Körperliche Unzulänglichkeiten und Depression

flora80
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Körperliche Unzulänglichkeiten und Depression

Beitrag von flora80 »

Liebe Forianer,

in einem anderen Thread, in dem es sehr hoch her ging, tauchte das Thema in sehr spezifischer Weise auf. Ich möchte einen neuen Thread etwas allgemeinerer Natur dazu eröffnen, weil das duchraus eine Thema ist, von dem ich glaube, dass es mehr User hier betrifft, als sich bisher dazu geäußert haben. Nicht zuletzt mich persönlich, was ich im besagten Thread such deutlich gemacht habe.

Ich glaube es geht vielen so: Man hat irgendeine Form von "Abweichung" vom vermeintlichen Schönheitsideal und leidet sehr darunter, deshalb von anderen abgelehnt zu werden oder zumindest das Gefühl zu haben, dass das so sei. Man entwickelt tiefligende soziale Ängste, ist gehemmt und gelähmt und wird dadurch schwer depressiv.

Bei mir war es so. Und ich habe lange daran gearbeitet, damit leben zu können. Mittlerweile geht es mir gut damit und ich habe sämtliche Formen von krankhaften sozialen Ängsten, die damit verbunden waren, erfolgreich abgebaut. Wer mich heute kennt, kann sich meist nicht vorstellen, dass ich vor ca. zehn Jahren eigentlich nur aus der Angst bestanden habe, wie andere mich evtl. sehen könnten und Ablehnung zu erfahren.

Es hat auch ziemlich genau zehn Jahre Therapie gebraucht, um die meisten Faktoren, die dabei eine Rolle spielen anzuschauen und für mich neu zu bewerten. Vielleicht kann dieser Thread zum Erfahrungsaustausch auf diesem Gebiet dienen. Ich werde gleich ein zweites Posting verfassen, in dem ich die Dinge, die dauerhaft hilfreich für mich waren, beschreibe. Vielleicht mag sich ja jemand anschließen.

Ich schreibe eigentlich nur noch selten hier, aber dieses Thema hat mich tief berührt und ich möchte gerne Erfahrungen weitergeben und austauschen. Es IST schwer, damit zu leben, anders zu sein. Und es ist schwer, nicht dafür belächelt zu werden.

Ich freue mich auf weitere Beiträge!

Flora
flora80
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Re: Körperliche Unzulänglichkeiten und Depression

Beitrag von flora80 »

Hallo zusammen,

so, nun Teil 2.

Ich versuche, einzelne Therapieschritte möglichst logisch darzustellen und hoffe, dass mir das gelingen wird.

In einer ersten Verhaltenstherapie lernte ich zunächst auf ganz "oberflächliche" (deshalb keinesfalls schlechte!) Weise, dass ich von anderen gar nicht als so schrecklich empfunden werde, wie ich mir das immer vorgestellt hatte. Es ging darum, eine Wirklichkeitsüberprüfung zu machen. Ich habe zum Beispiel Freunde von mir gebeten, eine positiv / negativ Liste über mich zu machen. Dabei kam heraus, dass die Punkte, die meine Freunde als "negativ" auflisteten, überhaupt gar nicht die Punkte waren, an die ich gedacht hätte. Da kamen solche Sachen wie "manchmal zu verschlossen" oder auch "deine Klamotten sind spießig". Aber keinesfalls "du siehst sch... aus". Und ich habe nur Leute gefragt, die mir in irgendweiner Weise nahe standen, denen die Situation erklärt und um absolute Ehrlichkeit gebeten, alles andere könne mir nicht helfen. Das ist natürlich auch bei Freunden ein mutiger Schritt, sich darauf einzulassen, evt. ganz furchtbare Dinge über sich zu erfahren. Das war ja meine Angst. Alle finden mich ganz furchtbar...

Diese Phase der Realitätsüberprüfung hat zwar das Problem lang nicht beseitigt, jedoch den Boden geebnet für weitere Schritte.

Bei einem langen Klinikaufenthalt lernte ich im Kontext der Klinik, angenommen und gemocht zu werden von anderen. Ich machte zum ersten Mal die Erfahrung, dass ich auch belastende Dinge mit anderen offen besprechen kann, ohne das Gefühl haben zu müssen, zu nerven oder andere zu belasten, anderen Sorgen zu bereiten.

Vor diesem Hintergrund begann ich dann später eine tiefenpsychologische Therapie, in der ich an den Ursachen für meine Ängste und meine Depression gearbeitet habe.

Kurz zusammengefasst war es folgender Maßen:

Zusammen mit meiner Therapeutin schaute ich viele Situationen an, die mich immer weiter in den Sumpf gezogen hatten.

1. Ich wurde mit einer Missbildung im Gesicht geboren. Ich war für meine ELtern einfach nicht das "perfekte süße Mädchen", dass sie sich wahrscheinlich vorgestellt hatten. Das meine ich gar nicht vorwurfsvoll, denn ich denke, jeder geht ja zunächst einmal von einem gesunden, hübschen Kind aus und keiner rechnet damit, ein Kind mit Fehlbildung auf die Welt zu bringen.

2. Schon als Säuglich unterzog ich mich mehreren Operationen. Was lernt mal als Kleinkind dabei? - Fremde Menschen fügen mir Schmerzen zu!

3. In Kindergarten und Schule sah ich anders aus, als alle anderen. Vor dem Hintergrund eines eh schon tiefen Misstrauens gegenüber anderen Menschen, fielen die unvermeidlichen Hänseleien von anderen Kindern auf den sehr fruchtbaren Boden von "andere wollen mich nur verletzen". Ich zog mich sehr zurück.

4. Im Laufe der Jahre kamen weitere Operationen hinzu. Ich hatte dauerhaft Angst vor Schmerzen und davor dem ausgeliefert zu sein und nichts tun zu können. Angst, Angst, Angst.

5. Die Spirale drehte sich weiter. Ich glaubte, immer von allen angestarrt zu werden, als "geistig behindert" zu gelten oder sonstwas. Angst.

6. Ich wurde immer unsicherer im Umgang mit gleichaltrigen, aber auch mit Erwachsenen. Dass ich von denen gar nicht so gesehen wurde, wie ich dachte, das konnte ich nicht spüren.

7. Für meine Mutter ist eines der wichtigsten Lebenskonzepte, darauf zu achten, was andere Leute denken könnten. Das hatte ich von Anfang an gelernt. Gepaart mit allen anderen Faktoren ergab das tiefe Unsicherheit und Angst.

8. Mit 14 dann die bisher letzte OP. Sie sollte alles besser machen. Mein damaliger Arzt versprach mir das. Ich schaute danach in den Spiegel und war entsetzt. Diese Bild geht bis heute nicht aus meinem Kopf. Entsetzen. Angst. Ich funktionierte danach im Alltag irgendwie. Aber es sah wesentlich schlimmer aus, als vorher. Ich war 14. Ich wollte hübsch sein, wie alle anderen. Ich fühlte mich wie ein Alien. Irgendwie war ich das auch. Das hat mich jahrelang verfolgt und tut es manchmal heute noch.

9. Meine Mutter war schon immer eher "schwach". Wahrscheinlich auch depressiv, nie belastbar. Als ich 11 war bekam sie eine schwere Krankheit. Spätestens da war klar: Meine Sorgen haben da keinen Platz mehr.

All diese Situationen haben wir bearbeitet. Es ging darum, diesen Schmerz darüber anzusehen und als das zu bewerten, was er ist: Berechtigt, eine normale Reaktion, aber heute nicht mehr hilfreich. Er hat mich gehemmt, mir meine Lebensenergie genommen. Und meine Therapeutin hat mich durch viele schwierigen Situationen begleitet, in denen ich immernoch die Auswirkungen der Faktoren von früher deutlich gespürt habe. In der Zeit beendete ich mein Studium und mein Referendariat. Meine größte Angst war, zu versagen. Es nicht zu schaffen und damit alle Urteile, die ich selbst im Laufe meines Lebens über mich gefällt hatte, zu bestätigen. Und sie hat mich gehalten und mir Kraft geben und mich unterstützt. Sie war da. Jederzeit. Ich durfte sie damit "belasten". Sie hat "mich ausgehalten". Dabei konnte ich mich selbst ja eigentlich nicht mal aushalten. Sie hat mir den Halt gegeben, den ich früher nie hatte, weil ich gespürt habe, dass meine Mutter Sorgen nicht mit ausgehalten hätte. Also habe ich sie weitestgehend für mich behalten. Ich habe fast jeden Abend im Bett geweint. Viele Jahre lang. Ausgehalten werden. Angenommen werden. Richtig zu sein, so wie man ist. Das hat mir geholfen.

Das war jetzt lang und dennoch nur ein Bruchteil. Ich öffne mich hier gerade sehr, weil ich denke, dass das anderen vielleicht Mut macht. Es ist wichtig für mich, anzuerkennen, dass das alles ein langer Weg ist und war und ich bin dankbar dafür, wie es heute ist. Und für mich zeigt das einfach ganz eindeutig: Therapie ist nicht nur "Gelaber", das man mit einem Freund genauso haben könnte. Nein, Therapie ist viel mehr und wenn sie passend ist, dann hilft sie. Meine Therapeutin und ich hatten ein irre gutes Verhältnis. Und ich schreibe dasim Grunde auch für Behandler: nehmt an, dass die Themen, über die IHR sprechen wollt, nicht unbedingt die Themen sind, die für den Heilungsprozess relevant sind. Ich habe sehr oft die Erfahrung gemacht, dass sich Therapeuten auf ein ganz bestimmtes Thema gestürzt haben, obwohl ich mehrmals versucht habe, deutlich zu machen, dass ein anderes (nämlich dieses) viel belastender ist. Erst, als das jemand erhörte, erfuhr ich deutliche Besserung. Und ich denke sehr liebevoll und glücklich an meine Therapeutin zurück, mit der ich heut enoch losen Email Kontakt pflege. Wir BEIDE haben das als riesiges Erfolgserlebnis empfunden.

Viele Grüße von Flora


PS: Für alle, die sich wundern, das sich zu Hause bin und Zeit habe, diese Geschichte von mir preis zu geben: Ich bin krank. Und ich brauche da immer gaaaaanz viel Zuspruch. Warum, das lässt sich leicht erraten, auch wenn es "nur" eine Erkältung ist.
Guinevere
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Re: Körperliche Unzulänglichkeiten und Depression

Beitrag von Guinevere »

Hey Flora,

also, zuerst mal gleich...ich find Dich hübsch, innerlich und äusserlich .

Meine Mom, die immer sehr auf das perfekte Aussehn, auch ihrer Kinder bedacht war, hatte vor ca. nem Monat bei nem Telefonat mal die Stärke zu sagen, sie wäre auf das Aussehn meins Dads reingefallen... und, dass ihm seine Familie dann nahegelegt hat, dass er sie, weil sie mit mir guter Hoffnung war heiraten müsse. Ja, lösen sich für mich als dieses Kind schon so einiges an Schuldgefühlen dazu...

Mich hat das als Kind immer irre gestört, ich fühlte mich nicht angenommen, und, ich hab z.T. auch heftig mit mich selber entstellendem Aussehn dagegen rebelliert, dass es immer nur ums Aussehn gehen sollte,


Hmm, so, wie ich Du es in dem andern Thread schon erwähnt hast und ich es
von den daraus entwickelten Essstörungen und der dadurh z.T. verzerrten Wahrnehmung kenne, ists man lediglich selber, der ständig auf seine "Schwachpunkte" starrt, und die einem dann natürlich antriggern und runterziehen. Anderen fällt das gar nicht so auf... und, auch, wenn sie es doch mal erwähnen, stellt es für sie kein so ein Problem dar, wie für einem selber.

So, soll gleich Tochter vom Dienst holen. Finds gut, dass Du diesen Thread hier eröffnet hast!
manu
kaitain
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Re: Körperliche Unzulänglichkeiten und Depression

Beitrag von kaitain »

kaitain
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Re: Körperliche Unzulänglichkeiten und Depression

Beitrag von kaitain »

ghm
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Re: Körperliche Unzulänglichkeiten und Depression

Beitrag von ghm »

Hallo flora,

auch mein "Makel" ist nicht so sichtbar.

Meine Eltern verboten mir, bei Androhung von Körperstrafen, bayrisch zu reden.

In den 1970'er Jahren in München Untersendling in die Grundschule zu gehen ...

Auch war mir Verboten, mich körperlich gegen Angriffe von z.B. Mitschülern zu wehren.

Die Erwartungshaltung meines Vaters war, dass alles verbal zu regeln sei.

(Diesen Grundsatz war er auch bereit, seinen Söhnen gegenüber, mit Prügeln durchzusetzen)

Meine Mutter liebte es uns Kindern "moderne" Kleidung selbst zu nähen, selbstverstäöndlich was Sie für "modern" hielt, also sah ich auch "anders" aus

Ich war nicht Mitglied einer Religionsgemainschaft.

Wenn Religionsunterricht war (in der Grundschule) musste ich auf den Gang.

Ich war anders.
Wenn ich mich bei meinem Vater "beklagte", kam das "dann sei stolz anders zu sein".

Ich wollte aber nicht stolz sein, ich wollte Freunde haben, dazu gehören.

In die Pfadfinder durfte ich auch nicht, wegen meiner Eltern Erinnerungen an HJ und BDM

Und die "Falken" gab es in München zu der Zeit nicht.

Wo ich hin will, ich habe noch nie irgendwo dazugehört, und hätte es doch so gerne.

Und auch heute schmerzt es ab und an.

Seit meiner Scheidung (die auch meine Frau wollte) arbeite ich daran, meinen internen "Status" zu ändern.

Von "Familientier" zu "Narr und Träumer"
(Narr, siehe Tarot Karten)

"Ich träume meinen Weg, um ihn dann zu gehen und manchmal narre ich mich und meine Mitgeschöpfe"

Wenn ich mich in dem "Gedanken" halten kann, geht es mir gut.

Wenn ich mich "vergleichbar" mache ist das Einsamkeitsgefühl schnell wieder da.
~~ Göttin, lass es Hirn vom Himmel regnen (und nimm den Menschen die Regenschirme weg) ~~
momadome
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Re: Körperliche Unzulänglichkeiten und Depression

Beitrag von momadome »

Hallo Flora!

Gute Besserung wünsch ich dir! Ich schniefe mit dir, im wahrsten Wortsinne, mich hat der Leipzig-Virus ja auch erwischt.
Ich finde es gut, daß du auf dich achtest und diesen blöden Virus auskurierst. Du bist gut zu dir selbst, wie schön, auch wenn der Anlaß doof ist!

Hallo Alle!

Welch gute Idee von Flora diesen Thread zu eröffnen. Ich denke, daß viele Depressive ähnliche Probleme mit körperlichen Makeln haben. Ich auch!

Mein Übergewicht ist eigentlich nur die "Überdeckung" des eigentlichen Problems, heute allerdings sichtbarer als der Ursprungsmakel.

Ich habe eine doppelseitige Skoliose, d.h. umgangssprachlich, ich bin "bucklig". Das wurde festgestellt als ich 5 Jahre alt war. Ab da wurde ich behandelt mit allem was bekannt war: Krankengymnastik, Gipsbett zum schlafen, 2x Gipskorsett für je 6 Wochen (1x in der Grundschule, 1x im Gymnasium), dann Milwaukee-Korsett (Beschreib ich lieber nicht-trigger) mitten in der Pubertät. So ungefähr genau 10 Jahre lang, bis ich so revoltierte, daß meine Eltern Einsicht zeigten.

Meine Eltern waren ein wirklich schönes Paar, meine Mutter ist noch heute eine schöne Frau mit 74 Jahren. Und dann ich, bucklig, immer wieder andere Krankheiten dazu, kein Aushängeschild für so ein Paar. Also hieß es verstecken, verstecken, nicht darüber reden, was sollen denn die Nachbarn denken.

Welche Gefühle das in einem Kind auslöst, daran hat damals noch niemand gedacht, auch kein Arzt (heute werden Kinder mit dieser Krankheit während der Therapie psychologisch betreut). Ich fühlte mich einsam, häßlich, ungeliebt und ich hatte genau wie Flora Angst, Angst, Angst! Vor dem Krankenhaus, vor den Menschen, vor Gleichaltrigen, ich war ja nicht richtig, beschädigt.

Diese Gefühl nicht liebenswert zu sein, habe ich erst mit knapp 50 Jahren mittels einer tiefenpsychologischen Therapie bearbeiten können. Bis dahin habe ich versucht es allen Recht zu machen, jedem zu helfen, mir mittels vermehrter Arbeit wenigstens Anerkennung zu verschaffen...... Ergebnis war die Depression (die aber auch noch andere Baustellen hatte).
.
Und mein Übergewicht, weil ich den Frust und die Angst in mich rein gefressen habe, wörtlich! Für mich war als Erwachsene das Übergewicht der Grund, warum ich mich nicht liebenswert fühlte, denn das war weitaus sichtbarer als der Buckel und doch war es nur der "Mantel" für das Ursprungsproblem, das ich soweit verdrängt hatte, daß ich es nicht mehr fühlen konnte. Rein verstandesmäßig war das abgehakt, weil schon so lang vorbei und bis auf meine Mutter niemand den Buckel so richtig wahrnimmt.

Heute hat sich mein Selbstbild und mein Selbstwertgefühl doch einiges zum Positiven hin geändert. Ich habe erfahren können, daß andere mich einfach als Menschen annehmen und schätzen können, ganz egal wie ich aussehe, weil ich so, wie ich bin, gut bin (ok...so denke ich nicht immer, aber immer öfter, ist halt ein langer Prozeß).


Puuhh, das war jetzt echt anstrengend und ich bin ganz schön aufgewühlt. Ich mach nun erst mal Pause und erhole mich etwas.

Liebe Grüße

jojoma
Guinevere
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Re: Körperliche Unzulänglichkeiten und Depression

Beitrag von Guinevere »

Die Erwartungshaltung meines Vaters war, dass alles verbal zu regeln sei.

(Diesen Grundsatz war er auch bereit, seinen Söhnen gegenüber, mit Prügeln durchzusetzen)

Hey Gregor,

braucht man wohl nicht so viel zu der Widersprüchlichkeit in seinen Worten und Taten zu sagen.

Meiner hatte dann später, als meine Kinder schon geboren waren mal gemeint, ich müsse meine Kinder, so, wie er uns auch schlagen, damit sie mich nicht mal schlagen.

Ja, und, dann sind mir eben auch so Geschichten zu Ohren gekommen, dass Oma (seine Mutter) sich später, als er älter wurde, und sie sich nicht mehr mit Prügeln gegen ihn wehren konnte, schon auch mit dem Messer in der Hand vor ihm versteckt hat, weil sie Angst vor seinen Aggressionen hatte...
...Und, ich würde meinen, dass diese Erlebnisse von ihm, ihn an diesem Glaubenssatz anhaften ließen.

Vielleicht hat Deiner als Kind ja auch so einiges an Prügel bezogen, und hat das dann so weiter gegeben? ...obwohl er eigentlich als "falsch" empfand...

Wo ich hin will, ich habe noch nie irgendwo dazugehört, und hätte es doch so gerne.

Aber, hier im Forum gehörst Du doch dazu?!

Lieber Gruß allen,
manu
ghm
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Re: Körperliche Unzulänglichkeiten und Depression

Beitrag von ghm »

Hallo Guinevere,

sicher gehöre ich in dieses Forum,

aber auch das ist kein "geschütztes Nest", kein Ort an dem ich (von mehreren Menschen) erwünscht bin.

Wenn ich mit meiner Liebsten zu zweit zusammen bin ist auch kein Einsamkeitsgefühl da.

Als Kind hätte ich gerne irgendeiner "Bande" angehört oder in einem Freundeskreis mich "beschützt" gefühlt.


Diese Wiedersprüchlichkeit zwischen Worten und Taten wurde mir erst, im Rahmen der Tumornachsorge, während einer therapeutischen Begleitung bewusst. Da war ich über Mitte 30.
~~ Göttin, lass es Hirn vom Himmel regnen (und nimm den Menschen die Regenschirme weg) ~~
paco
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Re: Körperliche Unzulänglichkeiten und Depression

Beitrag von paco »

Hallo allerseits,

ist das eine Gemeinsamkeit aller Depris, das Gefühl nicht ok zu sein, einen Mangel zu haben, unerwünscht zu sein, nicht dazu zu gehören?

Es macht dann keinen Unterschied, ob der Mangel körperlich ist, ein traumatisches Erlebnis, auf einem Missverständnis beruht, „nur“ eingebildet ist. Die Wirkung ist wohl dieselbe.

Die Diskussion bringt lang verschüttete Erinnerungen in meinen Kopf. Was habe ich mich geschämt für einen leichten Sprachfehler, den ich als Kind hatte. Heute gibt es Logopäden. Was hat es mir Kummer bereitet, dass ich manches nicht durfte, was andere durften. Im Rückblick sind das Kleinigkeiten. Aber damals, für mich als Kind, war das die Welt.

Ist das die Wurzel meiner Depri? Meine gefühlte Unzulänglichkeit, mein Gefühl, nicht dazu zu gehören? Meine permanente Suche nach Zugehörigkeit, die zu irrationalem Verhalten führte?

So vieles, das wichtig zu sein scheint, im Lauf der Jahre von der Oberfläche verschwunden aber immer wichtig war?

LG paco
Guinevere
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Re: Körperliche Unzulänglichkeiten und Depression

Beitrag von Guinevere »

Hey Gregor,

"geschütztes Nest"

Also Moms schon ziemlich zwanghaftes auf perfektes Aussehn achten, hätte wohl eigentlich ne Art Schutz darstellen sollen, damit ja niemand auch nur ne kleinste Kritik bringen könnte (was natürlich nicht so war ). Nur hat sie uns in ihren Ängsten, Panix mit so Glaubenssätzen wie "alle Menschen sind böse, wollen einem nur Böses etc. " vollgedröhnt, dass dies eher alles andere als Schutz war, eher erst so manche Ängste, Paranoia durch ledigliche Blicke von Mitmenschen, Gefühle der Ablehnung gefördert hat.
Sie hat das leider auch heute noch, dass man (allgemein) dann oft gar nicht weiß, um was es eigentlich geht...und, ich erfahr das Thema immer und überall unerwüscht sein mittlerweile eher anders.

Die Gefühle und Gedanken dazu, in welcher Welt Mom lebt sind manchmal ziemlich bunt. Reichen manchmal noch immer von Trauer, Hilflosigkeit, bis auch schon mal Wut.

Hmmm, "geschützte Nester" in Kindheit fand ich bei meiner Ur-Oma http://3.bp.blogspot.com/_VDntoX22LO8/R ... /omiii.JPG ...oder ähnlich wie bei der Regenbogenmeditation:

...7. Öffne nun die violette Tür und betrete den violetten Raum. Gehe in Dein inneres Heiligtum . Dabei stellst Du Dir vor, dass Du immer kleiner und kleiner wirst, und einen Bereich betrittst, der in der Nähe Deines Nabels (Hara) liegt. Dieser Raum ist Dein Paradies oder Garten Eden, der sonst für niemanden zugänglich ist. Du bist dort vollkommen geschützt. Genieße die Wunderschöne Umgebung mit der grünen Vegetation, dem Wasser und den Tieren....

Als Kind auf Wiesen und Feldern, in Baumhäusern, kurz in der Natur mich als Guinevere nach Avalon träumend, Merlin an meiner Seite . Oder durch meine Tiere, Musik.

Weiß nicht, ich war wohl als Kind nicht so richtig Mädchen und hab so nicht wirklich gut in so manche Gruppierungen gepasst.
elas
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Registriert: 12. Mär 2009, 16:50

Re: Körperliche Unzulänglichkeiten und Depression

Beitrag von elas »

Guten Abend in die Runde,

ein beachtlicher Thread.

Ausgelöst durch den LAFORGE Teil 2.
Schon in diesem Thread, an dem ich nur still Mitlesende war, hat mir so imponiert, wie konstruktiv miteinander umgegangen wurde...gegen Ende dann. Wenn das nur immer so wäre.

@Flora, was Du in diesem Thread und gestern auch schon in einem anderen Beitrag geschrieben hast, das berührt mich enorm.
Also, Hochachtung, das auch einmal so hier reinzustellen.

Ebenso @ Jojoma, Gregor und paco.

Ich könnte mich jetzt hier locker einreihen, also welcome to the club, aber da ich eh immer sehr offen schreibe,und schon Einiges von mir diesbezüglich in Beiträgen genannt worden ist, mag ich dies jetzt an dieser Stelle nicht tun.

Sehr häufig haben Depressionen schon ihre Ursache in der Kindheit, in einem oder mehreren Traumata, Erlebnissen, und de facto unerwünscht gewesen zu sein etc. etc.

Es geschehen schon öfters so traumatische Dinge im Leben eines Kindes, Kleinkindes, aber, der Selbstwert muss nicht beschädigt werden, wenn die Eltern ausreichend empathisch mit dem Kind umgehen. Und ich meine ausreichend, sie dürfen Mütter und Väter aus Fleisch und Blut mit all ihren Mängeln sein, wenn sie das Kind, egal, ob es in ein gängiges Schema passt oder nicht , ganz einfach so nehmen, lieben und fördern können, wie es ist.

Fällt das aus, dann entstehen ebend solche Selbstwertstörungen. Leider.

Ja.Psychotherapie ist eine Nachreifung, eine Nachentwicklung, oft eine schmerzhafte Angelegenheit.

Flora, Du hast die Gunst der späten Geburt.
Damit meine ich, dass Psychoanalytiker heute die alte Freudsche Analyse mit ihrem Penisneid
ja mitllerweile oft aufgegeben haben, da man erkannt hat, dass es wirkliche erlittene Beschädigungen einer Seele sind, die eben Symptome machen.

Und, Flora, Du hast eine Therapeutin gefunden, mit der Du ganz allmählich Deine Wunden hast heilen lassen dürfen, und das freut mich so.

Bei mir war es auch ein längerer Weg diesbezüglich. Und fertig bin ich nicht.
Es gibt immer noch viel zu häufig Ereignisse im Zwischenmenschlichen, die mich an mir selber zweifeln lassen, wo ich mir wieder wie der hässlichste und nicht liebenswerte Mensch fühle.

Vielleicht sind das auch nur noch Narbenschmerzen?? Keine Ahnung.

Ich finde Eure Beiträge gut, weil sie zeigen, dass Therapie schon auch oft in die Vergangenheit gehen muss, damit im Heute sich etwas verändern kann.

Und es geht. Aber, es ist und bleibt ein Weg.
Auf dem man auch mal steckenbleibt, oder an dem man frau dann doch eine falsche Abzweigung nimmt, dies wieder korrigieren muss.


Mir haben insgesamt 5 Monate Klinikaufenthalt nach dem Bad Herrenalber Modell geholfen, etwas mehr Selbstakzeptanz aufzubauen, mich ein wenig weniger einsam zu fühlen.

Über eine Auffrischung denke ich oft nach. Wären da nicht die unendlichen Kosten für Psychotherapie, die meine PKV regelmäßig und erfolgreich durchgesetzt hat, nicht zu übernehmen.
Wieviel Geld ich schon privat für PT ausgegeben habe....
Meine PKV hat erst seit ein paar Jahren einen Passus, das 30 Stunden im Jahr ohne größeren Antrag übernommen werden können.

Tja, das Pech meiner frühen Geburt.

Nein, ich bin , wenn ich nicht im tiefsten Tief bin, sehr dankbar, was ich in Therapie schon lernen durfte, auch wenn mein Leben nicht so rund ist, und auch nicht so gleichförmig und angepasst ist.

Danke für diesen Thread.

Herzlich
Selas
________________________________

Der Weg ist das Ziel



Lebensringe sind auch Themenringe
Guinevere
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Re: Körperliche Unzulänglichkeiten und Depression

Beitrag von Guinevere »

Nachtrag aus "in vergangenen Zeiten schwelg" an Gregor

Der Narr: Der himmlische Mensch von Hajo Banzhaf (R.I.P)
http://www.visionen.com/Rubriken/Spirit ... che_Mensch
flora80
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Re: Körperliche Unzulänglichkeiten und Depression

Beitrag von flora80 »

Hallo zusammen,

erst mal ganz vielen Dank für die vielen Antworten!

Es stimmt natürlich, dass man sich in der Depression immer minderwertig und unzulänglich fühlt.

Trotzdem glaube ich, dass das noch mal eine andere Sache ist, wenn man einen "objektiv überprüfbaren und für alle sichtbaren oder offensichtlichen" Mangel trägt. Ich glaube, dass man differenzieren muss, ob man eine Depression hat und sich währenddessen eben Minderwertig und hässlich fühlt oder ob man sich aufgrund eines tatsächlichen Mangels, den man aber in keinster Weise beeinflussen kann (genetisches dick sein, Sprachfehler, Missbildungen, sonstige Behinderungen), minderwertig fühlt und sich daraus eine Depression entwickelt.

Viele Grüße, Flora
SisterGoldenHair
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Re: Körperliche Unzulänglichkeiten und Depression

Beitrag von SisterGoldenHair »

Flora, Du hast hier einen Faden "gesponnen", der auch bei mir alte Erinnerungen weckt.

Zunächst aber möchte ich noch sagen, daß ich mit Respekt den zweiten "Tabu-Thread" mitgelesen habe, und erfreut feststellte wie sich alles noch zum Guten gefügt hat -

Respekt als erstes hatte ich für Quintus (wenn Du hier evt. auch liest) den Mut zu haben, sich zu "outen" (Nick) - damit war das Thema für mich wieder "rund"... und kein Grund, sich zu schämen, das Forum zu verlassen - heee, wir machen alle mal Fehler, aber wenn wir dazu stehen, ist doch ok.

und Respekt für Dich, Flora, daß Du dieses - für Dich sicher sehr schmerzliche "Thema" (der Begriff triffts wahrscheinlich nicht) - so mutig offenbart hast.

Ich war auch schon immer "anders", obwohl ich keine offensichtlichen "Gebrechen" oder "Mängel" habe.......... davon, was ich alles nicht durfte, möchte ich erst gar nicht sprechen - ich fiel schon mal aufgrund eines sehr begrenzten Aktionsradius durchs Raster.

Viiiiieeeele Jahre empfand ich meine Nase als zu groß, mein Profil grauenhaft und mich insgesamt "potthäßlich".

Nun, meine Oma, die an sich eine herzensgute Frau war, pflegte zu sagen - als die Nasen verteilt wurden, hat Ulrike 2x hier gerufen.... war sicher nicht böse gemeint, aber es saß... lange Zeit bombenfest.
ich schwor mir, wenn ich mal genügend Geld haben würde, würde ich mich einer Nasen-OP unterziehen......

eine Schwester meiner Oma, eine echt "böse" Tante, maßregelte mich permanent "nuschel nicht so" (ihr Sohn nuschelt ohne Ende...)
oder ich wurde gehänselt, weil ich vermeintlich einen Buchstaben nicht richtig aussprach. wenn wunderts, daß ich ein eher stilles Kind war, und auch später am liebsten in der hintersten Ecke saß, ohne einen Muckser von mir zu geben...

und was die Nase betrifft - ich durfte mir doch in der Tat irgendwann die Haare wachsen lassen, und wenn ich des Morgens zum Gym fuhr im Bus, saß ich immer am Fenster, und dann fiel sofort "der Vorhang", damit mich ja niemand im Profil sah.........

als ich ca. 12 J. alt war, bekam ich eine kieferorthopädische Behandlung - es wird fotografiert en face und im Profil - die ZÄ glaubte sicher mir eine Freude zu machen, als sie mir die Bilder schenkte, aber als ich das Profil sah, dachte ich oh Gott wie schrecklich..........

mein ursprünglicher Beruf ist Zahnarzthelferin - da gehören die Haare nicht ins Gesicht - nicht in das des Patienten, und auch nicht in das der Assistenz... unser Chef hatte Nerven wie breite Nudeln und eine Engelsgeduld - selbstredend war es mir äußerst unangenehm die Haare zusammen zu binden... und so mußte ich anfangs sehr oft ermahnt werden... und da sieht man wieder, wie lange Hänseleien in der Kindheit das weitere Leben bestimmen...

später ließ ich mir dann schon mutiger auch mal einen Zopf/Knoten machen - und während einer Fortbildung sagte eine Kollegin, ich hätte für diese Frisur genau das richtige Profil.... hähh!?
SO unterschiedlich können doch die Betrachtungsweisen sein....

runde Oberschenkel waren mir ein Graus... ich bekundete vor jeden Ferien, abnehmen zu wollen - und meine "Army-Jacke" tauschte ich mit einer Schulfreundin gegen einen Parka, weil man mit dem die Oberschenkel nicht mehr sah................

Mit fortschreitender Zeit ... und fortschreitenden Therapien - warum auch immer - wurde ich bezüglich meines Äußeren entspannter...

ich war ja lange mit der DRV im Clinch, und sagte immer so zum Spaß, ich geh erst wieder zum Friseur, wenn ich die Rente durch habe..
jetzt habe ich sie, und war immer noch nicht beim Friseur - seit Mai 2007 - super praktische Frisuren und kostensparend - Knoten, französiche Zöpfe usw... wo man auch am Profil nicht vorbei kommt... mach ich mir inzwischen gar keine Gedanken mehr drüber...
ich bin wie ich bin.... es stört mich auch nicht wirklich, wenn mein Pferdementor mir wiederholt sagt, diese Frisur sei ein Fehler, da sie mich älter mache... das juckt mich nicht, weil ich sowieso jünger aussehe als ich bin... ich fühle mich damit wohl, und damit hat es sich... und an mein Profil denke ich inzwischen "eigentlich" gar nicht mehr........... denn "mein Profil" ist VIEL mehr als meine Nase von der Seite betrachtet...

wahrscheinlich ist es auch so, daß man "seine Mängel" viel krasser sieht (je nach "Vorgeschichte"...) als die Menschen in der Umgebung - der Mensch besteht aus viel mehr als aus einer Nase, einem Mund, aus langem oder kurzem Haar, ob blond ob braun, rot oder grün - wie meine ehemalige Krankengymnastin in der Reha mal so treffend sagte - meine Hunde lieben mich auch mit grünen Haaren....

die Liste ließe sich sicher weitschweifig fortsetzen................. es ist doch die gesamte Persönlichkeit, die zählt.... und da treten "Oberflächlichkeiten" i.d.R. in den Hintergrund.........

so, das war jetzt ein bißchen zu viel Nase ;o) aber ich habe lange Jahre wirklich entsetzlich gelitten...... nicht nur darunter, aber auch...

LG und einen schönen Abend
Ulli


***

"die Freiheit des Menschen liegt nicht darin, dass er tun kann was er will, sondern, dass er nicht tun muss was er nicht will"

:o)



(Jean-Jacques Rousseau)
anna54
Beiträge: 3713
Registriert: 14. Sep 2010, 15:08

Re: Körperliche Unzulänglichkeiten und Depression

Beitrag von anna54 »

Hallo zusammen
liebe Flora
wie gut tut es,eine so ehrliche und offene Schilderung zu lesen.
Deine Geschichte ist schon sehr besonders,und wie viele therapeutische Hilfe diese Verletzungen heilten,das macht Mut durchzuhalten.
Meine jetzigen Körper,30Kg mehr,massive Ödeme,kann ich nur aushalten,weil ich mir immer wieder bewusst mache,keinem gebe ich ein Recht mehr,meinen Körper zu bewerten.
Je älter ich werde,um so besser geht es mir dabei.
Ich habe jetzt seit mehreren Monaten eine fürchterliche Hautreaktion im Gesichts- und Halsbereich.
Dicke,rote Flecken mit Blasen,Augen teilweise zugeschwollen,fürchterliche Schmerzen und schlimmen Juckreiz.
Aber ich verstecke mich nicht mehr,ich blende die Reaktion der anderen aus,ich hab keine Kraft für Erklärungen und Beurteilungen.
Als junges Mädchen,als Frau lernte ich,andere bestimmen,wie mein Körper sein soll,das hat mich damals empört,aber spätestens nach den Schwangerschaften,habe ich eine tiefe Zufriedenheit mit meinem Körper erlernt.
anna54
flora80
Beiträge: 3620
Registriert: 24. Mär 2003, 18:48

Re: Körperliche Unzulänglichkeiten und Depression

Beitrag von flora80 »

Hallo zuammen,

ich finde mich in vielen eurer Schilderungen wieder und bin auch sehr dankbar für die Reaktionen.

Für mich taucht gerade innerlich die Frage auf, wie viel meine Depression eigentlich tatsächlich lebensgeschichtlich bedingt ist und wo evtl. auch ein Anteil Genetik eine Rolle spielt. Vielleicht ist es sogar eine sehr ungünstige Verkettung von beidem. Meine Großeltern waren bzw. sind depressiv. Aber auch Kriegstraumatisiert. Meine Mutter ist depressiv. Aber kann das nicht auch erlernt und weitergeben sein? Ich frage mich gerade, ob es die Veranlagung oder vielleicht auch ganz behaviouristisch betrachtet ein Lernprozess ist, der Depression hervorruft. Und übel finde ich, dass das einfach gar nicht zu sagen ist irgendwie. Vielleicht hätte ich genauso eine Depression entwickelt, wenn mein Leben perfekt wäre. Keine Ahnung. Irgendwie ist es eben ein beruhigender Gedanke zu sagen "ich bin depressiv, weil...". Es beruhigt, einen Grund zu haben. "Einfach so" krank zu sein, das bedeutet ja auch, dem mehr ausgeliefert zu sein, weil es keine Faktoren gibt, die man ausschalten kann. Hm.

Flora
cool
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Re: Körperliche Unzulänglichkeiten und Depression

Beitrag von cool »

Hallo Flora,

erstmal gute Besserung wegen des Infekts.
Liege auch flach.


Zur Genetik der Depression läuft eine tolle Studie mit Kindern und Jugendlichen an der Uni München. http://www.kjp.med.uni-muenchen.de/fors ... ikdepr.php

Viele Grüße Cool
flora80
Beiträge: 3620
Registriert: 24. Mär 2003, 18:48

Re: Körperliche Unzulänglichkeiten und Depression

Beitrag von flora80 »

Oh, vielen Dank für den Link, Cool. Und ebenfalls gute Besserung!
Guinevere
Beiträge: 4779
Registriert: 8. Nov 2007, 22:08

Re: Körperliche Unzulänglichkeiten und Depression

Beitrag von Guinevere »

Hey Flora,

also, ich denk schon, dass Kind wohl so manches Weltbild ungefragt von den Eltern übernimmt. Verhaltensweisen dieser kopiert, oder sich eben anzupassen versucht, dadurch, dass das Verhalten der Eltern nicht in Frage gestellt werden darf.

Hmmm, für Borderline und ADHS kann scheinbar auch ne genetische Veranlagung vorliegen.

Zudem begünstigen z.B. scheinbar u.a. Panikattacken der Mutter ADHS.

Hmmm, und dann ist da noch, dass es ja das Baby schon im Bauch fühlt, ob es gewünscht ist oder nicht, und, dann so von Kleinkind an die ständige Überforderung mit der Krankheit der Eltern, so manches Missbräuchliche Verhalten, mit so manchen gefährlichen Situationen (Suizidankündigungen des Vaters. So, im Rahmen ner Panikattacke der Mutter, dass die eben meint an dieser zu sterben)...

Dann, ...das ist bei mir eher gänzlich weggefallen, dass mir meine Eltern Hoffnung, Zuversicht, Vertrauen,... mit auf den Weg geben konnten. Ich kann mich auch nicht an ein Lob erinnern, nur an Kritik.

Cool *freu -gscheit *, danke für den link!

Gute Nacht allen,
manu
Guinevere
Beiträge: 4779
Registriert: 8. Nov 2007, 22:08

Re: Körperliche Unzulänglichkeiten und Depression

Beitrag von Guinevere »

Nachtrag wegen dem Lob. Es gab schon auch mal ganz selten von Mom eins wegen meinem Aussehn (Frisur,...) , aber, dafür wollte ich keines.
Guinevere
Beiträge: 4779
Registriert: 8. Nov 2007, 22:08

Re: Körperliche Unzulänglichkeiten und Depression

Beitrag von Guinevere »

Hmmm, oder, dass sie kein "Nein" akzeptieren konnte und kann. Vielleicht ja auch, weil sie wie etwa 10 Prozent der Bevölkerung die Gefühle ihrer Mitmenschen nicht wahrnehmen und reflektieren kann , mich dadurch auch nie in meiner Trauer,... gesehn hat.
littlefoot87

Re: Körperliche Unzulänglichkeiten und Depression

Beitrag von littlefoot87 »

Hallo zusammen!

Ich habe zwar nur Bruchteile gelesen, da es schon ein ganzer Haufen ist (werde mich mal nach und nach durchforsten) aber ich finde es sehr mutig von euch, dass alles so offen auszusprechen!

Auch ich wurde in meiner Kindheit tagtäglich gehänselt. Habe noch nie, wirklich noch nie mit irgendjemanden darüber gesprochen... Da ich auch erst seit einer Woche in Behandlung bin, auch noch nicht mit dem Arzt.
Deshalb werde ich es hier versuchen. Vielleicht tut es mir ja gut und es fällt ein bisschen meiner Last von mir.

Ich hatte damals ein fliehendes Kinn und leicht hervorstehende Zähne. Wurde deshalb täglich gehänselt. In der Schule fing es an, ich versteckte mich im Winter dann immer hinter meinem Schal, der bis zur Nase hochgezogen war. Mit ihm fühlte ich mich sicher und mir graulte es schon davor, dass es wieder Sommer wird, denn hinter meinen Haaren fand ich lange nicht so viel Schutz!

Es war ein Graus für mich mit dem Bus zu fahren! Die verachtenden Blicke der anderen Kinder, die Lästereien, das Gelächter,...
Ich fühlte mich einfach furchtbar! Putze mir ständig die Nase, um mich hinter dem Taschentuch zu verstecken oder telefonierte (manchmal tat ich auch nur so) damit man mich nicht im Profil sehen konnte.

Mein Stiefvater hat mal beim Essen zu mir gesagt "du siehst aus wie ein Fisch". Das werde ich auch nie vergessen. Denn als ob es nicht reichte, dass ich außerhalb schon genug Gespött ertragen musste...dann auch noch zu Hause.

Ich war schon immer eine eher verschlossene, schüchterne Person. Dann zog ich mich mehr und mehr zurück. War nur noch alleine, sperrte mich ein. Wo es doch zu Hause genauso schrecklich war (dazu jetzt hier aber nichts)

Es kam der Tag, da schleppte mich meine einzige Freundin nach der Schule mit in ein Jugendzentrum. Ich fand dort nur schleppend Anschluß...wer wollte auch was mit jemandem zu tun haben, über den alle lästern?! Ich ging trotzdem hin, da ich es zu Hause nicht mehr ausgehalten habe. Dort zog sich das Gespött weiter durch mein Leben.

2 Jahre später (mit 17) musste ich aufeinmal auf eigenen Beinen stehen. Mein Stiefvater war mich nun endlich losgeworden. Ich fing einen Job an den ich hasse, da ich Geld brauchte, den ich bis heute ausübe, weil ich mich gefangen fühle. Sehe dort hunderte von Menschen am Tag, also zog sich auch dort das Gespött einiger Leute weiter durch mein Leben.

Mit 21 habe ich mich dann einer schweren Kieferoperation unterzogen und ließ mir eine Platte ins Kinn einsetzen. War ganz furchtbar, aber ich habe gedacht ich würde mich dadurch sofort besser fühlen....
Fehlanzeige!

Heute stecke ich in einer schweren Depression, kann mich immernoch nicht im Spiegel anschaun und fühle mich unwohl unter Menschen (außer unter meinen Liebsten).
Ich werde zwar nicht mehr gehänselt, auf jeden Fall bekomme ich das nicht mit. Aber ich denke das jeder lacher von anderen Menschen an mich gerichtet ist. Ist halt so in meinem Kopf verankert.
Mein Freund hat mal ein altes Foto von mir gesehen, was ich vergessen habe zu vernichten. Er lachte und sagte "also so hätte ich dich aber nicht angesprochen"! Er entschuldigte sich sofort, als er merkte wie meine Stimmung umschlug. Er konnte ja nicht wissen wie sehr mich das belastet...bis heute nicht.

Nun ja, das ist "eine" meiner Geschichten die mich da hin getrieben haben wo ich jetzt bin!
Jetzt nur noch den Knopf drücken und dann ist es endlich einmal raus...

Bis dann Littlefoot87
Regenwolke
Beiträge: 2214
Registriert: 15. Apr 2006, 12:46

Re: Körperliche Unzulänglichkeiten und Depression

Beitrag von Regenwolke »

Liebe Flora,

vielen Dank für diesen Thread und deinen Mut, hier und vorher schon an anderer Stelle so offen über dich zu schreiben.
Auch allen anderen, die hier über ihre "Unzulänglichkeiten" geschrieben haben, danke für ihren Mut und ihre Offenheit.

Auslachen habe ich erlebt wegen meiner X-Beine und linkischer Bewegungen beim Sport, und auch, weil ich oft so tollpatschig war. Ich konnte das aber die meiste Zeit über ganz gut von mir weghalten oder zumindest gute Miene zum bösen Spiel machen - ich hatte das Glück beliebt und eine gute Schülerin zu sein, vielleicht war das ein "Schutzfaktor".

Schlimmer war meine Haut, Akne (plus Narben), Nesselsucht in der Pubertät, teilweise Neurodermitis am ganzen Körper und starkes Schwitzen an Händen und Füßen, das ich erst im Erwachsenenalter einigermaßen durch eine damals neuartige Behandlung in den Griff bekommen konnte.
Mein Hände waren oft im normalen Alltag tropfend nass und ich versteckte sie schamhaft, tat so, als würde ich nach irgendwas kramen, wenn mir jemand die Hand geben wollte.

Wegen dieser Sachen hat nie jemand gelacht, aber ich fühlte mich "eklig", kann leider auch nicht sagen, dass dieses Gefühl jemals so richtig verschwunden ist.
Wieviel schlimmer muß es sein, wenn es um eine deutlich sichtbare körperliche Abweichung geht.

Flora und Jojoma, euch möchte ich sagen, dass ich eure "Unzulänglichkeiten" eigentlich gar nicht als solche wahrnehme, sie spielen im realen Kontakt keine Rolle, ihr seid beide Menschen, die ich gern ansehe.
Aber es geht ja um Selbstannahme, die viel schwerer ist... Vor allem dann, wenn die Eltern einen in der eigenen Körperlichkeit nicht oder nur schlecht annehmen konnten.

Lieben Gruß an alle hier,
Wolke
flora80
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Registriert: 24. Mär 2003, 18:48

Re: Körperliche Unzulänglichkeiten und Depression

Beitrag von flora80 »

hallo zusammen.

ich bin echt beruehrt von euren vielen beitraegen. ich denke ich werde mich montag noch mal dazu melden oder sonntag abend. bin gerade auf einem lehrgang uebers wochenende.

bloeder tag heute irgendwie. es hat sich zwar eine sache einigermassen geklaert aber ich fuehl mich furchtbar. und jetzt sitze ich hier alleine in diesem gottverdammten hotelzimmer und frage mich was ich hier eigentlich mache. und treibe meine handy rechnung ins unermessliche. hab keine internet flat... heute alles doof. mir ist schon den ganzen tag schwindelig. schlafen jetzt...

flora

..und ich hab ein schlechtes gewissen weil mein armer kater schon wieder alleine ist. ausserdem will ich den jetzt kuschelig neben mir. armer dicker schnuffel...
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