Umgang mit der Depression der Partnerin

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Owlsome
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Registriert: 30. Okt 2022, 13:08

Umgang mit der Depression der Partnerin

Beitrag von Owlsome »

Hallo,

ich bin 24 Jahre alt, meine Freundin 22. Wir sind erst seit kurzem zusammen (Juni kennengelernt, seit August offiziell), die Depression hat sie schon länger, zusammen mit einer Depersonalisationsstörung (vor 3 Jahren Symptombeginn, vor gut einem Jahr diagnostiziert und seitdem in ambulanter psychotherapeutischer und medikamentöser Behandlung), manchmal steht das eine, manchmal das andere im Vordergrund, letztendlich ist beides eng miteinander verbunden.
Sie hat sich im Januar diesen Jahres von ihrem Freund getrennt, eine Beziehung von 5 Jahren. Er hat sich nicht wirklich mit ihrer Erkrankung auseinandergesetzt, so wie sie von ihm erzählt war er der stereotypische Mann, der nicht über Gefühle reden kann und will und in emotional schwierigen Situationen eher Ablenkung als Auseinandersetzung sucht.
Außerhalb ihrer Therapiestunden bin ich der einzige und erste, dem sie sich so sehr öffnen und über alles reden kann, was sie beschäftigt. Ihrer Schwester traut sie es nicht zu, damit umgehen zu können und ihre Mutter bagatellisiert regelmäßig ihre Erkrankung und spielt selbst eine große biographische Rolle in ihrer Entstehung (regelmäßiges Thema in der Therapie).

Soviel zur Situation. Ich habe vor einigen Tagen einen Text und zwei Tage später noch einen kurzen geschrieben, über Sachen, die ich davor immer meiner Partnerin erzählt habe. Allerdings haben wir dann oft gestritten, das Ergebnis war eher kontraproduktiv. Ich hab mich mehr damit auseinandergesetzt, wie es Partnern von Depressiven geht und herausgefunden, dass viele sich so fühlen wie ich und dass es nichts bringt, mit dem erkrankten Partner darüber zu reden, weil er/sie davon eher nur Schuldgefühle bekommt und sich die Depressivität verschlimmert.
Ich kenne in meinem Umfeld niemanden, der in der gleichen Situation ist wie ich, mit dem ich darüber reden kann. Mit meiner Schwester kann ich offen darüber reden, ihr habe ich auch den Text unten geschickt, allerdings hat sie selber auch keine persönlichen Erfahrungen mit dem Thema.
Ich versuche gerade einen Umgang mit meinen Gefühlen zu finden, der meine Partnerin nicht mitbelastet, wo sie doch schon so belastet ist und gerade keine Kapazitäten dafür hat. Ich glaube mir geht es darum gehört zu werden, von anderen die in einer ähnlichen Situation wie ich sind, damit ich weiß, dass ich nicht allein damit bin und dass ich nicht der einzige bin, der sich in der Situation so fühlt.

Anyway, hier ist der Text. Der Post ist jetzt ziemlich lang geworden, ich hoffe jemand hat trotzdem die Muße ihn sich durchzulesen.

30.10.2022

Wenn Lena sich gerade versucht abzulenken, versucht sie sich von allem abzulenken. Sie ist dann so in ihrem Film drin, dass ich dabei auch untergehe, dass sie sich nicht mit mir auseinandersetzen möchte. Sie möchte, dass ich eine bestimmte Rolle darin spiele, aber das kann ich nicht. Ich sehe, wie sie unter der Fassade leidet. Was mache ich dann? Gebe ich mein Bestes, diese Rolle zu spielen, ihr etwas Ablenkung in ihrem Leid zu bieten, auch wenn es mir schwerfällt und ich dabei meine Authentizität verliere? Hole ich sie aus ihrem Film raus und konfrontiere sie mit der Realität, auch wenn sie sie gerade nicht aushalten kann? Ich glaube sie merkt mir diesen inneren Konflikt an und stürzt sich noch mehr in ihren Film hinein, um sich auch davon abzulenken, weil sie zusätzlich zu ihrem eigenen Konflikt nicht auch noch mit meinem umgehen kann.

Ich möchte, dass die Beziehung für sie auch Liebe, Freude, Glück, Begierde, Zärtlichkeit, Verliebtheit, Leidenschaft, Erotik, Sehnsucht, Romantik bedeutet.

Wir haben viele intime Momente, aber meist sind sie erfüllt von Lenas Trauer oder eher Depression. Es sind schon auch schöne Momente, aufgrund ihrer Intimität, sie verbinden. Aber was ist mit schönen Momenten, die intim und auch einfach nur schön sind? Gefüllt mit Liebe, Euphorie, Freude, den anderen an seiner Seite zu haben?

Sie sagte, dass unsere Beziehung für sie bedeutet, dass sie sie selbst sein kann. Aber stimmt das? Ist das die ganze Bandbreite von Lena? Was mich in Leipzig mit ihren Geschwistern so irritiert und wütend, traurig, voller Selbstzweifel hinterlassen hat, war, dass sie mit ihren Geschwistern so leicht und fröhlich war, während unsere Zeit in Leipzig und auch davor wieder von Schwere, Abgewandheit, Nicht-Können, Distanzierung bestimmt war. Es war teilweise wie, als ob ein Schalter umgelegt wurde. In einem Moment lachte sie noch, berührte ihre Geschwister zärtlich und liebevoll oder auch neckisch, im nächsten Moment wendet sie sich mir zu, wird still und zurückgezogen, wirkt gezwungen. Ich habe mich gefühlt wie ein Fremdkörper, wie ein Miesepeter. Am schlimmsten war wahrscheinlich, wie sie am Dienstag in unserem Zimmer einen Text für ihr Tagebuch schrieb über ihr Leid, weinte, zu mir sagte "Danke, dass es dich gibt" und danach, als wir wieder bei ihren Geschwistern waren, alles wieder okay schien, es war Freude möglich, Leichtigkeit, für ihre Geschwister, nachdem sie ihre Schwere bei mir abgeladen hatte. Im Moment fühlt es sich so an, als ob sie schlechte Zeiten bei mir auslebt und sich gute Zeiten woanders abholt. So als ob ich eben nicht die ganze Bandbreite von Lena erfahre, sondern vor allem die schlechten Gefühle. Ich möchte für sie auch gute Zeiten bedeuten. Ich möchte, dass wir Zeiten der Leichtigkeit und Freude und des Glücks haben, die auch bedingungslos nur uns gehören. Ohne Geschwister, ohne Neffen, ohne etwas Äußeres. Warum kann ich diese Gefühle nicht bei ihr auslösen, ohne irgendetwas Drittes dazunehmen zu müssen? Warum kann ich nicht mal die Ablenkung für sie sein, die Freude, das Glück, dass wir zusammen sind, ihr den Tag versüßen und einfach leichter machen? Das Glück und die Freude, die ich verspüre, wenn ich daran denke, dass wir zusammen sind, wenn ich sie sehe? Warum können wir das nicht einfach mal zusammen genießen?
Nach Leipzig haben wir tagelang darüber gestritten. Sie fragte mich, was sie hätte machen sollen, damit ich mich nicht so fühle und ich fand keine Antwort. Weil die Antwort ist: sie hätte nichts machen können. Ich habe mich in der Situation scheiße gefühlt, hier habe ich so gut ich kann beschrieben, warum es so war, und keinen Umgang dafür gefunden, der mich hat besser fühlen lassen. Ich habe mir im Nachhinein Verständnis gewünscht und das Gefühl, dass es okay ist, wie ich mich damit gefühlt habe. Du hast zwar gesagt, es sei okay, dass ich mich so gefühlt hatte, aber deine Stimme sagte etwas ganz anderes. Stattdessen habe ich den Eindruck bekommen, dass ich mich scheiße fühlen soll dafür, dass ich mich scheiße gefühlt habe.

Wenn sie länger oder unregelmäßig keine Therapiestunden hat, merke ich, dass ich für sie vermehrt die Rolle des Therapeuten einnehme und sie bei mir viel von ihrem Leid ablädt. Die Rolle des Freundes, des romantischen Partners rückt dabei in den Hintergrund. Ich möchte, dass sie das Gefühl hat, dass sie bei mir genau sie selbst sein kann, wie sie gerade ist. Auch wenn es gerade schlecht ist. Aber eben auch, wenn es gerade gut ist. Dass ich nicht nur der Ort für schlechte Momente, sondern auch für gute sein kann.

Ich möchte auch ihr diesen Text, diese lose Sammlung an Gedanken zeigen, aber kann sie gerade damit umgehen? Hat sie dafür die Kapazitäten? Kann sie zusätzlich zu ihrem Leid auch mit meinem Leid umgehen, das irgendwo ja durch ihres verursacht wird?

Sie schreibt Seiten, Kapitel, Bücher darüber, wie sie die Trennung mit Basti beschäftigt. Wie groß der Schmerz ist. Warum schreibt sie nicht darüber, wie groß unser Glück ist? Ist es für sie vielleicht gar nicht so groß, wie ich es empfinde? Ich habe das Gefühl, sie kann sich auf unsere Beziehung nicht zu einhundert Prozent einlassen, wegen der Trennung, die noch nicht ganz verarbeitet ist und wegen der Dp und der Depression und ich habe Angst, dass wir das nicht nachholen können, dass da immer etwas bleibt, was wir am Anfang unserer Beziehung nicht machen, nicht erfahren, nicht in vollem Maße ausleben und auskosten konnten, weil kein Platz dafür war und dann war die Chance für immer vorbei und mit ihr eine kleine Lücke, die wir nie schließen können werden.


01.11.2022

Gestern habe ich Lena davon erzählt, dass ich den Text oben geschrieben habe, ihn ihr aber nicht gezeigt, weil ich sagte, dass ich glaube, dass sie ihn gerade nicht verkraften kann und nur Schuldgefühle bekommen würde. Sie war einverstanden damit und sagte, ich solle ihn ihr zeigen, wenn ich denke, dass sie eher bereit dafür ist.

Gestern haben wir auch nochmal darüber geredet, dass es letzte Woche wahrscheinlich deswegen besonders schwer war, weil Lena einige der Sachen oben auf sich als Person bezogen hatte, als unveränderlich, dass das gar nicht Teil ihrer Dp/Depression sei, sondern Teil ihres Charakters. Das hatte in mir eine Hoffnungslosigkeit und Enttäuschung ausgelöst, die ich nicht abfedern konnte, weil mir selber die Kräfte dafür fehlten. Ich glaubte ihr, als sie da sprach, die Depression, es war nicht Lena, aber sie tarnte sich als Lena und ich konnte ihr die Maske nicht herunterreißen. Gestern haben wir nochmal darüber geredet und sie sagte im Rückblick selbst, dass sie Ausreden, Erklärungen, Entschuldigungen für ihre Symptome gesucht hatte, so als ob es vielleicht einfacher wäre, wenn man sie als Teil des Charakters akzeptiert als als Ausdruck ihrer Krankheit, die sich an manchen Tagen für sie glaube ich noch unveränderlicher anfühlt als ihr Charakter.

Heute geht es mir ganz gut, ich möchte mir Mühe geben, mich heute auf den Brettspielabend und auf den Sport einzulassen, das voll und ganz zu genießen und Spaß zu haben, Kraft zu schöpfen, damit ich für mich und für Lena stark sein kann.
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