Kämpfen oder akzeptieren...

Antworten
Tournesol1342
Beiträge: 50
Registriert: 13. Jul 2010, 20:05

Kämpfen oder akzeptieren...

Beitrag von Tournesol1342 »

"Reiß' dich doch zusammen!"
"Du musst auch gegen die Krankheit ankämpfen!"
"Streng' dich an!"
und
"Lass' dich nicht so hängen!"

Solche - und ähnliche - "gute Ratschläge" kennt ihr bestimmt auch zu genüge.
Mir schwirren sie immer und immer wieder durch den Kopf, besonders an Tagen, an denen es mir mies geht und ich nichts anderes tun kann, als mich "hängenzulassen".

Mich beschäftigt die Frage, wie viel Kämpfen gegen die Krankheit "Depression" überhaupt angesagt ist - oder andersherum gefragt: Ist alles Kämpfen nicht vergeudete Kraft, wenn letztendlich die Depression doch siegt und ich (mal wieder) nichts tun kann als es einfach auszuhalten?

Ich finde es so schwer, das Kranksein anzunehmen; mir (und anderen?) einzugestehen: "Das kann ich nicht (mehr), weil ich krank bin..."
Ich finde es schwer, zu akzeptieren, dass ich nicht so bin, nicht so funktioniere, nicht so "ticke" wie früher.
Und merke ehrlich gesagt, dass in mir die Hoffnung schlummert, dass ich eines Tages (möglichst bald!) wieder "ganz die alte" sein werde - ohne Depression, ohne Müdigkeit, ohne Medikamente, ohne dieses leere, taube Gefühl innendrin.

Manchmal glaube ich, dass der einzige Weg, mit der Depression zu leben darin besteht, sie als einen Teil von mir zu akzeptieren und anzunehmnen.
Viel öfter beginne ich aber wieder den Kampf an den vielen Fronten: Müdigkeit, Traurigkeit, Unkonzentriertheit, Leere,... es MUSS doch gehen, wenn ich nur WILL und mich genug ANSTRENGE!!!

Letztendlich ist mir die Antwort schon klar. Viele Jahre mit immer wiederkehrenden Depressionen haben mir die Kraft zum Kämpfen geraubt. Und mich immer nur noch weiter in das tiefe Depri-Loch hineinmanövriert. Denn es ist kämpfen gegen mich selbst...

Auch auf die Gefahr hin, dass "alte Hasen" hier im Forum dieses Themas schon überdrüssig sind (weil es vllt. an anderer Stelle schon zu genüge diskutiert wurde), würden mich eure Gedanken dazu wirklich sehr interessieren.

Viele Grüße,
Tournesol.


_______________________________________________

Die Dinge sind nie so, wie sie sind.

Sie sind, wie man sie macht.

(J. Anouilh)
no name
Beiträge: 425
Registriert: 29. Okt 2008, 11:09

Re: Kämpfen oder akzeptieren...

Beitrag von no name »

Hallo Tournesol,

das mit dem Kämpfen gegen die Depri kennt ich nur zur Genüge, das geht jetzt seit 6 Jahren so.
Und du hast völlig recht, dass es im Grunde nur ein Kämpfen gegen sich selbst ist.
Rational weiß ich auch, dass es besser wäre die Krankheit zu akzeptieren, anzunehmen und bestmöglich mit ihr zu leben.
Trotzdem gelingt mir dieses "Annehmen" immer noch nicht, und leider kostet dieses Kämpfen meist so viel Kraft, die ich gar nicht habe, gerade dann, wenn es mir besonders schlecht geht.

Was mich bisher sehr belastet hat, waren das Gedankenkreisen wie ich jemals mit dieser Erkrankung (weiter)leben soll und kann, unter anderem daraus resutlierende Zukunftsängste und noch so einige und andere Punkte.

Ich habe in der Vergangenheit trotzdem immer wieder versucht einen anderen Weg zu gehen. Und seit kurzem habe ich entdeckt, auch wenn ich die Krankheit immer noch nicht akzeptieren kann, dass es mir gut tut im hier und jetzt zu leben. D. h. ich bemühe mich von Tag zu Tag zu leben und diese Gedanken wie oben beschrieben möglichst nicht zuzulassen, bzw. das diese von alleine weniger Gewicht bekommen.
Da bin ich zwar noch am lernen, aber im Moment gelingt es mir ganz gut.
Liegt vielleicht daran, dass ich schon seit einiger Zeit eine gute Phase habe. Hoffe natürlich, dass es mir auch hilft, wenn wieder mal eine schlechtere Phase eintritt.

Machst du eigentlich eine Therapie?
Meine Psychologin sagte mir vor kurzem, dass Dinge die einen belasten, überfordern usw. im Prinzip nicht krank machen, aber das das nicht darüber reden, sich jemanden anderes mitzuteilen krank machen kann.
Auf jeden Fall ist eine Therapie sehr wichtig.

Viele Grüße

no name
feuerfisch
Beiträge: 1118
Registriert: 15. Jan 2005, 01:45
Kontaktdaten:

Re: Kämpfen oder akzeptieren...

Beitrag von feuerfisch »

Hai Tournesol1342

also mir hat es sehr gt getan dass ich irgendwann einmal erfahren habe dass ich nicht gesund werden kann.

Bis dahin habe ich sehr viel Kraft darauf verwendet gesund zu werden, eben die Depression und anderes zu bekämpfen.
Heute weiß ich das das vergeudete Energie war.

Heute bekämpfe ich nicht mehr die Depri selbst, sondern die Ursachen für die Depression.
Das bringt mich wesentlich weiter, denn im Grunde sagt uns die Depri ja nur das da etwas falsch läuft in unserem Leben. Sie ist sozusagen nur der Überbringer der Nachricht.

Für mich heißt das allerdings nicht mich auf dieser Diagnose auszuruhen, sondern wirklich hart dagegen anzukämpfen.
Manchmal geht es mir richtig mies, dann frage ich mich: "Woran liegt das? Kann ich jetzt etwas dagegen tun?" Kann ich die Fragen beantworten, so tue ich etwas dagegen, bemühe mich den Auslöser `abzuschalten´ (klar, das klappt nicht immer, manches sitzt einfach zu fest).
Aber oft kann ich diese Fragen auch nicht beantworten, dann nehme ich sie mit in meine Therapie und versuche dort mit Hilfe auf Antworten zu kommen.
Hilft auch das nicht, so muss ich die Tiefphasen aushalten - aber immer mit dem Gedanken - und der Gewissheit - dabei das die tiefe Depri auch ein Ende haben wird.

Ich hoffe dir hilft das ein wenig

Grüße von mir zu dir

feuerfisch

.
Es gibt 1000 Gründe alles beim Alten zu lassen und nur einen einzigen etwas zu ändern - DU HÄLTST ES EINFACH NICHT MEHR AUS!
elas
Beiträge: 2102
Registriert: 12. Mär 2009, 16:50

Re: Kämpfen oder akzeptieren...

Beitrag von elas »

>denn im Grunde sagt uns die Depri ja nur das da etwas falsch läuft in unserem Leben. Sie ist sozusagen nur der Überbringer der Nachricht<

Hi Feuerfisch, diese Worte gefallen mir sehr gut.
Aber es ist immer wieder verdammt schwer, zu erkennen, was läuft denn falsch, wo muss ich mich vielleicht durchsetzen, äußern,einen Konflikt lösen, beilegen, wen muss ich meiden, z.B. und welche Situation kann ich verändern.

Du schreibst, dass Du dann auch Einiges in der Therapie bearbeitest.

@Tournesol

Ich selber kämpfe auch nicht gegen meine wiederkehrenden depressiven Gefühle an. Warum??? Weil sie dann nur schlimmer werden und sich verfestigen.Und ich beginne , mich wie der letzte Waldschrat zu fühlen.

Wenn es mir stattdessen gelingt, eben diese Gefühle, diese Phase zu akzeptieren, achtsam und behutsam mit mir umzugehen, mit meinen Freunden reden kann, vielleicht einen Konflikt lösen kann ...gut zu mir sein kann, dann puffert das ab.

Aber....das geht auch gar nicht immer.

Ja, es gilt für mich zu respektieren, dass Depression eine Krankheit ist. So wie z.B. mein Asthma bronchiale auch eine Krankheit ist, aber eine Körperkrankheit.
Da gefällt es mir auch nicht, wenn es schlimmer wird. Aber ich akzeptiere es dann, gehe vorsichtiger mit mir um, erhöhe die 'Astmamedikation`, gehe zur Ärztin. Gehe spazieren etc.

Aber, mir fällt schon auch auf. Wenn ich von meinen Körpererkrankungen rede,wenn sie sich verschlimmern, da habe ich alle Sympathien der Welt, und Empfehlungen auf mich zu achten.

Wenn es um Depris geht, rümpfen schon einige die Nase, eben die stigmatisierte Erkrankung.

Gott sei Dank habe ich auch mittlerweile ein
kleines Netzwerk (auch durch dieses Forum!!!! Danke!!!!) an Menschen, die dieselbe Erkrankung Depression haben, und dann lässt sich auch hilfreich austauschen, und oft werden dann die richtigen Fragen gestellt oder die richtige Entlastung angeboten, und es kann wieder weitergehen.

Und, ich kann es immer wieder nur betonen für alle, die hier neu lesen und vielleicht auch oft verzweifelt sind.

Depressionen gehen wieder weg. Sie sind so unangemehm, dass ich sie meinem ärgsten Feind nicht an die Backe wünschen würde.

Aber sie gehen wirklich wieder weg.

elas
________________________________

Der Weg ist das Ziel



Lebensringe sind auch Themenringe
petra3741
Beiträge: 2172
Registriert: 17. Jun 2009, 20:05

Re: Kämpfen oder akzeptieren...

Beitrag von petra3741 »

hallo miteinander,

ich bin auch ein kämpfer.
ich kann nicht lange im bett bleiben,
da bekomme ich ein schlechtes gewissen,
mir wird lnagweilig.
ich weiß wie schwer schwere depressionenen sind,
aber ich wollte auch trotzdem außer zwei wochen nie mehr in eine klinik.
ich wollte das meinen kindern nie antun.
drum habe ich immer gekämpft.
und ich komme immer mehr raus,
und ich entdecke immer wieder etwas neues schönes im leben für mich.
und das hilft mir dann mein puzzle zu vervollständigen, die depressionen immer mehr aus meinem leben zu bringen,
wenn sie vielleicht auch nie ganz weg gehen.
aber ich habe immer mehr gute zeit.
und in der guten phasen bestärkt es mich so zu kämpfen, weil qich dann merke, dass das leben echt schön sein kann.
immer wieder eine schöne zeit zu erleben,
gibt mir dann die kraft, mich auch immer wieder durch zu kämpfen.

lg petra
lucya
Beiträge: 1536
Registriert: 4. Aug 2010, 11:39

Re: Kämpfen oder akzeptieren...

Beitrag von lucya »

HAllo!!
Ich kämpfe ständig, habe immer schon gekämpft... Und als meine Therapeutin mich vor zwei Wochen fragte, was ich anstelle des Kämpfens setzen könnte sagte ich : "Nichts, dann würde ich mich ja selbst aufgeben!" Sie meinte dann das Gegenteil von kämpfen sei gelassenheit. Ein wunderbares Wort. Seit dem kämpfe ich gelassener zu werden. Ein Paradoxon schlechthin.

Ich grüße Euch mit gar nicht gelassenen Grüßen...

Auf einen guten Tag...
Die lucya

_________________________________________

Nicht weil es schwierig ist, wagen wir es nicht, sondern weil wir es nicht wagen ist es schwierig!
Liber
Beiträge: 1491
Registriert: 4. Jun 2006, 18:09

Re: Kämpfen oder akzeptieren...

Beitrag von Liber »

Hallo Ihr Lieben,

wenn ich in ein depressives Loch rutsche, fühlt es sich ein bisschen so an, als ob ich auf Glatteis den Boden unter den Füßen verliere und abrutsche.

Was kann ich tun? Kämpfen, um auf den Füßen zu bleiben? Das ist meist völlig vergeblich. Halt suchen, um mich irgendwo festhalten zu können? Das versuche ich, aber es geht nur, wenn gerade ein greifbarer Halt in der Nähe ist und wenn ich nicht zu konfus oder zu kraftlos bin. Also rutschen? Fast immer bleibt mir erst mal nichts anderes übrig.

In der Phase des Rutschens kann ich meist gar nichts tun. Vielleicht geht das irgendwann, aber zur Zeit noch nicht.

Ich finde mich im Loch und muss das erst mal akzeptieren. Es hilft mir rein gar nichts, innerlich dagegen anzurebellieren ("warum jetzt schon wieder!" - "geht das nie vorbei!" - das sind meine Gedanken, die sich sofort und automatisch bei mir einstellen). Aber sie helfen nicht. Es hilft nur zu akzeptieren: ja, ich bin im Moment im Loch.


Und dann erst kann ich mir anschauen: Was ist passiert? Was kann mir helfen, wieder herauszukommen?

Bei mir sind es oft, sehr oft, verdrängte Gefühle, die mich depressiv werden lassen. Ich will sie nicht wahrhaben, nicht fühlen, habe Angst vor Schmerz, vor Wut, vor Trauer- und Verlustgefühlen.

Die Alternative, dies alles nicht spüren zu wollen aber ist die Depression.

Für mich besteht eine Hilfe darin, mir darüber klarwerden zu können, was wirklich mit mir los ist. Ich bin depressiv - aber da liegt etwas darunter. Und um das geht es.

Und das ZULASSEN. Auch hier nützt Kämpfen nichts, ganz im Gegenteil. Zulassen ist angesagt. Meist brauche ich dafür ein Gegenüber - allein geht es allermeistens noch nicht. Jemand, der einfach nur zuhört, mich wahrnimmt, wo ich das, was in mir ist, fließen lassen kann (oft verbunden mit Weinen).

Natürlich ist es gut und vernünftig, sich trotz Depri zu manchen Tätigkeiten zu zwingen, die gut tun.

Aber eben nicht gegen sich selbst ankämpfen, nicht gegen die eigenen Gefühle ankämpfen. Sie wollen gefühlt werden. Dann gehen sie nach einiger Zeit vorbei. Und die Depr. auch Das ist das Erstaunliche.

Wichtig ist noch: Ich spreche im Moment "nur" von den "depressiven Löchern", wie ich sie nenne, nicht von einer schweren chronischen Depression. Dafür braucht es anderes, insbesondere auch Therapie.

Liebe Grüße
Brittka
hubsia
Beiträge: 639
Registriert: 19. Mär 2003, 16:33

Re: Kämpfen oder akzeptieren...

Beitrag von hubsia »

Hallo, Guten Morgen.
Als ich noch in der Kämpferphase war ging es mir wie Euch, man dreht sich wie der Hamster im Rad, nur voran kommt man nicht. Als ich anfing die Krankheit zu akzeptieren konnte ich mit ihr leben, ich konnte damit umgehen, begreifen und das war der erste Schritt zum besseren Leben. Es ist gewiss nicht leicht und einfach den Schritt zu gehen oder zu wagen, ich habe jedoch für mich festgestellt das es richtig war.
Lieben Gruß Hubert.
hubsia
Beiträge: 639
Registriert: 19. Mär 2003, 16:33

Re: Kämpfen oder akzeptieren...

Beitrag von hubsia »

Sorry liebe Brittka, ich habe deinen Bericht nicht vorher gelesen, dem ist nichts mehr zu zu setzen, tol.
Lieben Gruß Hubert.
Tournesol1342
Beiträge: 50
Registriert: 13. Jul 2010, 20:05

Re: Kämpfen oder akzeptieren...

Beitrag von Tournesol1342 »

"Seitdem kämpfe ich darum, gelassener zu werden."

Das gefällt mir!
Habt schonmal vielen Dank für eure Gedanken, die ihr hier aufgeschrieben habt! Mir tut es gut, das zu lesen. Und ich bin gespannt auf mehr...

LG, Tournesol.


_______________________________________________

Die Dinge sind nie so, wie sie sind.

Sie sind, wie man sie macht.

(J. Anouilh)
Antworten