Ursache der Depression

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Neti84
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Ursache der Depression

Beitrag von Neti84 »

Hallo zusammen,

es würde mich interessieren, was ihr, nebst körperlichen, als Ursache eurer Krankheit seht. Diese sind ja wohl sehr unterschiedlich, aber bestimmt werden sich auch Parallelen finden. Es geht mir dabei nicht darum, in eine Opferrolle zu gehen; sondern vielmehr ist es ein Versuch, die Situationen/Beziehungen so zu sehen, wie sie tatsächlich sind.

Also bei mir sehe ich folgendes:
Meine Eltern trennten sich, als ich 10jährig war. Ging ziemlich geregelt und mehr oder wenig fair vonstatten, trotzdem hat mir das wohl eine Basis genommen und geschwächt.
Meinen Vater habe ich zwar immer wieder getroffen und er hat sich auch immer wieder gemeldet, jedoch ist er für mich nicht eine Person, an der ich mich orientiere oder der mir ein Gefühl von Geborgenheit geben konnte, sondern eher hatte ich selber immer wieder den Eindruck, dass eher ich zu ihm schauen muss als umgekehrt.
Meine Mutter war sehr dominant auf eine eher passiv-aggressive Art und Weise. Ich habe dies lange nicht realisiert. Ich wurde stark kontrolliert und korrigiert, über die Jahre entwickelte ich unbewusst eine Ängstlichkeit , habe dies aber erst realisiert, als ich ca 27 Jahre alt war. Da sich meine Mutter oft einsam fühlt/e, hat sie sich stark an mich und meinen Bruder geklammert und hat nachwievor Erwartungen, dass wir gewisse Rituale in der Familie weiterführen, obwohl ich vor 2 Jahren Vater wurde.
Mein einziger, jüngerer Bruder war nicht sonderlich an unserer Beziehung interessiert. Er war schon früh eher unabhängiger und hatte einen eher grösseren Umkreis von Kollegen und Freunden; ich war selbst immer eher mit einzelnen Personen befreundet und bewegte mich weniger in ganzen Gruppen. Für lange Zeit habe ich ihn bewundert und dachte, er mache alle richtig und ich eher alles falsch; habe auch für lange Zeit ihn immer wieder kontaktiert und nachgefragt, wie es geht. Aber vor ein paar Jahren wurde mir das alles zu blöd und ich unternahm keine Versuche mehr...und seitdem ist auch unserer Beziehung noch distanzierter als sie immer schon war.
Ich denke, ich bekam auf familiärer Ebene keinen Halt; respektive war mir nicht bewusst, dass ich keinen Halt bekam. Ich hatte ziemlich lange den Eindruck, dass alles gut ist, auch trotz der Scheidung meiner Eltern. Ich bewegte mich lange in einer Art Scheinsicherheit. Inzwischen ist meine Sicht ganz anders: v.a. von der Seite meiner Mutter fühle ich mich mehr missbraucht als etwas anderes; von meinem Vater und Bruder eher vernachlässigt.
Dann habe ich während des Studiums eine wichtige Prüfung für den weiteren Verlauf des Studiums nicht bestanden, von welcher ich dachte, dass es kein Problem sein würde. Das Ergebnis hat mir den Boden unter den Füssen weggezogen. Ich war bis zu diesem Moment sehr verwöhnt was meine Karriere betraf, war mühelos bei den Besten dabei. Ich wurde da zum ersten Mal ganz klar zurückgewiesen. Dies hat mir sehr stark auf das Selbstvertrauen geschlagen.
Dazu kam, dass ich genau in dieser Zeit zum ersten Mal in einer Wohngemeinschaft wohnte; ich wollte mit 22 selbständig und richtig erwachsen sein; war aber mit der neuen Situation überfordert. Eigentlich habe ich mir da ein bisschen etwas vorgemacht. Dies hat mich zusätzlich verunsichert.
Aus meiner Sicht haben all diese Faktoren dazu beigetragen, dass zu diesem Zeitpunkt die Krankheit zum ersten Mal ausbrach.
Bis heute habe ich ca. 7 Episoden durchgemacht, die letzte von August - Oktober 2017. Habe im Mai 2017 das Antidepressiva abgesetzt, weil ich ca. 3 Jahre gesund war. Auf diesen Schritt folgend, kam eine weitere Episode. Mein Arzt meint, dass da ein Zusammenhang besteht und er rät mir darum, das Medikament nun über einen längeren Zeitraum zu nehmen und dann evt. langsam wieder ausschleichen.
Zuletzt geändert von Neti84 am 2. Jan 2018, 20:50, insgesamt 2-mal geändert.
Katerle
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Re: Ursache der Depression

Beitrag von Katerle »

Hallo Neti,
Da sprichst du was ganz wesentliches an und es tut mir leid, was du erfahren hattest...

Bei mir war in meiner gesamten Laufbahn bis jetzt auch einiges vorgefallen. Mit 2 einhalb Jahren im Heim, Misshandlungen und mit ca 4 Jahren weitere traumatische Erfahrungen über die es sich auch heute sehr schlecht reden lässt. Scheint so, dass ich wohl ewig damit allein sein werde...
Viel zu groß ist die Scham...Und eine Psychoanalytikerin in meiner Nähe zu finden ist sehr schwierig.
Dann mit 16 die Trennung meiner Eltern. Dem war Alkoholmissbrauch meines Vaters vorausgegangen und ich Angst hatte bzw.tief traurig war, wenn er aggressiv gegenüber meiner Mutter wurde im alkoholisiertem Zustand. Meine Mutter litt sehr darunter und ich versuchte für sie da zu sein, kämpfte um sie... Dann später der neue Lebenspartner meiner M. Versuchte unsere Mutter dazu zu bringen den Kontakt zu allen Kindern abzubrechen, was mich ebenfalls stark verletzte. Wir bekamen jeder einen sehr niederschmetternd en Brief, ich war da gerade im 7.Monat schwanger....
Wieder kämpfte ich um meine M. Und um meine G.
Dann kamen meine Eltern nicht zur Hochzeit und auch da fühlte ich mich sehr verlassen...Hätte am liebsten losgeheult...
Ich wurde körperlich krank und später nach dem plötzlichen Tod meiner M. Dann der Zusammenbruch. Ich war total am Ende meiner Kräfte und hatte Familie und Kinder. Als ich krank war erfuhr ich viel Ablehnung und Abwertung in der Beziehung und durch meine Sm. Irgendwann dann die r.T. Seitdem geht's besser, auch wenn ich weiter mehr oder weniger mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen habe. Dann war ich für meine S. Da, die schwer erkrankte... demnächst geht sie erneut zur Reha... Es gab aber auch trotz allem ein paar glückliche Momente in meinem leben, die ich nicht missen möchte... Liebe grüße Katerle
Neti84
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Re: Ursache der Depression

Beitrag von Neti84 »

@Katerle:
was du erlebt hast bis heute tönt ziemlich heftig. Das stell ich mir schrecklich vor; ich habe den Eindruck, bei mir haben auch Misshandlungen v.a. von meiner Mutter (ev. auch unbewusst) stattgefunden, aber nicht auf körperlicher Ebene, sondern auf geistiger. Ich habe das realisiert, weil ich mich nach jedem Treffen nicht gut fühlte. Ich wusste zuerst nicht wieso. Mit der Zeit wurde mir klar, dass es an ihr liegen muss; meiner Ansicht nach ist sie zu ganz subtiler Manipulation fähig. Das empfinde ich als sehr gefährlich.
Dass deine Mutter nicht an deine Hochzeit kommt, das finde ich auch ganz heftig. V.a. weil du anscheinend darum bemüht warst, eine gute Beziehung zu ihr zu haben. Meine Mutter war an meiner Hochzeit, jedoch haben wir das Problem, dass sie meine Frau nicht mag. Ich denke, sie wäre froh, wenn ich eine andere Partnerin hätte. In einem Gespräch (meine Frau, ich, meine Mutter) kam das auch sehr klar zum Ausdruck. Sie hat da sogar versucht, uns mit einer Lüge gegeneinander auszuspielen. Seither ist die Beziehung zu ihr sehr distanziert und wir sehen uns nur noch gelegentlich.
Katerle
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Re: Ursache der Depression

Beitrag von Katerle »

@ Neti

Danke für deine verständnisvollen Worte. So wie du es geschildert hast, stelle ich mir das Ganze auch nicht leicht vor.
Da hilft es wirklich nur, mehr auf Distanz zu gehen. Bei meiner Sm tat ich das auch... Das war notwendig, um mich zu schützen. Ansonsten hätte ich es wohl nicht bis hierhin durchgehalten.

Nur gut, dass du hinter deiner Frau stehst. Bei meinem M. Hatte ich das leider nicht so empfunden zeitweise. Inzwischen ist es aber anders und das ist positiv.

Wünsche dir einen guten Tag. Ich werde dann erstmal rausgehen. Lesen ist heute auch wieder angesagt und Entspannung.

LG Katerle
Philipp88
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Registriert: 6. Nov 2017, 10:58

Re: Ursache der Depression

Beitrag von Philipp88 »

Hallo
Danke für eure Offenen Berichte. Ich habe auch lange versucht, den Ursachen meiner immer wiederkehrenden Depressionen auf den Grund zu gehen. Bei mir ist klar: Als Kind war ich immer verträumt, oft vergesslich, lieber alleine. Meine Eltern, vor allem mein Vater, hatte andere Vorstellungen und das bekam ich ständig zu hören. Schliesslich wurde es zu meiner Überzeugung, dass ich nichts kann, nichts tauge, nur lästig für alle anderen bin. Meine Ex hatte mich schon bald gleich behandelt, sie hatte ihre eigenen Probleme auf mich projiziert. Es war für mich irgendwie klar, dass ich zu nichts nützlich bin, und froh sein kann wenn sie sich überhaupt um mich kümmert. Diese Überzeugung über mich war lange sehr stark, obwohl ich die Schulzeit einigermassen erfolgreich hinter mich gebracht hatte, Ausbildungen gemacht habe und erfolgreich im Beruf war. Mit 40 kam dann der totale Zusammenbruch, Scheidung, und mir wurde erst dann klar dass ich schon viele Jahre Depressiv war, mich aber immer irgendwie durchgeschlagen hatte. Seither bin ich in Behandlung, nach einiger Zeit habe ich auch gute Therapeuten gefunden. Im Moment geht es mir mit (vielen) Medikamenten recht gut.
Zu den Ursachen der Depression will ich sagen: Es hat, neben akuter Überforderung, viel zu tun mit unserem Selbstbild und wie wir uns und das leben sehen. Der depressive Mensch hat meist von sich die Überzeugung: ich bin nichts wert, ich werde eh nichts schaffen im Leben, ich muss mich anstrengen damit mich die anderen akzeptieren und gernhaben. Er strengt sich dadurch meist sehr an, um nicht negativ aufzufallen, versucht alles für andere zu tun, immer in der Angst abgelehnt zu werden. Dies geht oft bis zur totalen Erschöpfung, zum Zusammenbruch. Dann zeigt sich die Gemeinheit der Krankheit vollständig, sie ist lähmend, jegliche Motivation und of auch der Lebenswille nimmt sie einem. das habe ich oft auf brutalste Weise erlebt, das tiefschwarze Loch, aus dem es scheinbar kein Rauskommen gibt. Natürlich gibt es auch somatische Depressionen, die andere Gründe haben.
Mir hat es sehr geholfen, Klarheit über mich selbst zu bekommen, wie ich eigentlich ticke. Das ist so eine Lebensfalle, in die man als 'depressive Persönlichkeit' unweigerlich reinrasselt.

Ich wünsche uns allen, dass dieses Jahr uns besseres bringt als die vorherigen. Und euch allen viel Mut, gegen die Depression anzukämpfen, und sie vielleicht zu besiegen.
Liebe Grüsse: Philipp
Katerle
Beiträge: 11309
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Re: Ursache der Depression

Beitrag von Katerle »

Ja Neti, ich war auch immer darum bemüht eine gute Beziehung zu meiner Mutter zu haben, die ich ja sonst auch hatte. Sie hatte ja auch vieles für mich getan. Und ich war auch gern für sie da.

@ Philipp

Danke für deinen Beitrag und das wünsche ich uns auch.
Das ist sehr schlimm eine solche Überzeugung zu entwickeln. Und weißt du, DU kannst verdammt stolz auf dich sein, dass du trotz allem deine Schulzeit, Ausbildung en und auch im Beruf noch erfolgreich warst. Ich hatte das auch.
Überfordern spielte auch bei mir eine Rolle usw.und wenn dann deine Umgebung dir noch aufzeigen tut, dass du nur zu faul zum arbeiten bist, weil du krank wurdest usw. Da weiß ich nicht wohin das führen soll.
Jedenfalls freue ich mich jetzt es bis hierhin geschafft zu haben. Und vor allem, dass ich eine gute Beziehung zu meinen Kindern habe und einen goldige Enkel.

Vlg Katerle und weiterhin euch auch hier viel Kraft und Durchhaltevermögen.
Neti84
Beiträge: 56
Registriert: 23. Sep 2017, 20:42

Re: Ursache der Depression

Beitrag von Neti84 »

@Philipp: herzlichen Dank für deine Geschichte. Es ist ganz bestimmt sehr prägend, wenn sich der eigene Vater so verhält wie du beschreibst.
Von so einer Art Behandlung bin ich zum Glück verschont geblieben; mein Vater war eher nicht wirklich existent und fand oft das, was ich wollte, als gut und richtig. Ich habe rückblickend den Eindruck, dass ich sogar sowas wie Macht über ihn hatte; als hätte er mich bewundert, aber nicht auf eine positive Art, was ich als eher ungünstig empfinde, da er ja der Vater ist und eine gewisse Autorität bestimmt nicht schlecht wäre. Er hat kaum eine Position bezogen zu mir. Nichtsdestotrotz war er grundsätzlich unterstützend und gutwillig mir gegenüber eingestellt. Und das ist etwas, das ich auch heute noch schätze an ihm.
Eine Ursache sehe ich auch im Selbstbild, respektive im Selbstvertrauen. Wobei sich meiner Ansicht nach dieser Bereich vermischt mit Symptomen der Krankheit. Das will heissen, dass z.B. die Depression sagt: "Du bist nichts wert", "Du wirst nichts schaffen im Leben" etc. Was total unrealistische Gedanken sind, und darum von der Depression stammen.
Denn wenn ich gesund bin, komme ich nicht auf solche Gedanken wie oben beschrieben.

Die Angst, abgelehnt zu werden kenn ich auch gut. Ich erinnere mich an einen Nebenjob, den ich während des Studium machte. Ich war relativ neu und musste eine gewisse Route mit Flyern und Plakaten bedienen. Weil ich relativ langsam war, da neu, brauchte ich länger als geplant. Ich begann am Morgen und habe dann durchgearbeitet bis in der Nacht um ca. 2 Uhr, da ich unbedingt fertig werden wollte und einen guten Job machen wollte. Damals realisierte ich nicht, dass dies mit einem guten Job machen nichts zu tun hat. Es war total übertrieben und fahrlässig, da ich bedeutend mehr als 8h arbeitete, auf einer neuen Route, unterwegs mit dem Auto....zum Glück ist nichts passiert. Diese Angst, abgelehnt zu werden hat wohl auch etwas mit einem mangelnden Selbstvertrauen zu tun. Ich denke, bei mir fehlte diesbezüglich eine Basis, welche ich im Elternhaus nicht aufbauen konnte.
Philipp88
Beiträge: 20
Registriert: 6. Nov 2017, 10:58

Re: Ursache der Depression

Beitrag von Philipp88 »

Liebe Nett
Du schreibst das sehr treffend. Das fehlende Selbstvertrauen bringt einem in die Position, dass man sich selbst immer geringer schätzt als die anderen. Arbeiten bis 2 Uhr Nachts, kenne ich. Und der Antrieb ist nicht etwas positives, sondern nur die Angst, nicht gut genug zu sein, von den anderen nicht geachtet zu werden.
Wie du sagst: die Depression bringt einen dazu, sich minderwertig, ja sogar total ohne Wert zu fühlen.
Und dann macht man immer weiter, ist aber eigentlich immer unglücklich und voller Angst, sogar wenn alles gut läuft. Ich glaube, die Depression kann das nur, weil wir uns grundsätzlich minderwertig fühlen.
Was mir wichtig ist: Wir können nicht unser Leben lang unsere Eltern und unsere schlechte Kindheit für alles verantwortlich machen (auch ein Trick der Depression: sie redet uns ein, dass wir immer in der Opferrolle sind.) Mir wurde klar: Mit 20 Jahren wurden wir erwachsen, und seitdem haben wir selbst die Verantwortung für unser Leben. Wenn wir Minderwertigkeitsgefühle haben: Wir müssen uns diesen stellen, uns sagen,: Ich bin eine eigenständige Persönlichkeit, mit meiner Vergangenheit und meinen Schwächen, aber auch mit vielen Stärken, denen ich mir vielleicht gar nicht bewusst bin.
Der einzige Weg ist, die Vergangenheit so zu akzeptieren wie sie ist, und sie als abgeschlossen zu betrachten. Wenn es Dinge aufzuarbeiten gilt, müssen wir das tun, damit sie uns nicht weiter beherrschen (ein langer und oft schmerzhafter Prozess)
Aber das wichtigste: Heute ist heute, die Zukunft liegt vor mir, es ist an mir, und nur an mir, diese zu gestalten.
Schwierig, aber lohnenswert.

lg Philipp
ben1
Beiträge: 1379
Registriert: 13. Feb 2003, 09:52

Re: Ursache der Depression

Beitrag von ben1 »

Hallo Phillip (und alle anderen hier)

Ich bin bei Deinem letzten Posting hängengeblieben - dem Part mit der Opferrolle, die wir nicht ein Leben lang vor uns hertragen können/sollen.
Damit hast Du sicherlich Recht. Und vielleicht darf ich den einen oder anderen Gesichtspunkt ergänzen - denn diese Arbeit "raus aus der Opferrolle" ist eine ganz schön intensive.

1) Wir können nichts für die Umgebung, in die wir geboren wurden. Das ist so offensichtlich, das wir das häufig aus dem Blickwinkel verlieren - aber es ist dennoch unglaublich wichtig! Wir kommen wie ein leeres Blatt auf die Welt, auf das jeder Idiot seine Lebensweisheiten, Erwartungen, Vorwürfe usw. usf. schreiben kann. Wir sind klein, wehr- und schutzlos, können nix reflektieren und müssen uns doch in dieser Umgebung irgendwie einrichten. Das allein sollte uns großen Respekt vor unserer eigenen Leistung (damals) abringen! Wir haben es irgendwie geschafft, Antworten auf dieses Chaos zu finden und zu geben! Das ist eine tolle Leistung. Punkt.

2) Wenn wir mal eine Antwort gefunden haben, generalisieren wir (einfach, weil unser Hirn so funktioniert). Wir geben die selben Antworten immer und immer wieder, ja häufig suchen wir sogar (unbewußt) Situationen, die wir kennen - einfach deswegen, weil wir uns hier einigermaßen "sicher" (welch zynischer Begriff in diesem Zusammenhang - ich hoffe, nicht falsch verstanden zu werden) fühlen - und so spielen wir das Drama unseres Lebens immer und immer wieder

3) Und irgendwann meldet sich da mal ein ganz großer Zweifel in uns. Der nagt. Der frisst uns buchstäblich auf. Wir wissen, das wir was anders machen müssen, aber wir haben nicht die leiseste Ahnung, wie das gehen soll - vor allem, ohne (wieder) extrem verletzt zu werden.

4) Und jetzt können wir (was durchaus eine Option ist - das mal vorweg) Gründe dafür suchen, warum bei uns ein anderes Leben nicht möglich ist (die Opferrolle). Das ermöglicht uns immerhin, vor weiteren Verletzungen geschützt zu bleiben - aber die Sehnsucht bleibt!

5) Oder wir machen uns in kleinen und kleinsten Schritten mutig auf den Weg, unser "eigenes" zu leben. Und da stehen wir da wie das Kind im Sterntalermärchen - nackt im Wald, alleine, ohne Karte und Kompass - und sollen da einfach losmarschieren. Das macht so viel Angst, das viele hier (und nochmal, das ist keine Schwäche, das kann auch eine Stärke oder eine bewußte Entscheidung sein) wieder zu Schritt 4 zurückkehren.

6) Wenn wir es aber wagen, uns langsam auf den Weg zu machen, können wir (wie ein Forscher, der ein bisher unbekanntes Wesen entdeckt hat), nach und nach lernen, welches Verhalten uns "wesensnäher", welches "wesensferner" ist - und das ohne die auf unserem Blatt stehenden "Tu es" und "Tu es nicht". Und da kann ein Begleiter sehr hilfreich sein - unser Blatt mal neu zu beschreiben und es uns zu eigen zu machen

7) Das hat meiner Meinung nach viel mit "Erwachsenwerden" zu tun - und zwar nicht mit der albernen Altersgrenze. Es gibt viele Menschen, die auch mit 70 nicht erwachsen sind und sich der Aufgabe nicht gestellt haben, das eigene Blatt zu beschreiben. Vielleicht waren unsere Eltern auch solche "ewigen Kinder" - wir haben das damals nur nicht sehen können.

8) Es geht nicht ohne Trauerarbeit. Das, was uns alles widerfahren ist, will und soll angesehen und gewürdigt werden, um ihm einen Platz im Leben zu geben. Und damit muss das nicht abgeschlossen sein (manche Trauerprozesse begleiten uns ein Leben lang - einfach, weil immer wieder Triggerreize auftauchen, die uns mit eben dieser Trauer konfrontieren). Erwachsen sein bedeutet, diese Teile als zu meinem Leben gehörend anzuerkennen, sie zu würdigen, sie nicht zu verdrängen, sondern sie immer mal wieder anzusehen und uns dadurch immer besser zu verstehen - und damit wieder Akteur in diesem unseren Leben zu werden.

Viel geschrieben - vielleicht ist der eine oder andere nachdenkenswerte Punkt dabei

Herzlichst

Ben
Neti84
Beiträge: 56
Registriert: 23. Sep 2017, 20:42

Re: Ursache der Depression

Beitrag von Neti84 »

@Philipp:
will da auch noch etwas sagen zum Thema Opferrolle "Wir können nicht unser Leben lang unsere Eltern und unsere schlechte Kindheit für alles verantwortlich machen (auch ein Trick der Depression: sie redet uns ein, dass wir immer in der Opferrolle sind."
Sehe ich genauso wie du. Solange ich in der Opferrolle bin, kann ich nichts ändern.
Aber für mich ist es hilfreich, wenn ich mir überlege, warum ich manchmal so drauf bin, wie ich drauf bin. Und da ist z.B. das familiäre Umfeld unweigerlich ein wichtiger Teil davon. Es geht mir nicht darum, jemanden zu verurteilen, sondern ich versuche, eine Sicht auf meine Dinge zu bekommen, so wie sie sind.
Ich denke auch, dass wohl grundsätzlich alle Eltern das Beste für ihre Kinder möchten; aber gewisse Eltern haben wohl selbst noch sehr viele eigene Probleme, welche sie dann unbewusst an ihre Kinder weitergeben. In meinem Fall denke ich, habe ich darunter gelitten (oder leide ich manchmal noch darunter).
Wenn ich mir bewusst bin, warum ich manchmal so negative Gedanken habe, dann hilft es mir, dass ich mich nicht selbst dafür beschuldige und mich nicht selbst noch mehr fertig mache. Denn es sind ganz viele Faktoren, die dazu beitragen, dass ich manchmal depressive Episoden habe. Und all diese negativen Gedanken sind typische Symptome der Krankheit und eben nicht Gedanken vom gesunden Ich.
Und wenn ich sehen kann, dass eigentlich nicht ich der Auslöser der Depression bin, sondern eben ganz vieles (ein kleiner Teil natürlich auch von mir), dann hilft mir dies, Schritte in Richtung Heilung machen zu können.
Katerle
Beiträge: 11309
Registriert: 25. Sep 2014, 10:30

Re: Ursache der Depression

Beitrag von Katerle »

Um dem noch hinzuzufügen, haben mich schlimme Erfahrungen auch weiter gebracht. Und Ja, auch ich war durch die Trauer hindurchgegangen und manchmal tut es ganz einfach noch weh, alles die schmerzhaften Erlebnisse. Und ich sehe mich auch nicht mehr in der Opferrolle. Kurz gesagt, ich bin auch an meinen Erfahrungen gewachsen und bin weiter gewillt, mich weiterzuentwickeln.

Übrigens finde ich Sterntaler auch echt schön.

LG Katerle
ßßßß

Re: Ursache der Depression

Beitrag von ßßßß »

euch ist schon klar das das Märchen von Sterntaler nichts anderes als eine verkappte christliche Erlösungslehre ist?
Die Sterntaler selbst wurden im Mittelalter goldene Schüsselchen genannt, wobei es sich um Goldmünzen der Kelten handelt, denen man ursprünglich magische Eigenschaften zugeschrieben hat.
Katerle
Beiträge: 11309
Registriert: 25. Sep 2014, 10:30

Re: Ursache der Depression

Beitrag von Katerle »

Mir gefällt es auch so...
Philipp88
Beiträge: 20
Registriert: 6. Nov 2017, 10:58

Re: Ursache der Depression

Beitrag von Philipp88 »

Liebe Alle
Es freut mich sehr dass wir hier positiv und nett diskutieren können. (was gar nicht selbstverständlich ist in Internet-Foren) Schön wenn wir unsere Gedanken teilen können, das hilft mir echt weiter.
@Ben1 Du formulierst das sehr gut. Ich werde versuchen an diese Punkte zu denken wenn ich wieder mal 'im Kampf' stehe. Einem Punkt kann ich nicht ganz zustimmen, aber das ist meine Meinung: Ich bin überzeugt dass wir, wie wir sind, einerseits das Produkt von dem sind, was wir seit unserer Geburt erlebt haben und was uns andere eingeredet haben. Andererseits spielen auch unsere Gene eine Rolle. So wie unser äusseres unterschiedlich ist, gross oder klein, dunkel oder hellhaarig, und 1000 andere Unterschiede, ist auch unser Charakter unterschiedlich und genetisch geprägt. Und das prägt auch mit, wie wir uns fühlen, was wir denken, wie wir reagieren usw. Zum Glück, denn wie langweilig wäre es, wenn wir alle gleich ticken würde. Und es ist auch wichtig für die Menschheit als ganzes, dass alle verschiedenen Menschen zusammen wirken. ok, das war ein Exkurs ins philosophische, entschuldigt.
@Neti: Das finde ich auch sehr wichtig: Wenn wir uns bewusst sind, was uns geprägt hat und warum wir so sind wie wir sind, hilft uns das enorm, mit dem Leben umzugehen. Und was sehr wichtig ist: Aufhören sich schuldig zu fühlen. Das ist mit das wichtigste, um aus Depressionen rauszukommen.
@LaLeLu Die Depression redet zu mir: das ist nur ein schwacher Versuch es auszudrücken. Besser wäre wahrscheinlich: sie versucht, meine innere Stimme und meine Gefühle zu beherrschen. Es hilft mir, die Depression als meinen 'Feind' anzusehen, und nicht als einen Teil von meinem Wesen. So kann ich mich besser abgrenzen und versuchen, mich ihr entgegen zu stellen. Aber ich denke, dass jeder anders damit umgeht.

Liebe Grüsse: Philipp
ben1
Beiträge: 1379
Registriert: 13. Feb 2003, 09:52

Re: Ursache der Depression

Beitrag von ben1 »

Liebe Alle

Danke, LaLeLu, freut mich sehr!

Neti, genau das, was Du beschreibst, ist Reflexion - dieses "sich nicht automatisch selber für alles verantwortlich machen" aber auch nicht nur die Schuld auf andere abladen (auch unsere Eltern waren wahrscheinlich oft noch nicht so weit, Erwachsen zu sein)- Danke dafür!

Katerle - durch die Trauer gehen, ist oft die Hölle, durchgegangen zu sein oft extrem wichtig! Danke

ßßßß - warum dieser Beitrag?

Phillip, ich teile Deine Meinung durchaus, das wir nicht nur das sind, was die anderen auf unser Blatt schreiben (um im Bild zu bleiben) - aber zu dem Zeitpunkt, wo das aufgeschrieben wurde, hatten wir (ich zumindest) keinen Zugang zu dem, was mich "eigentlich" ausmacht. Und mir das nach und nach zu erschließen und zu erarbeiten, denke ich, ist meine Aufgabe jetzt.

Ben
ßßßß

Re: Ursache der Depression

Beitrag von ßßßß »

@ben1

" warum dieser Beitrag?"
der erste Teil um den Sinn dafür zu schärfen, wie man unbewusst in die eine oder andere Richtung beeinflusst wird. neudeutsch auch nudging gennant. Wer es erkennt hat zumindest die Chance sich wappnen.
den zweiten Teil einfach als Info

als Ergänzung hätte ich da noch: Für viele Märchen gibt es auch eine psychopatologische Einteilung.
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