Vorschläge zur Regeneration

Viginia
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Vorschläge zur Regeneration

Beitrag von Viginia »

Hallo!
Ich grüße alle ForumsleserInnen!

Ich habe einen langen, einen sehr langen Beitrag über mein Leben mit einem depressiven ADHS-ler vorformuliert.
Abgesehen davon, dass der Text sehr lang ist: er klingt ... schrecklich.
Gruselig!
Und obwohl das hier ein Forum ist, in dem man sich auch sein Herz ausschütten kann, möchte ich nicht einen Bericht in die Welt setzen über das, was ich bei meinem Partner in all den Jahren nicht beeinflussen und verbessern konnte. Ich möchte nicht über Wut, Frust und psychosomatische Krankheiten aufgrund von Stress und Hilflosigkeit schreiben.

Lieber möchte ich formulieren, was JETZT - nach langer Leidenszeit - dran ist.

Vorab: Im Buch "Der schwarze Hund für Angehörige" wird empfohlen, dass sich der depressionsfreie Partner auch mal mit Freunden zum Ausgleich treffen sollte.
Soll das ein Witz sein?
Das wird nicht reichen.
Ist die Hoffnung verschwunden, dass du deinem depressiven Partner helfen kannst, beginnt das ganz fiese Kapitel: du merkst, dass du zig Jahre in ein schwarzes Loch gearbeitet hast, dass du trotz Liebe, Power und Investition nichts erreicht hast. Außer, dass dein Partner noch da ist. Wenn er noch da ist, ist folgendes passiert: Du hast geholfen, verwöhnt, warst fürsorglich, geduldig, hast stundenlang ätzend negativen Erzählungen zugehört - und du warst offensichtlich weniger zornig, laut, aggressiv und gemein.
Wohin jetzt damit?

Vorschläge zur Regeneration/zur Diskussion:

- Du kannst deinem Partner nicht helfen - dein Partner kann dir nicht helfen. Dein Partner ist mit sich beschäftigt. Nimm ihn als Vorbild. Gehe mit der gleichen Stringenz daran, auf dein Leben zu schauen.
Es ist völlig gleichgültig, ob sich die Unlust/Antriebsschwäche aus einer Krankheit oder einem Gefühl generiert. Nimm die eigene Unlust wahr, nimm sie ernst, gehe ihr nach.
- Tue nichts mehr für deinen Partner, wenn du keine Lust hast. Nimm ihn als Vorbild: schau, wie gut sein System streikt. Auch du darfst gut streiken.
- Du darfst dich beliebig oft zurückziehen. Sage deinem Partner vorher bescheid, dass du dich zurückziehst, weil dein Tank leer ist. Du wirst nicht mehr die Aufgaben (für ihn) erledigen. Du hast so viel getan - das reicht für die nächsten 50 Jahre. Hoffe nicht, dass dein Partner das erkennt und wertschätzt. Lobe dich selbst für die grundsätzliche Fähigkeit deines sagenhaften Durchhaltevermögens.
- Mache Yoga und progressive Muskelentspannung.
- Geh ins Kino, ins Theater, auf Vernissagen, Museen und lies Bücher brillanter AutorInnen.
- Geh in die Natur so oft es geht.
- Mache Sport! Renne um dein Leben, renne dich frei.
- Iss harte Sachen, um Spannung aus Deinem Kiefer zu holen.
- Geh in Gesprächstherapie. Findest du keinen Therapeuten, beginne ein Buch für dich, nur über dich.
- Besuche die Abendschule, lerne neue Leute kennen.
- Gehe in den Chor oder nehme Gesangsstunden. (Der wahre Energie-Auffüller ist die Musik)

Gibt es noch Vorschläge?
Ich freue mich auf Ideen, die Energie (zurück) bringen.

Viginia
FrequentFlyer
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Re: Vorschläge zur Regeneration

Beitrag von FrequentFlyer »

Hi Virginia!

Ganz spontan ist mir beim lesen deines Threads noch eingefallen: Pathologisiere dich nicht selbst. Machen wir allzu gerne wenn wir uns mit dem Thema befassen. Googelt mal Bilder von Hautkrankheiten.... und schon kratzen wir uns selber ;-)

Jeder Angehörige ist ja genau so unterschiedlich wie jeder Erkrankte. Von daher kann man keine allgemeingültigen Dinge nennen die jedem einzelnen Angehörigen helfen. Aber was ich für mich in den mittlerweile fast fünf Jahren herausgefunden habe, ist sich selbst Distanz vom Betroffenen schaffen.
Bei meiner Freundin ist es nun mal so, dass sie alle paar Monate in eine depressive Phase abrutscht. Diese Phasen sind sehr abgegrenzt, weswegen ich mich eher als glücklich schätzen kann. Dazwischen ist sie halt einfach „normal“. Was mich bei all dem fürchterlich ärgert ist die Tatsache, dass sie ihre Krankheit vollkommen ignoriert. Ich geh eigentlich nicht davon aus, dass eine Therapie sie heilen würde, aber sich damit mal auseinander zu setzen und es somit etwas leichter im Leben zu haben, wäre ja schon mal was. Bei sehr abgegrenzten Episoden könnte ja vielleicht auch die simple Einnahme von Medikamenten helfen.... Aber nein, wenn die Episode innerhalb von ein paar Stunden anrauscht, beendet sie fast regelmäßig die Beziehung und schafft sich somit die größtmögliche Distanz. In der „Aura“ vor der Episode oder wenn ich innerhalb der Episode mit ihr kommuniziere, konnte ich mir auch die negativen Erzählungen anhören die in meinen Augen teilweise regelrecht bizarr waren. Die waren teilweise so bizarr, dass ich sie, obwohl sie persönlich gegen mich gerichtet waren, einfach nicht ernst nehmen konnte.
Ich will mir das nicht mehr anhören, ich will mit ihr während ihrer Episoden auch nicht mehr viel zu tun haben. Sie steckt da in einer Parallelwelt mit der ich nichts anfangen kann. Und ich bezweifle das wir als Angehörige irgendein Betroffenen damit helfen, Teil dieser Parallelwelt zu werden. Ein Beispiel das hinkt: Wäre unser Partner Alkoholiker, würden wir ja auch nicht mittrinken, das Trinken verheimlichen und ihn morgens, wenn er nicht aus dem Bett kommt, bemuttern.
Ich bin mittlerweile zur festen Überzeugung gelangt, dass wir mit dieser Art der Co-Depression nicht helfen, sondern ganz genau das Gegenteil bewirken. Allzu oft helfen wir damit den Betroffenen nur sich in ihrer Depression einzurichten. Natürlich heißt das jetzt nicht sich wie die Axt im Walde benehmen. Empathie und Verständnis sollte man nicht ablegen. Aber morgens jemanden der den ganzen Tag daheim bleibt, einen heißen Kakao ans Bett bringen bevor man zur Arbeit geht (hab ich hier gelesen)? Bei meinen Kindern ja, aber nicht bei meinem Partner.

Allerdings Virginia habe ich als ich festgestellt habe, dass man einem depressiven Partner nicht helfen kann, dies eher als eine Befreiung erlebt. Okay, es hat gedauert bis ich es nicht nur rational geschnallt habe, sondern auch emotional. Es hat mir geholfen die notwendige Distanz zu bilden. Also jetzt die Distanz zur Krankheit, nicht zur Person selbst. Natürlich ist ihre Person untrennbar mit der Krankheit verbunden – so einfach geht es natürlich nicht die Distanz herzustellen. Nur ich trage keinerlei Verantwortung für ihre Krankheit. In dem Sinne meine ich dies.
Es wird zwischen uns nie eine symbiotische Beziehung geben. Es wird niemals möglich sein alles gemeinsam zu machen, denn immer mal wieder wird die Depression um die Ecke kommen. Und so habe ich ein Leben begonnen, dessen Richtschnur meine Interessen, meine Freunde sind. Wenn sie daran Teil haben kann, dann ist dies wunderbar. Umgekehrt, wenn ich an ihrem Teil haben kann, dann ist das auch wunderbar. Nur, sich fest aufeinander einrichten – damit würde ich weder ihr noch mir einen gefallen tun. Ich habe es mal ihr gegenüber so ausgedrückt: Ich könnte mir sehr gut vorstellen sie zu heiraten, zusammen ziehen wird wohl in absehbarer Zeit nicht gehen.

Schafft euch selbst Distanz ist deswegen noch ein Vorschlag der sehr allgemein gehalten ist, ich allerdings für zentral halte, für euer eigenes Wohlergehen.

Und weil doofe Sprüche manchmal inflationär kommen:
Wer pflegt, sollte sich selbst als allererstes pflegen – sonst kann er dies irgendwann nicht mehr leisten.

LG
Viginia
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Re: Vorschläge zur Regeneration

Beitrag von Viginia »

FrequentFlyer hat geschrieben:Hi Virginia!

Aber was ich für mich in den mittlerweile fast fünf Jahren herausgefunden habe, ist sich selbst Distanz vom Betroffenen schaffen.

Allerdings Virginia habe ich als ich festgestellt habe, dass man einem depressiven Partner nicht helfen kann, dies eher als eine Befreiung erlebt.

LG

Hallo FrequentFlyer, vielen Dank für Deine Reaktion, das war schön zu lesen!

Dass die Erkenntnis, nicht helfen zu können, als Befreiung empfunden wird, kann ich gut nachvollziehen.
Aber das reine Zuschauen und nicht ernst nehmen ist mir nicht ohne Weiteres vergönnt, weil seine Antriebsschwäche richtig an die empfindliche Basis geht: der Abwesenheit von finanziellen Mitteln. Da wird auch schon mal der Strom seiner Wohnung gesperrt oder das Finanzamt pfändet sein Konto. Es stehen seine empörten Kunden vor meiner Türe, die in Vorleistung traten und ihn nun nicht mehr erreichen können. Kunden werden nicht selten weggedrückt, wenn sie anrufen. Es ist schwer, das nicht ernst zu nehmen bzw. seine Entscheidung der Verweigerung zu tolerieren.

Kakao bringe ich ihm nicht morgens ans Bett. Aber ich finanziere ihn etwas mit. Das ist nicht einfach, weil ich als Künstlerin nicht zu den Üppigverdienern zähle. Das heißt, ich leihe ihm das Geld. Ihn stundenlang lethargisch im Sessel lesend sitzen zu sehen bedeutet für mich: Das kann dauern, bis ich mein Geld zurück bekomme. Und: Das kann dauern, dass ich ihm nichts mehr leihen muss. Fast automatisch frage ich mich, ob ich ihm nicht doch helfen könnte, sein Lebensunterhalt regelmäßig zu bestreiten und wie gewaltig mein Aufstand sein muss, damit er in die Aktion kommt.
Es ist eine gewaltige Aufgabe, loszulassen, quasi darauf zu vertrauen, dass er es mit seinen 57 Jahren noch hinkriegt, durchgängig zu arbeiten und die vielen Kunden, die er mit lockerer Hand akquiriert auch letztendlich zu bedienen.

Musst du deiner Freundin finanziell unter die Arme greifen?

Das stimmt natürlich: alle an Depression Erkrankten und ihre Partner/Angehörigen sind unterschiedlich!

Herzlich,
Viginia
FrequentFlyer
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Re: Vorschläge zur Regeneration

Beitrag von FrequentFlyer »

Hi Viginia!

Erst einmal Entschuldigung das ich deinen Nick falsch geschrieben habe.

Ja, jeder Partner / Angehörige ist unterschiedlich. Und so definiert sich meine Freundin sehr über Arbeit und selbst während ihrer schlimmsten Episoden ist sie weiterhin fähig ihrer Arbeit nach zu gehen, wenn auch mit einem riesengroßen Kraftaufwand. Sie selbst hat vor über zehn Jahren ein Suizidversuch unternommen und eine Therapie im Anschluss gemacht. Seit dem sieht sie sich als geheilt an. Erst bei der Arbeitsunfähigkeit fängt für sie sozusagen die Krankheit an. Nur, das Leben besteht halt nicht nur aus Arbeit. Finanziell existentielle Ängste spielen bei ihr auch eine große Rolle, weswegen die Arbeit so eine zentrale Rolle spielt. Diese Ängste sind allerdings eher unbegründet. Sie hat einen gut bezahlten Beruf, der auch ihre Berufung ist, wohnt in einem eigenen abbezahlten Haus.... mit über 50 könnte das Leben als ruhiger Fluss weiter fließen. Wie schon geschrieben, als Nicht-Betroffener können wir das vielleicht im Ansatz verstehen. Was es allerdings heißt, wenn das innere Gleichgewicht aus der Balance gerät, können wir nur erahnen. Da hilft alle Ratio nicht, wenn die Gefühle etwas anderes sagen, wenn alles auf die Zukunft gerichtete negativ gesehen wird. Da stehst du vor jemandem, der ein volles Bankkonto hat, dir aber erklärt das sein Geld in nächster Zeit nicht reichen wird. Das gute ist ja, dass dies bei ihr nur während der Episoden so ist.

Also nein, ich muss meiner Freundin nicht finanziell unter die Arme greifen. Ich habe es ihr allerdings zur Beruhigung schon mal angeboten, obwohl eigentlich nicht nötig. Dachte das wäre clever zur Beruhigung. Es hat sie nur noch mehr aufgeregt und bestätigt, dass auch ich sehen würde das ihre Ängste begründet sind. Irgendwie macht man als Partner während einer Episode eh alles verkehrt ;-)

Was mir bei deinem letzten Beitrag eingefallen ist, ist ein Satz den ich vor einiger Zeit mal aufgeschnappt habe von einem Familientherapeuten. Er sagte, dass die meisten Konflikte innerhalb einer Familie auf falsche Rollenverständnisse zurückzuführen sind, bzw. das Rollen nicht angenommen werden. Da ist aus meiner Erfahrung etwas dran und kann wahrscheinlich auch auf Partnerschaften übertragen werden. Bezüglich meines erwachsenen Sohnes habe ich auch erst wieder ein gutes Verhältnis, nachdem ich mich aus seinem Leben raus halte. Hilfe anbieten ja, aber ich greife nicht mehr ein.
Und so sind wir halt Partner, Freund, Liebhaber aber keine Therapeuten, Mutterersatz, Lebenscoach oder Financier. Mal angenommen dein Partner wäre eine Sportskanone und du hättest ein paar Pfunde zu viel. Und jetzt steht dieser immer wieder morgens vor dir, bestens gelaunt und sagt, auf auf, lass uns eine Runde Sport machen, dann essen wir etwas gesundes. Schluss mit Kaffee und Croissant zum Frühstück – ab heute Saft und Obst... Wir alle wissen mehr Sport und gesünder Essen wäre gut für uns... dennoch würde ich so jemanden wahrscheinlich im hohen Bogen raus schmeißen – ehrlich, nicht schon am frühen Morgen ;-) Oftmals machen wir aber genau das als Angehörige, nämlich dem Partner sagen was sie machen sollen. Die sind doch nicht doof. Genau wie du weißt, dass mehr Sport und gesünder Essen besser wäre.
Moderne Partnerschaften verstehen sich gleichberechtigt und so soll es ja auch sein. Da brauch ich niemanden der mir sagt was ich wie machen soll. Das durfte meine Mutter, nicht meine Partnerin und ich will es auch nicht gegenüber meiner Partnerin. Diese Rolle haben wir da einfach nicht inne.

Wenn ich es richtig interpretiere ist dein Freund selbstständig. Wenn er denn regelmäßig in seine Krankenversicherung einbezahlt hat und eine Ausfallversicherung hat, dann könnte er sich schlicht weg und einfach krank schreiben lassen. Wahrscheinlich wird es da aber düster aussehen, wie wahrscheinlich auch bei der Altersversorgung. Das sind jetzt nur Vermutungen von mir, kommt bei Selbstständigen allerdings häufig vor. Nur, diese Versäumnisse kannst du nicht auch noch kompensieren in der Zukunft, außer du kommst über Nacht zu einer Stange Geld. Es sind Baustellen die du nicht schultern kannst und auch nicht deiner Rolle als Partnerin entsprechen. Vielleicht, aber nur vielleicht, ist nicht ein Aufstand von deiner Seite der richtige Weg damit er in Aktion gerät, sondern ihm klar machen das du nicht der Backup für sein Leben bist.

Und im übrigen kann man getrost den Kakao oder Kaffee ans Bett bringen – zusammen mit den Croissants und sich dazu legen und dann.... ach egal. Sachen die man halt macht unter Liebenden, die der Rolle entsprechen.

LG
Viginia
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Re: Vorschläge zur Regeneration

Beitrag von Viginia »

Das ist ja hier wirklich eine gute Erfahrung mit den Angehörigen, mit Dir! Danke schön!

Hallo FrequentFlyer.

Nun gefällt mir auch noch, dass sich Deine Partnerin vollkommen mit ihrer Arbeit identifiziert - weil das mein Partner auch tut.
Extra hat er noch ein spätes Studium absolviert, um in die Liga der großen Gestalter, der Architekten aufzusteigen. Damit ist sein (eher nicht vorhandenes) Durchhaltevermögen maximal gefordert und somit die Möglichkeit, zu scheitern und sich Frust an der Baustelle einzufahren, quasi optimal gegeben.

Ja, er ist selbstständig. Wobei er sich - sinnloserweise - auch momentan als Angestellter bewirbt, weil ihn das regelmäßige Gehalt und der Urlaub interessiert. Genommen wird er nicht, was gut ist. Als hochintelligenter ADHS-ler könnte das 'lahme Tempo', die 'begriffsstutzigen Kollegen' und die 'sinnfreien Aufgaben' ohnehin kaum ein halbes Jahr ertragen.

Ja, danke, FrequentFlyer! Ich bin nicht sein Financier!
Allerdings finde ich die Abgrenzung leichter, wenn kein Geld mit im Spiel ist. Also ihn in der dunklen Bude sitzen zu lassen, obwohl man das Geld hätte, die Stromrechnung zu bezahlen... das ist brutal! Und es macht was mit einem.
Getreu des Ratschlags einer Freundin, nicht zu helfen, damit der Leidensdruck so stark wird, dass er in die Handlung kommt, erlöse ich ihn nicht, packe das blöde Gefühl und schlechte Gewissen in eine Kiste und darf sehen, wie er im Kerzenschein liest und stinksauer feststellt, dass SO seine Augen noch schlechter werden.
Es ist ein Irrglaube, davon auszugehen, dass die unguten Gefühle in der Kiste bleiben. Sie suchen sich einfach den Weg über den Körper und manifestieren sich dort als Problem.
Und das find ich mal richtig fies!
Es ist ebenso ein Irrglaube, dass er durch all die vielen schlechten, miesen, fiesen, schmerzhaften Situationen, die er durchlebt, etwas ändert.

Wir konnten bereits vor ein paar Jahren analysieren, dass ihm die katholische Erziehung schwer zusetzte und das Dogma, im Leben habe man zu leiden, das gehöre sich so, tief eingebrannt ist.
Aber wie jetzt das Leid, in dem er Zuhause ist und das ihn zu einem guten Menschen macht, loslassen?

Ein Suizidversuch ist hart. Warst Du da schon mit ihr zusammen?
Mein Partner freut sich, wenn das Leben rum ist und spricht gelegentlich davon, vom Balkon zu springen. Er hat zwei tolle Kinder. Das würde er ihnen nicht antun.

Wie zugänglich ist Deine Partnerin, was Dein Leben, Deine Themen angeht? Also, wie sehr kreist sie um sich selbst? Ist sie neidisch, dass Du nicht in schwarze Löcher fällst und über Dein schönes Leben ohne Krankheit?

Herzlich,
Viginia

P.S. Du kannst mich mit r schreiben. Beim Eintippen hab ich das r vergessen - und nicht gemerkt. Vielleicht ist das auch genau richtig gewesen, denn Virginia Wolf war depressiv. Viginia ist es nicht.
antonie
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Re: Vorschläge zur Regeneration

Beitrag von antonie »

hallo,
zum thema regeneration hoffentlich passend:
mein größtes problem zur zeit ist es, mich nicht selber in eine abwärtsspirale zu denken - wenn er mal wieder keinen kontakt mit mir will, mich mit einer nebenbei gemachten bemerkung sehr verletzt, oder ich mir sorgen mache, weil er sich nicht meldet. yoga und viele andere schöne dinge mache ich auch - aber manchmal kann ich einfach nur noch negativ denken. da habe ich einen sehr einfachen denktrick entwickelt. jedes mal wenn ich an ihn denke, dann nehme ich einen buchstaben und lasse mir alle möglichen dinge, die mit diesem buchstaben anfangen, einfallen. auf diese weise ist man gedanklich ziemlich schnell bei anderen dingen. das nächste mal ist der nächste buchstabe im alphabet dran. klingt ziemlich primitiv, ist aber zumindest bei mir wirksam.
Viginia
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Re: Vorschläge zur Regeneration

Beitrag von Viginia »

Haha,
antonie,
das ist lustig!

Ja, in der Tat eine ganz schlichte Idee, gleichzeitig aber überraschend und sofort wirksam.

Kannst Du damit - wenigstens stundenweise - auch die dunklen Gedanken Deines Partners umlenken, indem Du ihm diese Aufgabe gibst?

Grüße,
Viginia
Sternenreiter
Beiträge: 8
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Re: Vorschläge zur Regeneration

Beitrag von Sternenreiter »

Hi zusammen,

ich habe extrem gute Erfahrungen mit Tieren gemacht. Wenn es mir schlecht geht oder mal wieder alles zu viel wird legt sich oft meine Katze zu mir, ganz intuitiv. Oder ich spiele mit ihr und streichle sie. Das macht ruhig und gibt einem viel. Oder ich reite lange mit meinem Pferd aus...

Ob Hund, Katze oder anderes Tier. Tiere helfen und geben viel!

LG !
antonie
Beiträge: 9
Registriert: 25. Okt 2019, 16:50

Re: Vorschläge zur Regeneration

Beitrag von antonie »

ich hab auch gerade überlegt, ob die methode nicht auch beim partner helfen würde. leider lässt er sich auf meine vorschläge selten ein. ich hatte vor ein paar jahren eine therapie wegen einer depressiven phase, und habe viele dinge gelernt, die ich ihm schon erzählt habe. manchmal gelingt es mir, ihn mit einer frage zu etwas ganz anderem abzulenken, wenn ich merke, dass er sich gleich in etwas negatives reinsteigert. dann ist er immer ganz verblüfft, wenn ich ihm hinterher sage, dass das ein trick war, den er selber auch anwenden kann. wenn er es doch nur auch mal täte...

wir sind auch beide große katzenfans und ich weiss, es würde besonders ihm viel helfen. ich würde mir und ihm (wir wohnen leider in verschiedenen städten) sehr gerne eine katze schenken, aber leider geht das wegen der beruflichen und privaten reiserei bei uns so schwer. falls da jemand eine gute idee hat....
FrequentFlyer
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Re: Vorschläge zur Regeneration

Beitrag von FrequentFlyer »

Hallo Virginia!

Virginia ist nicht depressiv – Es ist ein wunderschöner Bundesstaat mit wunderschönen Stränden im Osten, den Apalachen im Westen und Menschen die schon die Gelassenheit der Südstaatler haben, aber noch nicht deren religiösen Verbohrtheit. Ich bin in der Gegend aufgewachsen ;-)

Ich bin hier ja nicht mehr so aktiv wie am Anfang. Da hat mir dies Schreiben besonders gut getan und ich kann nur jedem ermuntern hier zu schreiben. Wenn man dies tut, dann strukturiert man seine Gedanken, denkt sie zu Ende und alleine dadurch wird einem selbst einiges klar. Und für mich bedeutete dies Schreiben auch immer eine Art Befreiung. Die Gedanken sind auf Papier und aus meinem Kopf erst mal raus. Gerade am Anfang, als ich nicht verstanden habe warum jemand der dich liebt, den du liebst, innerhalb von kürzester Zeit darauf kommt das er dich eh nie gemocht hat.

Wenn ich mir das so vor Augen führe was du schreibst Virginia, dann bin ich kein Befürworter eines radikalen fallen lassen. Wenn ich dich richtig verstanden habe, hat er ja auch gute Phasen an denen er seiner Arbeit wohl sehr gut nachkommen kann. In so einer Phase kann man ankündigen das man in Zukunft nicht mehr vorhat einzuspringen und ihn drum bitten, entsprechende Vorkehrungen zu machen. Nach der Episode ist halt auch immer vor der Episode. Wenn er derzeit in einer tiefen Krise steckt, dann würde ich es auch nicht übers Herz bringen, wie aus dem nichts auch noch die finanzielle Hilfe einstellen. Außer es war vorher so besprochen. Verlässlich sollte man schon sein. Das es aber auf lange Sicht so nicht geht, dürfte dir auch klar sein und ich habe auch das Gefühl das ist auch nicht etwas was du dir wünscht. Das Geld im Spiel ist, ist wirklich doof. Vor allem wenn man sich eine eher moderne, nicht auf Abhängigkeiten geprägte Partnerschaft wünscht. Mal helfen immer gerne, aber nicht auf Dauer. Sturheit ist aber auch nicht des Rätsels Lösung... dann nie mehr helfen ist ja auch Quatsch. Vielleicht so ein Mittelweg, wie man es bei einem pubertierendem Kind machen würde ;-)
Und nein, schmerzhafte Erfahrungen werden nicht dazu führen das sich etwas bei ihm ändert. Aber vielleicht die Einsicht das man zu jederzeit für sich selbst verantwortlich ist. Eine Verantwortung die er nicht auf dich abwälzen kann.
Was du eigentlich gar nicht geschrieben hast ist, ob er denn in Therapie ist, eine gemacht hat oder auf irgendeine Art selbst aktiv versucht damit umzugehen. Ich bezweifle bei meiner Freundin mittlerweile das ihre Depressionen heilbar sind – da gibt es alleine schon eine familiäre Prädisposition – aber ich glaube schon das man ein Stück weit lernen kann damit umzugehen und es wirklich der falsche Weg ist, es einfach über sich ergehen zu lassen. Dies ist das dickste Brett das ich bei ihr bohren muss und irgendwie noch nicht mal einen Anfang finde, weil er mir schwer fällt dieses Thema in ihren guten Phasen anzusprechen.

Irgendwie habe ich ein Bild von deinem Partner der sich schon so ein Stück weit als Opfer sieht. ADHS, Hochintelligent, strenge katholische Erziehung, Depressionen... und weiter? Egal wie, seinen Platz im Leben muss man schon selbst einnehmen, seine Strategien finden sich darin zurecht zu finden. Aber das sind alles Sachen die er zu bewältigen hat.

Mit dem hochintelligent sein hab ich persönlich so meine Probleme. Dies „Schicksal“ betrifft auch mich. Die meisten Menschen erwarten da ein Genie und wahrscheinlich meinen viele Betroffene diese Erwartungen erfüllen zu müssen. Das ist aber Quatsch. Da wird Intelligenz mit Exzellenzleistung verwechselt und diese ist immer Resultat von vorausgegangenem Fleiß. Meine Freundin bezeichnet sich übrigens als emotional Hochintelligent. Irgendwie habe ich die Befürchtung, dass Intelligenz und emotionale Intelligenz nur zwei Seiten der gleichen Medaille sind.

Du wolltest wissen ob ich schon mit meiner Freundin zusammen war als sie ihren Suizidversuch unternommen hat. Nein, das war ich nicht, hatte aber bei ihren ersten Episoden die ich miterlebt habe, ganz schön Angst das sich dies wiederholt.
Du sagst dein Freund spricht davon vom Balkon zu springen. Uff, ich würde das ernst nehmen. Allerdings nicht in dem Sinn das du dafür Verantwortung übernimmst auf ihn aufzupassen. Wenn mich meine Freundin damit konfrontieren würde, würde ich zum Telefonhörer greifen. Gut, ich kann gut reden, musste ich mich ja noch nicht damit auseinander setzen. Aber bei einem Betroffenen der sich nicht professionell helfen lässt und so etwas in die Richtung sagt... keine Ahnung. Ach eigentlich schon. Sicherheit geht immer vor.

Aber hier befinden wir uns ja in dem Thread „Vorschläge zur Regeneration“. Und wie oben schon geschrieben, halte ich das Schreiben hier für sehr gut. Es ordnet, zumindest bei mir, die Gedanken, lässt mich klarer sehen und mich auf die wichtigen Dinge konzentrieren. Mir ist es gerade am Anfang zu oft passiert, dass ich mich gedanklich im Kreis gedreht habe. Niederschreiben hat dies beendet und irgendwie hatte ich immer den Eindruck, was ich hier geschrieben hatte war dann erst mal ausgelagert aus meinem Kopf. Deswegen kann ich jeden Angehörigen nur ermuntern hier zu schreiben und nicht nur passiv zu lesen.

Etwas spaßig gemeint: Und da wir uns hier ja in dem Thread „Vorschläge zur Regeneration“ in dem Forumsteil für Angehörige befinden, bitte nicht schon wieder überlegen wie wir die Betroffenen dazu bekommen das sie Dinge tun, die uns gut tun, um ihnen zu helfen. Auch wir dürfen egoistisch sein und mal das Helfersyndrom im Schrank lassen. Wir müssen uns nicht über das Wohlergehen unserer Partner definieren, wenn wir nicht die Ursache ihrer Depressionen sind. Ich habe so irgendwie die Befürchtung, dass wir eh das alles wenig beeinflussen können. Das ist nicht pessimistisch gemeint, sondern kann befreiend sein wenn man es sich vor Augen führt.

LG
Gedankenvoll
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Registriert: 30. Aug 2019, 14:28

Re: Vorschläge zur Regeneration

Beitrag von Gedankenvoll »

Hallöchen, :hello:
habe die letzte Zeit hier nur "mitgelesen".

Aber jetzt stehe ich auch vor einer Entscheidung.

Die ganze Vorgeschichte möchte ich gar nicht im Einzelnen aufdröseln. Nur soviel.... wir haben uns im Juni 2019 kennengelernt und von seiner Seite war sofort klar, dass es eine "feste Beziehung" sein soll. Anfangs wusste ich nix von seinen Deprressionen, aber diese teilweise längeren Sendepausen haben mich dann stutzig gemacht und ich habe mich dann auch mit dem Thema befasst. Als ich mir ziemlich sicher war, habe ich ihn vorsichtig darauf angesprochen und er hat es auch bestätigt. Monatlich geht er zu einer Sozialtherapeutin und sucht auch einen Phychologen.
Dass das dauert und nicht einfach ist....... wem sag ich das.

Wenn wir zusammen sind, ist es meistens sehr schön. Mit den Sendepausen hab ich mich auch abgefunden. Schreibe dann immer mal eine Nachricht (unsere Kommunikation läuft meistens schriftlich, wenn wir uns nicht sehen) und warte dann bis er wieder aus der Versenkung auftaucht.

Diesmal weiß ich nicht, ob ich einen neuen Anlauf starten soll, da ich sehr verärgert/enttäuscht bin.

Ich bin z.Zt. noch körperlich durch einen Unfall etwas eingeschränkt (kann nicht gut laufen, Beinbruch und Kniegelenk zertrümmert, aber inzwischen erneuert). Das war aber nie ein Problem zwischen uns. Ich musste am 27.10. ins Krankenhaus. Wir haben darüber gesprochen und er fand es gut, dass ich mich nicht mit der Situation nicht einfach abfinde, sondern eine weitere OP anstrebe, um den "Normalzustand" wieder herzustellen. Er hat immer wieder betont, dass wir das zusammen schaffen werden. Wir hatten vereinbart, dass er sich in den paar Tagen (Sonntag bis heute Freitag) zu mir "zieht", um sich um die drei Katzen zu kümmern. Ich hatte das Gefühl, dass er es auch sehr gern macht! Er mag die Nasen sehr und die Nasen ihn. Außerdem wäre er aus seiner nicht so tollen Wohnsituation rausgekommen.

Ja..... er hat sich zuletzt am 15.10. per WhatsApp gemeldet. Wir haben ein bisschen hin- und her geschrieben und ich hatte das Gefühl, dass ihm sehr viel an "UNS" liegt!. Aber dann kam nix mehr. Also musste ich kurzfristig eine Lösung finden. Für mich war das obendrein Megastress und für meine Nasen auch.
Während der Zeit im Krankenhaus hat er sich auch nicht gemeldet. Ich denke, er traut sich nicht mehr.
Einerseits bin ich noch sehr verärgert (er hätte nur rechtzeitig schreiben brauchen, er kann es nicht). Andererseits..... soll ich nochmal schreiben, wenn ja.....WAS????
Eigentlich hatte ich schon für mich entschieden, wenn ihm was an uns liegt, dann muss jetzt ein Lebenszeichen von ihm kommen.

Ich weiß gerade nicht, was ich machen soll. :cry:
FrequentFlyer
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Re: Vorschläge zur Regeneration

Beitrag von FrequentFlyer »

Hallo Gedankenvoll!

Herzlich willkommen hier in diesem Forum und ich geh gleich mal rein ins Thema:
Dir scheint das ganze ja nicht so ganz egal zu sein, sonst würdest du hier nicht schreiben. Jetzt vergiss einfach einmal diese Depression bei deinem Freund. Wir tun einfach mal so, als gäbe es diese Krankheit nicht. Ich will gar nicht wissen, wie viele tolle Liebesbeziehungen nie zustande gekommen sind, weil der eine Liebespartner auf eine Reaktion des anderen wartet. Und da sitzt sie vor ihrem Telefon und wartet auf einen Anruf. Und am anderen Ende der Leitung sitzt er und wartet auf ein Zeichen von ihr. Und beide sagen sich, wenn dem anderen etwas an mir liegt, dann muss er jetzt aktiv werden. Der Prinz hätte nie Schneewittchen geküsst, wenn er auf ein Zeichen von ihr gewartet hätte – sie konnte einfach nicht.
So, und jetzt nimm noch seine Krankheit dazu. Wenn er so halbwegs normal tickt, dann wird ihm dies total peinlich sein, da er dich hat hängen lassen.
All dies zu durchbrechen ist eigentlich total einfach. Man muss nur selber aktiv werden. Welchen Zacken aus der Krone brichst du dir ab, wenn du dich bei ihm meldest? Mach es doch einfach um Klarheit zu gewinnen. Indem du auf ein Lebenszeichen von ihm wartest, löst du dies Problem nicht. Es ist die typische Situation in der man ein Gespräch anfängt mit den Worten: „Du, wir müssen mal reden“.

Viel Glück dabei. Und solltest du feststellen, dass er immer noch in einer tiefen depressiven Episode steckt, dann musst du halt einen Monat später dieses Gespräch führen.

LG
Viginia
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Registriert: 18. Okt 2019, 00:46

Re: Vorschläge zur Regeneration

Beitrag von Viginia »

FrequentFlyer hat geschrieben:Hallo Gedankenvoll!

Jetzt vergiss einfach einmal diese Depression bei deinem Freund. Wir tun einfach mal so, als gäbe es diese Krankheit nicht.
LG
In diesem Fall würde ich sagen: Die Funkstille, die er inszeniert, ist ärgerlich. Frustig! Die Konsequenzen ziehen - und ihn abhaken.
So tut man doch nicht mit dem anderen umgehen!
;-)

Interessant ist das.
Aber Du hast recht: Meldet sich Gedankenvoll und es geht in die Hose, weiß sie auch Bescheid.

Hallo FrequentFlyer,
ich hatte Dir ausführlich geantwortet. AUSFÜHRLICHST formuliert.
Dann drückte ich auf "Absenden" - und flog aus dem System. Mein Beitrag verschwand.
Von dem Erlebnis bin ich etwas geschwächt.
Ich warte, bis ich die Kraft habe, mich zu wiederholen oder mir was Neues auszudenken :-)

Herzlich,
Viginia
Gedankenvoll
Beiträge: 6
Registriert: 30. Aug 2019, 14:28

Re: Vorschläge zur Regeneration

Beitrag von Gedankenvoll »

Hallo Bittermandel, Frequent Flyer, Viginia,

ich hab eine kurze Nachricht geschickt.

"Ist wahrscheinlich egal. Wir sind wieder zuhause". (Die kleine "Spitze" konnte ich mir nicht verkneifen :lol: )
Er hat es gelesen, aber nicht geantwortet.
@Frequent Flyer
Ich glaube auch, dass es ihm peinlich ist. Er hat es sogar mal selbst geschrieben-bei einer anderen Situation. Es kam auch mal, dass seine Psyche hakelt und es ihm unendlich leid tut.

Ich werde jetzt mal abwarten. Aber vielen Dank für Eure Antworten!!
FrequentFlyer
Beiträge: 293
Registriert: 23. Dez 2017, 02:20

Re: Vorschläge zur Regeneration

Beitrag von FrequentFlyer »

Hi ihr Lieben!

@Virginia: Ich glaube das ist uns fast allen schon mal so gegangen, dass alles weg war was man mühevoll geschrieben hat. Ich schreibe meist auf einem Textverarbeitungsprogramm und kopiere es dann hier rein bzw. kopiere den Text bevor ich ihn losschicke in die Zwischenablage damit er nicht verloren ist.

Du schreibst:
„In diesem Fall würde ich sagen: Die Funkstille, die er inszeniert, ist ärgerlich. Frustig! Die Konsequenzen ziehen - und ihn abhaken.
So tut man doch nicht mit dem anderen umgehen!“

Okay, euch ist schon klar das ihr mit Männern kommuniziert ;-)
Wir, bzw. eindeutig ich, bin diesbezüglich behindert. Mir fehlt dieses Gen in jeder Sprechpause, in einem Schweigen, ja selbst in der Wortwahl einen doppelten Boden, eine versteckte Botschaft zu sehen. Ich bin diesbezüglich absolut blind. Diese Ebene fehlt mir komplett. Ich brauche schon so ein bisschen die direkte Ansprache. Damit kann ich auch wunderbar umgehen. Nicht immer denken was der andere denkt, was ich denke, was womöglich er denkt. Da wird’s mir schwindelig. Einfach Ansprechen, einfach Fragen.

Im Ernst: Natürlich ist das frustig. Nur alles kann schon alleine deswegen scheitern, weil er vielleicht ihr Schweigen selbst als inszeniert erlebt oder dahinter eine Botschaft des Desinteresses sieht. Es muss nur eine Mail im Spamordner gelandet sein und schon sind alle Annahmen passe. Oder er ist so tief in ein Loch gefallen, das einfach gar nichts mehr ging, was jetzt nicht unwahrscheinlich ist. Ohne zu kommunizieren werden die beiden es nie erfahren. Ich habe noch nie gehört, das zwei Menschen zusammen gekommen sind, weil sie geschwiegen haben. In solch eine Kommunikationssackgasse gerät man schon als nicht-Betroffener leicht. Ich bin es mittlerweile gewohnt, wenn sich meine Freundin in einer Episode befindet. Da bleib ich einfach beharrlich und mache alle ein- zwei Wochen einen neuen Anlauf. Da versuche ich Brücken zu bauen, damit die Kommunikation wieder aufgenommen werden kann von ihr – ohne das sie sich für ihre Depression entschuldigen muss. Selbstverständlich schicke ich Blumen zum Geburtstag, schreibe eine Karte aus dem Urlaub. Ach, es gibt immer wieder Anlässe oder Ereignisse. Und da hole ich mir auch mal eine blutige Nase und bekomme als Antwort, das sie mich eh nie gemocht hat. Da kommen dann wirklich manchmal total bizarre Sachen. Und irgendwann kommt sie wieder aus der Episode... und das geht mir dann manchmal zu schnell. Aber ich bezweifle das wir die Beziehung wieder aufnehmen würden, wenn ich nicht immer wieder einen Anlauf starten würde. Ihr ist die nämlich auch peinlich - da geht es manchmal um gebuchte Urlaube oder andere Dinge die wir geplant hatten und halt mal wieder nicht gehen.

@Gedankenvoll: Was für eine Antwort erwartest du von ihm? Wenn er unter Depressionen leidet und sich in einer schweren Episode befindet oder befunden hat.... wenn ihm das alles total peinlich ist das er dir nicht helfen konnte. Umgekehrt: Was würdest du auf eine Nachricht von ihm antworten mit dem beginnenden Wortlaut: Ist wahrscheinlich egal....

Bei Kommunikation oder in eurem Fall beim Schweigen geht es doch nicht darum wer Recht hat. Es ist doch kein Kommunikationsmikado. Wer zuerst redet hat verloren.
Ich habe übrigens beste Erfahrungen mit dem altmodischen Schreiben von Briefen oder Emails gemacht. Das ist eine asynchrone Kommunikation die nicht sofort eine Antwort verlangt und die man als Absender auch nicht erwartet. Ich glaube Betroffenen kommt dies sehr entgegen.

LG
Viginia
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Re: Vorschläge zur Regeneration

Beitrag von Viginia »

FrequentFlyer hat geschrieben: Ich schreibe meist auf einem Textverarbeitungsprogramm und kopiere es dann hier rein bzw. kopiere den Text bevor ich ihn losschicke in die Zwischenablage damit er nicht verloren ist.
Ja, mache ich jetzt auch.
Hallo FrequentFlyer!
FrequentFlyer hat geschrieben: Nur alles kann schon alleine deswegen scheitern, weil er vielleicht ihr Schweigen selbst als inszeniert ...
Gut, "inszeniert" ist nicht der richtige Begriff. Es ist vielleicht eher "initiiert" oder schlicht die Formulierung "...dass er nicht Bescheid sagt, dass er sich zurückzieht".
Wäre wichtig bzw. ist doch eine Frage der Wertschätzung des anderen, dass er VORHER sagt "Ich würde dir gerne helfen, aber auf mich ist kein Verlass. Kann sein, dass ich unverhofft in ein tiefes Loch falle und mich nicht mehr melden kann. Damit würde ich dich verletzen und das will ich nicht."
FrequentFlyer hat geschrieben: Oder er ist so tief in ein Loch gefallen, das einfach gar nichts mehr ging, was jetzt nicht unwahrscheinlich ist.
Ja, das ist wahrscheinlich auch so.
Und ich merke, wie schwer es mir fällt, das tatsächlich zu begreifen, diese völlige Unfähigkeit, in die Aktivität zu gehen.
Wenn mein Partner in das große Loch fällt, interessiert er sich aber noch für Fußball. Hier ist auch das Thema Pünktlichkeit überhaupt kein Problem. Zum Anpfiff sitzt er vor der Glotze. Das heißt: es gibt - trotz Depressionsschub - noch etwas, das ihn interessiert, also eine Emotion, die ihn in die Aktivität bringt.
Der Partner von Gedankenvoll hat ja wahrscheinlich in seinem schwarzen Loch auch noch Empfindungen, nämlich die der Scham, des peinlich berührt seins, weil er gerade seine Freundin hängen lässt. Das ist verdammt unangenehm.
Und was ich nicht kapiere: Wenn etwas verdammt unangenehm ist und einen fertig macht - warum bringt das einen nicht in die Aktivität, wenigstens einen einzigen Satz ins Handy zu tippen und sich mit einem Sorry 'gescheit' abzumelden?
FrequentFlyer hat geschrieben: ... Ich bin es mittlerweile gewohnt, wenn sich meine Freundin in einer Episode befindet. Da bleib ich einfach beharrlich und mache alle ein- zwei Wochen einen neuen Anlauf. Da versuche ich Brücken zu bauen, damit die Kommunikation wieder aufgenommen werden kann von ihr – ohne das sie sich für ihre Depression entschuldigen muss.
TOLL!
Das muss man erst mal hinkriegen!
Wahrscheinlich bist Du auch noch entspannt dabei. Wie machst Du das?
FrequentFlyer hat geschrieben: ... Und da hole ich mir auch mal eine blutige Nase und bekomme als Antwort, das sie mich eh nie gemocht hat. Da kommen dann wirklich manchmal total bizarre Sachen.
Sag mal... Ist das nicht auch irgendwie merkwürdig, seine Partnerin über weite Strecken nicht ernst nehmen zu dürfen?
Ich heiß hier ja auch Virginia, weil Woolf sagte "Man sieht durch die Wörter immer die Seele." - Was ich unterschreiben kann. Wenn da so ein Mist vom Gegenüber raus kommt... das ist doch ziemlich ernüchternd.
Da fällt mir ein, dass mir mein Partner vor etlichen Jahren im Streit aus dem Nichts vorwarf, ich würde ihn doch nur finanziell übers Ohr hauen. Inhaltlich ein Witz! War aber nicht lustig. Ich hab ihm die Tür gezeigt und die Beziehung auf Eis gelegt, weil ich mit einem Mann, der mir nicht vertraut, nichts anfangen kann. Das war sicher nicht so von ihm gemeint und galt wahrscheinlich gar nicht mir. Dann hab ich ihm eben die 'Ohrfeige' dafür erteilt, dass er es wagt, ausgerechnet vor mir, die ich versuche, seine Insolvenz zu regeln und ihn finanziert, seinen Vollfrust so kundzutun.

Also, wie machst Du das, mit dem Entzug der Beziehungsgrundlage ("Hab dich eh nie gemocht") trotzdem an ihrer Seite zu bleiben? Darf sie zu Dir alles sagen?
Gut, Du schreibst, dass Du Zeit brauchst, Dich davon zu erholen. Es geht Dir zu schnell, wenn munter aus ihrem Loch krabbelt und mit Dir eine normale, liebevolle Beziehung führen will.
Wäre ich aber die Freundin Deiner Freundin, würde ich ihr sagen, dass sie NICHT alles aussprechen muss, was sie in der Depression grad mal so fühlt. Depression ist doch keine Epilepsie mit vollständigem Kontrollverlust.

... oder doch?
FrequentFlyer hat geschrieben: Es ist doch kein Kommunikationsmikado. Wer zuerst redet hat verloren.
Du bist wirklich der Hit!
Vielleicht lässt Du - für meinen Geschmack - zu viel durchgehen ;-), aber trotzdem klasse.

Herzlich,
Viginia
Viginia
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Re: Vorschläge zur Regeneration

Beitrag von Viginia »

Und wenn ich schon mal hier bin, gehe ich an Deinen vorhergehenden Beitrag.

Hallo FrequentFlyer!
FrequentFlyer hat geschrieben: Virginia ist nicht depressiv – Es ist ein wunderschöner Bundesstaat ... Ich bin in der Gegend aufgewachsen ;-)
Das gibt's ja nich! Echt jetz oder nich?
FrequentFlyer hat geschrieben: ...Da hat mir dies Schreiben besonders gut getan ... Gerade am Anfang, als ich nicht verstanden habe warum jemand der dich liebt, den du liebst, innerhalb von kürzester Zeit darauf kommt das er dich eh nie gemocht hat.
Kann man auch in Deinen Aufzeichnungen die Beantwortung der Frage finden, warum Du Dir ausgerechnet diese Frau ins Leben geholt hast?
Ich stellte diese Frage, warum ausgerechnet er in meinem Leben ist, einer Freundin.
Sie sagte: "Weil du es kannst."
Ich musste lachen.
FrequentFlyer hat geschrieben: Nach der Episode ist halt auch immer vor der Episode.
Da sagst Du was!!
Was mich über die Jahre besonders viel Kraft gekostet hat, war mein Unwissen darüber. Was habe ich mit ihm mannigfaltige, dauerhafte Lösungen überlegt! Was hatte ich Hoffnungen, wenn es gut lief! Und wie elend war mir, wenn er wieder ins schwarze Loch sank. Wie wütend war ich über diesen Energiefresser!
Seit zwei Wochen ist endlich klar, was los ist.
FrequentFlyer hat geschrieben: Das Geld im Spiel ist, ist wirklich doof.
Ja. Erst heute Morgen dachte ich, dass es kaum jemanden gibt, bei dem ein satter Lottogewinn so gut aufgehoben wäre, wie bei mir. Ich würde meinem Partner ein Taschengeld geben, damit ich in diesem Thema meine Ruhe habe und mich folgend in künstlerische Projekte eingraben.
Es kann natürlich gut sein, dass mit dem Wissen um den Lottobetrag eine Menge Ideen in seinem Kopf wachsen, mit denen er mich folgend belästigen würde, weshalb ich vorher, also bevor ich mich eingrabe, einen geschickten Plan entwickeln müsste, um der Belästigung vorzugreifen. Das halte ich für machbar :-)
FrequentFlyer hat geschrieben: Und nein, schmerzhafte Erfahrungen werden nicht dazu führen das sich etwas bei ihm ändert.
Warum nicht?

FrequentFlyer hat geschrieben: Was du eigentlich gar nicht geschrieben hast ist, ob er denn in Therapie ist, eine gemacht hat oder auf irgendeine Art selbst aktiv versucht damit umzugehen.
Er war mal eine Zeit lang bei einer wunderbaren Therapeutin. Die mag er auch sehr. Als ich ihm vor drei Monaten vorschlug, sie wieder mal aufzusuchen, meinte er, sie könne ihm nicht helfen, er bräuchte ja nur neue Aufträge.
Ich habe nun allerdings Unterstützung bekommen von zwei meiner Freundinnen: die eine Ärztin, die andere Therapeutin. Mein Partner mag beide, sie telefonierten lange. Und ich habe den Eindruck, diese Gespräche waren richtig gut.
Gerade schrieb er eine Mail, er hätte das Finanzamt angerufen und die Vollstreckung abgewendet. Immerhin - er rief an.

FrequentFlyer hat geschrieben: Ich bezweifle bei meiner Freundin mittlerweile das ihre Depressionen heilbar sind – da gibt es alleine schon eine familiäre Prädisposition – aber ich glaube schon das man ein Stück weit lernen kann damit umzugehen und es wirklich der falsche Weg ist, es einfach über sich ergehen zu lassen. Dies ist das dickste Brett das ich bei ihr bohren muss und irgendwie noch nicht mal einen Anfang finde, weil er mir schwer fällt dieses Thema in ihren guten Phasen anzusprechen.
Könnte das auch sein, dass sie in einer guten Phase gar nicht drüber reden will, also nicht empfänglich dafür ist?
FrequentFlyer hat geschrieben: Irgendwie habe ich ein Bild von deinem Partner der sich schon so ein Stück weit als Opfer sieht. ADHS, Hochintelligent, strenge katholische Erziehung, Depressionen... und weiter?
Haha! Und weiter?
Allein "katholische Erziehung" tät ja schon reichen!
Kannst Dir nicht vorstellen, wie er bei diesem Thema ausflippt. Der Hass kommt von ganz tief unten, spürt man! Die Erde tut sich auf, Schwefel erfüllt den Raum und man kriegt keine Luft mehr... ;-)
FrequentFlyer hat geschrieben: Mit dem hochintelligent sein hab ich persönlich so meine Probleme. Dies „Schicksal“ betrifft auch mich. Die meisten Menschen erwarten da ein Genie und wahrscheinlich meinen viele Betroffene diese Erwartungen erfüllen zu müssen. Das ist aber Quatsch. Da wird Intelligenz mit Exzellenzleistung verwechselt und diese ist immer Resultat von vorausgegangenem Fleiß.
Sehr gut!
FrequentFlyer hat geschrieben: Meine Freundin bezeichnet sich übrigens als emotional Hochintelligent. Irgendwie habe ich die Befürchtung, dass Intelligenz und emotionale Intelligenz nur zwei Seiten der gleichen Medaille sind.
Ich weiß nicht, ob Du einen hohen IQ hast. Aber aus Deinen Zeilen lese ich einen hohen EQ.
FrequentFlyer hat geschrieben: Du sagst dein Freund spricht davon vom Balkon zu springen. Uff, ich würde das ernst nehmen.
Interessant. Nein, komisch, ich sehe da keine Gefahr. Ich erkenne schon das "lebensmüde", den Frust, dass so vieles nicht klappt und die Wut, dass er immer wieder bei Null landet. Ich wüsste nicht, warum ich zum Telefonhörer greifen sollte. Ich nehme ihn in den Arm, tröste ihn. Dann geht's wieder.
FrequentFlyer hat geschrieben: Etwas spaßig gemeint: Und da wir uns hier ja in dem Thread „Vorschläge zur Regeneration“ in dem Forumsteil für Angehörige befinden, bitte nicht schon wieder überlegen wie wir die Betroffenen dazu bekommen das sie Dinge tun, die uns gut tun, um ihnen zu helfen.
Nein, das mache ich nicht mehr!
Ich habe jetzt 18 Jahre lang mitgeteilt, wie ein schönes Leben funktioniert und brillante Vorschläge unterbreitet, was man tun kann, um Stress und blöde Gefühle zu vermeiden.
Und er ist auch stets neidisch, wie ich das umsetze, d.h. er guckt offensichtlich auch hin.
Mehr kann ich nicht tun. Ich darf jetzt meinen Mund halten.
FrequentFlyer hat geschrieben: Ich habe so irgendwie die Befürchtung, dass wir eh das alles wenig beeinflussen können.
Wen kann man schon beeinflussen? Wenn ich mir anschaue, wie rigide und resistent ich selbst bin...

Herzlich,
Viginia
ZimtundZucker
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Re: Vorschläge zur Regeneration

Beitrag von ZimtundZucker »

Hallo alle Zusammen,

zunächst möchte ich mich dafür bedanken, dass ich eurer intensives Gespräch hier mitleseen darf.

Offensichtlich seid ihr alle schon länger in Partnerschaften, die von dieser Krankheit überschattet sind.

Die Frage, ob jemand noch in der Lage ist, sich vor seiner Rückzugsphase zu verabschieden, auf Zeit zumindest, beschäftigt mich auch.

@FrequentFlyer: und ich bin wirklich von deiner offensichtlich ganz gelassenen Art damit umzugehen beeindruckt.

Ich stecke gerade noch mitten in der Kennenlernphase und ich beginne zu ahnen, was Rückzug bedeutet. Irgendwie muss es sich so anfühlen als hätte man in der Phase keine Beziehung, weil da jemand auf Zeit aussteigt. Und ich weiss nicht, ob ich Monate, hat da jemand Monate geschrieben???, warten könnte.

Andererseits fordert es mich auch total heraus mit mir im Reinen zu sein, mich nicht abhängig zu machen. Alles sehr spannend.

Ich les mich gleich nochmal durch eure Texte...

Schönen Abend und gute Nacht!
FrequentFlyer
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Re: Vorschläge zur Regeneration

Beitrag von FrequentFlyer »

Hi ihr Lieben!

Uff, so viele Fragen von dir Virginia. Ich versuche sie zusammenzufassen und hoffentlich beantwortet dies einiges.

Ihr täuscht euch schon so ein bisschen, Virginia und ZimtundZucker, dass ich ganz gelassen damit umgehe. Gerade in den Übergangszeiten macht mich dies schon fertig. Und gerade wenn sie in eine Episode rutscht, und dies kündigt sich schon so mit einer Art Aura an, versuche ich dagegen zu arbeiten, agitieren oder was auch immer. Es ist zwecklos, jedes mal. Wenn man es als ein biochemisches Ereignis sieht, kann man eine Stoffwechselstörung im Gehirn nicht wegreden. Nun ist es aber bei meiner Freundin so, dass ihre Episoden sehr abgegrenzt sind. Dieser Wechsel kann sich innerhalb kurzer Zeit vollziehen und dauert dann manchmal nur Tage, manchmal mehrere Monate. Wobei es innerhalb der Episode wohl nicht immer gleich schlecht ist. Sie hat es mal mit einer Art Überlebensmodus beschrieben. Da kann sie sich nur noch auf sich selbst konzentrieren.

Ich selber kann an ihrer Körperhaltung schon erkennen, in welchem Modus sie gerade ist. Aber auch selbst an der Wortwahl, Verwendung von Emojis bei WhatsApp kann man diese Veränderung bemerken. Das ganze kann so bizarre Ausmaße annehmen, dass sie mich in einem Gespräch mit Worten total abblockt, ihre Körpersprache aber völlig uneinheitlich dazu ist. Diese Beobachtung hat mich bei dem allerersten „Schluss machen“ von ihr auch klar gemacht, das da etwas nicht stimmt. Als Außenstehender würde ich dies als ein Verlust des emotionalen Koordinatensystems beschreiben und zusätzlich hat auch alles auf die Zukunft gerichtete keinen Sinn bzw. wird eh nichts. Merkmale von Depressionen halt.
Verliebt habe ich mich in die Frau außerhalb der Episode, die dann wirklich so normal ist wie man mit über 50 sein kann. Viel Geduld muss ich aufbringen wenn sie in einer Episode steckt. Dann sehe ich mich halt mal wieder als Single. Deswegen pflege ich sehr meinen Freundeskreis und plane mittlerweile auch viel einfach ohne sie....
Ich als Außenstehender sehe da zwei Personen. Und wir als Partnern sehen da auch immer diese zwei Zustände des ein und desselben Menschen. Jemand der erfolgreich als Architekt arbeiten kann und dann wieder jemand der seine Stromrechnung nicht zahlt weil er im Loch steckt. Das ist aber die Betrachtungsweise von uns Außenstehenden. Ich glaube mittlerweile, und eigentlich liegt dies ja auf der Hand, dass die Depressionen so mit dem eigenem Ich unserer Partner verbunden sind, da gibt es keine zwei Personen. Da passt noch nicht einmal ein Blatt Papier dazwischen. Für sie ist dieses Loch Realität, nichts das man abstrahieren kann und entsprechend darauf reagieren kann. Ein Stummer kann dir am Telefon nicht sagen dass er stumm ist. Das geht einfach nicht. Und so kann dir wahrscheinlich auch ein an Depressionen erkrankter Mensch nicht sagen das er sich nicht melden kann. Es handelt sich ja hierbei nicht um depressive Gedanken die jeder von uns mal hat – Montagmorgens an einem grauen Novembertag etwa – nein, es sind keine Gedanken sonder die reale Erlebniswelt und die sind tief verwurzelt im eigenen Ich der Betroffenen. Zumindest beobachte ich dies bei meiner Freundin.
Und so werden einhundert schmerzliche Erfahrungen während einer Episode nicht viel ändern. Es gehört zum Dasein eines Betroffenen dazu, es ist Teil des Ichs. Vielleicht kann eine Therapie dies durchbrechen, ein Versuch wäre es wert.
Jetzt ist es bei meiner Freundin so, dass für sie nach der Episode halt nicht vor der Episode ist. Für sie ist es immer die Letzte, denn jetzt hat sie endlich etwas verstanden. Das Ende einer Episode sieht sie als eine Art Wiedergeburt – besser und weiser. Ich kann heute schon vorhersagen, dass kurz vor Weihnachten sie auf Tauchstation gehen wird – das war noch jedes Jahr so.

Zu dem Themenkomplex Kommunikation. Ob sie alles zu mir sagen darf und ob ich ihr zu viel durchgehen lasse? Das sind doch keine Machtspiele. Es geht doch nicht darum wer Recht hat. Bei manchen Menschen scheint die Seele ab und zu Blähungen zu haben und für uns erscheint das als Mist was da rüber kommt. Da ich aber bei meiner Freundin zwischen den zwei Zuständen unterscheiden kann, fällt es mir nicht schwer großzügig darüber hinweg zu sehen, wenn sie in einer depressiven Episode steckt. So Sätze wie „ich habe dich eh nie gemocht“ können in dem Moment stimmen, weil das emotionale Koordinatensystem aus den Fugen ist, sie können berechnend sein, um einfach in Ruhe gelassen zu werden... wer will das schon wissen, wenn der Absender der Worte es wahrscheinlich noch nicht einmal selbst weiß.
Während einer Episode lasse ich meine Freundin mittlerweile eigentlich auch in Ruhe. Soll sie doch vor sich hin wursteln, denn die Auseinandersetzung mir ihr erlebe ich zu diesen Zeiten genau wie du auch als reine Energiefresser, die keinen Schritt weiter führen. Wenn das Bienensterben nun mal unweigerlich zum Ende aller Tage führt, was macht dann noch Sinn. Vielleicht ein Fußballspiel aus Gewohnheit anschauen. Keine Ahnung.
Ja, wir lösen unsere Probleme in dem wir in die Aktivität gehen. Unsere Partner? Dieses verdammte Bienensterben. Bei meiner Freundin hat dann wirklich alles auf die Zukunft gerichtete einen negativen Ausgang und alles wird ins Negative verdreht. Der Satz von Gedankenvoll „Ist wahrscheinlich Egal. Wir sind wieder zu Hause“ kann wunderbar in so ein Weltbild eingebunden werden. Beziehung, Menschheit, einfach alles findet einen negativen Ausgang.... und wie beschrieben, das ist tief im Ich verankert, bildet eine Einheit mit diesem und dies sind nicht nur Gedanken an einem Montagmorgen.
Und so bin ich zu der „Taktik“ gekommen, lass sie in den Episoden in Ruhe, starte aber immer mal wieder einen Art Testballon um zu sehen wo sie steht. Meist kommt übrigens nichts, oder in einer Langsamkeit die ihresgleichen sucht. Zeitspannen scheinen übrigens ein Thema für sich zu sein. So wie viele anderen Dinge, die für mich als Außenstehender bizarr wirken.

Ja, ich bin unter anderem in den Vereinigten Staaten aufgewachsen und dort wurde bei jedem Schüler ein Intelligenztest gemacht.

LG
Viginia
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Registriert: 18. Okt 2019, 00:46

Re: Vorschläge zur Regeneration

Beitrag von Viginia »

Hallo FrequentFlyer,

habe ich Dich jetzt - ausgerechnet im Thread "Regeneration" - etwas ausgepowert?

LG
Viginia
ZimtundZucker
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Registriert: 25. Okt 2019, 12:04

Re: Vorschläge zur Regeneration

Beitrag von ZimtundZucker »

Hi Viginia, hi FrequentFlyer, hallo alle Zusammen, die mitlesen,

hier noch ein paar Gedanken zum verdammten Bienensterben....

Nachdem es ja hier darum geht, wie man sich gut erholt, gut bei sich bleiben kann und sich eben nicht auch von negativen Gedanken mitreissen lässt, glaube ich, es ist vielleicht letztlich eine Frage welche Art von Beziehung man sich wünscht.

Dass ich mich sehr verbunden fühle grundsätzlich ist für mich wichtig. Aber ich brauch auch meinen eigenen Raum. Die Frage ist, wie sich so Rückzugsphasen gestalten. Da hab ich noch nicht so viele Erfahrungen wie ihr. Ich glaub einfach es erfordert ein hohes Maß an Unabhängigkeit, das so viel Distanz ermöglicht, dass man dann gar nicht das Gefühl hat sich regenerieren zu müssen. Aber das ist wahrscheinlich eine theoretische Idealvorstellung! Ich merke ja selber, wie das Thema Rückzug mich beschäftigt. Jetzt schon! Wenn du, FrequentFlyer, deine Partnerin über die Jahre so gut kennen gelernt hast, dass du intuitiv zwischen den Zuständen unterscheiden kannst, macht es das natürlich einfacher.

@FrequentFlyer: So wie sich dein Text gelesen hat, hat sich mir quasi der Eindruck aufgedrängt dir würde das alles sehr leicht fallen. Aber es ist eigentlich logisch dass hier keiner immer in der Balance bleibt.

Was ich mir schwer mit einem depressiven Partner vorstellen könnte, wäre die gemeinsame Verantwortung für Kinder. Ich glaube vor dem Hintergrund sind auch viele Angehörige hier so enttäuscht und selbst vielleicht auch überarbeitet. In einer reinen Paarbeziehung kann man die Verantwortlichkeiten anders sortieren, die heisse Schokolade mit ins Bett bringen und sich dazu legen.

Ich verstehe durch den Austausch mit euch hier viel mehr. Danke dafür!

Viginia, wie ich sehe hast du schon lange Zeit viel in deine Partnerschaft investiert. Weiss dein Partner das den in den guten Zeiten zu schätzen? Führst du deiner Meinung nach in den nicht-depressiven Phasen mit deinem Mann eine Beziehung auf Augenhöhe?

Aktuell lese ich den Blog 'sonnengrau' und das Buch 'Minusgefühle'. Aber eure persönlichen Perspektiven als Partner sind mindestens genauso spannend.

Bei mir ist alles noch ganz frisch und ich bin mal gespannt wie es weiter geht...

Eine gute Zeit euch!
Viginia
Beiträge: 25
Registriert: 18. Okt 2019, 00:46

Re: Vorschläge zur Regeneration

Beitrag von Viginia »

Hallo ZimtundZucker!
:-)
ZimtundZucker hat geschrieben: Nachdem es ja hier darum geht, wie man sich gut erholt, gut bei sich bleiben kann und sich eben nicht auch von negativen Gedanken mitreissen lässt, glaube ich, es ist vielleicht letztlich eine Frage welche Art von Beziehung man sich wünscht.
Ja schon. Aber unbestritten dürfte sein, dass man sich keine Beziehung wünscht, die einen runterzieht.
Vielleicht ist es eher die Frage, welche Art von Beziehung man selbst meistern kann.
ZimtundZucker hat geschrieben: Dass ich mich sehr verbunden fühle grundsätzlich ist für mich wichtig. Aber ich brauch auch meinen eigenen Raum. Die Frage ist, wie sich so Rückzugsphasen gestalten.
Nach meiner Erfahrung kann man gut eigenen Raum haben. Den brauche ich auch dringend zur Regeneration. Es hat eine ganze Weile gedauert, bis mein Partner das verstanden hat. Aber da er die Erfahrung machte, dass es mir anschließend deutlich besser geht und er davon profitiert, ist er auf jeden Fall dafür, dass ich diese Inseln, diese Auszeit wahrnehme.
Es ist etwas Neid bei ihm dabei, dass mir die Erholung glückt, andererseits ist auch Erleichterung da, dass er sich nicht darum kümmern muss, dass es mir wieder gut geht.
ZimtundZucker hat geschrieben: Ich glaub einfach es erfordert ein hohes Maß an Unabhängigkeit, das so viel Distanz ermöglicht, dass man dann gar nicht das Gefühl hat sich regenerieren zu müssen.
Jaaaaa, Unabhängigkeit ist sehr gut!
Aber es gibt ja auch Situationen, in denen man den anderen braucht. Wie z.B. Gefühlvoll, die einen Unfall hatte und ihren Partner um rein praktische Unterstützung bat. Das klappte ja letztendlich nicht und Gefühlvoll ist enttäuscht. Spätestens hier beginnt die eigene Arbeit, das Gefühl wieder aufzulösen und sich wieder zu regenerieren.
ZimtundZucker hat geschrieben: Was ich mir schwer mit einem depressiven Partner vorstellen könnte, wäre die gemeinsame Verantwortung für Kinder.
Ja, das geht mir auch immer wieder durch den Kopf. Ich bin ziemlich erleichtert, dass wir keine gemeinsamen Kinder haben.
ZimtundZucker hat geschrieben: Ich verstehe durch den Austausch mit euch hier viel mehr. Danke dafür!
Freut mich, ZimtundZucker!
ZimtundZucker hat geschrieben: Viginia, wie ich sehe hast du schon lange Zeit viel in deine Partnerschaft investiert. Weiss dein Partner das den in den guten Zeiten zu schätzen? Führst du deiner Meinung nach in den nicht-depressiven Phasen mit deinem Mann eine Beziehung auf Augenhöhe?
Ja, das weiß er zu schätzen. Es wird gesehen, was ich tue. Wenn ich seine Bude putze, einkaufe oder entscheide, dass frisches Bettzeug dran ist, wenn seinen Schreibtisch aufräume, seine Buchhaltung mache, oder ihm Tee koche (momentan versuchen wir es mit einer Johanniskrautmischung), habe ich manchmal den Eindruck, ich versorge ein Kind. Das ist allerdings gefährlich. Ich darf nur genau so viel für ihn machen, wie ich grad Lust habe. Keine Handlung zu viel! So passiert es, dass ich in seiner Bude auf einmal den Staubsauger fallenlasse und gehe. Weil ich spontan keinen Bock mehr habe. Das ist okay für meinen Partner. Er dankt mir für das bereits von mir erledigte. Der Staubsauger bleibt dann eine Weile liegen und er arrangiert sich mit dem Hindernis. Was ich lustig finde.
Ich führe - trotz dieser Bemutterung phasenweise - eine Beziehung auf Augenhöhe, eigentlich immer. Etwas anderes lässt er auch nicht zu. Und ich weiß, was ich an ihm habe. Er ist z.B. ein wandelndes Lexikon. Da ich auch als Lektorin arbeite, ist das genau das, was ich an meiner Seite brauche. Ich liebe kluge Männer ;-)

ZimtundZucker hat geschrieben: Bei mir ist alles noch ganz frisch und ich bin mal gespannt wie es weiter geht...
Ja, da bin ich auch gespannt :-)


Herzlich,
Viginia
ZimtundZucker
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Re: Vorschläge zur Regeneration

Beitrag von ZimtundZucker »

@Viginia: auch ich liebe kluge Männer. Und in den guten Phasen entsteht bei uns eine ganz besondere Nähe.
ZimtundZucker
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Re: Vorschläge zur Regeneration

Beitrag von ZimtundZucker »

@Gedankenvoll: Liest du noch mit? Wie ist eure Geschichte weiter gegangen? Das Bild von FrequentFlyer mit dem Stummen der nicht sagen kann dass er stumm ist, finde ich gut. Hast du den Kontakt nochmal gesucht?
ZimtundZucker
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Re: Vorschläge zur Regeneration

Beitrag von ZimtundZucker »

@FrequentFlyer: Danke, dass du uns dran erinnert hast, dass unser Gegenüber Männer sind. Direkt ist immer gut. Und du findest tolle Bilder. Den Begriff Kommunikationsmikado finde ich zu gut und werd ihn fest in meinen Wortschatz einbauen.
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