Vorstellung / Wie mache ich weiter?

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Felix_90
Beiträge: 9
Registriert: 23. Aug 2023, 09:48

Vorstellung / Wie mache ich weiter?

Beitrag von Felix_90 »

Hallo zusammen,

ich habe mich heute hier angemeldet, um mich mit gleichgesinnten austauschen zu können. Ich bin jetzt schon dankbar dieses Forum gefunden zu haben und habe auch schon einige Threads gelesen. Ich möchte dennoch meine individuelle Geschichte erzählen und hoffe ein neuen Ansatz zu finden.

Angefangen mit meiner Scheidung vor ca. 2,5 Jahren begann ich eine Psychotherapie. Die Trennung (welche allerdings von meiner Seite ausging) hat mich sehr aus der Bahn geworfen und ich hatte diverse Begleitsymptome, wie z.B. Zwangsgedanken.
In der Therapie sind das viele Probleme aus der Kindheit hervorgekommen (im wesentlichen fehlende Liebe und Zuneigung der Eltern), welche bestimmte Glaubenssätze in mir geprägt haben.
Jedenfalls habe ich relativ schnell eine neue Freundin gefunden (vor ca. 2 Jahren; also 5 Monate nach der Trennung meiner Ex-Frau).
Das hat mir guten Auftrieb gegeben und ich bin die letzten 2 Jahre dann so durch Lebens gegangen (nicht traurig aber auch nicht glücklich)
Nun hat sich meine Freundin vor ca. 4 Monaten von mir getrennt. Die Symptome in den ersten Wochen waren heftig. Ich hatte Panikattacken, Angstzustände und Zwangsgedanken.

Diese starken Symptome konnte ich mit der Zeit beheben. Es ist inzwischen aber so, dass ich stark antriebslos bin, ich Trauer meiner Ex extrem hinterher und es wird keineswegs besser. Nun sagen viele, dass 4 Monate noch nicht viel Zeit sind um das zu verarbeiten, aber normal ist dass was ich grade fühle sicher nicht. Es fällt mir schwer aus dem Bett zu kommen und mich überhaupt zu irgendwas zu motivieren. Auf der Arbeit kann ich mich kaum noch konzentrieren und bin antriebslos.
Ein Psychotherapeut hat mir vor 2 Wochen Opipram verschrieben, was zumindest mal für etwas besseren Schlaf sorgte (zuvor war ich immer ab 3 Uhr wach). Stimmungsaufhellend ist das allerdings nicht. Meine Psychologin, bei der ich immernoch bin, sagt mir nur „ich müsse da durch“. Ich hab aber nicht das Gefühl dass die Zeit alleine mir hilft. Ich weiß nicht ob ich jetzt nochmal einen anderen Arzt aufsuchen sollte um vielleicht etwas stärkeres/anderes zu verschreiben. Ich weiß auch, dass ihr keine Ärzte seid und mir diesbezüglich keinen Rat geben könnt. Aber ich weiß einfach nicht wie ich jetzt weiter machen soll.

Was ich bereits tue, sind viele verschiedene Dinge:
- Yoga, Meditation und Achtsamkeitstraining
- Ablenkung suchen
- Tagebuch und Dankbarkeit
- Viele Hörbücher über Depressionen, Selbstliebe usw.

Oft habe ich auch diese innere Unruhe in mir und hab das Gefühl irgendwas machen zu müssen. Meist stehe ich dann auf, gehe ein paar Schritte. Dann grübel ich aber nur ständig.
Ich habe weiterhin den Gedanken, dass nur eine neue Freundin diese Leere in mir füllen kann (und ja, ich finde das auch nicht toll).

Naja, danke fürs lesen und für alle, die mir hier antworten.
Schlaubi Schlumpf
Beiträge: 13
Registriert: 2. Mai 2023, 22:41

Re: Vorstellung / Wie mache ich weiter?

Beitrag von Schlaubi Schlumpf »

Hi Felix,

ich könnte mir vorstellen, dass du die Trennung/Scheidung von deiner Frau damals noch gar nicht ganz verarbeitet hattest als du schon mit deiner neuen Freundin zusammen gekommen bist. Das ist natürlich immer eine individuelle Sache und jede(r) geht damit anders um, aber für mich persönlich hören sich 5 Monate nicht sehr lang an, um sich wieder in eine neue Beziehung „zu stürzen“.

Den Gedanken, dass nur eine neue Freundin die Leere füllen kann, bezeichne ich mal vorsichtig als „schwierig. Mal ganz abgesehen davon, dass es der neuen Frau gegenüber nicht fair wäre, glaube ich nicht, dass es dir tiefgründig helfen würde. Oberflächlich geht es dir dann vielleicht erstmal besser, aber an dem eigentlichen Problem tut sich nichts.

Dass eine Trennung schmerzhaft ist, ist ja völlig normal und auch, dass es mal länger als ein paar Monate dauern kann. Diese Unruhe, die du beschreibst, ist denke ich üblich bei einer Depression. Was mir immer geholfen hat, war Zeit mit Freunden zu verbringen, sich ablenken, nicht alleine zuhause rumsitzen, damit man gar nicht erst ins Grübeln gerät. Deine Ansätze, an der Depression zu arbeiten, sind schonmal gut und das kannst du ja auch weitermachen.

Was immer zum Problem wird: sein eigenes Glück / die Zufriedenheit von einer anderen Person (Partner/in) abhängig zu machen. Das reißt einen noch mehr den Boden unter den Füßen weg, wenn die Beziehung zu ende geht. Ich weiß, dass es super schwer und leicht gesagt ist, aber manchmal ist es besser, erst eine neue Beziehung einzugehen, wenn man auch alleine einigermaßen zufrieden sein kann.

Viele Grüße
Schlaubi
Du musst dir schon selber Konfetti in dein Leben pusten.
MissMikse
Beiträge: 466
Registriert: 14. Mär 2023, 20:07

Re: Vorstellung / Wie mache ich weiter?

Beitrag von MissMikse »

Hi Felix,

willkommen im Forum!

Ich schließe mich Schlaubi Schlumpf mehr oder weniger an.

Sich von einer Beziehung in die nächste zu stürzen ist auch nur eine Form von Ablenkung in deinem Leben. Auf Dauer glücklich macht es dich nicht. Denn deine Probleme lösen sich dadurch nicht in Luft auf. Und jemand anderer kann diese Probleme auch nicht für dich auflösen. Schlussendlich wird es dann vermutlich immer wieder so sein, dass die Beziehungen in die Brüche gehen und du wieder total abstürzt.

Viele Menschen suchen in Beziehungen Halt, sie wollen jemanden, an dem sie sich festhalten können bzw. der sie festhält. Ich war auch jahrelang von dem Gedanken besessen: "wenn ich nur endlich einen Partner hätte, DANN wäre ich glücklich und alles wäre gut". Das ist so ein Blödsinn... *entschuldige* Ich hab vor kurzem gelesen: "Das schwierigste im Leben ist, dass wir lernen müssen, uns selbst zu halten." Das von einem Partner / einer Partnerin zu erwarten (egal ob offen oder im Geheimen) ist unfair, für den anderen viel zu viel Verantwortung - und du gibst dem anderen Menschen damit auch viel zu viel Macht über dich und dein Leben. Kein Wunder, dass es dir den Boden unter den Füßen weg reißt, sobald es zur Trennung kommt. Denn du fühlst dich dann hilflos, weil der andere ja alle Macht hat und du nichts tun kannst. Und wenn wir uns hilflos fühlen, folgt ganz schnell die Verzweiflung, die Angst, die Depression...

Die Sache mit den Zwängen kenne ich auch nur zu gut. Ich hab z.B. einen Kontrollzwang. Und immer, wenn es mir seelisch schlecht geht, ist der Zwang umso stärker. Klar! Wenn ich das Gefühl hab, was anderes entzieht sich meiner Kontrolle, dann nutze ich die Zwangshandlungen (bei Dingen, die ich kontrollieren kann), um mich besser zu fühlen und das Gefühl zu haben, ich hab was "unter Kontrolle" und alles ist gut. Aber wir haben nicht immer alles zu 100% unter Kontrolle.

Versuch erst mal zur Ruhe zu kommen, zur Not mit einer AU auf der Arbeit. Kümmere dich um deine Probleme der Vergangenheit und der Gegenwart, lös die blöden Glaubenssätze auf die nicht hilfreich sind, liebe dich selbst wenn du als Kind nicht genug geliebt wurdest (kenn ich auch alles) - beginne eine liebevolle Beziehung mit dir selbst! Denn das ist die einzige Beziehung, die dich wirklich bis zu deinem letzten Atemzug begleiten wird.

Um mit deiner Kindheit ins Reine zu kommen, kann ich dir die Arbeit mit dem inneren Kind sehr empfehlen. Da gibt es viele tolle Bücher dazu. Vielleicht gibt es bei dir in der Nähe auch einen Therapeuten, der sich damit auskennt.

Liebe Grüße
Jona2002
Beiträge: 10
Registriert: 7. Apr 2023, 20:44

Re: Vorstellung / Wie mache ich weiter?

Beitrag von Jona2002 »

He Felix,

schön, dass du den Weg ins Forum gefunden hast. Die Gründe sind natürlich nicht schön.
Da Schlaubi ja schon so ziemlich das wiedergegeben hat was ich auch denke, wollte ich zu dem Rest nochmal nen bisschen was schreiben (aufgrund meines noch jungen Alters kenne ich mich mit Patnern und Trennungen auch nicht wirklich aus).
Ich glaube wir können festhalten, dass du wahrscheinlich einen depressiven Schub, aufgrund der Veränderung der Situation hast. Würde dann Anpassungsstörung heißen (ich bin kein Therapeut und ich kenne deine Situation nicht ausreichend, aber ich würde das einfach mal so in den Raum werfen).
Opipramol ist ja auch eher ein atypisches Antidepressivum, was nur leicht stimmungsaufhellend wirkt. Ich habe das damals auch größtenteils für meinen Schlaf genommen, weil alles andere verändert sich nicht wirklich.
Wenn deine Psychologin sagt, dass du da durch musst, dann würde ich ihr da schon Recht geben. Es gibt allerdings ein ganz großes ABER: Kein Therapeut der Welt kann uns spontanheilen, aber dein Therapeut sollte dir durch die schwierige Phase helfen. Dir nützliche Tipps geben und dich wenigstens versuchen zu verstehen. Deine Psychologin sollte dich also sinnvoll begleiten. Ist das nicht gegeben, dann würde ich mir eine neue suchen, aber ich selbst kenne die Situation nur zu gut, deswegen weiß ich nicht ob du so schnell einen Ersatz findest.

Die ganze Palette an Symptomen kenne ich auch nur zu gut. Dieser nervige Mix aus Unruhe und Antriebslosigkeit, der einfach dafür sorgt, dass du dich kaum bewegen kannst, aber trotzdem irgendwie Hummeln im Hintern hast.
Es ist natürlich sehr individuell was da hilft. Mir persönlich hilft es meinen Alltag etwas an meine verminderte Leistungsfähigkeit anzupassen und viele Dinge zu machen, die mir Spaß machen. Nach einem Arbeitstag einfach mal nix mehr machen, das essen worauf ich Lust habe. Einen guten Film schauen - je nachdem was halt noch so geht (heute geht nicht viel, deswegen lerne ich nicht für mein Studium, sondern sitze einfach so ein bisschen am Schreibtisch, damit ich nicht die ganze Zeit im Bett liege).

Ich wünsche dir viel Kraft und bald ein Lichtblick am Ende des Tunnels!

Gruß
Jona
Wenn jemand quatschen will gerne auf Telegramm anschreiben: Jonapxp
Maxegon
Beiträge: 2528
Registriert: 25. Mai 2021, 11:33

Re: Vorstellung / Wie mache ich weiter?

Beitrag von Maxegon »

Hallo Felix,

bist du traurig, niedergeschlagen, weil deine letzten zwei Beziehungen in die Brüche gegangen sind?
Zweifelst du an dir?
Wenn ja, warum?

Viele Grüße
Felix_90
Beiträge: 9
Registriert: 23. Aug 2023, 09:48

Re: Vorstellung / Wie mache ich weiter?

Beitrag von Felix_90 »

Hallo zusammen,

also das sind wirklich tolle Antworten, viel mehr als ich erwartet hatte. Lieben Dank erstmal dafür!

@missmikse, das mit dem Kontrollzwang ist eine richtig gute Erklärung. Genauso ist es tatsächlich auch bei mir. Da ich meine Gefühle nicht kontrollieren kann, versuche ich es im außen durch irgendwelche Dinge auf der Verhaltensebene.

Die Buchempfehlung mit dem inneren Kind ist mir durchaus bekannt, ich habe auch mit meiner Psychologin daran gearbeitet. Allerdings blockiere ich immer sobald es an die Gefühle der Kindheit geht und ich komme da einfach nicht weiter. Klar ist das ein Indiz dafür, dass genau da das Problem liegt. Aber was soll ich tun?! Ich finde da keinen Zugang zu mir selbst bzw. meinem Kindheits-Ich.

Das Glück bei mir selbst suchen. Ja, das ist so eine Sache. Natürlich kenne ich diese Weisheit nur zu gut „liebe dich selbst, dafür ist nicht ein Partner verantwortlich usw. usw.)
Aber wenn man selbst als Kind schon keine Liebe bekommen hat finde ich es auch entmutigend dem betroffenen (in dem Fall mir) zu sagen, „es wird dich auch kein anderer Lieben, wenn du es selbst nicht schaffst“

Aber ihr habt mir trotzdem schon gute Ansätze gegeben, vielen Dank nochmal dafür.
Felix_90
Beiträge: 9
Registriert: 23. Aug 2023, 09:48

Re: Vorstellung / Wie mache ich weiter?

Beitrag von Felix_90 »

Maxegon hat geschrieben: 23. Aug 2023, 21:25 Hallo Felix,

bist du traurig, niedergeschlagen, weil deine letzten zwei Beziehungen in die Brüche gegangen sind?
Zweifelst du an dir?
Wenn ja, warum?

Viele Grüße
Eigentlich nicht 🤔. Ich fühle eher Schuld und Reue, insbesondere zu meiner letzten Beziehung, dass ich Dinge hätte anders machen sollen.
Maxegon
Beiträge: 2528
Registriert: 25. Mai 2021, 11:33

Re: Vorstellung / Wie mache ich weiter?

Beitrag von Maxegon »

Felix_90 hat geschrieben: 23. Aug 2023, 21:40 ... eher Schuld und Reue, ...
dass ich Dinge hätte anders machen sollen.
Ja, manchmal verzapft man ganz schönen Mist, ich kann bestimmt auch ein Lied davon singen.

Doch geschehen ist geschehen.
Nun kannst du dich ewig grämen, ärgern, vielleicht auch geisseln - doch ändern tut das nichts.

Sieh' nach vorn, lerne aus deinen Fehlern (ja, ich weiß, leicht gesagt), mache es beim nächsten Mal besser.

Lege die Hände nicht in den Schoß, sondern mach' was.
Arbeite an dir, werde aufmerksamer.

... 'ne Zeit lang sich selbst bemitleiden ist auch ganz o.k., nimm' dir die Zeit, doch das Leben geht weiter.
Nutze die Zeit und mache es beim nächsten Mal besser.

Irgendwann bist du alt und grau, gar klapperig :D , dann hört's langsam auf ... mit Neubeginn!

Mach' , so lange du es kannst.

Trau' dich!

:hello:
Zuletzt geändert von Maxegon am 23. Aug 2023, 23:06, insgesamt 1-mal geändert.
MissMikse
Beiträge: 466
Registriert: 14. Mär 2023, 20:07

Re: Vorstellung / Wie mache ich weiter?

Beitrag von MissMikse »

Huhu Felix,

meine Kindheit war auch lieblos, voller Strenge, Strafen, Drohungen und Schlägen. Und auch ich musste mühsam lernen, mich selbst zu lieben.
Ich weiß auch, dass es nicht einfach ist, da dran zu gehen und es aufzulösen. Aber es ist sooo hilfreich und von daher kann ich dir nur empfehlen, es immer wieder zu versuchen. Vielleicht erst mal mit den weniger schlimmen Dingen.

Dass dich niemand lieben wird wenn du dich selbst nicht liebst, hab ich nicht geschrieben und auch nicht gemeint. Aber es wird dir schwer fallen dich wirklich lieben zu lassen, wenn du dich selbst nicht liebenswert findest. So entsteht irgendwie ein Ungleichgewicht in der Beziehung.
Felix_90
Beiträge: 9
Registriert: 23. Aug 2023, 09:48

Re: Vorstellung / Wie mache ich weiter?

Beitrag von Felix_90 »

MissMikse hat geschrieben: 23. Aug 2023, 22:39 Huhu Felix,

meine Kindheit war auch lieblos, voller Strenge, Strafen, Drohungen und Schlägen. Und auch ich musste mühsam lernen, mich selbst zu lieben.
Ich weiß auch, dass es nicht einfach ist, da dran zu gehen und es aufzulösen. Aber es ist sooo hilfreich und von daher kann ich dir nur empfehlen, es immer wieder zu versuchen. Vielleicht erst mal mit den weniger schlimmen Dingen.

Dass dich niemand lieben wird wenn du dich selbst nicht liebst, hab ich nicht geschrieben und auch nicht gemeint. Aber es wird dir schwer fallen dich wirklich lieben zu lassen, wenn du dich selbst nicht liebenswert findest. So entsteht irgendwie ein Ungleichgewicht in der Beziehung.

Welche Herangehensweise hat dir denn am meisten gebracht?
MissMikse
Beiträge: 466
Registriert: 14. Mär 2023, 20:07

Re: Vorstellung / Wie mache ich weiter?

Beitrag von MissMikse »

Hallo Felix,

puh, das ist schwer zu sagen, weil ich das alles nach und nach über einen sehr langen Zeitraum hinweg angegangen bin. Und ich arbeite immer noch weiter daran.

Am besten fand ich tatsächlich die Übungen mit dem inneren Kind. Denn alles, was mich in der Gegenwart belastet, hat oft etwas mit meiner Kindheit zu tun. Und dann zu schauen, aus welcher Situation in der Kindheit heraus meine Gedanken und Gefühle in der Gegenwart bestimmt werden, ist schon mal ein guter Schritt um gegensteuern zu können. Bei der Arbeit mit dem inneren Kind schaut man dann z.B. ja auch, was das Kind damals gebraucht hätte, um sich besser zu fühlen, ob das Kind anders hätte reagieren können etc. Tatsächlich lässt sich die Vergangenheit damit ein Stück weit "um-schreiben" und wird weniger belastend. Und wenn man sich klar macht, dass man heutzutage die Situation anders lösen kann, weil man ja eben erwachsen ist, dann bekommt man eine andere Perspektive zur Situation. Man fühlt sich nicht mehr so klein und hilflos.
Als ich angefangen hab, mich mal in die Situation meiner Eltern zu versetzen und damit eine andere Perspektive einzunehmen, ist mir auch klar geworden, dass sie teilweise nicht anders konnten - weil sie es selbst nicht anders erlebt und nicht anders gelernt haben. Und vor allem im Fall von meiner Mama stimmt dann wieder der Satz: "Menschen gehen in Therapie wegen Menschen, die NICHT in Therapie gegangen sind." Hätte meine Mama eine Therapie gemacht, wäre vermutlich einiges anders gelaufen.
Die Lieblosigkeit hab ich auch ein Stück weit verstanden, als ich die Bücher "Kriegskinder" und "Kriegsenkel" gelesen hab.

Die Tresor-Übung war auch gut für die schlimmen Dinge (siehe "Werkzeugkasten").

Mein Therapeut hat auch mal einen Satz losgelassen, bei dem ich sehr schlucken musste - aber er hat viel damit ausgelöst und aufgelöst:
"Eltern sind nicht verpflichtet, ihre Kinder zu lieben." Oh, was hab ich da rebelliert dagegen! Aber schlussendlich musste ich ihm recht geben. Es steht nirgends geschrieben, es gibt kein Gesetz oder ähnliches. Wir erwarten halt, dass es so ist. Wir halten es für selbstverständlich.
Was aber, wenn die Eltern eben nie gelernt haben, liebevoll mit jemandem umzugehen? Was, wenn sie nur gelernt haben, mit Strenge und mit Strafen zu reagieren?

All das hat irgendwann dazu geführt, dass ich erkannt habe, dass es nicht MEINE Schuld war. Nicht wie ich als Person war und nicht wie ich mich verhalten habe und nicht wie ich ausgesehen habe... es lag nicht an mir, dass es so gelaufen ist. Ich hätte mich noch so sehr anstrengen können, um das perfekte Kind zu sein, es hätte immer was gegeben, was wieder eskaliert wäre in irgendeinem Moment.
Und mit der Erkenntnis konnte ich irgendwann anfangen, mich von meinem Perfektionismus Stückchen für Stückchen zu verabschieden. Ich hab erkannt, dass ich nicht so und so sein muss, um liebenswert zu sein. Wir sind im Grunde genommen von Geburt an alle liebenswert. Wir alle haben Liebe verdient. Aber nicht jeder wird in der Lage sein, uns das zu zeigen, uns das spüren zu lassen. Nicht jeder wird uns als den Schatz erkennen der wir sind - jemand anderer dagegen schon. Und das liegt daran, dass wir alle sehr unterschiedlich sind.

Grundsätzlich liebenswert sind wir also alle - danach wird es dann kompliziert... ;)

Bzgl. Selbstliebe:
mir wurden als Kind viele böse Dinge gesagt, die sich tief in mein Gedächtnis gebrannt haben.
Und als Erwachsener bin ich dann mit mir selbst genauso umgegangen. Ich hab auf mich selbst geschimpft, wenn was schief gelaufen ist etc.
Allerdings war ich nie freundlich mit mir selbst. Das war also immer einseitig negativ. Und das hat dann wieder mein inneres Kind getriggert, das sich wieder klein und wertlos und unnütz und ungeliebt... gefühlt hat.
Ich hab dann angefangen, als die "erwachsene Mikse" freundlich zu mir selbst zu sein. Fast, als würde ich als erwachsenes Ich gut mit meinem Kind-Ich umgehen. Ich hab mein inneres Kind so behandelt, wie ich es mir von meinen Eltern gewünscht hätte. Nicht schimpfen, wenn was schief läuft, sondern trösten und das Kind ermutigen, es einfach nochmal zu versuchen. Schauen, was das Kind an Hilfe bräuchte, damit es beim nächsten Mal klappt. Wenn also das Mittagessen misslungen ist, dann schlag ich besser nochmal im Kochbuch nach beim nächsten Mal, hol mir einen Tipp bei jemandem, der gut kochen kann oder beleg einen Kochkurs. Wenn ich irgendwas wichtiges vergessen hab, dann notier ich es mir beim nächsten mal direkt in den Kalender, damit das nicht nochmal passiert. Oder ich hab beim Einkaufen was vergessen, also schreib ich in Zukunft Einkaufszettel - und wenn mir was einfällt oder auffällt, was besorgt werden muss, schreib ich das direkt auf den Zettel.
Wenn irgendjemand "doof" zu mir war, dann nehm ich das Kind in die Arme, tröste es, geb ihm nen Kuss und sag ihm, dass ich es lieb hab. Der andere hatte vielleicht einfach nur einen schlechten Tag und hat es an mir ausgelassen. Und selbst, wenn er mich wirklich doof findet - na dann gibt es hoffentlich mindestens einen anderen, der mich nicht doof findet. Und wenn ich traurig bin, dann überlege ich mir irgendwas schönes, was mein Kind wieder lächeln lässt. Ich hab mir z.B. Malbücher gekauft. ;) Oder ich höre den Vögeln zu. Oder backe einen Kuchen. Oder bastle mir einen Papierdrachen oder ein Papierschiffchen oder was auch immer mir grade einfällt. Ich hab als Kind sehr gerne sämtliche Kartenspiele wild durcheinander gemischt - und dann versucht, sie schnellstmöglich zu sortieren. Das mach ich heute noch gern und es entspannt mich. Das sind schöne Kindheitserinnerungen und mein inneres Kind beruhigt sich und entspannt sich dabei. Hin und wieder denk ich auch ans "Kinder-Mut-Mach-Lied". ;) Hört sich "kindisch" an? Na von mir aus. Mir hilft es. ;)

Naja, das war jetzt mal ein Exkurs in meine Vergangenheit... Wenn du Fragen hast, frag gerne. Vielleicht war ja irgendwas dabei, was dir hilft, DEINEN Weg zu finden. Denn schlussendlich musst du selbst heraus finden, wie du es am besten angehst. Aber angehen solltest du es wohl früher oder später, weil es dich sonst dein Leben lang beeinträchtigt und dir nicht nur die Gegenwart sondern auch die Zukunft versauen kann. Das erfordert Mut, ganz klar. Es erfordert auch Kraft, auch klar. Aber es kostet dich weit mehr Kraft, dein Leben lang gegen diese Gefühle und Gedanken und Glaubenssätze anzukämpfen, anstatt sie einfach loszulassen und in die Tonne zu treten. Mir gelingt das auch noch nicht an allen Tagen - mal besser, mal schlechter. Aber wenn mal wieder einer der Sätze es wagt, seinen Kopf aus der Tonne zu strecken, dann knall ich ziemlich schnell den Deckel wieder drauf. ;) :lol:
Senif
Beiträge: 1343
Registriert: 23. Jul 2023, 21:42

Re: Vorstellung / Wie mache ich weiter?

Beitrag von Senif »

Hallo zusammen,

MissMikse, das hast du schön beschrieben. Auch ich habe in der Therapie mit dem inneren Kind gearbeitet und es hat so viel ausgelöst. Ich fand das Krass, weil ich lange Zeit dachte, ich habe kein inneres Kind. Es gab viele schlimme Dinge in der Vergangenheit, die ich aber so bearbeiten konnte. Es musste erstmal darüber getrauert werden, aber dann bin ich einen Schritt weiter gegangen. Auf die Trauerphase folgte die Erkenntnis, das meine Eltern auch so geworden sind, weil sie unschöne Sachen erlebt haben. Und ich konnte nicht weiter machen, ohne mit der Vergangenheit abzuschließen. Je wohlwollender ich mit mir und meinen Fehlern umgegangen bin, desto wohlwollender wurde ich auch mit anderen. Das heißt nicht, dass ich alles toleriere, aber es hat sich vieles relativiert. ich musste mir erst den Wert selbst geben, bevor ich auch nachsichtiger mit anderen umgehen konnte. Und Selbstwert hat sehr viel mit einem Selbst zu tun und nichts mit anderen. Ich freue mich jeden Tag, dass ich aus meiner Opferrolle herausgetreten bin, denn es macht mich handlungsfähiger. Und bringt mir Freude, auch wenn ich schlechtes erlebe, aber es hat nicht mehr dieses Übergewicht. Jeder erlebt unschöne Dinge, das ist das Leben.
Das alles war ein sehr langer Weg, über Jahre. Aber es hat sich gelohnt, da dran zu bleiben. Die Menschen reagieren jetzt auch ganz anders auf mich. Viel offener und zugewandter. Und mittlerweile bin ich wieder soweit, dass ich mir einen kleinen Nebenjob wieder zutraue und anfangen möchte zu arbeiten. Es gibt einen Weg aus psychischer Erkrankung. Das ist wichtig zu wissen, auch wenn es lang dauert. Eine Depression gaukelt einem vor, dass es aussichtslos und hoffnungslos ist. Das entspricht aber nicht der Realität.

In diesem Sinne: ich wünsche euch eine baldige Genesung. Es ist möglich !!

LG Senif
MissMikse
Beiträge: 466
Registriert: 14. Mär 2023, 20:07

Re: Vorstellung / Wie mache ich weiter?

Beitrag von MissMikse »

Hallo Senif,

du hast das wunderbar ergänzt, vielen Dank!

Ja, wir müssen uns selbst einen Wert geben, dann werden wir auch von anderen Wert geschätzt. Aber wir sind dann auch nicht mehr so abhängig von den Meinungen anderer, wenn wir uns selbst für wertvoll halten.
Und wie du schreibst: schlechte Dinge bekommen dann auch nicht mehr so ein großes Gewicht, vor allem kein Übergewicht mehr, das alles andere kippen lässt. Wir ruhen dann etwas mehr in uns selbst und geraten nicht mehr so leicht aus der Balance.

Es ist schön zu lesen, dass du die positive Entwicklung in deinem Leben sehen und spüren kannst und anfängst, wieder mehr zu leben. :)
Und ja: es ist ein teilweise langer Kampf, aber egal wie lange er dauert und wieviel Kraft er kostet: er lohnt sich! :)

LG
Senif
Beiträge: 1343
Registriert: 23. Jul 2023, 21:42

Re: Vorstellung / Wie mache ich weiter?

Beitrag von Senif »

Hallo MissMikse,

danke. Ich freue mich auch sehr. Selbst meine Thera hat mal gemeint, als sie mich kennenlernte "na mal sehen wie weit wir kommen". Niemand hätte es für möglich gehalten. Ich auch nicht.
Aber es ist eben möglich, und als ich damals hier im Forum aufschlug, wollte ich gern Positivbeispiele lesen, um mir Hoffnung zu machen.
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