Hallo Pia,
war etwas verunsichert von deinem ersten Posting, das so beim Lesen für mich ein bisschen aggro klang... Auf wen hattest du dich da bezogen, u.a. auch auf das was ich geschrieben habe? Könntest du dann vielleicht einige Stellen konkret benennen (vielleicht zitieren), damit ich das ggf. genauer erläutern oder relativieren kann?
Denn falls du dich auf mich beziehst, bin ich überrascht, dass meine Kommentare auf diese Art interpretiert werden können.
Ich habe ja nun (leider) auch sehr viel verallgemeinert, auch wenn ich mir Mühe gegeben habe zu betonen, dass selbstverständlich jede Depression und jede Beziehung absolut individuell ist und nichts was ich schreibe Allgemeingültigkeit hat. Auch hatte ich versucht klarzustellen, dass ich selbst keine Patentlösung habe, eure speziellen Situationen nicht kenne und mir nicht anmaße, die ultimativen Tipps zu haben. Ich erhebe keinen Anspruch auf Richtigkeit, ich schildere lediglich meine
Eindrücke und wie ich - eben aus meiner persönlichen, ebenfalls ganz individuellen Sicht, der Sicht einer Betroffenen - diverse Postings in den letzten Tagen und Wochen hier wahrgenommen habe und was meine Gedanken dazu sind. (Vielleicht war ich darin aber auch nicht deutlich genug oder es ist untergegangen?)
Jedenfalls, von meiner Seite aus war niemals die Rede davon, dass irgendjemand seinen Partner für immer verlassen soll und schon gleich gar nicht "mal eben". Wenn ich von Trennung gesprochen habe, dann entweder, weil ein offen geäußerter Wunsch des einen Partners im Raum steht oder im Rahmen einer vorübergehenden (!) räumlichen (!) Trennung - was aber auch nicht leichtfertig gemacht werden sollte, sondern nur als eines der letzten Mittel, wenn nichts anderes funktioniert hat.
Ich hätte niemals eine zweite Wohnung für meinen Mann und mich gewollt, aber ich habe die Anwesenheit meines Mannes auch nie abgelehnt, im Gegenteil - habe mich glücklich geschätzt, dass er sehr viel zu Hause war (erst durch Arbeitslosigkeit, woran natürlich sonst nichts toll war, dann durch Jobs, die er von zu Hause erledigen konnte, dann durch eine versuchte Selbstständigkeit).
Jetzt haben wir aber zwei getrennte Wohnungen, weil er in einer anderen Stadt studiert, die zu weit entfernt liegt zum Zwischenfahren. Und was soll ich sagen, auch ich schaffe - so wie es hier schon unzählige Male von anderen beschrieben wurde - komischerweise viel mehr, wenn er nicht da ist. Warum das so ist, kann ich nicht zweifelsfrei sagen.
Eine räumliche Trennung ist auch keine Patentlösung und ganz sicher nicht für jeden das Richtige; ich kann die Ängste gut verstehen, dass es womöglich der erste Schritt hin zur endgültigen Trennung ist.
Aber manchmal stehen uns auch bestimmte Vorstellungen im Weg. Simples und banales Beispiel, das natürlich nicht mit einem Auszug verglichen werden kann: Mein Vater schnarcht enorm. Getrennte Schlafzimmer waren für meine Mutter aber nie ein Thema, weil sie dachte, so leben Ehepaare nun mal nicht. Da schläft man in einem Bett und wenn man sich liebt, dann nimmt man den Partner eben so in Kauf, wie er ist. Und sie wollte ja auch so gern mit ihm in einem Bett schlafen. Irgendwann haben sie sich zusätzlich eine Schlafcouch angeschafft, weil sie es einfach nicht mehr ausgehalten hat, so dass sie in ganz schlimmen Nächten flüchten kann. Und heute HABEN sie zwei getrennte Schlafzimmer. Ihrer Ehe hat das gutgetan, weil jetzt beide durchschlafen können - er auch, denn er wird jetzt nicht mehr dauernd angestupst.
Ich schließe mich Balsamico an: lieber eine schöne Stunde mit dem Partner als zehn schreckliche.
Kompromiss bedeutet für mich, dass zwei Menschen die Hälfte von dem bekommen, was sie möchten und mit der anderen Hälfte gut leben können. Pia, wenn dein Mann nun partout keine getrennte Wohnung im selben Haus haben möchte und du nicht als Paar in getrennten Häusern leben möchtest, fällt mir leider auch keine Alternative mehr ein - außer eben der gänzlichen Trennung. In manchen Wünschen kommt man leider nicht zusammen, da finden sich kein lebbaren Kompromisse.
NICHTS in der Depression ist "einfach" oder "leicht", weder für den Betroffenen noch für seine Angehörigen. Ich möchte auch noch einmal klarstellen, dass es in der Depression weder ein Richtig noch ein Falsch gibt und dass ich den Begriff der Schuld in diesem Zusammenhang nicht gut finde. Mir geht es nicht darum, dem einzelnen zu sagen, was er bitteschön zu tun und zu lassen hat. Was für mich gut ist, muss ja noch längst nicht für alle gut sein.
Mir ging es darum festzuhalten, und Balsamico hat dieses wunderbare Zitat von Albert Einstein gebracht: "Wahnsinn ist, immer das Gleiche zu tun und ein anderes Ergebnis zu erwarten."
Therapeuten äußern sich absichtlich nur ungern konkret zu Diagnosen, weil solche eben auch nur ein Etikett sind, das den Inhalt aber nicht gut beschreibt. Diagnosen sind nur ein Mittel zu Zweck, wurden nicht für den Patienten oder den Behandler eingeführt, sondern für die Krankenkassen - damit diese in standardisierter Form wissen, wofür sie bezahlen. Das ist aber genauso wenig aussagefähig wie die Schulnote im Zeugnis. Was bedeutet eine Vier in Deutsch? Dass derjenige seine Sprache nicht beherrscht, nicht richtig Lesen und Schreiben kann? Nein. In Wirklichkeit beherrscht er vielleicht Grammatik und Zeichensetzung perfekt, hat einen überdurchschnittlichen Wortschatz - aber vielleicht tut er sich ein bisschen schwer mit Goethes Faust.
Liest man sich durch, was eine Depression ausmacht, kann man schon mal verwirrt zurückbleiben. Da steht dann z.B. dass sie dadurch gekennzeichnet ist, dass der Betroffene zuviel schläft - oder auch zu wenig. Dass er keinen Appetit hat - oder auch einen gesteigerten Appetit, dass er zunimmt oder abnimmt. Dass er viel weint oder gar nicht mehr in der Lage ist zu weinen.
Du fragst, warum kein Fachmann deinem Mann hilft, sein Leben besser zu gestalten. Aber nun wissen wir ja gar nicht, was diese Fachleute so ganz genau tun oder raten, denn wir sind ja nicht dabei. Wie also diese Frage beantworten? Hat der Therapeut wirklich gar nicht erst versucht, Hilfestellung zu leisten? Oder hat er es versucht und seine Vorschläge wurden nicht umgesetzt?
Wenn der Therapeut deinem Mann geraten hat, seine Kindheit aufzuarbeiten - tja, versucht er es denn eigentlich überhaupt? Oder verharrt er in seinem "ich kann nicht, ich hab Blockade"? (Wahrscheinlich letzteres? Aber das ist ja dann nicht dem Therapeuten anzulasten, sowas kann man ja nicht erzwingen.)
Therapie funktioniert nur, wenn man spricht. Was soll der Therapeut, der Arzt denn genau unternehmen, wenn dein Mann sich nicht mitteilt? Ein schlichtes "ich kann nicht" ist mir zu leicht dahingesagt, benutze ich auch sehr oft. Ich sage z.B. "ich kann nicht früh morgens aufstehen, ich schaffe es einfach nicht" - aber wenn ich um neun Uhr einen wichtigen Termin habe, kriege ich es doch irgendwie hin, mich aus dem Bett zu quälen. Nanu? Ich "konnte" z.B. 2010 nicht in die Küche gehen, um mir etwas zu trinken holen. Aber wenn der Dust groß genug war, bin ich doch aufgestanden und, was soll ich sagen, es ging wunderbar.
Irgendwann bin ich dazu übergegangen, eindeutiger zu formulieren: "Ich kann nicht wollen."
(Ich möchte sicherheitshalber an dieser Stelle darauf hinweisen, dass ich bewusst in "Ich-Botschaften" spreche; alles ist lediglich meine Warte, die sich nicht mit anderen decken muss und das persönliche Erleben von euch und euren Angehörigen wird von Fall zu Fall mit großer Wahrscheinlichkeit differieren!)
Kann man wirklich über JAHRE hinweg durchgängig kommunikationsunfähig bleiben, ohne auch nur die winzigste Pause? Ich kann es mir ehrlich gesagt nicht vorstellen. Eine gewisse Zeit lang ganz sicher. Aber SO lange?
Nun ist Kommunikation ein Thema, das mich speziell schon immer interessiert hat. Es gab eine Zeit, da konnte ich in vier Sprachen kommunizieren (nicht in allen toll, aber für den Urlaub hat es mindestens gereicht). Ich sammle Worte wie andere Leute Briefmarken. Ich habe die drei Bücher "Miteinander reden" verschlungen und mich mit Körpersprache auseinandergesetzt. Vielleicht liegt es auch daran, dass mir da ein bisschen das Verständnis fehlt.
Ich konnte mit meinem Mann immer sprechen. Nicht immer über alles, manches ließ sich einfach nicht in Worte fassen. Und 2010/11, als ich mich auf dem Höhepunkt meiner Tiefphase befand, konnte ich einer Unterhaltung nur schwer folgen, weil mein Kurzzeitgedächtnis jedes Gespräch binnen Sekunden wieder gelöscht hat. Ich hatte Wortfindungsstörungen, was mich zu einem stotternden Etwas gemacht hat: "Hast du schon dieses... äh, Dings..., na sag schnell, das... du weißt schon... Dieses Dings, hast du das... äh... gedingst?"
Da habe ich schon mal lieber geschwiegen, um mich möglichst nicht völlig zum Deppen zu machen. Wenn ich jedoch was gefragt wurde, habe ich immer nach meinen Möglichkeiten versucht zu antworten. (Und wenn es nur war: "Weiß ich nicht, muss ich erst drüber nachdenken." -> Was ich dann aber auch gemacht habe. Also, ja, ich konnte durchaus phne Probleme sagen: jetzt nicht.)
Ich kann auch wirklich nicht sehr gut über Gefühle sprechen (anscheinend unterscheide ich mich da von anderen Frauen
), aber ich bin besser geworden. Ich mache es immer noch nicht gerne, überhaupt nicht - da spielt ein sehr großes Maß an Angst mit rein und natürlich Scham. Gerade erst diese Woche habe ich mich einfach nicht überwinden können, Klartext mit meiner Ärztin zu reden. Es "GING einfach nicht"; die Wahrheit dahinter ist: ich WOLLTE nicht, ich hätte mir lieber die Zunge abgebissen, ich hatte eine Scheißangst und habe mich maßlos geschämt, mein innerer Kritiker hatte mir vorher permanent die Ohren vollgeheult und mich in einer Tour abgewertet und ich habe ihm letztlich geglaubt.
Ich bin mir sicher, dass man Kommunikation lernen kann - daran zweifle ich kein bisschen. Aber man muss es halt üben und sich permanent überwinden und in Kauf nehmen, dass man mitunter scheitert. Mein Ex-Therapeut hat immer gesagt: "Man kann nicht NICHT kommunzieren." Wenn man sich entscheidet, nicht zu kommunizieren, steckt darin auch eine Botschaft.
Mein Mann musste es auch lernen. Er hat auch lange Zeit geglaubt, wenn er sich über etwas an oder von mir geärgert hat, müsste ich es doch wissen, wenigstens ahnen. Habe ich aber nicht. Dann hat mir sein Verhalten gezeigt, dass etwas nicht stimmt, aber natürlich habe ich total im Dunklen getappt. Irgendwann, nach mehrfachem Nachbohren, ist er dann mit der Sprache herausgerückt und am Ende habe ich meistens gefragt: und warum sagst du es nicht einfach?
Jetzt tut er es. Nicht immer, manchmal fällt auch er zurück in alte Verhaltensmuster. Manchmal tut er des Guten zuviel. Dann bin ich beleidigt. Aber so ist das nunmal zwischen zwei Menschen - Kommunikation geht unweigerlich schief. Aber man kann sich bemühen und aus seinen Fehlern lernen, das ist ein lebenslanger Prozess.
Was dringt zum Partner durch? Bei mir war es so, vom Kopf her eigentlich alles. Ich habe die Menschen in meinem Umfeld durchaus gehört, aber ich konnte es nicht - besonders emotional nicht - verarbeiten. Nur in den ganz schlimmen Zeiten, die auch irgendwann mal vorbei waren, übrigens. Ich habe dann immer gesagt, ich bin ein Zombie. Ich konnte eine Blume ansehen und wusste, die ist hübsch. Ich wusste auch, zu einem anderen Zeitpunkt hätte ich mich über den Anblick gefreut. Aber empfunden habe ich es nicht. Vor anderen habe ich es vorgetäuscht und habe absichtlich positiv besetzte Begriffe verwendet (von denen ich wusste, dass ich sie im Normalfall wahrscheinlich auch benutzt hätte). Vor meinem Mann wollte ich aber wiederum ehrlich sein und deshalb habe ich ihm das nicht vorgespielt. Ich war eine leere Hülle ohne Inhalt.
Was nun das schwierige Thema "Druck" angeht - das ist so eine Sache. Ich sehe es so, ohne Druck funktioniert keiner von uns, wenn wir mal ganz ehrlich zu uns selbst sind. Wie viele hätten schon in der Schule immer den Stoff hübsch auswendig gelernt, wenn nicht hin und wieder eine Arbeit angestanden hätte? Wie viele hätten die Vokabeln gepaukt, wenn der Lehrer sie nie abgefragt hätte? Wie viele würden jeden Tag acht Stunden zur Arbeit gehen, wenn einem der Chef das Gehalt auch einfach so überweisen würde? Würden wir auch die unangenehmen, ungeliebten, aber leider notwendigen Dinge des Alltags auch weiterhin erledigen, wenn da nicht eine gewisse Form des Drucks dahinterstünde?
Wir alle brauchen ein gewisses Maß an Druck, denn sonst würden wir versacken. Aber jeder braucht unterschiedlich viel und hier fangen die Probleme an. Wie viel Druck ist gut und ab wann wird es zu viel? Das ist schon schwer, für sich selbst herauszufinden - unmöglich, es für eine andere Person festzustellen, der wir ja nicht in den Kopf gucken können. Da MUSS Kommunikation stattfinden.
Es muss erlebbar bleiben, dass unser Handeln Konsequenzen hat - auch für den Depressien. Es hat seine Gründe, dass man es uns schon als Kind so beibringt.
Jetzt kann ich nimmer
Aber ist ja auch ein Roman...
Lerana *wink*, tolles Posting! Komme ich auch noch mal drauf zurück.
LG, Salvatore