Schlechtes Gefühl wegen zu viel Rücksichtnahme

[MichaelB87]

Hallo in die Runde,

heute möchte ich mich mal mit einem richtigen Luxusproblem melden.
Aktuell durchlebe ich mal wieder eine schwere depressive Episode und dieses mal habe ich auch den Arbeitgeber mit einbezogen.

Ich bekomme von meinem Vorgesetzten und vom Kunden nun alle erdenkliche Unterstützung und Rücksichtnahme, die ich mir nur wünschen könnte.
Meine Stunden und Arbeitsumfänge sind drastisch reduziert, ich kann jederzeit zu Ärzten und ähnlichem und alle stressigen Besprechungen wurden durch einen Austausch in kleiner Runde ersetzt.

Eigentlich sollte ich mich unendlich freuen und dankbar sein, aber stattdessen zieht mich das irgendwie runter.
Heute wurde zum Beispiel darüber gesprochen woran ich in der letzten Woche gearbeitet und was ich geschafft habe. Dafür wurde ich dann großzügig gelobt, aber ich weiß und auch mein Kunde weiß, dass das was ich gemacht habe, bestenfalls die Arbeit von einem Tag ist.
Ich fühl mich wie ein Bergsteiger, der gelobt wird, weil er unfallfrei eine Treppe benutzen kann.

Mir ist klar, dass ich in der aktuellen Situation zu viel von mir erwarte, aber trotzdem ist es frustrierend, wie wenig ich zur Zeit leisten kann. Dieses Gefühl kann ich nicht mit dem Lob von außen in Einklang bringen und dieser Widerspruch zieht mich richtig runter.

Manchmal wünsche ich mir insgeheim ich würde irgendwo anecken und auf Widerstand stoßen nur um jemand anderem als mir die Schuld für mein Versagen geben zu können.
Aber natürlich weiß ich auch, dass ich großes Glück habe und von allen zu beneiden bin, die mit ihrem Arbeitgeber echte Probleme haben.

Liebe Grüße,
Michael

[Maxegon]

Hallo Michael,

nimmt niemand Rücksicht, ist man angepieselt, nehmen deine Mitmenschen "zu viel" Rücksicht, fühlt man sich nicht erst genommen?

Wie soll sich dein Umfeld denn verhalten?
Woher sollen sie wissen, was du, gerade jetzt, erwartest???

Normale Umgangsformen ... Lob, Tadel, Ansprüche, auch offene Kritik, darauf soll verzichtet werden - vor allem auf kritische Äußerungen.

Wie macht man's richtig, ein bisschen in Watte packen? Völlig wattieren?

Du fühltst dich, wie ein Bergsteiger, der für's Treppensteigen gelobt wird ... welches Maß sollen deine Kollegen anlegen?

Viele Grüße

[MichaelB87]

Hallo Maxegon,

nimmt niemand Rücksicht, ist man angepieselt, nehmen deine Mitmenschen "zu viel" Rücksicht, fühlt man sich nicht erst genommen?

Wie soll sich dein Umfeld denn verhalten?
Woher sollen sie wissen, was du, gerade jetzt, erwartest???

niemand hat behauptet, dass der Umgang mit depressiven Menschen einfach ist.

Natürlich weiß ich, wie blödsinnig das alles ist, deshalb lass ich meinen Frust ja auch hier im geschützten Raum raus statt meinem Vorgesetzten zu sagen, dass es so wie es ist nicht gut ist, aber ich auch nicht weiß wie ich es haben will.

Liebe Grüße,
Michael

[Maxegon]

Niemand hat behauptet ... ich auch nicht!

Doch versetze dich mal in die Lage der Kollegen.

Wenn du weißt, ich bin gerade depressiv - wie verhältst du dich dann mir gegenüber?
Woher sollst du wissen ... benötige ich gerade Lob für's "Treppensteigen" oder eine sanfte Aufforderung?
Will ich gerade ignoriert werden oder benötige ich einen Tritt in den Popo.

Alles nicht so einfach!

[Senif]

Hallo Michael,

ich kann das Gefühl sehr gut verstehen. Mein Gedanke, man bekommt Lob, was man nicht verdient hat für eine Lappalie.

Darüber mit den Kollegen sprechen würde ich vorerst nicht. Sondern mehr bei meinen Bewertungen schauen. Für einen Depressiven sind das nämlich keine Lappalien, sondern es ist alles viel schwerer als für Gesunde Menschen. Insofern kannst du dir für 1 Tag Arbeit auch mal auf die Schulter klopfen.

Wie würdest du mit einem Kollegen umgehen, der depressiv ist und wegen der Krankheit weniger leisten kann ?

Als ich bei mir wohlwollender geworden bin, und mich nicht mehr nieder gemacht habe, wurde alles nach und nach ein bisschen leichter. Ich akzeptierte, dass ich nun mal für Dinge länger brauche, oder auch weniger weiß, weil meine Merkfähigkeit schlechter ist etc .... aber das ist ok so. Im Grunde geht es darum, wie du mit dir selbst umgehst. Mir hat Externalisieren ein wenig geholfen, in dem ich als 3. Person auf die Situation geblickt hab.Ich wäre nie mit meinen Freunden so umgegangen (oder mit Kollegen) wie ich mit mir selbst umgegangen bin.

Und ich muss auch nicht mehr 150% geben, es ist auch ok, wenn man Reserven übrig lässt. Deshalb bin ich nicht schlechter als andere.

LG Senif

[Mountainbiker]

Hallo, ich kann das auch gut nachvollziehen. Auch die etwas provokante Fragestellung von Maxegon. Ich habe zur Zeit das Problem, dass ich demnächst ausziehe, weil meine Frau das so will. Nun habe ich ständig ein schlechtes Gefühl ihr gegenüber. Zwar wird der Umzug ein Kraftakt, aber mittlerweile freue ich mich darauf, endlich hier raus zu sein. Jeden Morgen habe ich mit Übelkeit zu kämpfen, die von der Aufregung kommt, nach dem Aufstehen meiner Frau über den Weg zu laufen. Da stehe ich auch total unter Strom und es kostet unendlich Kraft.
Zum großen Glück habe ich einen ganz lieben Menschen, der mich versteht und auf mich aufpasst. Dieser Mensch ist mein Engel und gibt mir die Kraft, das alles zu schaffen.
Ich wünsche dir die Kraft, da wieder raus zu kommen und wieder ein Leben zu führen, dass erträglich ist. Ich weiß genau wie schwer das für uns alle hier ist. Deshalb wünsche ich allen anderen das natürlich auch.

LG

[Maxegon]

ich kann das auch gut nachvollziehen. Auch die etwas provokante Fragestellung ...

Nun habe ich ständig ein schlechtes Gefühl ...

Das kennt wohl jeder, dieses Gefühl, man fühlt sich zu schnell angegriffen, provoziert.
Selbst bei Lob wird das unterstellt.

Versucht das Gegenüber, Partner, Kollege etc. , sich neutral zu verhalten, provoziert selbst das.

Warum ist man nicht mehr so gelassen, wie früher?
Früher, hat man sich nicht alles so zu Herzen genommen, früher hat man nicht alles auf sich bezogen.

Wo ist sie hin, die Toleranz? Unsere Leichtigkeit, die Unbeschwertheit, unser Selbstbewusstsein?

Warum nimmt man alles so extrem persönlich, sogar als "Provokation", obwohl es gar nicht so gemeint ist.

Verliert man mit dieser, seiner Einstellung, dem Gefühl, seine Objektivität? ... und wird langsam zum Permanent-Griesgram, überall nur das Schlechte sehend?

Na, ganz so schlimm wird's ja nicht werden.

Wie kommt man da wieder 'raus, bzw. erst gar nicht hinein, in so eine Denkspirale?

[Suchende2]

Hallo Michael,

Passt folgende Zusammenfassung?
Du bist dankbar, daß auf Deine momentane Leistungsfähigkeit Rücksicht genommen wird.
Du möchtest nicht für Deine momentane Leistung übertrieben gelobt werden.

Das ist eine schwierige Situation. Dein Gegenüber versucht Dich nach besten Kräften zu unterstützen.
Ich wünsche Dir, daß Du eine Gesprächssituation schaffen kannst, in der Du Deine Dankbarkeit für die Rücksicht mitteilen kannst, aber auch, was Du brauchst (etwas mehr Normalität).

Alles Gute,
Suchende