Vorurteile

Katerle
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Vorurteile

Beitrag von Katerle »

Hallo ihr Lieben,

war letztens mit zu einem gemütlichen Abend von Bekannten, was auch sonst ganz schön war. Aber was mir nicht gefallen hatte, als jemand dann auf einmal in den Raum warf, jemand auf Arbeit sei durchgedreht und hatte sich selbst einweisen lassen und sei jetzt in der Klapse... Sowas könne man nicht brauchen... Das war völlig abwertend und hatte mich verletzt, da ich ja nun auch schon selbst in einer Klinik war. Ich wollte was dazu sagen, traute mich aber dann doch nicht, weil ich wohl in dieser Gemeinschaft wieder mal alleine dastehen würde mit meiner Meinung. Hatte mich dann auch etwas über mich geärgert bzw. war enttäuscht über mich selbst, weil ich den Mut nicht hatte, was dazu zu sagen. Naja damals hatte ich noch den Mut, aber in meiner Umgebung ging das bei einigen ins Auge und wurde auch abgewertet. Finde jedenfalls, da muss noch viel passieren in Sachen Aufklärung. Jedenfalls habe ich mir geschworen, wenn mal wieder sowas kommen sollte, dass ich meine Meinung dazu sagen werde, egal was die anderen dazu sagen...

Liebe Grüße
Katerle
timmie2002
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Re: Vorurteile

Beitrag von timmie2002 »

hallo katerle,

ja solche vorurteile lassen sich nur schwer abbauen. die ewig gestrigen und man muss teils auch sagen die ewig dummen halten zu gern daran fest.

weshalb ich dir antworte, ist mein Bedürfnis, dir zu sagen, dass du dir das nicht so zu herzen nehmen sollst, weil du nichts dazu gesagt hast. für mich ist das verständlich. zwar plädiere ich sehr dafür, dass auch wir betroffenen offener mit unserer Erkrankung umgehen, um somit zur Aufklärung beizutragen. jedoch kommt es doch auch immer auf die umstände und die Situation an und sicher auch, in welchem zustand ich mich gerade befinde.

brich da auch in Zukunft nichts über die knie. was machbar ist wird sich zeigen.

mit herzlichen grüßen
final
Katerle
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Re: Vorurteile

Beitrag von Katerle »

Danke final, dass du mir das schreibst. Das kommt wohl hin.

Naja, übers Knie brechen möchte ich nichts, aber es stört mich halt, wenn so verurteilt wird und abgestempelt. Irgendwann ist auch hier das Maß voll...

Es hatte sich sogar schon mal jemand lustig darüber gemacht und nur dumme Kommentare abgegeben vor anderen, weil ich auf Hörgeräte angewisen bin und das öfters. Fand das garnicht lustig. Inzwischen ist das aber nicht mehr so zum Glück. Manche lassen einen auch nicht zu Wort kommen, weil sie einen einfach übertönen mit ihrer Stimme und den Ton angeben oder einfach dazwischen reden. Wenn das so abläuft, ist es ja auch kein Wunder, dass man zurückbleibt in einer solchen Gemeinschaft und sich einsam fühlt irgendwo. Wollte ich nur mal loswerden.

LG Katerle
MagicMops
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Re: Vorurteile

Beitrag von MagicMops »

Hey katerle,

ich kann dich da so gut verstehen! :? Wie oft habe ich mir solche o. ä. Situationen im Nachhinein nochmal durch den Kopf gehen lassen und auch wenn ich jetzt wieder drüber nachdenke, macht es mich wütend! Ich dachte erst, das liegt am Alter, aber das ist meist gar nicht wahr.

Ein Freund von mir "könnte ja auch depressiv sein". Immerhin ist er auch mal traurig und muss weinen, aber er "springt nicht auf den Zug auf"! :evil: In diesen Momenten wünschte ich, er würde mal eine depressive Phase durchmachen. Natürlich will ich das nicht, aber dann würde er nicht so einen Stuss reden. Ich habe schon versucht es ihm zu erklären, aber ich glaube, wenn jemand etwas nicht verstehen will bzw. es ihn nicht interessiert, ist alle Liebesmüh' vergebens. Einer Freundin habe ich es mal an den Kopf geworfen: sie wollte mich aufheitern und mit mir Radfahren gehen - total lieb eigentlich, aber dann war ich so down, dass ich nicht mehr wollte und sie laberte die ganze zeit etwas von "genieß' die Sonne" und "das Leben ist so schön" und ich soll aufhören rumzujammern. Ich hab ihr gesagt, sie soll sich die sch*** Sonne in den **** stecken und es selbst mal erleben.

Das Schlimmste ist einfach diese unglaubliche Arroganz, sich anzumaßen ein Urteil über etwas fällen zu können, von dem man keine Ahnung hat!

Einer Bekannten mit Depressionen wurde mal von Ihrer Verwandtschaft gesagt, dass Menschen wie sie früher "vergast wurden und das nicht ohne Grund" :cry:

Tragisch, aber es wird immer degenerierte Kackbratzen geben!

Also finde ich auch, dass es wichtig ist, etwas zu sagen bzw. zumindest die eigene Meinung zu solchen Themen zu äußern - wenn möglich. Oft ist es mir in einer Gruppe zu doof, je nachdem, wer etwas negatives sagt und ich will gar nicht meine Meinung sagen, um nicht total zu eskalieren. Aber ich habe mir vorgenommen, es in Zukunft darauf ankommen zu lassen :twisted: ist ja auch ein emotionales Thema...

lg
MagicMops
Morbus
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Re: Vorurteile

Beitrag von Morbus »

Im Grunde ist es den ganzen Ärger nicht Wert. Es fällt den Menschen einfach viel zu leicht über andere zu urteilen, sich selbst aber am liebsten aus dieser Gleichung zu nehmen oder bei sich selbst andere Maßstäbe anzusetzen.
Ich selbst werde manchmal auch ziemlich wütend wenn ein Gespräch in diese Richtung geht. Damals als es um den Flugzeugabsturz ging meinte mein Stiefvater, dass alle Depressiven quasi Gebrandmarkt werden sollten und alle Arztberichte mit Diagnose an den Arbeitgeber gehen sollten. Er sah Depressive als potentiele Amokläufer und gefährlich und das nur wegen der Berichterstattung. Er verstand nicht einmal, dass auf einer Krankmeldung die Krankheit nicht angegeben ist und der Arbeitgeber dies nicht zu wissen braucht. Datenschutz war plötzlich kein Thema wenn es um diese Gruppe geht. Sonst aber ist er immer voll auf Datenschutz aus..

Ich brauchte Wochen um dieses dumme Gespräch wieder vergessen zu können. Plötzlich sollten doch wirklich alle mit einer Depression verfolgt werden und ihre Arbeitsplätze verlieren, sobald diese etwas mit anderen Menschen zu tun haben. Es war an Dummheit und Ignoranz kaum zu übertreffen. Ich mied daraufhin eine lange Zeit einen weiteren Besuch.

Menschen sind einfach sehr leicht von den Medien und gleichgesinnten Meinungen beeinflussbar. Was man nicht versteht wird meist abgelehnt.

Liebe Grüße, Finn
Let go your earthly tether. Enter the void. Empty, and become ...
Katerle
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Re: Vorurteile

Beitrag von Katerle »

Habt Dank MagicMops und Morbus auch für euer Feedback und das ihr es versteht.

Es gibt ja auch genügend Leute, die eigentlich erkrankt sind und sich das nicht eingestehen können und sich keine Hilfe suchen, draußen rumlaufen. Und manche wollen garnichts davon wissen und machen weiter wie bisher, bis dann eines Tages der Hammer kommt. Und dann gibts noch die Sorte, die es einfach nicht verstehen wollen und weiter versuchen auf einen rumzutrampeln.

Diese Arroganz finde ich auch zum Kotzen. Sorry für diesen Ausdruck.

Krass, sowas zu sagen mit dem Vergasen usw.

Die sollten mal darüber nachdenken, was sie damit einen antun, wenn sie solche Urteile fällen ohne die Hintergründe zu kennen. Sowas macht mich ganz einfach traurig und auch wütend.

Dieses blöde Abgestempeltwerden habe ich sowas von satt...

Schön, sich mit euch darüber mal austauschen zu können, danke euch...

LG Katerle
DieNeue
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Re: Vorurteile

Beitrag von DieNeue »

Hallo Katerle,

Ich kann dich sehr gut verstehen. Solche Aussagen verletzen mich auch und machen mich wütend. Das schlimme ist, dass sich die Aussagen oft sehr stark in meinem Kopf festsetzen.
Katerle hat geschrieben:jemand auf Arbeit sei durchgedreht und hatte sich selbst einweisen lassen und sei jetzt in der Klapse... Sowas könne man nicht brauchen... Das war völlig abwertend und hatte mich verletzt, da ich ja nun auch schon selbst in einer Klinik war.
Allein schon die Wortwahl und dann auch noch dieses herablassende gnadenlose Verurteilen von Leuten, die nicht so sind, wie sie (in deren Augen) sein sollen ist verletztend.
Eine frühere sehr gute Freundin (hat sogar Soziale Arbeit studiert!) hat auch mal gemeint, eine andere Freundin arbeite in einer Einrichtung für psychisch Kranke, also "bei den Verrückten". Hab dann gefragt, "Bei solchen wie mir, oder was?". Da kam dann auch nur "Neeee, du weißt schon wie ichs mein..." :evil: Ja, ne, schon klar. Ich fühl mich gar nicht angesprochen. :roll: Ne Entschuldigung hab ich dafür nie bekommen.
Manchmal frag ich mich, ob sie über körperlich Behinderte auch so reden würde, und kann mir irgendwie nicht vorstellen, dass sie da sagen würde "die arbeitet bei den Krüppeln... du weißt schon wie ichs mein, ne?"...
Katerle hat geschrieben:Es hatte sich sogar schon mal jemand lustig darüber gemacht und nur dumme Kommentare abgegeben vor anderen, weil ich auf Hörgeräte angewisen bin und das öfters.
Ich verstehe es nicht, wie man sich über sowas lustig machen kann. Kommen die Leute eigentlich nicht drauf, dass sie genau das gleiche Problem auch haben könnten?
Katerle, hast du da was dagegen gesagt oder hat die Person von selber aufgehört?
Glaube, manchmal muss man schon mal auf den Tisch hauen und sagen, was einem nicht passt. (Der andere sagt ja auch lautstark seine Meinung! Und wer so austeilt, kann meiner Meinung nach auch mal was einstecken) Und ich finde, sich über jemanden lustig zu machen, nur weil er Hörgeräte hat, ist einfach kindisch. Das ist meiner Meinung nach einfach nicht das Niveau eines Erwachsenen und es ist nicht nur verletzend, sondern auch einfach nervig. Hörgeräte sind jetzt auch nichts so Ungewöhnliches, da muss man nicht ständig drauf rumreiten.
Katerle hat geschrieben:Das war völlig abwertend und hatte mich verletzt, da ich ja nun auch schon selbst in einer Klinik war. Ich wollte was dazu sagen, traute mich aber dann doch nicht, weil ich wohl in dieser Gemeinschaft wieder mal alleine dastehen würde mit meiner Meinung.
Wissen die denn, dass du Depressionen hast und in einer Klinik warst? Gibt es in der Gruppe noch andere Leute, die sich nicht dazu geäußert haben? Vielleicht denken die auch wie du. Vielleicht könnte man sich besser in nem Zweiergespräch ein bisschen an das Thema rantasten... wie z.B. mal ner einzelnen Person sagen, dass es für die Person bestimmt nicht leicht war, sich selber einzuweisen. Oder dass es ihr bestimmt ganz schön schlecht ging... bissl mehr auf das Leid der Person richten und erst mal gar nicht gleich von dir erzählen. Ist vielleicht einfacher als in der großen Gruppe.
Katerle hat geschrieben:Manche lassen einen auch nicht zu Wort kommen, weil sie einen einfach übertönen mit ihrer Stimme und den Ton angeben oder einfach dazwischen reden. Wenn das so abläuft, ist es ja auch kein Wunder, dass man zurückbleibt in einer solchen Gemeinschaft und sich einsam fühlt irgendwo.
Solche Leute finde ich auch immer schwierig. Vor allem, wenn sie den Ton angeben, nur weil sie am lautesten reden :roll: . Ich bin ziemlich introvertiert und dachte immer, introvertiert sein ist schlecht und viel zu reden wäre das non plus ultra. Aber Leute, die ständig reden, reden ohne vorher zu denken und immer am lautesten schreien, sind auch sehr anstrengend.
Magst du die Leute denn sonst so? Du schreibst ja, dass es eigentlich ganz schön war.
MagicMops hat geschrieben:In diesen Momenten wünschte ich, er würde mal eine depressive Phase durchmachen. Natürlich will ich das nicht, aber dann würde er nicht so einen Stuss reden.
Das denke ich mir ehrlich gesagt auch manchmal. Ja, und ich wünsche es eigentlich auch niemandem, aber ich glaube, es würde manchem vielleicht die Augen öffnen (zumindest ein ganz kleines bisschen...). Wenn ich sowas denke, dann denke ich mir meistens aber auch gleichzeitig, dass solche Leute dann wahrscheinlich nicht ankommen und sich für ihr Verhalten und fehlendes Verständnis entschuldigen würden, sondern rumposaunen würden, wiiiiiiieeee schlecht es ihnen doch in den zwei Wochen superleichter Depression ging. :roll: Vielleicht etwas gemein sowas zu denken... oder einfach depressiver Pessimismus...
MagicMops hat geschrieben:Das Schlimmste ist einfach diese unglaubliche Arroganz, sich anzumaßen ein Urteil über etwas fällen zu können, von dem man keine Ahnung hat!
Sehr gut ausgedrückt!
MagicMops hat geschrieben: Einer Bekannten mit Depressionen wurde mal von Ihrer Verwandtschaft gesagt, dass Menschen wie sie früher "vergast wurden und das nicht ohne Grund" :cry:
:o Unglaublich. Das ist echt erschütternd.
Ich glaube, ich wäre am Boden zerstört gewesen und würde mit jemandem, der mir sowas sagen würde, nichts mehr zu tun haben wollen. Aber das ist natürlich schwierig bei der Verwandtschaft. Bei manchen Sprüchen bleibt einem echt nur der Mund offen stehen und man weiß gar nicht, was man sagen soll, weil man nicht im Geringsten damit gerechnet hat, dass jemand sowas überhaupt denken, geschweige denn sagen würde.
Das Blöde ist, finde ich, dass man sich als Depressiver schon grundsätzlich schlecht wehren kann, eben weil man angeschlagen und labil ist (keine Kraft hat, sich zu streiten/man nicht vor anderen losheulen will/vergisst, was man sagen will, weil man sich nicht konzentrieren kann etc.). Und viele Leute, die Depressionen haben (mich eingeschlossen), haben es auch nicht gelernt, sich selbstbewusst zu wehren.
Morbus hat geschrieben:Damals als es um den Flugzeugabsturz ging meinte mein Stiefvater, dass alle Depressiven quasi Gebrandmarkt werden sollten und alle Arztberichte mit Diagnose an den Arbeitgeber gehen sollten. Er sah Depressive als potentiele Amokläufer und gefährlich und das nur wegen der Berichterstattung. Er verstand nicht einmal, dass auf einer Krankmeldung die Krankheit nicht angegeben ist und der Arbeitgeber dies nicht zu wissen braucht.
Ich verstehe nicht, warum Menschen sich plötzlich so auf irgendeine potenzielle Gefahr fixieren...
und dann irgendwie anscheinend auch noch ihren gesunden Menschenverstand ausschalten und null darüber nachdenken, was die Konsequenzen für alle wären, wenn man das machen würde, was sie fordern. So ein Verhalten kann ich irgendwie nicht nachvollziehen. Ich weiß nicht, woher es kommt, dass Menschen sich so beeinflussen lassen... liegt es einfach an der mangelnden Intelligenz oder dass sie in der Schule nicht gelernt haben, Dinge kritisch zu bewerten und selber zu denken? Oder sind sie zu oberflächlich, um sich mit Dingen genauer zu befassen?
Wusste dein Stiefvater denn von deiner Krankheit?

Vielleicht ist es manchmal auch ein bisschen so wie bei dem Beispiel von meiner Freundin über die Verrückten... Sie wirft alle Depressiven in einen Topf und sämtliche Vorurteile dazu, aber sie checkt nicht, dass sie mich im Prinzip da mitreinwirft, weil ich ihrer Meinung nach ja nicht verrückt bin, also nicht so bin, wie "alle" anderen Depressiven...
Versteht ihr, was ich mein? Also bei deinem Stiefvater wäre das dann so, dass er sagen würde, alle Depressiven sind potenzielle Amokläufer und hochgefährlich, aber bei dir würde er sagen "Mein Stiefkind? Neeeeeeee, niemals! Das würde niemaaaaals jemandem was tun!"

Ich frage mich manchmal, ob es wirklich notwendig ist, dass man selber mal so richtig in der Sch... gesessen hat und in seinem Leben Schlimmes durchmachen muss, um andere Leute zu verstehen.
Ich denke, ich konnte mich schon immer einigermaßen in andere Leute reinversetzen und hatte in Gruppen oft auch einen Blick auf die Außenseiter. Meine Eltern haben mir auch sehr eingeimpft, dass man andere Menschen nicht für etwas verurteilt, für das sie nichts können. Aber ich glaube, durch die Depression bin ich auch etwas gereift (auch wenn sich das vielleicht arrogant anhört ;) ). Ich kann mich in Probleme anderer Menschen schon mehr hineinversetzen, auch wenn es nicht die gleichen sind, und weiß auch, dass es hinter einem Verhalten, das ich nicht verstehe, meistens auch einen Grund gibt. Aber andererseits finde ich, dass selbst wenn man was nicht versteht, kann man sich wenigstens bemühen, den Anderen zu respektieren.
Katerle hat geschrieben:Naja, übers Knie brechen möchte ich nichts, aber es stört mich halt, wenn so verurteilt wird und abgestempelt. Irgendwann ist auch hier das Maß voll...
Ich finde es auch schwierig, Leute auf sowas anzusprechen und seine Meinung zu sagen.
Manchmal braucht es erst genug Wut, bis man den Mut bekommt, sich zu wehren. Meine Erfahrung mit blöden Therapeuten in der Klinik ;)
Katerle hat geschrieben:Jedenfalls habe ich mir geschworen, wenn mal wieder sowas kommen sollte, dass ich meine Meinung dazu sagen werde, egal was die anderen dazu sagen...
Ich finde es gut, dass du dir vorgenommen hast, in Zukunft was zu sagen! Ich finde da geht es auch nicht nur um dich, sondern auch allgemein um diese Art andere Leute zu verurteilen. Man muss nicht selbst betroffen sein, dass einen sowas stört. Ich wünsche dir viel Mut, wenn das nächste Mal sowas passiert!

Viele Grüße,
DieNeue

P.S. Wollte nur noch ergänzen, dass ich auch sehr viele Leute kenne, die sehr verständnisvoll sind und mich so akzeptieren wie ich bin. Es gibt nicht nur blöde Nicht-Depressive ; ) Ich bekomme relativ selten blöde Bemerkungen hingeklatscht (arbeite aber auch nicht mehr, da wäre es vllt auch anders) und so heftige Sachen wie mit dem Vergasen würde in meinem privaten Umfeld mit Sicherheit auch niemand sagen, aber was man im Internet so über Depressive liest, das reicht mir manchmal schon. Und bei manchen Leuten, wie der Freundin von oben, häufen sich halt auch viele „harmlose“ Kleinigkeiten an.
Katerle
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Re: Vorurteile

Beitrag von Katerle »

Hallo DieNeue, herzlichen Dank auch für deine Worte und dein Verständnis.

Weiß, wie du das meinst...

Das werde ich auch nie verstehen, dass man sich darüber lustig machen kann. Nein, leider machte mich das sprachlos und blieb ernst, aber ich war immer wieder mit hingegangen und diese Person hörte dann von selber auf. Manchmal meldete ich mich ja auch mal zu Wort, wenn ich dazu kam. Hm, das stimmt was du schreibst. Jeder kann in eine solche Lage kommen. Tja, manche fühlen sich halt stark, wenn sie andere einfach verletzen können durch solche Kommentare. Ja, ich mag die Leute schon, aber komme manchmal einfach nicht mit, was sie da von sich geben und da halte ich mich dann einfach lieber zurück. Etwas mehr komme ich aber schon wieder aus mir raus. Anfangs wurde sich auch aufgeregt, warum ich mich eher dann zurückzog. Nun, ich wurde darauf mal angesprochen und so gab ich auch eine Antwort. Mir wurde das dann irgendwie zuviel, den Gesprächen zuzuhören, den ich eh nicht so folgen konnte. was natürlich auch nicht nachvollziehbar war für sie. Inzwischen sagt aber keiner mehr was, wenn ich mich abends zurückziehe, ist ja schon viel wert.

LG Katerle
somebody
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Re: Vorurteile

Beitrag von somebody »

Hallo liebe Katerle,
solche Situationen kenne ich leider auch und mache mir leider die gleichen Vorwürfe. Habe an mich selbst dann auch die Ansprüche, meine Klappe auf zu machen, aufzuklären und den Leuten klar zu machen, was für einen unsensiblen Stuss sie teils von sich geben... am liebsten noch eloquent mit nem guten Spruch dazu...
in der Realität ziehe ich mich dann aber eher lautlos zurück und traue mich nicht, obwohl in mir dabei so eine Wut aufkommt und ich gleichzeitig auch verletzt bin.

Hatte einer Kommilitonin mal anvertraut, Depressionen zu haben. Wenige Wochen später kam es (keine Ahnung mehr, wie) bei einem Filmeabend mit einer anderen Bekannten zum Thema, dass die Kommilitonin mal als Arzthelferin in einer Praxis mit Psychiatern/Psychotherapeuten gearbeitet hat. Sie wäre wohl mal bei einer Sitzung dabei gewesen, in der der Patient angeblich gejammert habe. Sie hätte später den Therapeuten gefragt, wie er das denn aushalten würde, sich immer wieder das gleiche Gejammer anzuhören und die Patienten sollen nicht ständig jammern, sich das L.... z. n..... sondern es einfach tun. Der Therapeut war wohl einer ähnlichen Ansicht...

Einerseits hatte ich mir vorgenommen, der Kommilitonin klar zu machen, wie völlig daneben ich solche Aussagen finde und dass ich es noch viel mehr daneben finde sowas mir gegenüber zu erzählen, da sie weiß, dass ich mit Depressionen zu kämpfen habe.
Aber ich merkte, wie der Abend (und auch die Freundschaft) für mich ab jener Minute für mich gegessen war und ich mich seelisch in mein Schneckenhaus zurückzog.

Auch so bekomme ich oft mit, wie abfällig über Burnout, Ängste, für andere nicht verständliches Verhalten oder Klinikaufenthalte kommentiert wird. Auch da schaffe ich es leider nicht, etwas zu sagen :?

liebe DieNeue, das denke ich mir auch manchmal...

besonders ärgert mich solches Verhalten, da ich eigentlich dachte, meine Generation, insbesondere an der Uni sei besser aufgeklärt... aber dem scheint ja nicht so...
müssen die etwa alle selbst erst in ein paar Jahren bis Jahrzehnten so richtig krass auf die Nase fallen, damit sie umdenken?

Naja, letzten Endes sollten wir wohl nix übers Knie brechen und in erster Linie darauf achten, dass es uns gut geht. Wer es schafft, offen damit umzugehen und was an der Gesellschaft zu ändern, wunderbar. Aber es soll nicht jedermanns Pflicht sein...

liebe Grüße,
somebody
otterchen
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Re: Vorurteile

Beitrag von otterchen »

"Wie kann man mit so wenig Wissen
eigentlich so viel Meinung haben?"

Wisst Ihr - wenn jemand sowas wie geschildert loslässt, sagt das nichts über die Sache aus, sondern offenbart einen Blick in sein Denken.

Ich hab sowas auch mal mitbekommen ("ich bin doch nicht verrückt"), aber ich habe dieser Person dann ordentlich was zum Nachdenken gegeben.

Da kam dann später nochmal was gegen Therapie, worauf ich provokant fragte, ob ich es genau so machen soll wie der gemeinsame Bekannte X, der sich KEINE Hilfe geholt hatte...

Ich glaube, man sollte in dieser Situation gar nichts sagen, sonst könnte es emotional und unsachlich werden.
Aber man kann immer wieder an geeigneter (!) Stelle Aufklärungsarbeit leisten, so dass derartige dumme, unfundierte und undurchdachte Äußerungen zumindest nicht auf fruchtbaren Boden fallen und verbreitet werden.
mein gelerntes Sammelsurium: https://otterchenblog.wordpress.com/
Katerle
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Re: Vorurteile

Beitrag von Katerle »

@ somebody
@ otterchen

Das ist total krass, wenn das so abläuft, danke euch ebenfalls. Jedenfalls, wer sowas von sich gibt, der hat in meinen Augen ganz einfach seinen Beruf verfehlt... Und das frage ich mich auch otterchen. Wunderts mich auch nicht, wenn man dann damit auch noch einsam bleibt... Auf jedem Fall kann ich das auch nachvollziehen, was ihr dazu geäußert habt. Zum Glück gibts noch ein paar wenige Leute in meinem Umfeld, die keine solchen blöden Kommentare abgeben.

@ DieNeue

Achso, wollte noch schreiben, dass ich mit denen nie über meine Depressionen gesprochen hatte, das traute ich mir nicht. Sie wussten ja durch meinen P., dass ich in der Psychiatrie war damals, aber da ja mein M. selbst Vorurteile hatte (seine M. auch, was mir ebenfalls nicht gut tat), da hat mans auch nicht so einfach zu vertrauen. Also Klinikaufenthalte hatten mir selbst gutgetan, aber wenn ich da an meine Umgebung denke, wäre es wohl besser gewesen, nicht in die Klinik gegangen zu sein, denn es ist alles andere als aufbauend, aufgrunddessen abgewertet bzw. abgestempelt zu werden. Und ich bin da jetzt auch vorsichtiger geworden, nochmal in eine Klinik zu gehen, weil ich ganz einfach keine Lust mehr auf derartige Spielchen habe... Mein M. hat ja immer noch gewisse Vorurteile, aber es ist schon etwas besser geworden. Hattte ea ja auch nicht anders vorgelebt bekommen...

Gute Nacht euch allen,
Katerle
Bittchen
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Re: Vorurteile

Beitrag von Bittchen »

Liebe Katerle,

es ist sehr schwierig in Gesellschaft da gleich zu kontern.
Da müsste ich schon sehr stabil sein,um dagegen halten zu können.
Natürlich kenne ich so dumme Sprüche auch,es kommt auf die Situation an, wie ich reagieren würde.
Wüsste der Kreis ,dass ich psychisch erkrankt bin,hoffe ich mal ,ich hätte die Kraft das gerade zu rücken und dann gegebenen Falls auch zu gehen.
Wäre mein Partner dabei,würde ich mir sehr wünschen,dass er sich äußert,sonst wäre ich sehr enttäuscht.
In meinem Kaffeeklatsch wird schon mal mit Unverständnis über die Symptome reagiert,aber nicht so fies abgelästert.
In meiner engsten Familie(Mann und Kinder)habe ich die Vorurteile über die Depression nie erlebt.
Meine Eltern waren unwissend,da war in der Richtung kein Verständnis zu erwarten.
Heute weiß ich ,dass auch meine Mutter, zumindest auch leichter betroffen war.
Auch mein Vater hatte nach zwei Herzinfarkten Probleme mit der Psyche,aber das durfte ja nicht sein.
Bei meinem ersten Klinikaufenthalt habe ich mich in Grund und Bogen geschämt und wollte keinen Besuch von meinen Kindern,sie sollten mich da nicht sehen.
Das ist ja schon 13 Jahre her.
Darüber haben die sich aber hinweg gesetzt und sind doch gekommen.
Da war ich im nachhinein sehr froh,das wir unsere Kinder doch so vorurteilslos erzogen haben.
Mein Mann war sowieso so oft wie möglich da,fast jeden Tag.
Da habe ich wohl großes Glück.
Allerdings war ich in der Familie meines Mannes sehr üblen Nachreden ausgesetzt,(Bruder,Schw.M.)was da im einzelnen hinter meinem Rücken los gelassen wurde und wird ,weiß ich nicht.
Was Finn da mit seinem Stiefvater erlebt hat, wundert mich nicht.
Mein Vater hatte auch dieses rechte, widerliche Gedankengut.
Das hat immer wieder zu starken Reibereien zwischen uns geführt.
Dieses Nazigeschwätz habe ich mir dann verbeten,er hat sich so gut es für ihn ging , daran gehalten.
Es ist schon traurig,das wieder diese Sprüche ungestraft los gelassen werden .
Das macht mir Angst.
Für mich sind Hörgeräte ,wie auch Brillen,reine Hilfsmittel um seine Sinne,die erkrankt oder schwächer sind, wieder herzustellen .
Es ist nicht schön,wenn man das braucht und kostet auch Geld,ist doch aber auch gut dass es das in so guter Qualität mittlerweile gibt.
Bei uns, der Nachbarssohn ,trägt stolz ganz grell farbige Hörgeräte,das finde ich gut.
Wer über sowas oder auch körperlich oder geistig Behinderte abwertend spricht,ist für mich sowieso unten durch.
Idioten gibt es überall,das ist leider so.
Wenn ich überraschend in der Richtung was mit bekomme kann ich schon mal deutlich werden.
Für Andere kann ich besser einstehen,wie für mich.
Aber ich lasse mich nicht gerne auf eine so negative Diskussion ein.
Das tut mir nicht gut.
Das ist nur meine eigene Meinung dazu,eine Heldin bin ich auch nicht.
Mache dir nicht so viele Gedanken,du bist gut wie du bist.
Ich finde dich sehr liebenswert und wer das anders sieht ,ist sowieso blöd.

Liebe Grüße deine Bittchen
Katerle
Beiträge: 11383
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Re: Vorurteile

Beitrag von Katerle »

Danke liebe Bittchen für deine Zeilen.

Als ich noch nicht erkrankt war, konnte ich noch gut kontern. Leider ist das im Laufe der Zeit mir abhanden gekommen...

Mein P. hatte mich leider nie in Schutz genommen..., das hatte mich auch enttäuscht. Aber vielleicht habe ich da auch zuviel erwartet...

Vorurteile in dieser Art hatte ich vorwiegend in meiner Schwiegerfamilie erfahren, seit Beginn meiner Erkrankung, das war nicht leicht. Wenn du schon so schon geschwächt bist in solch einer Form, dann ist es noch eine zusätzliche Belastung, gegen solche Vorurteile ankämpfen zu müssen. Anfangs sagte ich noch was dazu, aber dann hielt ich mich nur noch zurück, fühlte mich in eine Ecke gedrängt, einsam und abgewertet und abgestempelt. Es hatte mir nicht gutgetan, mir das Gefühl zu geben, von einem anderen Stern zu sein. Und ich war auch schon an einem Punkt, wo ich sehr verzweifelt war, weil ich mich so ausgegrenzt fühlte und ich keinen Sinn mehr sah, Therapie zu machen oder zum Facharzt zu gehen. Ich stand völlig allein da und es interessierte ja auch keinen, ob ich Therapie machte oder zum Doc ging... Na gut, war dann aber später wieder zur Therapie gegangen und zum Doc, nach einem weiteren Klinikaufenthalt, wo ich Hilfe bekam, denn ich war tief in der A. drinnen.

Na ein Glück, dass deine Kinder gekommen waren. Mir hätte e sdas Herz gebrochen, wenn meine Kinder nicht gekommen wären. Denn ich hatte A, dass sie nicht kommen würden, weil durch die dummen Sprüche... Bin da auch ganz froh, dass meine Kinder auch heute noch zu mir stehen. Mein M. war mich auch besuchen, sooft er konnte, aber zu Hause fühlte ich mich da mehr im Stich gelassen und dann die Sprüche noch von seiner M... Ich kam mir ganz klein vor, naja wurde auch klein gemacht... Auch hatte ich Angst, mich dem Rest der Familie mal zu öffnen, weil sie ja eingeweiht waren durch meine Sm. Somit fühlte ich mich mit meiner Situation weiter allein. Geschämt hatte ich mich auch...

Was meine Hörgeräte betrifft, bin ich ganz froh, dass ich sie habe. Denn somit habe ich ein besseres Hörgefühl insgesamt. Die Qualität ist in der Hinsicht schon viel besser geworden. Denn wenn du immer nur die Hälfte verstehst, fühlst du dich ja auch irgendwo ausgegrenzt. Obwohl es auch manchmal ein Vorteil ist, nicht alles zu verstehen. Ich wurde manchmal angemeckert, wenn ich was nicht verstand oder wenn die Hörgeräte, die ich hatte nicht so gut funktionierten. Mit den jetztigen bin ich ganz zufrieden. So kann ich auch Gesprächen besser folgen.

Ich kann es auch nicht ab, über körperlich oder geistig Behinderte abwertend zu reden. Danke für dein Kompliment. :)

Liebe Grüße
otterchen
Beiträge: 5118
Registriert: 3. Jan 2007, 10:43

Re: Vorurteile

Beitrag von otterchen »

Guten Morgen!

Sagt mal.... sollen wir uns hier nicht einmal Argumentationshilfen zusammenstellen?
Ohne weinerlich oder wütend zu werden - und dann es dennoch möglich machen, dass das Gegenüber "sein Gesicht bewahrt"?

Ich war ja froh, dass ich dieses eine Argument bei der Hand hatte: dass man sich doch lieber Unterstützung holen sollte, statt ganz zu verzweifeln und zum Äußersten zu gehen.

Wisst Ihr was? Ich mach einfach mal einen Thread "Argumentationshilfe" auf und wir schauen, was wir da so zusammentragen können.
mein gelerntes Sammelsurium: https://otterchenblog.wordpress.com/
Melisse
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Re: Vorurteile

Beitrag von Melisse »

Obwohl es allen Anschein nach gewisse Vorstellungen und Vorurteile über Menschen, die sich in eine Klinik einweisen lassen oder eingewiesen werden, bestehen, geht es doch so langsam in Richtung Aufklärung und Akzeptanz bzw. "Normalität". Hauptsache die Richtung passt, und sei es in Babyschritten oder im Schneckentempo.

In einer Runde, wo eine Person sich eher wertend über jemanden, der an einer psychischen Erkrankung leidet, äußert, braucht man sich nicht zwangsläufig "outen". Ohne dabei sich selber zu verleugnen, besteht die Möglichkeit, das Gespräch auf sachlicher Ebene anzugehen. Aber nur dann, wenn man Lust dazu verspürt. Das perönliche Wissen und eigene Erfahrung können hilfreich sein, sowas wie Halbwissen und Vorurteile innerhalb eines Gespräches aufzulösen. Wenn man Lust dazu hat.... Kontern kann auch Freude machen.
Zuletzt geändert von Melisse am 24. Jul 2017, 20:32, insgesamt 1-mal geändert.
"Schöpfe Wasser, trage Holz - wie wunderbar." japanisches Meditationswort
timmie2002
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Re: Vorurteile

Beitrag von timmie2002 »

ich möchte zunächst einmal den Gedanken von melisse zustimmen. ich denke auch, dass sich schon viel getan hat, sich das bild über psychische Erkrankungen im allgemeinen und über Depressionen im besonderen in der Gesellschaft allmählich ändert. die Aufklärung muss einfach weitergehen. es ist ein Prozess.

ich ziehe zur Analogie mal die Homosexualität heran:
es ist doch enorm, was sich in dieser Richtung in den letzten 40 bis 50 jahren getan hat. aber auch hier hat es lange gedauert- von der Entkriminalisierung bis zur gesellschaftlichen und rechtlichen Gleichstellung- Stichwort "ehe für alle" in deutschland. und leider ist der fortschritt in den einzelnen ländern sehr unterschiedlich, noch immer!!! es ist ein noch andauernder prozess.
und die vorurteile gegen Homosexualität? die halten sich ja wohl noch immer in vielen köpfen.

ich weiß gar nicht, ob man solchen vorurteilen mit sachlichen Argumenten entgegenkommen kann. sind die menschen, die solches denken hegen und pflegen, überhaupt bereit, ihr denken zu prüfen und zu ändern?
ich sage mal ganz klar: nein! ein gewisser teil der menschen ist dafür nicht empfänglich.

ich vertrete sogar die Ansicht, dass man mit einer gewissen Emotionalität die menschen eher erreichen kann. man muss sie innerlich berühren und bewegen, damit sich etwas in ihnen bewegt.

dazu ein Beispiel aus meinem eigenen erfahrungsbereich.

in meinem letzten Wohnort, vor meinem umzug vor eineinhalb jahren war ich Stammgast in der dorfkneipe.
so konnte ich gesellige abende verbringen und einige leute aus dem Dorf kennenlernen.
darunter war ein gast, der recht gebildet war und mit dem ich gerne über Gott und die welt sprach und diskutierte. wir waren oft konträrer Meinung und hatten gerade deshalb spaß am austausch.
an einem abend erlebte ich dann aber eine seite von ihm, die ich recht unmenschlich fand und die mich förmlich entrüstete. er erzählte von dem Selbstmord einer frau und schilderte dabei Details in völlig arroganter und herablassender weise und machte sich darüber lustig. darauf will nicht nicht genauer eingehen. auch dieser frau selbst gegenüber war er völlig abwertend: sie hätte doch gar keine Probleme (verheiratet, haus, beide gute verdiener etc.) gehabt und nur aus Langeweile Selbstmord begangen.
an diesem punkt konnte ich dann nicht mehr an mir halten. meine erste frage war, ob er denn überhaupt wisse, was er da redet. dann sagte ich ihm, dass niemand aus Langeweile Selbstmord begeht und dass diese frau innerlich völlig verzweifelt gewesen sein muss, einen solchen schritt zu wagen und konsequent durchzuziehen. mein gegenüber wurde etwas stiller. dann sagte ich ihm offen und ehrlich, dass ich an depressionen leide und selber schon mehrmals vor diesem schritt stand. ich erzählte ihm, was dabei in mir vorging und wie ich mich fühlte, sagte ihm auch, dass ich im grunde froh bin, es nicht gemacht zu haben.
daraufhin sagte er zu seiner Verteidigung ziemlich kleinlaut, er habe das doch nicht gewusst. ich erwiderte ihm, dass es genau dieses sei: aus Nichtwissen heraus über andere menschen und ihr handeln zu urteilen und diese abzuwerten. es war ihm anzumerken, dass er peinlich berührt war.
ob er seine Einstellung und sein denken grundsätzlich geändert hat, kann ich nicht sagen, aber es muss ihn schon bewegt haben, was ich über mich erzählte.
einige Wochen später hatte ich mal wieder ein ganz schwarzes tief. durch einen guten bekannten bekam ich hilfe und kam akut in die Klinik. da der Notarzt mit dem Hubschrauber kam, dürfte das ganze Dorf von der Sache mitbekommen haben. in meiner Stammkneipe wusste man auf jeden fall, was los bzw. geschehen war.
nach meiner Entlassung ging ich dann auch wieder in meine Stammkneipe und besagte Person war ebenfalls anwesend. wir redeten wie üblich mit einander und plötzlich bestellte er für mich einen Likör (eigentlich trinke ich gar keinen Alkohol) und wollte mit mir anstoßen. ich fragte ihn verdutzt wieso (diese Person gab anderen überhaupt nicht gerne einen aus). er sagte einfach nur: ich bin froh, dass du wieder da bist. sein blick sagte mir, dass das ehrlich gemeint war. zumindest ich gehörte für ihn nicht mehr zu den leuten, die aus Langeweile Suizid begehen. ich bin überzeugt davon, dass es weniger die sachlichen Argumente als vielmehr die emotionale Berührung in unserem Gespräch war, die seine Einstellung geändert hat.

natürlich war das schon eine etwas extreme Situation. im großen und ganzen würde ich es aber in ähnlichen wieder so tun.

vielleicht ist dieser vergleich zum abschluss sehr hochgegriffen, aber trotzdem: 6 Millionen in den konzentrationslagern vergaste und getötete Juden ist nur ein fakt. die zahl ist schrecklich hoch, doch berührt sie emotional wenig. das Schicksal der anne frank ist ein einziges Menschenleben gewesen, nur eine einzelne Jüdin, die opfer des Nationalsozialismus wurde. aber ihr Schicksal, bekannt geworden durch ihr Tagebuch, hat schon Millionen menschen berührt und bewegt.

ich bin ziemlich überzeugt davon, dass man menschen auch emotional bewegen und berühren muss, wenn man ihr denken verändern will.

glg final
Katerle
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Re: Vorurteile

Beitrag von Katerle »

Da stimme ich melisse und final gerne zu. Und Otterchen, finde ich ganz toll deine Idee mit den Argumentationshilfen. :) Danke euch allen.

@ final

Der Ansicht bin ich auch, dass mit einer gewissen Emotionalität mehr erreicht werden kann, dass sie berührt werden und sich etwas in ihnen bewegt. Leider beißt man bei manchen trotzdem auf Granit, aber ich denke, das sind sind die wenigsten.

Solche herablassenden Äusserungen über Suizid musste ich mir auch einige anhören, besonders von meiner Sm und die anderen. Hatte aber anfangs meine Ansicht noch vertreten dazu.
Jedenfalls konnte sie es nicht lassen, weiter auf mir rumzuhacken bzw. zu provozieren. Ich stand in der Familie ganz allein da, traute mir dann nichts mehr zu sagen, weil nur ihre Meinung galt. Von Berührung war da keine Spur. Ein Wunder, dass ich dem bis heute standgehalten hatte... Selbst mein M. machte solche abfälligen Bemerkungen, ist aber schon besser geworden mir gegenüber zumindest.

Jedenfalls finde ich es gut, dass du dem Mann von dir erzählt hast und es ihn hoffentlich auch berührt hat. Und genau das finde ich auch nicht i. O., wenn einfach über jemanden geurteilt wird, ohne die genauen Hintergründe zu kennen.

Der Freund von einer Bekannten landete eines Tages auf nem Dach und selbst da wurde das noch ins Lächerliche gezogen bzw. verurteilt. Und als später noch jemand einen Selbstmordversuch machte, das Gleiche. Was ich damit sagen will, dass es bei manchen leider nur hilft, da auf Abstand zu gehen, damit man daran nicht zugrunde geht. Denn manche bleiben so stur und hartnäckig bei ihren abfälligen Bemerkungen dass man da emotional sein kann, wie man will und trotzdem weitergemacht wird...

Ansonsten bin ich aber eher für Emotionalität. Und ich freue mich, dass deine Erfahrung mit der Person so ein gutes Ende nahm.

LG Katerle
DieNeue
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Re: Vorurteile

Beitrag von DieNeue »

Hallo final,

das ist ja eine krasse Geschichte! Sehr gut, dass du etwas dagegen gesagt hast!! Glaube, da wäre mir auch der Kragen geplatzt. Aber ich glaube, ich hätte das nicht so gut erklären können.
timmie2002 hat geschrieben:nur aus Langeweile Selbstmord begangen.
Also ich versteh wirklich nicht, wie man auf die Idee kommt, jemand würde sich einfach aus Langeweile umbringen, nach dem Motto: "Ach ich hab ja alles, was man so erreichen kann. Was soll ich denn jetzt machen? Hm, keine Ahnung, mir ist langweilig. Ich hab ja grade nichts zu tun... Ach ja, wie wäre es mit Selbstmord? Das wär doch mal was! Kam doch neulich erst was im Fernsehhen..." (Manchmal fehlt mir hier der Smiley, der mit dem Hammer eine auf den Kopf bekommt...)

Ich finds auch echt krass, dass gerade jemand, der ziemlich gebildet ist, so eine Meinung hat! Ich versteh das nicht und kann echt nur noch den Kopf schütteln... Wie kommen Leute auf so was???
Und vor allem, wenn man gebildet ist und etwas nicht weiß, sollte man doch in der Lage sein, Sachen von anderen Sachen abzuleiten, um dadurch etwas besser verstehen zu können. Aber vielleicht wollen die sich gar nicht mit sowas befassen. Ist ja auch einfacher...

Wo du das schreibst mit den Vorurteilen Homosexuellen gegenüber... ich werde mittlerweile schnell aufmerksam, wenn es um die Stigmatisierung von Leuten geht. Egal, was es für eine Gruppe ist...
Als Trump wollte, dass keine Muslime mehr in die USA einreisen dürfen, habe ich mir gedacht, wie es mir gehen würde, wenn plötzlich keine psychisch Kranken mehr in die USA einreisen dürfen. Ich kann schon nachvollziehen, dass man Muslimen skeptisch gegenüber steht und auf Nummer sicher gehen will, aber im Prinzip könnte man auch jede andere Menschengruppe hernehmen. Da wird die Diskriminierung vllt deutlicher, weil es vllt abstruser wirkt. Man könnte ja auch zum Beispiel sagen, es dürfen keine herztransplantierten Menschen einreisen, weil sie ja aus 2 Menschen bestehen (nur so als Beispiel für die Abstrusität). Oder im Mittelalter wurden Frauen verfolgt, weil sie rote Haare hatten. Genauso bescheuert.

Liebe Grüße,
DieNeue
DieNeue
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Re: Vorurteile

Beitrag von DieNeue »

Katerle hat geschrieben:Der Freund von einer Bekannten landete eines Tages auf nem Dach und selbst da wurde das noch ins Lächerliche gezogen bzw. verurteilt. Und als später noch jemand einen Selbstmordversuch machte, das Gleiche.
Könnte mir vorstellen, dass die der Meinung sind, dass nur Schwächlinge Selbstmord begehen, weil die in ihren Augen zu blöd sind, um ihre Probleme besser zu lösen bzw. weil sie überhaupt Probleme haben. Also wieder das Herabschauen auf Andere...
Wenn jemand nen schweren Unfall gehabt hätte und in Lebensgefahr schweben würde, würden wahrscheinlich nicht solche abfälligen Bemerkungen kommen. (hoffe ich zumindest mal)
Melisse
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Re: Vorurteile

Beitrag von Melisse »

Zur Thema Versachlichung/Sachebene, ein kleiner Einschub.

Versachlichung bedeutet für mich persönlich keineswegs das Weglassen von Gefühlen, nur transportiere ich das Thema - damit ich selber eine gesunde Distanz und Schutz bewahre - auf eine andere Ebene, die ich Versachlichung nenne. Vielleicht passt das gut, vielleicht auch nicht. Damit ich in der Lage bin, überhaupt über ein Thema sprechen zu können, das mich innerlich berührt, brauche ich diese Strategie. Diese Distanz erlaubt es mir, mich auf den Inhalt und Argumente zu konzentrieren.
Lese ich eine Falschmeldung, in der bewußt Fakten aus dem Zusammenhang gerissen werden, um Effekte zu erreichen, wie zum Beispiel Empörung, da greife ich gerne auf diese Methode zurück. Mit Fakten, Argumenten, die nachvollziehbar sind, entschärft man ein Thema durch eine Richtigstellung. Aufgefallen ist mir dennoch, wie gerne Falschmeldungen oder Vorurteile beibehalten werden, um bei einer schon vorher bestehen Meinung zu bleiben. Da helfen weder Fakten und Wissen, auch kein Erzählen von persönlicher Erfahrung ect...
"Schöpfe Wasser, trage Holz - wie wunderbar." japanisches Meditationswort
Katerle
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Re: Vorurteile

Beitrag von Katerle »

Ja so ungefähr war das auch. Wenn jemand sensilbel war, wurde er als "Sensibelchen" bezeichnet und galt eh als schwach und dann kam noch hinzu, dass sich die Sm in die Beziehung eingemischt hatte und wer eh anderer Meinung war, der hatte ganz einfach schlechte Karten..., stand alleine da. Deshalb dann der Gedanke aufs Dach...

So, will dann los. Habt alle einen schönen Nachmittag, auch wenns regnet. Macht einfach das Beste draus.

Katerle
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Re: Vorurteile

Beitrag von Katerle »

War an dieNeue gerichtet, mein letzter Beitrag...
wohin geht die reise
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Re: Vorurteile

Beitrag von wohin geht die reise »

Ich finde es toll, wenn ihr sachlich gegen solche Äußerungen argumentieren könnt. Mir geht es leider eher so wie Katerle, ich verstumme und mir fällt nichts ein. Außerdem habe ich in solchen Runden oft erlebt, das ich schlichtweg zu leise bin.
Ich kann mich auch noch an einen Spruch von meinem Hausarzt erinnern: Leute wie sie hat man früher weggesperrt
oder in meinem Verwandtenkreis: du bist doch eine gestandene Frau, wie kannst du Depressionen kriegen?
lore
Katerle
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Re: Vorurteile

Beitrag von Katerle »

Hallo Lore, also anfangs gelang mir noch das sachliche Argumentieren, aber dann wurde die Wand zu groß und ich verstummte...
Und ich wünsche mir, das es mir wieder besser gelingt. LG
Katerle
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Re: Vorurteile

Beitrag von Katerle »

Und aus Langeweile begeht bestimmt niemand Suizid...
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