Erfahrungswissen gefragt...

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DasRüb
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Erfahrungswissen gefragt...

Beitrag von DasRüb »

Hallo,

ich bin Angehörige eines Depressiven und möchte gerne eine Frage zum Umgang mit der Krankheit an Betroffene stellen. Bevor ich auf die Frage komme, möchte ich zunächst noch folgende Hintergrundinformationen geben:

Seit mein Ehemann sich vor ca. neun Jahre von seinen Eltern losgesagt hat (Vater quartalssaufender Alkoholiker, Mutter Co-Alkoholikerin), geht es ihm nicht mehr gut. Zunächst zeigten sich neben einem permanent schlechtem Gewissen (schlechter Sohn!) psychosomatische Beschwerden, die nach und nach in depressive Phasen übergingen und sich mittlerweile seit ca. fünf Jahren in einer Depression manifestiert haben. Während seiner Kur (2013) wurde eine mittelgradige Depression diagnostiziert. Seither ist es mit ihm - aus meiner Sicht - steil bergab gegangen (vgl. meinen Post bei Angehörige). Seit ca. zwei Jahren ist er in psychotherapeutischer Behandlung. Meine wiederholte Anregung, es doch einmal mit einem Klinikaufenthalt oder medikamentöser Unterstützung zu versuchen, lehnt er kategorisch ab. Sein Therapeut ist ebenfalls kein Befürworter von Antidepressiva. Leicht gesagt für jemanden, der eine Stunde die Woche mit meinem Ehemann verbringt, ein harter Schlag für uns Familienmitglieder, die täglich neue Kapriolen und Überreaktionen erleben. Sorry für die harten Worte, aber es ist meine Realität.

Nach den vielen Jahren mit einem quasi dauertraurigen Mann geht mir langsam aber sicher die Puste aus. Auch meine Kinder (17/13 Jahre) leiden zunehmend unter der Situation. Die Hoffnung auf Besserung des Zustands schwindet immer mehr.

Nun zu meiner Frage...
Wenn jemand über einen längeren Zeitraum hinweg unter einer mindestens mittelgradigen Depression leidet und sich der Zustand trotz wöchentlicher Psychotherapie nicht merklich verbessert, sondern eher Symptome des Rückzugs gepaart mit Schlafstörungen, Überreaktionen (die Mücke wird zum Elefanten, Lapalien werden zu Dramen hochstilisiert) und Dauertraurigkeit usw. auftreten, reicht dann Psychotherapie aus, oder wäre es besser, "schwerere Geschütze" aufzufahren.

Hat jemand Erfahrungswissen dazu? Ich bin für jede Rückmeldung dankbar.

Liebe Grüße
DasRüb
saneu1955
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Re: Erfahrungswissen gefragt...

Beitrag von saneu1955 »

Hallo DasRüb, ich habe beim Lesen deines Beitrages sofort deine Hilflosigkeit gespürt und möchte dir hier aus meiner Sicht antworten. Ich leide seit ca. 25 Jahren unter Depressionen und ich weis, wie hilflos und machtlos sich meine Familie fühlt, es ist für sie nicht einfach, da sie es absolut nicht nachvollziehen können, was in mir vorgeht.
Du schreibst, dass der Therapeut Medikamente ablehnt, das kann gut sein, bei einer Therapie geht es an das Gefühl, an das innerste und manche Therapeuten sind halt der Meinung, das dies durch Medikamente verhindert werden könnte. Ist aber nicht so. Ich weis jetzt nicht, ob der Therapeut auch Neurologe ist und Medikamente verschreiben kann. Wenn nicht, dann besteht auf jeden Fall die Option, sich einen Neurologen zu suchen, die Diagnose steht ja fest und mit ihm darüber zu sprechen. Es müssen ja nicht gleich Hammer an Antidepressiva sein, aber wenn es deinem Mann so schlecht geht, dann sollte er doch Medikamente nehmen. In allen einschlägigen Seiten über Depressionen steht immer wieder, dass eine Kombination aus Psychotherapie und Antidepressiva am wirksamsten ist. Vielleicht konnte ich dir ein klein wenig helfen.

LG Saneu1955
ndskp01
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Re: Erfahrungswissen gefragt...

Beitrag von ndskp01 »

Liebe Rüb,

ja, man fühlt sich hilflos mit einem depressiven Partner.
Manchmal geht es kaum voran.
Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass der Therapeute Medikamente ablehnt, vermutlich respektiert er einfach den Wunsch des Patienten, der das nicht will. Aber es spielt auch gar keine Rolle, was der Therapeut konkret gesagt hat, hätte sagen können oder sollen.

Wichtig ist für dich, dass du dich schützt. Denn der tägliche Umgang mit einem depressiven Mann ist krankmachend und ansteckend. Irgendwann rutschst du auch rein.
Hast du schonmal daran gedacht, dich von ihm zu trennen?

Viele Grüße und alles Gute für euch, Puk
Haferblues
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Re: Erfahrungswissen gefragt...

Beitrag von Haferblues »

Hallo Rüb,

ich kann dir nur von mir selbst berichten. Ich leide seit Menschengedenken unter Depressionen. Zuletzt bin ich bestimmt 15 Jahre kaum mehr aus dem Zustand raus gekommen. Rückzug, Schlafstörungen, Überempfindlichkeit, Nörgeligkeit, chronische Schmerzen, Minderwertigkeitsgefühle, Leistungsunfähigkeit - das volle Programm. ADs habe ich abgelehnt, weil ich nicht richtig ausreichend darüber informiert war und Angst davor hatte. Psychotherapie über ca. 3 Jahre hab nix genutzt. Im Gegenteil: ich fühlte mich total unverstanden und im Stich gelassen von der Therapie.

Dann habe ich vor jetzt ca. 2,5 Jahren noch einmal einen Versuch unternommen. Diese Therapeutin hat mir gleich klipp und klar gesagt, dass nach all diesen vielen Jahren Depression ohne ADs vermutlich kein Erfolg zu erzielen sein wird. Sie hat mich zu einer Fachärztin überwiesen und die hat mir ganz genau erklärt was es mit diesen Medis auf sich hat. Ich habe mich dann drauf eingelassen - und siehe da: es ging mir nach wenigen Wochen wesentlich besser. Ich konnte wieder schlafen und mich auch richtig auf die Therapie einlassen.

Inzwischen habe ich sogar wieder einen Job gefunden und bin wieder ein glücklicher Mensch.

Vielleicht ist dein Mann auch nicht ausreichend informiert. Es gibt natürlich Therapeuten, die gegen ADs sind. Wenn sich aber in 2 Jahren Therapie gar nix ändert an der Depression, würde ich es schon mit ADs versuchen.

viele Grüße
Rifka
Lebenskünstler sind Menschen, die schon vollkommen glücklich sind, wenn sie nicht vollkommen unglücklich sind.
Danny Keye
DasRüb
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Re: Erfahrungswissen gefragt...

Beitrag von DasRüb »

Vielen Dank für Eure Rückmeldungen! Ich bin froh, dass Ihr mir geantwortet habt und mir damit Mut macht, nicht völlig auf dem Holzweg zu sein.

Der Therapeut ist kein Arzt oder Neurologe, sondern Psychologe. Nachdem ich meinem Mann mit dem Thema wiederholt auf die Pelle gerückt war, hat er mich zu seinem Therapeuten mitgenommen. Dem habe ich meine Sichtweise geschildert (Neue Studien belegen, dass Kombination aus Medikamenten und Gesprächstherapie ein guter Therapieansatz; elektrochemische Prozesse oder so ähnlich im Gehirn werden durch Medikamente wieder angefeuert; Negativschleifen im Denken können so unterbrochen und die Areale, die positives Denken steuern können wieder aktiviert werden usw.). Der Therapeut ist "kein Freund von Medikamenten". Er glaubt, dass die Gesprächstherapie "der" Weg sei, es aber aufgrund der Negativerfahrungen in der Kinder- und Jugendzeit Zeit brauche. Das war "Wasser auf den Mühlen" meines Mannes. Ich glaube weiterhin daran, dass eine Kombinationstherapie der bessere Weg wäre. Auch wenn meine neurowissenschaftlichen Erkenntnisse im Nichts verpufften und nur die Hilflosigkeit blieb, bin ich weiterhin davon überzeugt. Es freut mich, dass ich durch Deine Zeilen, liebe/r Saneu1955, Bestätigung finde. Danke liebe/r Rifka, es ist schön, zu hören, dass Du tatsächlich gute Erfahrungen in dieser Hinsicht gemacht hast.

Ich weiß gar nicht, ob es tatsächlich noch Hilflosigkeit nennen soll oder ob es nur noch bloße Hoffnungslosigkeit ist. Ich habe jahrelang versucht, allen Problemen die Stirn zu bieten: Ich habe Verantwortung übernommen und Entscheidungen getroffen, wenn er es nicht konnte, die Dinge getan, zu denen er sich nicht in der Lage fühlte, für ihn Ausreden gefunden, wenn er unpässlich war, ihm Aufmerksamkeit geschenkt, manchmal auf Kosten unserer Kinder. Alles immer in dem festen Glauben, dass es irgendwann bergauf geht. Mittlerweile bin ich diesbezüglich desillusioniert.

Ja liebe/r Puk, ich sehe die Gefahr, selbst in eine Depression abzurutschen. Denn Erschöpfungszustände habe ich bereits gehabt, aber bisher immer noch die Kurve gekriegt. Ich glaube, im Moment stehe ich am Abhang, blicke hinab und mache mir Gedanken über die Gefahr, die mir droht. Wahrscheinlich hat mich das auch ins Diskussionsforum geführt.

Und ja, ich habe bereits an Trennung gedacht. Was mich dazu treibt, sind Gedanken wie z. B. dass ich nur ein einziges Leben habe und es nicht in Dauertraurigkeit fristen möchte, dass das Leben lebenswert ist und dass es noch viel zu entdecken gibt, was ich bisher nicht gesehen oder gemacht habe. Ich möchte gemeinsam mit meinen Kindern auch mal wieder Momente der Unbeschwertheit genießen können. Was mich hält, ist die Angst, dass mein Mann sich was antun könnte sowie die Tatsache, dass meine Kinder sehr an ihm hängen und sie auch diese Angst haben. Es ist eine verfahrene Situation. Ich wäre froh, wenn zumindest irgendwo am Horizont ein Hoffnungsschimmer erscheinen und mein Mann eine Entwicklung durchlaufen könnte, wie Rifka sie gemacht hat.

Liebe Grüße
DasRüb
saneu1955
Beiträge: 2433
Registriert: 6. Jul 2014, 19:18

Re: Erfahrungswissen gefragt...

Beitrag von saneu1955 »

Hallo liebe Rüb, ich kann deine Verzweiflung und deine Angst verstehen. Es ist schwer für Angehörige. Vielleicht kannst du deinen Mann doch dazu überreden, einen Arzt (Neurologen) aufzusuchen, damit dieser ihm Medikamente verordnen kann, denn ich denke schon, dass er es ohne nicht schafft. Ich kann dir leider keinen Rat geben, wie du ihn dazu bewegen könntest, vielleicht ist ein sachliches und ruhiges Gespräch sinnvoll, denn unter Druck setzen, wird nicht funktionieren. Eine Möglichkeit wäre auch, über den Hausarzt zu gehen, der ist ja meist vertrauter, als ein neuer Arzt. Über den Psychologen wirst du nichts erreichen, wenn dieser seine Meinung hat. Natürlich dauert es viel Zeit, Traumata aus der Kindheit usw. aufzuarbeiten, aber wenn es ohne Medikamente kein Vorankommen gibt, dann bringt dies auf Dauer auch nichts. Das musste ich selbst auch erfahren.
Ich bin ja selbst Betroffene und keine Angehörige, würde dir aber dringend raten, einfach auch was für dich zu tun und nicht immer abhängig sein vom Befinden deines Mannes. Er ist auch für sich selbst verantwortlich.
Ich wünsche dir von Herzen viel Kraft.

LG Saneu1955
otterchen
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Registriert: 3. Jan 2007, 10:43

Re: Erfahrungswissen gefragt...

Beitrag von otterchen »

Hallo,

herrje, welche Zwickmühle:
ER will es auf diese Weise alleine schaffen (und glaubt auch, dass es geht, weil ja der Psychologe das vermittelt).
SIE geht kräftemäßig nach unten.

IHM jetzt zu sagen "nimm Medikamente, die können es dir erleichtern" wirken nicht genug - er will es ja so schaffen.
IHM zu sagen "nimm bitte Medikamente, weil ich sonst zusammenbreche" könnte Druck aufbauen. Es geht ja um SEINE Depression, und auf einmal ist er auch noch für das "Funktionieren" von IHR, von der Familie, dem Zusammenleben zuständig?

Zum Einen: Antidepressiva sind kein Wundermittel. Sie KÖNNEN den Vorgang erleichtern, aber sie können auch negative Nebenwirkungen haben, anders wirken, als man sich das erhofft hat, nicht die richtige Wahl sein, so dass man (mehrfach) wechseln muss, und das kann viele, viele Wochen dauern.

Zum Anderen: ja, ich bin auch eine Befürworterin der zweigleisigen Therapie. Ich profitiere von meinem AD, habe versucht, mal ohne auszukommen und schnell gemerkt, dass es mir wieder spürbar schlechter ging.


Vorschlag: ER kann sich einen Termin bei einem Psychiater holen (den Beratungstermin könnte SIE ja ausmachen?) und dort einmal unverbindlich nach dessen Meinung erkundigen. Mal sehen, was der Psychiater dazu sagt, wie er die Situation und die Erfolgsaussichten einschätzt.
Ein Psychiater kann ein gutes Antidepressivum aussuchen und verschreiben (ein normaler Psychologe/Therapeut darf das nicht, es sei denn, er ist auch gleichzeitig Arzt).
Dann ist es immer noch die Entscheidung von IHM, ob ER dieses Medikament auch einnimmt oder nicht.
Dies wäre dann die Beurteilung durch einen Fachmann... und letztendlich könnte die Einstellung des Therapeuten ja auch eigennützig sein, um den Patienten an sich zu binden, oder?


Liebe DasRüb,
bitte pass auf Dich auf, suche Dir Kraftquellen und schone Deine Kräfte.
mein gelerntes Sammelsurium: https://otterchenblog.wordpress.com/
Tini 28
Beiträge: 32
Registriert: 26. Aug 2014, 13:20

Re: Erfahrungswissen gefragt...

Beitrag von Tini 28 »

Liebe Rüb,
Du bist leider ziemlich alleine mit Deinem Problem, denn erfahrungsgemäß gibt es leider eine große Gruppe von Psychotherapeuten, die auf Heilpraktiker-Ebene therapieren und sehr häufig meinen, dass eine Depression ohne AD behandelt werden kann. Aber da Dein Mann schon so lange ohne sichtbareErfolge therapiert wird, ist sein persönlicher Leidensdruck noch nicht groß genug- so traurig das fürDich ist. Ich habe bei meinen Klinikaufenthalten mitbekommen, dass viele Männer eine tierische Angst vor AD haben, weil häufig eine vorübergehende Impotenz damit verbunden sein kann. Außerdem haben Männer größere Angst vor Veränderungen als weibliche Betroffene. Ich denke, dass die einzige Möglichkeit für Dich der Gang zum Hausarzt ist. Viele Hausärzte haben sich wenig mit den neuesten Erkenntnissen der Depressionsforschung befasst bzw. Bedenken nicht, dass Männer mit dieser Erkrankung besonders angesprochen werden müssen. Die Männer, die sich stationär behandeln lassen, haben erkannt, dass ihre Kraft nicht reicht, um alleine aus dem Loch herauszukommen. Eine stationäre Behandlung hat den Vorteil, dass sie aus dem Beruf heraus kommen, Zeit gewinnen und sich mit männlichen Betroffenen austauschen können. Aber diesen Weg wird wohl nur der Hausarzt schmackhaft machen können. Alles was den " üblen" Beigeschmack : PSYCHO hat ist " no go "!!!
Ich wünsch Dir viel Kraft und sei achtsam mit Dir selbst, denn Du kannst Deinem Mann nur helfen, wenn Du nicht sichtbar an seiner Seite selbst kaputt gehst.
LG von einer Betroffenen
Tini 28
DasRüb
Beiträge: 11
Registriert: 19. Jan 2014, 00:15

Re: Erfahrungswissen gefragt...

Beitrag von DasRüb »

Vielen lieben Dank für die vielen Antworten. Das gibt Anstöße zum Nachdenken.

Leider hat sich bisher keine Situation ergeben, die Raum für ein ruhiges und sachliches Gespräch geboten hätte. Ich stimme Dir zu, dass das sinnvoll sein könnte, liebe Saneu1955. Den Psychologen habe ich noch nicht ganz abgeschrieben. Zurzeit denke ich darüber nach, ihn einmal zu kontaktieren und ihm noch einmal meinen Leidensdruck und den der Kinder zu schildern. Vielleicht versteht er unsere Situation und unterstützt einen Vorschlag in Richtung Klinikaufenthalt.
Ich habe in den letzten Jahren viele verschiedene Dinge für mich getan. Jedoch habe ich mittlerweile erkannt, dass sie auch eine Flucht vor der Realität waren. Daher habe ich meine außerfamiliären Aktivitäten zurzeit heruntergefahren, um zu sehen, wie es dann ist. Ergebnis: das immer stärker werdende Gefühl, dass es so nicht weitergehen kann.

Zwickmühle, sehr gut auf den Punkt gebracht, liebes Otterchen. Fast alles was ich sage, so scheint es jedenfalls, baut Druck auf oder macht Schuldgefühle. Das ist ein echtes Problem. Ich glaube auch, dass ich deswegen immer sprachloser werde, weil es sooo schwer ist, den richtigen "Ton" zu treffen. Ich weiß, dass AD nicht das Allheilmittel sind und es große Unterschiede gibt und unangenehme Nebenwirkungen. Mittlerweile favorisiere ich einen Klinikaufenthalt. So könnte er aus seinem Hamsterrad kommen und wir als Familie könnten durchatmen, und alle könnten Kraft tanken. Dein Beitrag, liebe Tini28, unterstützt meine Gedankengänge in diese Richtung.

Die ehrliche Konfrontation mit meinen Gefühlen, wie von Dir vor geschlagen, Yvistern, habe ich mich in den letzten Wochen nicht mehr getraut. Vor zwei Monaten habe ich versucht, ihm mein Empfinden darzulegen, z. B. dass mir die Luft und die Hoffnung ausgeht, dass ich mir mehr von meinem Leben erhoffe und mir ein fröhlicheres Leben wünsche. Auch wenn ich dabei versucht habe, bei mir zu bleiben, so hat er es doch als Anklagen gewertet. Und schon stand wieder das Wort "Schuld" im Raum. Ich habe dabei nicht vorgehabt, ihn anzuklagen, sondern meine Sichtweise darzulegen und auch ihn aufzurütteln.

Mittlerweile haben sich zwei seiner Freunde angeboten, einmal mit ihm zu reden. Sie wissen um die Depression meines Mannes und verstehen die Kinder und mich. Ich weiß noch nicht, ob ich diese Offerte annehmen soll. Ich befürchte, er könnte sich wieder schuldig fühlen und dann auch noch gegenüber seinen "Vertrauten" zumachen.

Abschießend möchte ich Euch allen noch einmal danken, dass Ihr mir mit dem Feedback und Eurem Zuspruch neue Kraft gebt, um alltäglich mit meiner verfahrenen Situation umzugehen. Wirklich sehr lieb von Euch.

Liebe Grüße
DasRüb
Tini 28
Beiträge: 32
Registriert: 26. Aug 2014, 13:20

Re: Erfahrungswissen gefragt...

Beitrag von Tini 28 »

Liebe Rüb,

ich hatte eine lange Antwort geschrieben , nun ist sie weg..vielleicht aus Versehen unfertig abgeschickt???

Ich wollte Dir jedenfalls unbedingt raten, die Hilfe der Freunde anzunehmen. Laut Buch " Männer weinen nicht" kann so ein Gespräch unter Männern offener und auch auf einer ganz anderen Ebene stattfinden.
Ich wünsche Dir bzw. Deiner ganzen Familie ganz viel Erfolg bei diesem Vorhaben!

Ganz liebe Grüße von der Betroffenen Tini , mit viel Erfahrung mit mitbetroffenen Männern
saneu1955
Beiträge: 2433
Registriert: 6. Jul 2014, 19:18

Re: Erfahrungswissen gefragt...

Beitrag von saneu1955 »

Liebe Rüb, es ist eine gute Idee, die Freunde deines Mannes mit in das Boot zu holen. Ich habe so das Gefühl, dass du und deine Kinder in so einer Rücksichtnahme-Haltung seid, nur nicht daran rütteln aus Angst, es könnte etwas passieren. Ich denke schon, dass du deinem Mann klar machen kannst, dass es so nicht weiter gehen kann, auch wenn er alles als Anklage versteht. Wenn er wirklich in so einer richtigen Depression drin steckt, dann wird er alles auf die Goldwaage legen, ich kenne das aus meiner eigenen Erfahrung. Egal was meine Familie gemacht hat, es war falsch. Aber ich habe auch immer etwas getan, um aus diesem Tief wieder raus zu kommen. Und das ist der springende Punkt, der Betroffene muss wollen.
Geht dein Mann eigentlich arbeiten oder ist er den ganzen Tag zu Hause und mit seinen Gedanken beschäftigt?
Ich glaube auch, dass ein Klinikaufenthalt die beste Lösung wäre, dort hätte er professionelle Hilfe, kann sich mit anderen Betroffenen austauschen, vielleicht auch unter Aufsicht eine medikamentöse Therapie beginnen und ihr hättet mal eine Auszeit, was ja sehr sehr wichtig wäre.
Ich schreibe dir hier immer wieder, weil ich dich verstehen kann, weil ich selbst weis, wie meine Familie immer wieder versucht hat, mich aus den Tiefs herauszuholen, wie verzweifelt sie oft waren. Ich glaube, ich habe gerade in den letzten Wochen und Monaten begriffen, dass es nur besser wird, wenn ich etwas tue, wenn ich aktiv werde, auch wenn es täglich Rückschläge gibt. Ich kämpfe und das wünsche ich deinem Mann auch, auch damit du wieder zur Ruhe findest.

LG Saneu1955
payasa
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Re: Erfahrungswissen gefragt...

Beitrag von payasa »

Liebe Rüb,

Ich habe mich (als Betroffene) lange gewehrt, Medikamente zu nehmen. Meine Argumente waren immer, was ist das für eine Welt, die ich nur zugedröhnt ertrage?

Dann hat mir mein Therapeut gesagt, man nimmt Tabletten bei Kopfschmerzen, Medikamente bei Gelenkschmerzen... Warum nur glaubt man, dass man bei Seelenschmerzen ohne Medikamente auskommen muss? Das hat mich überzeugt. Das und die Aufklärung über meine Antidepressiva, über die Wirkung und Nebenwirkungen etc. etc. Vielleicht wäre das ein Argument für deinen Mann?

Ich fahre selbst auf einem sehr niedrigen Level und weiß, ich könnte es mir noch leichter machen, wenn da nicht dieses Bild von "einer flog über das Kuckucksnest" in meinem Kopf spucken würde und die Angst, die Kontrolle über mich zu verlieren. Aber man kann es sich schon ein wenig leichter machen.

Drück euch ganz fest die Daumen!
Liebe Grüße
Liebe Grüße


Einsamkeit und das Gefühl unerwünscht zu sein, ist die schlimmste Armut.

Mutter Teresa
Tini 28
Beiträge: 32
Registriert: 26. Aug 2014, 13:20

Re: Erfahrungswissen gefragt...

Beitrag von Tini 28 »

Liebe Rüb,
ich denke, dass Du und Deine Kinder dringend eine Pause braucht, um wieder zu Kräften zu kommen und Verantwortung abgeben zu können. Wenn man ( Freunde, Hausarzt oder Du ) Deinen Mann erfolgreich darauf hinweisen kann, dass für Euch alle ein Klinikaufenthalt- in Eurem Fall- dringend notwendig erscheint, dann besteht ein sehr berechtigte Chance zur Verbesserung Eurer Familiensituation.
In der Klinik trifft man auf gleich Betroffene. Man sieht, dass auch andere Männer Unterstützung suchen und dort auch bekommen. Durch verschiedenste Gruppentherapien lernt man dort, seinen Alltag wieder zu stukturieren, etwas für seine körperliche Verfassung zu tun und falls notwendig ,wieder eine schrittweise Eingliederung ins Berufsleben vorzubereiten. Es gehören nämlich immer ein Sportprogramm, Ergotherapie ( keine Körbe flechten!!!!!), Entspannungstechniken,Physiotherapie neben diversen anderen Therapiemöglichkeiten zur klassischen Depressionsbehandlung dazu. Selbstverständlich muss man bereit sein, die Krankheit anzunehmen. Dann ist man auch bereit, das notwendige " Handwerkszeug" als Mittel zum Ausstieg aus der Erkrankung zu sehen und umzusetzen. Auch darf man nicht von vorne herein Medikamente ablehnen als "Teufelszeug"!Wer Medikamente akzeptiert, merkt an sich selbst, dass diese nichts mit Dröhnung oder Betäubung zu tun haben! Sie helfen eindeutig, den Weg aus dem tiefsten Tal an die Oberfläche zu schaffen. Viele Menschen verwechseln die Antidepressiva mit den reichlich bekannten Beruhigungsmittels wie Valium.Die AD gehören aber nicht zu dieser Medikamentengruppe, sondern liefern den Botenstoff, der im Gehirn nicht in ausreichender Menge zur Verfügung steht. Die neusten Forschungsergebnisse zeigen , dass bei den Depressiven eindeutig ein Mangel an Botenstoffen im Gehirn besteht. Wohlgemerkt sollten die AD nur in Kombination mit einer Psychotherapie verabreicht werden. In meinem Fall habe ich 2x durch einen Aufenthalt in der Psychiatrie - nicht Reha -Hilfe bekommen. Mein Mann wurde erfolgreich mit eingebunden, so dass auch er Aufklärung und Hilfe für den Umgang mit mir bekommen hat. Man verändert sich ja doch durch so eonen Klinikaufenthalt!
Leider habe ich einen Freund nicht überzeugen können.Er lehnte kategorisch eine stationäre Behandlung und Ads ab. Auch er glaube, es alleine zu schaffen. Er beging vor 1 Jahr Selbstmord.
Ich drücke Dir die Daumen
LG Tini 28
DasRüb
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Re: Erfahrungswissen gefragt...

Beitrag von DasRüb »

Ich möchte mich vielmals bei Euch bedanken, dass Ihr Euch die Mühe macht, mir zu antworten. Das hilft mir sehr.
Leider habe ich heute nicht soviel Zeit, auf alle Eure Beiträge zu antworten. Daher das nachfolgende in aller Kürze:

Ich habe mich entschlossen, nach und nach die Freunde meines Mannes mit ins Boot zu holen. Bisher hat jeder von ihnen mir seine Hilfe angeboten. Sie haben mir auch versichert, dass sie meine Situation nachvollziehen können und ich auf mich aufpassen soll.

Zur Zeit scheue ich mich noch davor, mit meinem Mann zu reden. Ich brauche noch etwas Zeit, alles für mich klar zu ziehen.

Auf Deine Frage Saneu1955: Mein Mann ist berufstätig und schleppt sich jeden Tag zur Arbeit. Danach sucht er sich zuhause jede Arbeit, die er finden kann. Wie eine Maschine funktioniert er Tag für Tag und lässt keine ruhige Minute zu. Er kann Ruhe nicht ertragen, weil er sonst noch stärker ins Grübeln gerät.Obwohl eigentlich grübelt er die ganze Zeit. Worüber? Ich weiß es nicht so genau. Er erzählt mir ja nichts mehr. Aufgrund seiner Überaktivität ist er ein eher untypischer Depressiver. Sein Alltag besteht allein aus Pflichten, ein Leben findet so gut wie garnicht statt. Abends fällt er erschöpft in sich zusammen und morgens steigt er in sein Hamsterrad. Ansonsten hat er viele verschiedene klassische Symptome: massive Schlafstörungen, Konzentrationsstörungen, Vergesslichkeit, Dauertraurigkeit, er kann für kaum etwas Freude entwickeln usw.

Liebe Grüße

DasRüb
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