Langzeitbehandlungen

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anna54
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Langzeitbehandlungen

Beitrag von anna54 »

Hallo zusammen
ich hatte fast durch einen Zufall wieder Termine bei einem Arzt,der mich vor ewigen Zeiten gesehen hat.
Er übernahm damals die Leitung der Institusambulanz und kam mit neuem Schwung.
Durch eine achtsame Mitarbeiterin bekam ich Termine bei ihm,Medikamentenumstellung,Quetiapin 900mg,es wurde reduziert,ich blieb auf 200mg hängen.
All die Jahre hat kein Arzt auch nur erwogen mit mir darüber nachzudenken,ob ich noch niedriger gehen könnte,erhobener Zeigefinder!
Jetzt schaut dieser Arzt in die lange Akte und sucht und sucht und stellt mir die Frage:Quetiapin,brauchen Sie das überhaupt noch?
Ich fall fast vom Stuhl,warum bin von Zufällen abhängig,warum wird nicht achtsamer und umsichtiger mit meiner Gesundheit umgegangen.
Alle Nebenwirkungen haben meinem Körper schlimm zugesetzt.
Jetzt reduziere ich wieder,bin mutig,aber achte auf genug Schlaf und Pausen.
Keiner sagt mir,was alles wozu gehört,was passiert in meinem Gehirn bei solchen Veränderungen.
Angst ist der schlimmste Ratgeber!
anna54
S-A-M
Beiträge: 28
Registriert: 21. Aug 2019, 19:24

Re: Langzeitbehandlungen

Beitrag von S-A-M »

Liebe Anna

Leider ist es eine Tatsache, dass Medikamente häufig nicht hinterfragt werden. Behandlungen sind häufig Zufall. Das ist Realität. Wenige Ärzte sind achtsam und mutig für Veränderungen.

Es gibt den Spruch: 'Mit der Wahl des Arztes ist das Schicksal des Patienten besiegelt.'
Häufig hat der Patient eben nicht die Wahl und kann es auch nicht einschätzen, dass eine Behandlung nicht zu seinem Wohl ist.

Du bist mutig. Wie Du schreibst, ist Angst der schlimmste und schlechteste Ratgeber.
Es ist sicher richtig zu versuchen, die Medikamente zu reduzieren.

Liebe Grüsse und alles Gute
S-A-M
anna54
Beiträge: 3713
Registriert: 14. Sep 2010, 15:08

Re: Langzeitbehandlungen

Beitrag von anna54 »

Danke Sam,für deine Worte,mutig sein,und den richtigen Moment erwischen.
Sam war 10Jahre an meiner Seite,jetzt ist es Pepe,und der geht noch über Stühle und Bänke.
Herzliche Grüße
anna54
yellohmellow
Beiträge: 231
Registriert: 2. Mär 2019, 09:01

Re: Langzeitbehandlungen

Beitrag von yellohmellow »

Hallo Anna,

wieso wurde Dir überhaupt Quetiapin verschrieben? Das ist ja ein Neuroleptikum und ist zugelassen für die Behandlung von bipolarer Störung oder Psychosen.

Liebe Grüße

yellohmellow
anna54
Beiträge: 3713
Registriert: 14. Sep 2010, 15:08

Re: Langzeitbehandlungen

Beitrag von anna54 »

Hallo zusammen
hallo yellohmellow
danke für deine Anmerkungen,Quetiapin wurde in der Tagesklinik angesetzt.
Kein Antidepressiva zeigte Wirkung,Jahre der Klinik waren vergangen,immer neue Medikamentenzusammenstellungen wurden probiert,ich hatte nur Nebenwirkungen.
Ich war,jetzt rückwärts gesehen vom Fluoxetin so aufgedreht und unruhig,dass mein "Gehirn langsamer gemacht werden sollte".
Zu viele Gedanken seien zu schnell,ich zu wach.
Quetiapin machte mich dick und aufgeschwemmt,schlafen konnte ich besser,morgens totmüde.
Als die Wirkung sich nicht zeigte,wurde aufdosiert bis 900mg,mir war nicht klar damals,was wirklich Neuroleptika bei mir bewirken.
Morgens bin ich mit Wecker aufgestanden und hab viel Kaffee und kalte Duschen gebraucht um überhaupt wach bleiben zu können. Hab damals noch halbtags gearbeitet und hatte den Hof und den riesigen Umbau vor mir.
Sehr viel später,mehr durch die Angehörigenarbeit wegen meine psychotischen Schwester hab ich begonnen Fachliteratur zu lesen und überall mich zu informieren.
Hier im Forum hab ich auch dank dir,viele Informationen und Hinweise bekommen.
Mir wurde zeitweise Angst und Bange,was ich mir da hab antun lassen,durch so viel Medikamente.
Die Beiträge von Bittchen,ich vermisse sie täglich hier!!!,haben mich vorsichtiger, nachdenklicher und sekptischer gemacht.
Man lernt von Betroffenen,so ich auch im Trialog einer Klinik.
Aber in der Situation damals war ich ausgeleifert,weitere Zeit in der Klinik war gebunden an die Medikamentenaufdosierung,ich bekam eine kurze Info und dann hab ich das geschluckt,auf allen Ebenen,ich hab vertraut.
Kein einziges Medikament hätte ich genommen,wäre mir der Beipackzettel bekannt gewesen,aber ich war so voller Angst,dass ich auch nicht darauf bestanden habe.
Wie auch,in der Situation ist man schutzlos und auch machtlos.
Am Eingang der Psychiatrie sitzen zwei Höllenhunde,so beginnt ein Fachbuch mit der Beschreibung,dass man auch seine Selbstbestimmtheit abgeben muss,ansonsten keine Hilfe.
Dass das für mich der falsche Weg war,das hat Jahre gebraucht,bitter war das,weil mein Körper ruiniert war.
Jetzt wie durch Zufall treffe ich auf den anderen Arzt,er war wirklich erschrocken,was auch er mir alles verschrieben hatte.
Jetzt dosieren wir runter,ich übernehme die Verantwortung allein,Termine bekomme ich nur alle 8 bis 10 Wochen.
Runterdosieren,absetzen war auch bei mir immer schwierig,ich wurde wieder krank,kam wieder in die Klinik und Zack,war alles wieder hochdosiert.
Erst als ich keine stationären Behandlungen mehr gemacht habe,und mich selbst auf den Weg zur Information gemacht habe,wurde ich sicherer in meine Selbsteinschätzung und mein Mut ist mir jedem Buch,mit jeder Erfolgsbeschreibung,oder auch wertvollen Warnung gewachsen.
Psychische Erkrankungen sind Brüche und Brüche der Seele heilen selten nur mit Medikamenten.
Psychotherapie hat geholfen,jetzt auch ein wertvoller Kontakt zur ambulanten psychiatrischen Pflege.
Von diesem sehr erfahrenem Krankenpfleger bekomme ich mehr Wahrheiten gesagt als von allen Ärzten zusammen.
Von 200mg auf jetzt50mg war relativ einfach,ich schlafe weniger,achte auf reizarme Zeiten.
Den Rest als Einschlafhilfe wie mal früher 25mg werde ich ausprobieren.
Ich habe noch ein anderes Medikament,dass gegen eine Angststörung wirklich gut hilft,das werde ich später auch noch runterdosieren.
Es gibt so wenig Patienteninformation,dass im Niedrigdosierbereich viele Psychopharmaka sogar besser wirken.
Die DVD: Nicht alles schlucken,Psychiatrieverlag,hat mir sehr geholfen.
Ausprobieren und hoffen,wie jetzt im Januar ich auf jeden Sonnenstrahl hoffe und eine Sonnenjägerin werde,dann suche ich draußen erste Zeichen vom grünen Beginn der Natur.
Ich lebe ruhiger,weiter weg von zu vielen Menschen,mit Tieren,mit Ritualen,mit viel Hausarbeit,ich bewache jeden Baum,hasse jede neue Straße,die sich hier durch die Natur pflügt und noch mehr Industrie bringt.
Wissen,was man kann,was Krankheit ist,wie Krisen entstehen und was dann hilft,das hat Jahrzehnte gekostet.
anna54
yellohmellow
Beiträge: 231
Registriert: 2. Mär 2019, 09:01

Re: Langzeitbehandlungen

Beitrag von yellohmellow »

Liebe Anna,

Deine Schilderung ist ja erschütternd. Aber überrascht bin ich nicht, weil ich während meiner Berufsjahre in der Psychiatrie oft erleben mußte, daß Neuroleptika ohne Rücksicht auf eine Diagnose einfach zur Ruhigstellung des Patienten verschrieben wurden. Besonders beliebt in der Gerontopsychiatrie, aber auch in Altenheimen. Teilweise wurden, besonders Frauen, Neuroleptika Spritzen als „Vitaminspritzen“ verabreicht. Und nur, um sie ruhig zu stellen.

Gut, daß Du jetzt dabei bist, davon weg zu kommen. Und Du kannst froh sein, wenn sich bei Deiner Langzeitbehandlung noch keine Spätdyskinesien herausgebildet haben.

Ich wünsche Dir gutes Gelingen (und einen guten Arzt). Ich weiß nicht, ob es das Buch noch zu kaufen gibt, aber für mich war es sehr hilfreich: „Bittere Pillen“.

Liebe Grüße

Yellohmellow
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