Kritikunfähigkeit

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Somi
Beiträge: 3
Registriert: 31. Mai 2023, 18:22

Kritikunfähigkeit

Beitrag von Somi »

Hallo,

manchmal glaube ich, dass ich eine Gebrauchsanweisung für meinen Freund brauche... Vielleicht kann mir hier jemand weiterhelfen.

Zur Vorgeschichte: wir sind seit drei Jahren zusammen, haben ein Kind, 6 Monate. Der Kleine war ungeplant.
Mein Freund ist seit mindestens 20 Jahren depressiv, war mehrfach stationär, nimmt ein Antidepressivum. Der letzte stationäre Aufenthalt ist ca 15 Jahre her, Therapie ist seitdem nicht mehr gelaufen. Er sagt, dass ihm das nichts bringt. Da er selbst Arzt ist, besorgt er sich die Tabletten selbst. Einen Facharzt hat er seit Jahren nicht mehr gesehen.
Er hat keine Freunde. Die einzigen Bezugspersonen bin ich und seine Eltern. Über Probleme spricht er mit uns kaum bis gar nicht. In meinem Freundeskreis ist er beliebt, aber er blockt jeglichen sozialen Kontakt ab.
Soviel zur Vorgeschichte.

Mein persönlicher Eindruck: er "funktioniert" im Alltag gut, geht zu Arbeit, macht Mal mehr, mal weniger Sport (Rennrad, früher Leistungssportler). Er blockt alle Gespräche über den Tagesverlauf ab. "Wie war dein Tag?" Wird sehr einsilbig beantwortet. Wenn Mal richtig was vorgefallen ist, erfahre ich das vielleicht Tage später, wenn er das mit sich selbst ausgemacht hat. Nur in seltenen Fällen kotzt er sich direkt bei mir aus. Ich glaube, dass deswegen Therapie auch nicht funktioniert: er weigert sich, sich zu öffnen.

Der letzte Urlaub im Juni war schön. Er war aktiv, wir haben viel gemacht.
Jetzt ist wieder Urlaub und alles ist Mist. Eigentlich schon seit Wochen. Da ist sein neues Rennrad kaputt gegangen. Den ganzen Tag musste ich seine schlechte Laune ertragen ohne dass er mir von dem schaden erzählt hatte. Davon erfuhr ich erst abends. Und seitdem ist der Wurm drin. Er jammert Rum, dass er wegen der Arbeit seinen Sohn kaum sieht.
Jetzt ist Urlaub und er kümmert sich trotzdem kaum. Die ersten Tage hat er nur im Bett verbracht. Jetzt ist er zwar aktiver, hockt aber viel vorm TV.
Ich muss ihn ständig bitten, damit er was mit dem kleinen macht. "Kannst du bitte wickeln/anziehen/füttern?" Von alleine tut er nix. (Ich weiß nicht, ob das die Depression oder charakterschwäche ist). Und als Antwort bekomme ich ne Ausrede, er müsse gerade zur Toilette, er will noch eben Nachrichten gucken, was auch immer.
Das hab ich heute angesprochen und er hat direkt verbal um sich geschlagen. Er macht ja eh alles falsch, ich würde ständig rumzicken, er will die Trennung (will er immer, wenn es nicht perfekt läuft). Hat sich das schlafende Kind geschnappt und liegt jetzt im Bett.

Natürlich klappt nicht alles auf Anhieb, wenn er was mit dem Kind macht. Er fragt nie um Hilfe, sondern legt dann das schreiende Kind entnervt weg. Das geht echt gar nicht! Ich versuche dann Tipps zu geben, damit es besser klappt. Da ich die Elternzeit habe, kenne ich unser Kind natürlich besser. Aber er fühlt sich mit allem angegriffen.

Wie kann ich unsere Kommunikation verbessern? Wie kann ich helfen? Auf Dauer wird unsere Beziehung den Bach herunter gehen. Und unser Kind ist der Leidtragende.
Schweiger
Beiträge: 55
Registriert: 20. Jul 2023, 11:39

Re: Kritikunfähigkeit

Beitrag von Schweiger »

Hi Somi,

danke für Deine Schilderung.
Von Tipps geben bin ich meilenweit entfernt oder von der Idee hier
viel Erfahrungswissen beisteuern zu können.
Aber vielleicht hilft bissl Empathie.
Das ist mit kleinem Kind und einem nicht kommunizierenden Partner sehr schwer :-(.
Dass Du den Punkt erreicht hast, hier zu schreiben, zeigt, dass Du in Deinem Umfeld
zu wenig Unterstützung hast und natürlich, dass die Kommunikation in Eurer Partnerschaft
zu schlecht läuft.
Klar, man muss nicht ständig Beziehungsklärung machen oder Grundsätzlichkeiten der Elternschaft
diskutieren. Aber hier bist Du zu alleine.
Du machst Dir ja auch Sorgen um ihn ! Und Du fühlst Dich alleingelassen.
Wenn Du ihn nochmal auf etwas dramatischere Weise ansprichst, dass Du Dir Sorgen machst um ihn,
um die Beziehung, um Euer Kind ?
Kannst Du seine Eltern einbeziehen ?
o_Tara_o
Beiträge: 7
Registriert: 5. Aug 2023, 08:19

Re: Kritikunfähigkeit

Beitrag von o_Tara_o »

Liebe Somi,
mir kommen einige deine Zeilen fast vor, als wären sie von mir.
Vielleicht ist euer Kind in "seiner Unschuld" und bedingungslosen Liebe das einzige Wesen, dem er sich ein wenig öffnen könnte? Gleichzeitig ist es aber auch nicht zuverlässig "nur toll". Wenn das nicht funktioniert, frustriert ihn das.

Meine Erfahrung mit der Depression meines Partners ist, dass die ganz dunkle Phase vorbei geht. Und sie geht schneller vorbei, wenn ich einfach da bin, ihm signalisiere, dass ich das so akzeptiere wie es ist (auch wenn ich es nicht verstehen kann und mir das echt schwerfällt). Ich habe kapiert, dass er da gerade nicht raus kann und jegliche Appelle und Interventionsversuche treiben ihn nur tiefer rein. Bei uns ist es der unbedarfte Hund, der meinen Partner ein wenig weicher und zugänglicher macht.

Vielleicht wäre ein Versuch, dass du ihn nicht bittest, was mit dem Kleinen zu machen. Sondern du lässt deinen Partner und DU planst was mit dem Kleinen. Zum Beispiel einen Spaziergang. Und du fragst deinen Partner, ob er Lust hat, mitzukommen. Sollte halt freudig, natürlich und nicht "demonstrativ" sein, ihn womöglich ausschliessen. Ein Kind muss ja mal was anderes sehen, vielleicht in einem Sandkasten auf dem Spielplatz spielen oder so. Das ist eine Notwendigkeit für euer Kind, die allen Spass machen kann. Anziehen, füttern, wickeln sind "Pflichten". Und, ja, umso wichtiger sind diese Dinge und umso mehr bist du damit im Moment alleingelassen.

Was könntet ihr denn zu dritt machen? Würde sich euer Kleiner amüsieren, wenn du und dein Partner einen Ball zwischen euch hin- und her rollt? Etwas Spielerisches, Freudiges, was deinen Partner einbezieht. Vielleicht kommt er so schneller aus seinem Tief raus. Vielleicht merkt er auch nach dem Spiel, dass die Windel voll, oder die Hose voller Sand ist und kommt von alleine auf die Idee, sich zu beteiligen. Und das Schwierigste: Wenn er nicht mitkommen will, keine Vorwürfe, trotzdem ohne ihn losziehen, vielleicht ein paar lustige Bilder machen und liebevoll und freudig von einem schönen Erlebnis erzählen und das nächste Mal wieder fragen, ob er mitkommen mag.

So waren meine Ansätze mit meinem Partner und sie funktionieren oft - nicht immer. Ich betrachte das nicht als Lösung und es kostet mich extrem viel Kraft.

Ich wünsche dir gute Nerven, sonnige Grüße, Tara
Somi
Beiträge: 3
Registriert: 31. Mai 2023, 18:22

Re: Kritikunfähigkeit

Beitrag von Somi »

Vielen Dank für eure Antworten und entschuldigt die späte Antwort. Mit Baby ist das manchmal schwierig und mein Freund soll ja auch nichts von diesem Beitrag mitbekommen. ..

Ja, ich fühle mich schrecklich allein mit allem. Mit meinen Freunden kann/darf ich nicht darüber reden, da er nicht möchte, dass jemand von seiner Depression erfährt. Also habe ich in erster Linie seine Eltern als Ansprechpartner. Aber die möchte ich auch nicht zu sehr mit unseren problemen behelligen. Immerhin ist das ihr sohn und da fehlt die Objektivität.

Ihn miteinbeziehen ist so eine Sache... Er war jetzt ein paar Tage mit seinem Bruder verreist, da hatte er wohl auch Spaß. Aber seit seiner Rückkehr nur Desinteresse. Spielt schon den ganzen Tag Playstation. Egal was ich Vorschlag, wird miit "kein Bock" oder "mach doch" kommentiert.
Er hat sich eine Stunde um unser Kind "gekümmert", als ich Sport gemacht habe. Der kleine lag neben ihm vorm TV.
Mich kotzt dieses Verhalten total an. Familienleben findet null statt. Wenn ich ihm das sage, mauert er. "Ist halt so." Kommt als Antwort.

Ich weiß einfach nicht, ob sich das noch mit der Erkrankung entschuldigen lässt.
wirschaffendas
Beiträge: 17
Registriert: 3. Sep 2023, 00:13

Re: Kritikunfähigkeit

Beitrag von wirschaffendas »

Liebe Somi,
ich bin ziemlich neu in diesem Forum, und bei mir geht es um meinen ältesten Sohn...Aber was Du schreibst, erinnert mich sehr an die Situation mit meinem damaligen Mann kurz nach der Geburt unseres zweiten Kindes, als wir wirklich viel zu klären hatten, auch große finanzielle Schwierigkeiten. Er war damit total überfordert und hat sich ins Bett gelegt.
Mich hat das damals echt wütend gemacht, und ich weiß noch, dass ich dachte, ich will kein drittes Kind, ich will einen Mann, der sich der Situation stellt.
Ein bißchen höre ich diese Einstellung auch bei Dir raus.....? Also den Gedanken, dass sich der Vater Deines Kindes nicht mit Hinweis auf eine Erkrankung aus der Verantwortung ziehen kann....? Aber natürlich musst und kannst nur Du das tatsächlich beurteilen.
Mein Rat wäre jedenfalls, auf Dein Herz zu hören, diese innere Stimme, die meistens ziemlich gut weiß, was richtig ist für einen selbst.
Alles Liebe für Dich und Deine(n) Kleine(n)!
Traveltheworld
Beiträge: 5
Registriert: 18. Sep 2023, 13:29

Re: Kritikunfähigkeit

Beitrag von Traveltheworld »

Liebe Somi,

mein Partner ist auch depressiv und unsere gemeinsame Tochter mittlerweile 16 Monate. Bei uns sind gemeinsames frühstücken am Wochenende auch eine absolute Seltenheit und mal fällt es mir leichter damit umzugehen und manchmal schwerer. In Phasen in denen ich mit mir im Reinen bin habe ich es z.B. so gemacht, dass ich einfach aufgestanden bin und unsere Tochter bei ihm im Bett gelassen habe. Sie war da schon etwas mobiler und konnte krabbeln. Natürlich hat sie ihren Papa dann geweckt und ist auf ihm rumgetobt und oft dann auch freiwillig aufgestanden. Währenddessen habe ich dann mal in Ruhe einen Kaffee getrunken. Vielleicht helfen ja auch solche Momente. Ich wünsche dir auf jedenfall viel Kraft, da ich auch merke, seit unsere Tochter da ist, fällt es mir auch oft schwerer mit seiner Erkrankung umzugehen.

LG Franzi
Somi
Beiträge: 3
Registriert: 31. Mai 2023, 18:22

Re: Kritikunfähigkeit

Beitrag von Somi »

Hallo @wirschaffendas
Hallo Franzi.

Mit fällt der Umgang mit ihm und seiner Erkrankung zunehmend schwerer.
Wir hatten letzte Woche ein paar richtig schöne Familien- und Paarmomente. Aber die sind mittlerweile Seltenheit. Seit Mittwoch liegt er nur noch im Bett obwohl er seinen langersehnten Urlaub hat. Wenn er wach ist, werde ich angeranzt. Ich bin der Störfaktor, habe keine Ahnung warum. Auf Nachfrage bekomme ich keine Antworten oder so ein dämliches "denk mal nach".
Ich glaube, dass er keinen Grund hat und mich als Prellbock missbraucht.
In so einer Phase traue ich mich nicht, den kleinen mit ihm allein zu lassen... klingt hart, ich weiß. Aber ich hätte zu sehr Angst, dass der kleine aus dem Bett fällt o.ä. weil der papa sich nicht kümmern kann.
Nico Niedermeier
Moderator
Beiträge: 2837
Registriert: 21. Mär 2003, 11:10

Re: Kritikunfähigkeit

Beitrag von Nico Niedermeier »

Hallo Sirius99,
haben jetzt den zweiten Beitrag von Ihnen gelöscht..
Das wird schwierig hier, denn es ist ein Diskussionsforum und so werden Sie nicht in Austausch mit anderen kommen können..
Mit besten Grüßen
Die Moderation
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