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Re: Leben

Verfasst: 2. Jun 2009, 17:56
von horcars
Liebe Kaitain,
alles, was Du geschrieben hast, könnte in meinem - hätte ich sie geschrieben - Lebenslauf stehen.
Dein erster Text machte mich traurig, wenn auch ohne Gefühl, ich hätte gern geweint.
Ich bin nach langer Odyssee gerade dabei, mit allem bisherigen aufzuhören und versuche zu akzeptieren.
Meine Frau gehört auch zu den Sprachlosen, ich will ihr etwas erklären, ihr sagen, was in mir abläuft und sie schaut mich an, als würde ich russisch rückwärts sprechen. Inzwischen weiss ich, dass sie sich nur selbst versucht zu schützen. Fest gestellt habe ich in den letzten Tagen, dass, wenn mich wieder mal so ein depressiver Windstoß umschmeisst und ich mich nicht dagegen stemme, er besser auszuhalten ist. Wenn ich mal wieder denke, das hat doch alles keinen Sinn und den Gedanken an das Sterben zulasse, geht der Gedanke vielschneller wieder weg, als wenn ich anfange darüber nachzudenken und Angst zu entwickeln.
Das mit dem Schlafen kann was mit Depressionen zu tun haben. Ich habe Schlafprobleme,wache stündlich auf und muss damit rechnen, dass um 2.30 Uhr die Nacht vorbei ist. Auch das habe ich akzeptiert, gehe ins Bett und verschwende keinen Gedanken an mögliche Schlafprobleme. Ich schlafe zwar nicht besser, bin tagsüber viel müde und sage mir, auch das gehört halt zu meinem Leben.
Bis vor kurzem habe ich nur gekämpft, mich für alles und jeden verantwortlich gefühlt, versucht die Probleme meiner Frau mitzulösen, dafür meine eigenen Bedürfnisse verdrängt und immer und immer in meiner Vergangenheit nach den Gründen gesucht. Heute denke ich, auch wenn man es weiss, wird man nicht klüger. Unsere Probleme, ausgelöst durch unendlich viele große und kleine Trigger, passieren im hier und heute. Sich dem zu stellen und Reaktionen zu überdenken und zu korrigieren, ich glaube mehr geht einfach nicht.
Ich korrigiere in dem ich auf meine Vergangenheit schei.., nicht mehr nach Gründen suche und lerne zu akzeptieren, dass ich halt in einigen Dingen nicht so bin, wie andere.
Leben heisst nicht immer müssen, aber häufig können.
Ich wünch Dir Kraft, viel Verständnis und weniger Fragen.
Emotio

Re: Leben

Verfasst: 2. Jun 2009, 18:11
von Clown
Hey Kaitain,

wie hältst du das jetzt aus, SO VIEL Aufmerksamkeit und Zuwendung? Passt es noch zu deinem Weltbild?

Liebe Grüße,

(ein) Clown

Re: Leben

Verfasst: 2. Jun 2009, 21:43
von Grenzgängerin
Liebe Kaitan, liebe Annette ,

ich finde Annettes Angebot supernett.

Vielleicht überlegst Du Kaitan es Dir ja mal ganz unverbindlich.

Annette, ich wünsche Dir alles Gute für den Aufenthalt in Rinteln!

Liebe Grüße,

Alex

Re: Leben

Verfasst: 3. Jun 2009, 10:00
von otterchen
Liebe Kaitain,

ich lese vorrangig zwei Probleme bei Dir heraus:

- Du wünscht Dir von Deinem Mann, dass er Dich wahrnimmt

- Du spürst Deinen Mann nicht mehr, weil er Dir keinen Zugang zu sich erlaubt


Mir scheint, es handelt sich dabei um sowas wie Projektion.

- Du möchtest wahrgenommen werden - und das fängt am besten bei einem selbst an.

- Du möchtest wahrnehmen können - und auch das geht am besten, wenn man sich selbst erstmal wahrgenommen hat.


Ich war einmal in einer ähnlichen Situation, und es hat mich ziemlich kaputt gemacht. Ich suchte den Menschen hinter den Erzählungen aus dem Berufsleben.
Worauf ich wohl gewartet habe, war ein Öffnen seinerseits, damit ich wiederum mich öffnen konnte.
So funktioniert das aber leider nicht - bzw. viel zu selten.


Ich habe mich hingesetzt und aufgeschrieben, was ich mir wünsche. Und habe dann erkannt, dass soviele ungestillte Bedürfnisse in mir waren und dass ich diese selbst nicht zu befriedigen vermochte, so dass ich mit Schrecken erkannte, dass ich wieder depressiv bin, woraufhin ich direkt eine VT angefangen habe.

Welche Bedürfnisse hast Du? Kannst Du sie benennen?
Und wenn Du sie dann einmal vielleicht aufgeschrieben hast: könntest Du Dir vorstellen, dass Du anfängst, diese Bedürfnisse selbst zu befriedigen, statt dies alles von einer Person (nämlich Deinem Mann) zu suchen?

Es ist doch der Wunsch in Dir, endlich wahrgenommen zu werden - also warum nicht anfangen, sich selbst wahrzunehmen?
Du suchst Unterstützung von Deinem Mann - da es die aber von dieser Stelle nicht gibt, wäre es wohl besser, Deine Energie nicht dort zu verschwenden, sondern woanders zu suchen. Das Forum ist ein guter Anfang!
Du hast momentan einfach nicht mehr genug Kraft, um sie dort, bei Deinem Mann, zu lassen.


Ich habe vollstes Verständnis für Dich - solch eine Partnerschaft/Beziehung ist sehr schwierig, und man möchte doch jemanden an seiner Seite haben, der einen unterstützt. Wie sehr habe ich mir ebenfalls gewünscht, dass man Lebensgefährte jemals etwas über Depressionen gelesen hätte! Aber - so schwer es auch ist - das hätte ich selber machen müssen. Selber lesen, selber an mir arbeiten, selber meine inneren Gedanken formulieren, mir dadurch selber zuhören, mich selber kennenlernen (statt mich durch Gespräche mit einem Gegenüber "kennenlernen zu lassen") usw.

Könntest Du Dir vorstellen, dass Du Deine Gedanken mal von Deinem Mann abziehst und Dich statt dessen Dir selbst zuwendest? Dass Du Dir bewusst machst, was Dir fehlt, und Dich dann daran machst, Dir das selbst (ohne ihn) zu beschaffen?


Fühl Dich mal lieb von mir gedrückt.



(Au Mann, ist das schwierig... ständig habe ich den Imperativ im Kopf "mach dies, tu jenes" - das ist ja grauenvoll! - Ich bemühe mich sehr, den frühkindlich verankerten Befehlston zu unterlassen, und ich merke gerade, wie schwer das ist - zum Glück kann ich beim Schreiben meine Wortwahl besser überlegen als beim Reden.)

Re: Leben

Verfasst: 3. Jun 2009, 10:19
von DYS-
Liebe Kaitain

Wie geht es dir denn heute? Kann vieles was du schreibst aus eigener Erfahrung her gut verstehen.


Ich bin die Zweite im Bunde der Rintelner Burgtanten, von der die Annette schrieb. Ich fände es auch super, wenn du dort vorbei kämst.

Alles Gute für Dich!!!
dys

Re: Leben

Verfasst: 3. Jun 2009, 10:53
von Reve
Ach Otterchen, das hast du alles so schön beschrieben, letztendlich trifft dies doch für jeden hier im Forum zu, ob nun mit Partner oder ohne...

..."Könntest Du Dir vorstellen, dass Du Deine Gedanken mal von Deinem Mann abziehst und Dich statt dessen Dir selbst zuwendest? Dass Du Dir bewusst machst, was Dir fehlt, und Dich dann daran machst, Dir das selbst (ohne ihn) zu beschaffen?"

Schönen Gruß
Carin

Re: Leben

Verfasst: 3. Jun 2009, 11:18
von otterchen
Ja Carin,

aber man ist oft so in einer Situation gefangen, dass man sich selbst nicht von außen betrachten kann. Geht mir ja oft selbst so.

Natürlich möchte man den Partner rütteln und schütteln und ihn anbrüllen "sei endlich für mich da" und "jetzt red doch endlich mal von dir" - aber das ist wirklich Energieverschwendung.
Akzeptanz. Er ist so, wie er ist. Von dieser Seite kommt nicht das, was ich brauche. Ich kann ihn nicht ändern, so gerne ich das will und so sehr ich das brauche.

Es geht darum, die Energie aus diesem Konflikt abzuziehen und sich selber zukommen zu lassen.

Re: Leben

Verfasst: 3. Jun 2009, 11:49
von Reve
Hallo Otterchen,

das was du gerade sagst, hätte ich so mal in den vier Jahren hören wollen, wo ich mich abequält habe.

Es kamen auch von meinem Therapeuten immer nur die Ratschläge Trennung, dann der tolle Tipp sich in eine Affaire zu stürzen (von meinem Arzt), mehr auf meinen Mann zuzugehen (von meinem Vater), mir eine Sonnenbrille aufzusetzen, damit ich die beleidigte Miene nicht sehe (von meiner Tante), es mir nicht so zu Herzen zu nehmen (von meinem Sohn)...

Ich bin dann zur der Auffassung gekommen,dass ich nicht meinen Mann ändern kann, sondern nur mich, was aber schon auch sehr anstrengend ist, wenn man ja den Familienbetrieb weiterlaufen lassen will. Ich habs nicht bereut,

dir vielen Dank für deine therapeutische Wirkung, wenn sie auch etwas spät für mich kommt.

Gruß Carin

Re: Leben

Verfasst: 3. Jun 2009, 21:48
von kormoran
liebe kaitain,

dein bericht hat mich sehr berührt, ich hatte aber diese tage zu viel um die ohren, um in ruhe etwas an dich zu schreiben. zum einen möchte ich dich hiermit einfach lieb grüßen und dir mein mitgefühl vermitteln.

otterchens worte finde ich insgesamt richtig - allerdings ist mir aus der eigenen erfahrung klar, dass das sozusagen die erkenntnis am ende eines längeren weges, oder quasi das ziel einer entwicklung ist. aus deiner jetzigen situation klingt es erstmal ganz schlimm: du bist so darnieder, und jetzt sollst du dir etwas selbst geben? du bist eine partnerschaft eingegangen, hast viel investiert, und darfst dir nichts wünschen?

ich glaube, es ist sehr wichtig, das schritt für schritt zu denken: ZUERST einmal ist dein wunsch, von deinem partner verstanden zu werden, dass es eine gesprächsbasis gibt, etc., völlig legitim. wozu sonst würde man eine partnerschaft eingehen?
ZUERST einmal finde ich enorm wichtig, dass du die trauer, die verlassenheit und das gefühl, alleingelassen zu werden von dem menschen, der mit dir durch dick und dünn gehen sollte, zulässt als legitim und richtig. auch wut darüber, dass sich der partner aus der einstigen vereinbarung stillschweigend (vielleicht gedankenlos, vielleicht hilflos, im selbstschutz) entfernt hat.

DANN aber wünsche ich dir sehr, dass du den schritt schaffst, den otterchen beschreibst: die kraft von der traurigkeit über einen mangel von außen abzuziehen, von der wut auf jemand anderen, den du nicht erreichst, abzuziehen.
den schritt zu machen, dich ganz und gar dir selbst zuzuwenden, und dich deiner entwicklung hin zu einem leben von fülle statt mangel zu widmen.

dein partner hatte oder hat die wahl, sich mit der situation ernsthaft auseinanderzusetzen und dich zu begleiten, dass es ein gemeinsames arbeiten am gemeinsamen leben wird.

wenn er das nicht will, ist das enorm traurig (siehe oben - will betrauert werden), muss aber irgendwann losgelassen und zurückgelassen werden. es wird vergangenheit. in der gegenwart bist du dann frei und hast die vorhandenen ressourcen für dich.

in der praxis stelle ich mir das fast unmenschlich schwer vor. ich wünsche dir alle kraft der gedanken, großes vertrauen in dich selbst und das leben, dass du nicht in dieser depression und abhängigkeit gefangen bist, auch wenn es derzeit so aussieht.

liebe grüße
kormoranin

Re: Leben

Verfasst: 4. Jun 2009, 08:22
von Speranza

Re: Leben

Verfasst: 4. Jun 2009, 09:20
von otterchen
Liebe Kaitain,

das Posting von Kormoranin möchte ich voll unterstreichen (Kormoranin: danke dafür, dass Du das herausgestellt hast).

Deine Gefühle sind berechtigt!
Wer würde sich anders fühlen?
Das IST doch auch Sch****, wenn man sich in solch einer Situation wiederfindet!

Und all das muss auch erst einmal sortiert und aufgefangen werden: die Trauer, die Enttäuschung, die Wut, die Hoffnungslosigkeit, die Hilflosigkeit, das Verlassensein, das Gefühl, nichts wert zu sein usw.

Re: Leben

Verfasst: 4. Jun 2009, 10:16
von xam
Hallo

ich schreibe hier als Angehöriger und es gehört vielleicht auch nicht hierher.

Ich kann alles nachvollziehen was hier geschrieben wurde.

Aber ich möchte eines dazu sagen:
Kann man verstehen, daß sich der Partner oft genauso alleine, hilflos, verlassen fühlt?

Ich fühle mich momentan genau wie Kormoranin hier so treffend schreibt:
>>ich glaube, es ist sehr wichtig, das schritt für schritt zu denken: ZUERST einmal ist dein wunsch, von deinem partner verstanden zu werden, dass es eine gesprächsbasis gibt, etc., völlig legitim. wozu sonst würde man eine partnerschaft eingehen?<<
>>ZUERST einmal finde ich enorm wichtig, dass du die trauer, die verlassenheit und das gefühl, alleingelassen zu werden von dem menschen, der mit dir durch dick und dünn gehen sollte, zulässt als legitim und richtig. auch wut darüber, dass sich der partner aus der einstigen vereinbarung stillschweigend (vielleicht gedankenlos, vielleicht hilflos, im selbstschutz) entfernt hat.<<

Doch es herrscht oft nur Sprachlosigkeit...
Dies soll kein Vorwurf sein!!! Ich sehe es nur "von der anderen Seite".

Sorry wenn ich hier am Thema vorbei sein sollte!
Gruß Xam

Re: Leben

Verfasst: 4. Jun 2009, 15:09
von imagine
Lieber Xam,
warum sollte es nicht hierher gehören?
Es ist normal und auch gerechtfertigt, dass sich ein Angehöriger genauso hilflos fühlt und das dann zur Sprachlosigkeit führt.
In einer Depression ist es auch schwierig bis unmöglich zu reden, das verstehe ich.
Lass es mich mal an einem Beispiel erklären, auch wenn es hinken mag.
Ich leide auch noch unter heftigen und sehr häufigen Migräneattacken, was meinen Mann immer zu der Bemerkung veranlasst "immer, wenn wir was vorhaben, hast du Migräne, das muss die Ursache sein, der Stress, oder was auch immer..."
Mir macht das enorme Schuldgefühle, obwohl ich weiß, dass es nicht stimmt.
Tatsache ist, dass er meine Schmerzen dann besonders wahrnimmt.
Das ist generell das Problem, der nicht "sehbaren" Krankheiten, ein anderer kann sie nur schwer nachvollziehen und so kommt es oft zu den üblichen Kommentaren, die wir alle kennen...
Meine "schönste" Krankheit war mal ein gebrochener Mittelhandkochen, der mit einem Gips behandelt wurde.
Endlich sah mal mal was und ich geriet nicht in Erklärungsnot.
Letztlich ist jeder seines Glückes Schmied und auch wenn es hart klingt, auch ein Angehöriger hat das Recht sich zu trennen, wenn er es nicht mehr aushält, Tatsache ist dann eben, dass er seine Schuldgefühle (ich weiß nicht, ob die unbedingt erforderlich sind, denke aber nicht) dann auch aushalten muss
Liebe Grüße
imagine

Re: Leben

Verfasst: 5. Jun 2009, 09:21
von xam
Hallo Imagine

ich verstehe gut was du mir sagen willst.
Ich weiß, daß das Schweigen in der Depression "normal" ist.

Aber wie sehr man sich darüber informiert hat - es ist immer wieder schwer damit umzugehen, es zu verstehen und zu ertragen.
Bei "sichtbaren" Erkrankungen ist ja auch oft ein Ende abzusehen.

Trennung - mit oder ohne Schuldgefühl - die letzte aller Möglichkeiten....

Gruß Xam

Re: Leben

Verfasst: 8. Jun 2009, 20:28
von kaitain

Re: Leben

Verfasst: 8. Jun 2009, 21:07
von Grenzgängerin
Liebe Kaitan,

wow, das finde ich echt mutig, dass Du sogar in Rinteln angerufen hast.

Ich kann gut verstehen, dass es schwierig ist, an diesem Faden dran zu bleiben, das würde vermutlich Kraft kosten, die Du momentan nicht übrig hast.
Dennoch finde ich es toll, wie viele Zuhörer und Zusprecher Du hier gefunden hast .

Ich wünsche Dir alles Gute für den weiteren Weg!

Vielleicht führt er ja tatsächlich nach Rinteln.

Ganz liebe Grüße,

Alex

Re: Leben

Verfasst: 8. Jun 2009, 23:10
von DYS-
Liebe Kaitain

Schön dich wieder zu lesen! Du hast Post!

Gute Nacht

dys