viel von mir, dass zu können. Es braucht vermutlich seine Zeit.
Ich gebe auch niemandem die Schuld dafür,dass mein Leben so gelaufen ist, das wäre unangemessen, und wann ich in bestimmten Situationen die Verantwortung für mein Handeln und Denken übernehmen muss, dass ist mir dank einer guten Therapeutin mittlerweile sehr klar geworden. Früher habe ich mich für "alles" verantwortlich gefühlt, und das war ein schwieriger Prozess, aus dieser Selbstanklage rauszugehen. Und gerade wird mir bewusst, dass ich im Bezug auf die Erkrankung aber immer noch auf dem Selbstanklagetrip bin. Wieso fühle ich mich schuldig, weil ich krank bin? Schon mal gut, an diesem Punkt angekommen zu sein, und den werde ich nicht bis morgen gelöst haben.
Ja, es stimmt, mit Vermeidung unangenehmer Situationen ist mir auch nicht geholfen. Ich hätte gestern am liebsten die Party gar nicht erst besucht, sozialphobisch wie ich bin, bzw. ab einem gewissen Punkt wäre ich am liebsten geflüchtet. Aber ich habe durchgehalten und dadurch ist mir heute durch diese "Konfrontation" klar, wo ich momentan stehe in meinem Heilungsprozess. Am liebsten würde ich mal so richtig über mein scheinbar verkorkstes Leben heulen, dann hätte ich anschließend vermutlich wieder mehr Platz für die neuen Dinge im Hier und Jetzt. Diese Betrauern der vielen nicht gelebten Momente hatte ich so noch nicht und wäre bestimmt heilend und reinigend. Aber Weinen in der Depression, ihr wisst ja selbst, wie gefühllos man da sein kann. Und wer außer mir sagt, dass mein Leben verkorkst war und ist? Es war halt anders, und ich bewundere Menschen, die so zu sich stehen können, dass sie das Außen nicht mehr umwirft. Ich habe bisher noch niemand depressives getroffen, der das konnte. Und vermutlich gibt es auch ne Menge gesunder Menschen, die das nicht könne, oder?

Soweit zu Häuptlings "Philosophiestunde" ,
ich spüre gerade, wie erschöpft ich von den vielen Eindrücke der Party bin und werde mich jetzt ein wenig zurückziehen und mir Ruhe gönnen .
Danke nochmals für die Rückmeldungen und Anregungen,

bis bald,

Häuptling
kormoran
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Re: Selbstbewusstsein trotz Depression - wie komme ich dahin?

Beitrag von kormoran »

hallo häuptling,

hallo ibis,

ich möchte gerne aus meiner erfahrung zu diesem satz von dir, ibis, etwas beisteuern:

Als die größte Ungerechtigkeit sehe ich die Tatsache, dass Menschen, denen viel Un recht angetan wurde, und die daraufhin krank wurden, sich auch noch selbst dafür schämen und sich minderwertig fühlen.

genau in dieser situation war ich ja vor wenigen jahren und es war inhalt vieler therapiestunden ... und aus diesem schmerzlichen lernprozess meine ich heute, dass es weniger eine ungerechtigkeit ist, sondern eine logik hat, dass es ursächlich zusammenhängt!

mal vorweg: das unrecht das geschieht, die gewalt, die mobbende kolleg/innen ausüben, zum beispiel, die gemeinheiten, das ausmachen von verwundbaren stellen und das gezielt und öffentlich hinschlagen, das ist und bleibt unrecht. und man hat nicht schuld daran und es hat die auch keiner geheißen, so zu handeln - sie hätten in jedem augenblick anders handeln können. es ist nirgendwo geschrieben, dass menschen, die auf einen verwundbaren, unsicheren menschen treffen, mit gewalt reagieren müssen. nein, es könnte auch ganz anders gehen ...

so, aber nun zu dem zusammenhang: ich glaube doch, dass mein geringes selbstwertgefühl, der umstand, dass ich in mir nichts, oder viel zu wenig an sicherheit und zustimmung zu mir selbst hatte, und das fieberhaft im außen gesucht habe; und dass ich eine überzeugung hatte von mir selbst, schlecht zu sein, nicht zu genügen, minder, dümmer, schwächer, nie von sich aus genug -

dieser umstand hat es möglich gemacht, dass das alles so eine zerstörerische dynamik bekommen konnte. wäre nicht in mir ein echo gewesen, das den herabwürdigungen durch die anderen zusgestimmt hat, wären sie ins leere gelaufen.

das schämen also, das sich minderwertig fühlen, das war an der wurzel da und hat dem ganzen einen resonanzkörper gegeben. dazu kam dann natürlich im laufe der geschichte noch das sich darüber-schämen und sich noch viel minderwertiger fühlen.

ich musste durch viele dicke undurchdringliche schichten an scham und selbstverachtung durch und sie abschütteln.
schuldgefühle ablegen, dass es so war, mir vergeben, zu mir selbst stehen und so langsam diese unselige anhaltende verbindung mit dem geschehenen und den "tätern" lösen.

langsam ist schon so etwas wie selbstwert und selbstbewusstsein gewachsen. dass ich mich auch selbst in schutz nehme. dass mich so etwas nicht mehr angreifen kann, weil worauf wollte es abzielen? auf das mindere in mir ? ich glaube nicht, dass es das gibt, also kann es nirgendwo hin treffen ...

natürlich gelingt mir das noch nicht immer so ganz. in vielerlei hinsicht doch.
es gibt aber noch bereiche, wo eine überzeugung von einem mangel, einem unerträglichen fehler an mir besteht, und wenn darauf hin gezielt wird, bricht alles zusammen.

liebe grüße
kormoranin
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lens
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Re: Selbstbewusstsein trotz Depression - wie komme ich dahin?

Beitrag von lens »

Liebe Kormoranin,

genau das ist es ja:"das schämen also, das sich minderwertig fühlen, das war an der wurzel da und hat dem ganzen einen resonanzkörper gegeben."

Du hast das treffend beschrieben. Aber woher kommen denn die undurchdringlichen Schichten von Scham und Selbstverachtung?
Ich glaube nicht, dass ein Kind damit auf die Welt kommt. Das wird ihm vermittelt.
Und dann schämt sich der betroffene dafür, was ihm angetan wurde.

Das meine ich mit Ungerechtigkeit. Dass ein Mensch erst mühsam herausfinden und erarbeiten muss, dass er eben NICHT schuldig und minderwertig ist. Und dass er immer wieder in diese Gefühle zurückfallen kann.

Ich bin von deinen Weg beeindruckt.

Lieben Gruss
Ibis
tomroerich
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Re: Selbstbewusstsein trotz Depression - wie komme ich dahin?

Beitrag von tomroerich »

Grüß dich, Häuptling,

Ich habe bisher noch niemand depressives getroffen, der das konnte. Und vermutlich gibt es auch ne Menge gesunder Menschen, die das nicht könne, oder?

ja, sehr sehr viele Menschen sind ständig mit dem Außen beschäftigt.

Sie halten das Außen für eine von sich selbst unabhängige Realität. Aber eigentlich muss man kein Philosoph sein um zu verstehen, dass das wohl kaum zutreffen kann. Wir erleben das Außen ja nicht so wie es an sich ist, sondern auf eine gelernte, programmierte Weise. Deshalb gibt es ja auch so viele Ansichten darüber.

Ich habe gelernt, meine persönliche Weise, das Außen zu sehen, als eine Spiegelung meiner inneren Einstellungen zu sehen. Und dann wundert es nicht mehr, dass depressive Menschen lauter Enttäuschungen und Verletzungsreize entdecken. Und dann geschieht eben etwas, das man nur als tragisch bezeichnen kann: Sie sehen ihre innere Einstellung als bestätigt an und glauben, dass die Welt eben wirklich so sei, wie sie sie erleben.

und aus diesem schmerzlichen lernprozess meine ich heute, dass es weniger eine ungerechtigkeit ist, sondern eine logik hat, dass es ursächlich zusammenhängt!

Jau Ich empfinde sogar inzwischen ganz im Gegenteil, dass das ständige Wiedererleben des alten Schmerzes ein ständiges Heilungsangebot des Lebens ist, dass man dadurch annimmt, dass man sich zuständig erklärt und nicht sagt, das sei da darußen. Du bist auf einem guten Weg, meine ich, Kormoranin.

Dass es einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Außenwahrnehmung und Inneneinstellung gibt (wie ein Instrument, dass darauf programmiert ist, nur bestimmte Teile des Wellenspekrums wahrzunehmen und zu analysieren), kommt vielen nicht recht in den Sinn und so beginnen sie sogar, die Außenwelt zu bekämpfen und zu versuchen, diese zu ändern. Das Problem wird außen gesehen, obwohl es innen ist.

Wenn man diese Möglichkeit nicht nur in Betracht zieht sondern als Tatsache sehen kann, wird die Außenwelt zu einem ungemein effektiven Mittel, etwas über sich selbst zu erfahren und es zu ändern.

Übrigens nur deshalb sage ich das mit dem Ärgern, weil Ärgern dich selbst davon überzeugt, dass die Problematik in der Außenwelt liegt - wenn du dich ärgerst, hast du das gerade entschieden und dann kannst du die dahinter stehende Verletzung nicht mehr heilen, weil sie dir entgeht. Die Erfahrung zeigt deutlich, dass man sich immer wieder über die gleichen Dinge ärgert, man also keinen Schritt vorwärts kommt sondern nur eine kurzfristige Erleichterung spürt, die Druck wegnimmt.



Thomas
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kormoran
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Re: Selbstbewusstsein trotz Depression - wie komme ich dahin?

Beitrag von kormoran »

hallo ibis,

da habe ich das mit der ungerechtigkeit falsch aufgefasst.

Das meine ich mit Ungerechtigkeit. Dass ein Mensch erst mühsam herausfinden und erarbeiten muss, dass er eben NICHT schuldig und minderwertig ist. Und dass er immer wieder in diese Gefühle zurückfallen kann.

ja, genau. das trifft auf den punkt und es wirkt auch jetzt noch auf mich tröstlich, das zu lesen.

danke auch, thomas.

und wölfin - ich persönlich sehe es hartnäckig auch so, dass es sehr wohl "äußere" dinge gibt: also physische, wie zum beispiel die gewalttat, die handlung, die den anderen lächerlich machen soll, etc. die sind da und sie sind falsch, punkt.
was ich machen kann, ist, die verbindung zu dem lösen, mich nicht mehr selbst dafür schuldig fühlen, oder mich schlecht fühlen dafür, dass ich daran leide. es loslösen und nicht mehr zulassen, dass es mich als person vernichtet ...?

ich denke, man muss mit den begriffen vorsichtig sein. die sichtweise ändern heißt nicht, dass man ein verbrechen nicht mehr anzeigt und der täter nicht mehr bestraft werden soll, oder dass einem nicht unrecht geschehen ist. anders kann nur werden, wie ich das geschehene auf der "nicht-physischen" ebene für mich bewerte. und auch das erst, wenn ich die unmittelbaren traumatischen auswirkungen davon erst mal hinter mich gebracht habe.

oder so?

liebe grüße
kormoranin
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Clown
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Re: Selbstbewusstsein trotz Depression - wie komme ich dahin?

Beitrag von Clown »

Hallo in die Runde,

Ich glaube auch, dass das Heilwerden mit dem zu tun hat, was Kormoranin schreibt:

>was ich machen kann, ist, die verbindung zu dem lösen, mich nicht mehr selbst dafür schuldig fühlen, oder mich schlecht fühlen dafür, dass ich daran leide. es loslösen und nicht mehr zulassen, dass es mich als person vernichtet ...?
Im Urlaub hatte ich in dieser Richtung ein wichtiges Erleben. Erst waren da die alten Muster von verletzt werden, mich verraten fühlen, den Boden unter den Füßen verlieren ... später eine Riesenwut auf die Ereignisse und den 'Verursacher' (der aber nicht wirklich der Verursacher meiner Gefühle war - ich selbst war es, das konnte ich auf einmal wahrnehmen). Und dann, mitten in der Nacht (ich hatte meine energetischen Übungen angewendet), kam auf einmal eine tiefe Gewissheit: Ich bin gar nicht gemeint, das alles hat mit mir überhaupt nichts zu tun! Ich bin tief in meinem Inneren, dort, wo ich wirklich ich selbst bin, frei und unverletzt - und für mich sind andere Dinge vorgesehen, nämlich Liebe, Friede, Wohlergehen ...

Und ich wusste plötzlich, dass ich alles, was sich für mich nicht gut anfühlt, innerlich abweisen darf, weil es nicht zu mir gehört, nicht für mich vorgesehen ist.

Könnt ihr verstehen, vielleicht nur ahnungsweise, was ich meine? Es war, als hätte ich den Hauptschalter gefunden und es geschafft ihn umzulegen.

Es war ein Glückserlebnis, das mich sehr frei machte - und ich habe auch wieder 'Rückfälle' erlebt, den Hauptschalter nicht mehr erreicht, nicht umschalten können, wieder alte Muster erlebt ...

Aber nun weiß ich, dass es ihn gibt und ich bin fest entschlossen, alles dafür zu tun, dass ich ihn immer häufiger und anhaltender umschalten kann.

Liebe Grüße an euch bekannte und unbekannte Menschen hier,

Clown
"Realize deeply that the present moment is all you ever have. Make the Now the primary focus of your life."
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Maximiliane
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Re: Selbstbewusstsein trotz Depression - wie komme ich dahin?

Beitrag von Maximiliane »

Guten Morgen an alle im Forum!

Heute hatte ich fast kein schlechtes Gewissen, weil ich so spät aufgestanden bin. Die Party und der damit verbundene andere Tagesablauf für mich hat mich ziemlich mitgenommen. Aber das habe ich jetzt in Kauf genommen, es war mir einfach so wichtig, mit dabei zu sein, mit den anderen, sehr sympathischen Menschen zu feiern. Solche Gemeinschaften erlebte ich sonst nur in Kliniken. Und eigentlich sehne ich mich danach, mit anderen Menschen zusammen zu sein. Aber das ist ein anderes Thema. Jetzt zurück zu diesem.

Wenn ich jetzt wüsste, wie man außer meinem Text noch aus den anderen Texten zitiert, dann würde ich jetzt einige Stellen aus Thomas Beitrag hier hinsetzten. Nun, kriege ich auch noch raus.
Ja, dieser "Hauptschalter", die Beschreibung von dir, Thomas, hat mich daran erinnert, dass ich diese Woche auch so ein Erlebnis hatte. Ich fand im Internet eine Aufnahme von Reinhard Meys Lied "Du kannst fliegen". Ich saß da wie elektrisiert und mir flossen die Tränen nur so runter, als ich das Lied hörte. Als "Hauptschalter " habe ich es nicht erlebt, eher als "Türöffner". Das war so, als hätte sich in mir plötzlich eine Tür geöffnet und ich hatte plötzlich das ganz tiefe Gefühl, meinen innersten Kern zu spüren, der, der "unantastbar" ist. Den jeder Mensch von uns hat und nach dem vermutlich jeder Mensch, ob bewusst oder unbewusst, danach sich sehnt, ihn zu erreichen. Vielleicht kann ich dazu auch sagen, der göttliche Kern in uns?
Ich hatte plötzlich so ein Gefühl von "Wertvoll", dass ich mich tatsächlich danach sehne, diesen Türöffner öfters zu benutzen. Ich erinnerte mich auch im Zusammenhang mit einen Traumatherapiebuch an die Zitate von Viktor Frankl, der in seinem Leid die "letzte Freiheit des Menschen" in sich fand. Vielleicht ist das vergleichbar.
Auch hatte ich, und das finde ich noch sehr ungewohnt, das Gefühl, dass ich diese Türöffner-Erfahrung gar nicht gemacht hätte, wenn ich nicht depressiv wäre. Also so im Sinne von, seine Krankheit auch als Geschenk sehen können, weil sie mir Erfahrungen ermöglicht, die ich so sonst nie gemacht habe. also wenn mir jemand in den schlimmsten Momenten der Depression diese Worte sagen würde, könnte ich sie vermutlich nicht annehmen, Aber heute, tut es gut, diese Sichtweise mal auf mich wirken zu lassen.
Ich hoffe, ich kann mich verständlich ausdrücken. ich habe so ne richtige Matschbirne und werde vermutlich noch ein paar Tage brauchen, wieder ganz da zu sein.
ich belasse es jetzt erst mal bei den Zeilen für heute. Mehr schaffe ich erst mal nicht. Danke für die Resonanz auf meinen Beitrag. Ich bin ein Stück erleichtert, hier Menschen getroffen zu haben, mit denen ich solche Gedanken teilen kann. Und ich fühle mich nicht mehr ganz so einsam als noch zu Beginn der Woche.

Einen schönen Tag, bis bald,
Häuptling
lens
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Re: Selbstbewusstsein trotz Depression - wie komme ich dahin?

Beitrag von lens »

Hallo ihr Lieben,

eure Beiträge sind wundervoll zu lesen. Ich beneide euch um diese Glücksmomente und suche sie nun auch für mich.

Ich bin sicher: in dem Augenblick, da ich so deutlich erkennen kann, dass ich einen heilen Kern habe, sind alle Anstrengungen vergessen. Die ständigen Heilungsangebote des Lebens annehmen, das ist der Weg für mich.

Das Leben ist schön.
Ibis
tomroerich
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Re: Selbstbewusstsein trotz Depression - wie komme ich dahin?

Beitrag von tomroerich »

Liebe Clown,

Und ich wusste plötzlich, dass ich alles, was sich für mich nicht gut anfühlt, innerlich abweisen darf, weil es nicht zu mir gehört, nicht für mich vorgesehen ist.

Wunderbar! Es ist einfach, nicht? Also nicht, dass es einfach wäre, diese störenden Emotionen wirtklich zu verabschieden, aber das Prinzip ist einfach. Man muss es nicht ertragen, weil es nun mal in einem rumgeistert und man muss nicht sagen: "Ich muss es liebevoll annehmen, weil es ja in mir ist" Man kann störende Emotionen nicht liebevoll annehmen, man kann sie aber einfach nicht wollen. Man sieht sie und erkennt: Das bin nicht ich, weil es meine Natur nicht sein kann, gestört zu werden und zu leiden. Das heißt einfach nur, dass man nicht möchte, dass es einem schlecht geht.
Störende Emotionen sind einfach "Nicht-Ich-Sein" - wie kann das akzeptabel sein?

Könnt ihr verstehen, vielleicht nur ahnungsweise, was ich meine? Es war, als hätte ich den Hauptschalter gefunden und es geschafft ihn umzulegen.

Klar kann ich das verstehen. Du hast dich getraut, den Mist aufzugeben, nachdem du sehen konntest, dass er in dir ist und nicht irgendwo da draußen. Das IST der Hauptschalter - der Wille ist der Hauptschalter. Niemand außer dir interessiert sich für den Mist und Interesse und Wohlwollen ist Wille. Interessierst du dich nicht mehr für ihn und entziehst ihm dein Wohlwollen, verschwindet er, weil er keine natürliche Wurzel in dir hat. Dann bleibst DU übrig. Der Mist hat keine eigene Realität, die hattest du ihm verliehen und du kannst sie wieder entziehen.

Das hat nichts damit zu tun, dass äußere, längst vergangene Ursachen als Grund angesehen werden. Es gibt in Wirklichkeit keine äußeren Ursachen, weil für den, der sie erlebt, alles ein inneres Erleben ist.



Thomas
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Maximiliane
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Re: Selbstbewusstsein trotz Depression - wie komme ich dahin?

Beitrag von Maximiliane »

Hallo und Guten Abend,

erst mal möchte ich mein Versehen entschuldigen, ich hatte mich auf Clowns Beitrag bezogen, diesen aber ausversehen Thomas zugeschrieben. Werd mich bemühen, heute klar zu bleiben.

Die Beiträge zu meinem Thema beschäftigen mich sehr. Mir fällt in anderen Beiträgen ganz oft auf, wie oft sich Menschen wertlos und nutzlos oder als Versager sehen, weil sie nicht mehr arbeiten können.
Dies ist mir sehr bekannt, und trotz der Erleichterung vor 4 Jahren, in den Ruhestand versetzt zu werden, haderte ich lange Zeit auch viel mit mir, weil ich es nicht mehr bringe, angeblich. Das ist doch eigentlich eine traurige Einstellung, die man da irgendwann in sich aufgenommen hat. Ich glaube, die Therapeuten nenne das Introjekt.
Wenn ich die Beiträge hier richtig deute, dann ist des Menschen Wert nicht von Äußerlichkeiten abhängig. Und die inneren Stimmen, die mir immer wieder sagen, ich sei ein Versager u.ä., sind dann Introjekte, die ich selbst irgendwann immer wieder gehört und verinnerlicht habe, weil ich z.B. der Norm der Gesellschaft nicht mehr dienen konnte durch die Erkrankung.
Was folgere ich daraus?
Alles "auspucken", was da in mir gespeichert ist und meinen eigenen Wert von mir bilden.
Das, was ich glaube, ständig im Außen zu sehen, bei anderen Menschen, sind dann die Projektionen. Ich glaube, dass mich die Nachbarin deswegen nicht grüßt, weil sie mich für einen Faulenzer hält. Das wäre so ein gutes Beilspiel für solch ein Gedankenkarusell, mit dem ich mir mehr schade als nutze.
Das, was ich glaube, was andere von mir denken, ist entweder das, was ich selbst über mich denke, aber noch nicht geschnallt habe, dass ICH es bin, die das tut.
Oder: das was ich glaube, dass andere über mich denken ist das, was ich mir noch nicht eingestehe, dass ich es selbst über mich denke. Huch, hab ich das jetzt verständlich aufschreiben können ?
Das heißt also für meinen Weg, immer wieder im AUßen zu überprüfen, ob das, was ich gerade empfinde, sehe, höre, tatsächlich das ist, was der/ die anderen meinen, oder ob es meine Projektion ist. Oder auch zu überprüfen, woher meine negativen Urteile hingehören, von wem ich sie übernommen habe, und dann quasi "weggeben" und mich selbst beurteilen.
Denn, das klang hier auch schon mal an, jeder hat seine eigenen Wirklichkeit. Wenn ich zu hundert Menschen sagen würde: "Der Himmel ist blau", dann würden diese Menschen dazu hundert verschiedene Auffassungen und Gedanken haben und jeder würde etwas anderes sehen, obwohl es sich um ein und denselben Himmel handelt.
Und da fängt dann das an, was Therapeuten oft als "Verantwortung" bezeichnen. Ich kann HEUTE entscheiden, was ich weiter von diesen inneren, aufgebratenen Einstellungen behalte oder weggebe. Als KInd konnte ich das nicht.
Mich würde mal interessieren, wenn ich nicht in einer leistungsorientierte Familie bzw. Gesellschaft aufgewachsen wäre, ob ich meine Erkrankung dann besser und leichter nehmen könnte.
Und mir ist jetzt sehr klar, woher ich mein SELBSTbewusstsein bekomme, nämlich aus mir SELBST heraus. Denn ich habe alles in mir, was ich brauche.
Sicherlich braucht der Mensch den Austausch und die Resonanz von außen, das ist menschlich und wichtig, um zu wissen, wer er ist, aber grundlegend bin ich selbst dafür verantwortlich.
Und dieser Prozess geht fürwahr nicht von heute auf morgen, aber ich werde weiter daran arbeiten.
Danke für die Anregungen, werd ich auch am Donnerstag mit in meine Therapie nehmen.

Viele Grüße,

Häuptling
tomroerich
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Re: Selbstbewusstsein trotz Depression - wie komme ich dahin?

Beitrag von tomroerich »

Hallo Häuptling,

Oder: das was ich glaube, dass andere über mich denken ist das, was ich mir noch nicht eingestehe, dass ich es selbst über mich denke. Huch, hab ich das jetzt verständlich aufschreiben können ?

Glasklar!

Die Innenwelt bildet sich in deiner Auffassung der Außenwelt ab. Wärst du ein wirklich selbstbewusster Mensch, würde dich Getratsche, Verurteilung und negative Meinungen nicht interessieren. Du würdest einfach sehen können, dass diese Menschen selbst unsicher sind und eine bestimmte Art von Gewinn aus ihrem Tun und Denken ziehen. Indem sie andere verurteilen, fühlen sie kurzfristig so etwas wie Genugtuung und das tröstet sie. Sie meinen, einen Gewinn davon zu haben. Jemand, der wirklich bei sich angekommen ist, hat keinerlei Interesse daran, andere zu verurteilen oder sich überhaupt Meinungen über andere zu bilden und benötigt diese Form von Gewinn auch nicht.

Das, was ich glaube, ständig im Außen zu sehen, bei anderen Menschen, sind dann die Projektionen. Ich glaube, dass mich die Nachbarin deswegen nicht grüßt, weil sie mich für einen Faulenzer hält. Das wäre so ein gutes Beilspiel für solch ein Gedankenkarusell, mit dem ich mir mehr schade als nutze

Ja, man projiziert diese Dinge in andere hinein - wobei es garnicht so darauf ankommt, ob die tatsächlich so denken oder nicht. Ob man es glaubt, ist entscheidend. Denn wenn man es glaubt, entlarvt die Projektion im Grunde, was man über sich selbst denkt. Und dann hat man zwei Möglichkeiten: Man kann das, was man gerade erlebt, als von außen verursacht sehen - dann wird man ärgerlich - oder eben als Projektion und nutzt die Chance, das Erlebte als Entlarvung von Selbstveurteilung zu sehen. Ob du es nun glaubst oder nicht, ich bin immer öfter dankbar für solche Gelegenheiten. Sie bringen mehr zu Tage als so manche Therapiesitzung es geschafft hat.



Thomas
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Maximiliane
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Re: Selbstbewusstsein trotz Depression - wie komme ich dahin?

Beitrag von Maximiliane »

Hallo Thomas,

gerade fällt mir auf, in dem Moment, wo ich mir meiner Projektionen bewusst werde, steigt auch meine Verantwortung mir selbst gegenüber. Ich habe keinen Grund mehr, andere für irgendwas verantwortlich zu machen, was in mir abläuft.
Von daher halte ich es für wichtig, dann immer wieder, wenn es mir wichtig erscheint, beim anderen nachzufragen im Sinne von "Du, ich habe das jetzt so verstanden, oder das hat jetzt dies und das in mir ausgelöst, ist das so gemeint gewesen?", um die Sichtweise des anderen zu sehen und damit kann man dann solche eigenen Projektionen enttarnen und auflösen. Oder auch das sehen, als Hilfe, was bei einem noch nicht geheilt ist, wo man noch verletzbar ist.
Klingt so einfach, ist aber eine andauernde Herausforderung, und in tiefen depressiven Phasen bin auch ich damit überfordert. Da geht es dann nur noch darum, jeden Tag, jede Stunde zu überstehen. Alles andere muss ich dann ausblenden, und dieser Minimalismus, der mir verhilft, zu überleben, zu dem kann ich dann auch gut stehen mittlerweile.

Ich glaube, ich habe schon eine ganze Menge an Selbstbewusstsein dazugewonnen innerhalb der letzten 10 Jahre. So ganz bei Null bin ich doch nicht, wie ich letzte Woche noch dachte. Und das, was mich immer wieder runterzieht, ja, das ist eben das, was noch keine Heilung erfahren hat. Und das geht, wie du sagst, immer wieder nur im Kontakt mit den Auslöser, dem "Roten Tuch" von außen, so unangenem es auch ist.

So, für heute ist mein Pensum an Energie aufgebraucht , ich wünsche allen hier im Forum eine gute Zeit,
bis zum nächsten Mal,

Häuptling
Clown
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Re: Selbstbewusstsein trotz Depression - wie komme ich dahin?

Beitrag von Clown »

Hallo Häuptling,

>Das war so, als hätte sich in mir plötzlich eine Tür geöffnet und ich hatte plötzlich das ganz tiefe Gefühl, meinen innersten Kern zu spüren, der, der "unantastbar" ist. Den jeder Mensch von uns hat und nach dem vermutlich jeder Mensch, ob bewusst oder unbewusst, danach sich sehnt, ihn zu erreichen.
Wie gut und beruhigend, dass du und andere so etwas auch erleben können! Wahrscheinlich würde sich das Gesicht der Welt sehr verändern, könnten alle Erwachsene immer Zugang zu ihrem Türöffner/Hauptschalter/inneren Kern haben.
(Ich denke, Kinder sind eh noch am besten mit ihrem heilen Kern in Kontakt).

Hallo Ibis, du wirst deinen heilen Kern spüren, das ist sicher! Ich finde auch, dass die Berichte anderer dafür immer wieder Anstoß sein können.



Clown
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Re: Selbstbewusstsein trotz Depression - wie komme ich dahin?

Beitrag von Clown »

Lieber Thomas,

deine Verstärkung tut mir gut, danke!

Ja, das Prinzip ist einfach. Von dir habe ich davon erfahren, es vom Denken her begriffen und immer wieder erahnt, wie es sich anfühlt, manchmal auch erlebt, aber ohne meine eigene Beteiligung dabei wahrzunehmen.

Dass ich in dieser Nacht auf einmal so klar sehen, spüren, wissen konnte, dass da eine heile Mitte in mir ist und - ganz weit weg davon - der ganze schmerzhafte Mist, das war ganz neu. Da war ein richtiger räumlicher Abstand in mir zwischen Kern und 'Mist'. Und eben diese wunderbare Gewissheit, dass der Kern mein eigentliches Inneres ist und ich deswegen den Mist ablehnen darf, will, muss.

>Es gibt in Wirklichkeit keine äußeren Ursachen, weil für den, der sie erlebt, alles ein inneres Erleben ist.
Ja, ganz wichtig, was du da sagst. Es ist ja wirklich so! Ich muss mich aber täglich darum bemühen, Schmerz abzuweisen, besonders nach dem Schlafen stellt er sich fast automatisch ein. Ich hoffe, das wird mit der Zeit aufhören!



Clown
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Maximiliane
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Re: Selbstbewusstsein trotz Depression - wie komme ich dahin?

Beitrag von Maximiliane »

Guten Abend, Clown,

es ist immer wieder ergreifend, einem Neugeborenen in die Augen zu schauen.
Da ist so viel Tiefe drin, ich habe immer wieder das Gefühl, man kann bei diesen kleinen Menschen noch bis zum tiefsten Grund ihrer Seele schauen.
Sie sind noch so offen und unbedarft und ganz in sich.
Mit der Zeit wachsen darüber immer mehr Schichten, durch Erziehung, die Gesellschaft, Erfahrungen, Verletzungen oder so.
Und durch diese Schichten heißt es dann, zum Beispiel in der Therapie, wieder zurück zum Ursprung zu kommen. Da, wo man völlig rein ist. Wo man einfach nur IST. Ganz nahe bei sich, wo nichts zählt außer das reine SEIN.

Ich glaube, solche "Glückmomente" erscheinen einem gerade dann, wenn man am wenigsten damit rechnet.
Ich kenne Seinserlebnisse von Bergwanderungen, aber auch unverhofft beim Autofahren. Und ich weiß diese Momente als so kostbar zu schätzen, wie ein göttliches Geschenk. Und sie zeigen mir immer wieder, wo es lang geht, zu mir selbst, zu meinem innersten Kern.
Und die Kunst besteht, das dann mit in den Alltag zu nehmen und zu erhalten.
Und in der dunkelsten Zeit einer Depression zumindest daran zu glauben mit dem Kopf, dass es das gibt.
Und wenn das nicht mehr geht, jemanden zu bitten, einen daran zu erinnern.

Ich bin so dankbar über die vielen Anregungen hier im Forum. Seit letzter Woche, wo ich mich angemeldet habe, habe ich das Gefühl, mein Leben wieder ein Stück bereichert zu haben durch diesen Schritt.
Und ich freue mich auf die Therapiestunde morgen, da werde ich einiges zum Thema machen, was durch das Forum in mir angestoßen wurde.

Danke Clown, für deine Worte,

einen GUTE NACHT, bis zum nächsten Mal,

Häuptling
tomroerich
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Re: Selbstbewusstsein trotz Depression - wie komme ich dahin?

Beitrag von tomroerich »

Dass ich in dieser Nacht auf einmal so klar sehen, spüren, wissen konnte, dass da eine heile Mitte in mir ist und - ganz weit weg davon - der ganze schmerzhafte Mist, das war ganz neu. Da war ein richtiger räumlicher Abstand in mir zwischen Kern und 'Mist'. Und eben diese wunderbare Gewissheit, dass der Kern mein eigentliches Inneres ist und ich deswegen den Mist ablehnen darf, will, muss.

Liebe Clown,

als ich das vor Jahren ähnlich erlebt habe wie du, wusste ich gleichzeitig, dass ich etwas gefunden hatte, was nicht nur für mich Gültigkeit hat, geht dir das auch so?
In dieser heilen Mitte begegnen sich alle und hören auf, sich über den "Mist" zu definieren, den jeder auf seine Weise mit sich herumträgt.

Wenn du einmal von dieser Mitte genascht hast, wirst du nie wieder etwas anderes wollen und alles andere wird dir fade und nebensächlich erscheinen - trotzdem geht das Leben ganz normal weiter. Ich freue mich einfach mit dir.



Thomas
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