Der Trauerfall und die Heilung

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912318798
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Der Trauerfall und die Heilung

Beitrag von 912318798 »

Sandkuchen begann:
„Vor 1,5 Jahren bin ich nach einem Trauerfall schwer an Depression erkrankt.
Hört das irgendwann auch mal wieder ganz auf? Ist Heilung möglich?“

Viele haben hier ihre pro - und kontra – Positionen dargelegt.
Ich würde mich auch gerne einbringen, aber die Schärfe, die hier zum Teil geäußert wird, schreckt mich sehr oft ab.
Trotzdem möchte ich Sandkuchen etwas mitgeben:
Mich hat der Tod und das Sterben meiner Lieben endgültig aus der Bahn geworfen und ich habe keine Ahnung, wie ich mein Leben wieder in den Griff bekommen soll.
Es gibt so viele Ansätze, Methoden und Mittel, die an Details arbeiten und ihre Existenzberechtigung in hochfachlichen Erklärungen vertreten. *
Geholfen haben mir über das Ärgste hinweg nur eine Art „Wurschtigkeitspillen“ und eine gute Ansprache auf diagnostischem Wege.
Aber im Sinne von Heilung kannst Du, wenn Du einen Menschen betrauerst, Dich nur auf die „Zeit, die die Wunden heilt“ stützen. Narben werden immer bleiben, denn die wir lieben und von uns gegangen sind, werden uns immer fehlen; auch noch in ferner Zukunft, und letztendlich noch viel mehr.
Uns obliegt nur, damit umzugehen zu lernen / zu wissen.

Ich habe es nicht gelernt und im Zuge dieser Tragödie ist mein Leben zerbrochen.
Andere haben kein Problem damit und sind deshalb auch keine Unmenschen.
Wie geht das?


Was ich sagen möchte, ist, dass es wahrscheinlich Heilung gibt; Dr. Niedermayer erklärt es uns auch.
Allerdings behaupte ich, es gibt sie nur dann, wenn man die Ursache beseitigen kann.
Die Therapien, Pharma, Gespräch,… arbeiten in Richtung der angenehmeren, oder soll ich sagen, der lebenswerten Perspektiven.
Aber die Änderung der Perspektiven ist rückfallbehaftet, spätestens, wenn einen das Umfeld wieder auf den betreffenden Makel, den Umstand,… aufmerksam macht!
Wenn Du meinst, Deine von Weitem sichtbare Psoriasis mit „Stolz“ (schlechter Ausdruck) tragen zu können, weil Dir Dein Therapeut gelernt hat, mit den blöden Blicken Deiner Umgebung klarzukommen, wirst Du irgendwann wieder Angst vor der Öffentlichkeit bekommen, einfach, weil Dir wieder Irgendeiner sagt, wie abgrundtief hässlich Du bist.
Und schon ist Dein Stein wieder zu Tal gerollt, schon bluten Deine kurz verheilten Wunden wieder und der Leidensweg beginnt von vorne. Und der stete Tropfen hat ein Stück weiter an Dir gehölt.

Wie soll da Jemand heilen können?
Ich habe schon so oft den Vergleich mit dem gebrochenen Bein gebracht. Das heilt wieder; unser Leiden ist unendlich…

Warum nur?

Liebe Grüße und bleibt stark

Jojo




* von Kormoranin; das muß ich nochmal zeigen! (in Hochachtung, mit Deiner Erlaubnis)

? ich bin einfach zu blöde zum leben, es ginge ja wenn ich nur wollte ? und warum zum teufel fällt manchen das wollen so schwer ?

es ist das alles ein rätsel. die hirnchemie hat damit zu tun, die kindheit, erziehung, traumatische erfahrungen im lauf des lebens. wir wissen aber oft nicht wo die henne und wo das ei ist.

ich stehe ziemlich ratlos vor diesem widerspruch dass ich EINFACH NUR TUN muss und kann, die existierenden/potenziellen kräfte mobilisieren, drauf sch... was andere denken
-
und dem umstand dass ich es einfach nicht fertigbringe.

es ist doch zum haareraufen. gerade die ermutigenden konzepte die man hat in dem moment wo man den stein packt und wieder losrollt, gerade die sind für ein und dieselbe person wenn sie grade wieder unten ankommt, nicht fassbar.


Wieder eine Nacht mit zu wenig Schlaf und zu vielen Tränen. Meine Stimmung ist grenzwertig. Alltagsaufgaben fallen mir schwerer. Einladungen schlage ich aus. Kein Interesse an Geselligkeit.

Aber ich will das so alles nicht mehr. Ich habe die Nase voll von diesen depressiven Schwankungen! Ich will gesund sein. Gesund und stabil!
Calzino
Beiträge: 215
Registriert: 12. Jan 2007, 13:34

Re: Der Trauerfall und die Heilung

Beitrag von Calzino »

hallo jojo,

mir gehen da so ein paar sachen durch den kopf. ich versuche jetzt mal, das irgentwie zu ordnen.

vor ca, 2 wochen habe ich eine reportage gelesen, in der ein frau das sterben ihres opas an demenz beschreibt. es beschrieb aber auch das langsame sterben meines vaters eben auch an demenz.
ich habe große trauer verspürt und sehr viel geweint bein lesen diese artikels, obwohl der tod meines vaters schon 11 jahre her ist.
mir wurde dann klar, dass diese trauer genau jene ist, die ich eben vor 11 jahren scheinbar nicht ausleben konnte, sondern sie bis heute gut verschlossen mit mir herumtragen habe.
es schmerzt, aber jetzt weiß ich, dass dieser schmerz eben einfach teil der erlebten trauer ist und das es ohne dieses erleben keinen frieden gibt. trauer braucht den schmerz (ja und auch die zeit) um zu heilen (anders kann ich das im moment nicht ausdrücken!)



>? ich bin einfach zu blöde zum leben, es ginge ja wenn ich nur wollte ?<

komoranins satz beschreibt DAS trauma meines bisherigen lebens: ich könnte ja, wenn ich nur wollte.
ich wollte schon so vieles in meinem leben, aber letztendlich habe ich es wohl meistens nicht geschafft.


nach der ersten probatorischen sitzung mit meiner heutigen thera (und nach vielem lesen hier im forum), habe ich erkannt, dass die therapie mich nicht heilen wird (im sinne von in bekomme therapie), sondern das der einzige, der irgendetwas an der depression verändern kann, ich selber bin.


und neulich schrieb mir otterchen ( ), dass ich mich schon so positiv verändert hätte. ich dachte mir eigentlich habe ich mich kaum verändert. otterchen will nett nur zu dir sein.

dann habe ich mal meine alten postings durchgelesen. die sind noch nichtmal ein jahr alt.
oh ja, ich habe mich verändert. viel mehr als ich mir das jemals zugestanden hätte.

ich bin heute in der lage die trauer über den tod meines vater zu spüren. und ich bin auch in der lage die wut zu spüren, über das was er mir angetan hat (und was er so erziehung nannte). beides existiert heute ohne widerspruch in mir nebeneinander.
neben wut und trauer spüre ich noch liebe (zu meinen kindern), scham über mein verkorkstes leben, angst vor der zukunft, einsamkeit, immer mal wieder zweifel und manchmal auch so etwas wie stolz, weil ich überhaupt etwas fühle.
langsam fühle ich noch etwas: das bin ich! meine gefühle bin ich. sie sind nichts, was man unterdrücken könnte, nicht positiv, nicht negativ, nicht gut, nicht schlecht. sie sind das was mich ausmacht.


weißt du jojo, ich will mich verändern. aber je verbissener ich es will, desto weniger wird es klappen. es gibt manches, was man einfach nur "tun" sollte und vieles, was man eben nicht "tun" sondern "zulassen" sollte.

du kannst nicht trauern, nur weil du es willst. du kannst nicht nicht mehr trauern, nur weil du es nicht mehr willst.
du kannst die trauer nur zulassen, dem schmerz annehmen und dann -nach dem erleben- loslassen.

ansonsten schleppst du die trauer in 10 jahren noch mit dir herum.



ich glaube nicht, dass es heilung gibt. gut behandelbar? ohne meine thera würde ich es wohl kaum schaffen, aber behandlung würde ich das nicht nennen.
ich sehe das jetzt eher als eine selbsterfahrung. äußerst anstrengend aber ziemlich spannend.
es ist keine krankheit, aber ein zustand, für den ich - wenn er denn erstmal da ist - einzig und allein selbst verantwortlich bin.

manchmal glaube ich sogar, dass mein leben gerade erst anfangen hat.



ich hoffe, du kannst da etwas für dich herausziehen.

liebe grüße

jens
otterchen
Beiträge: 5118
Registriert: 3. Jan 2007, 10:43

Re: Der Trauerfall und die Heilung

Beitrag von otterchen »

Guten Morgen!

Es stimmt, wir schleppen unverarbeitete, verdrängte, nicht zugelassene Gefühle noch viele Jahre mit uns herum, tief verborgen in uns drin. Und das lähmt uns anscheinend, bringt uns ins Funktionieren, lässt uns wohl auch depressiv werden.
Ich habe gerade etwas verarbeitet, was viele Jahre zurück liegt, und es hat mir gut getan.
Es ist wirklich wichtig, diese Gefühle zuzulassen, wenn sie da sind.

Jens ( ) ich bin gerade sehr stolz auf mich, weil ich Deinen Fortschritt wahrgenommen habe. Für so etwas war ich noch vor Jahren recht "betriebsblind". Und natürlich freue ich mich, dass auch Du das jetzt wahrnehmen konntest! Wir bewegen uns!
Wie fühlst Du Dich jetzt, beim Erkennen, beim Bewusstwerden? Ich denke, ich würde mich jetzt "voller" oder "erfüllter" fühlen, aufrechter... Und Du?

Allerdings habe ich zu einem Passus von Dir noch 2 Fragen:

komoranins satz beschreibt DAS trauma meines bisherigen lebens: ich könnte ja, wenn ich nur wollte.
ich wollte schon so vieles in meinem leben, aber letztendlich habe ich es wohl meistens nicht geschafft.

a) Meinst Du statt Trauma vielleicht Drama?
b) Kormoranin schrieb von dem Unvermögen, wollen zu können. Der Willen war einfach nicht da. Du schreibst von Deinem Willen, aber dem Unvermögen, diesen auch umzusetzen.

??

Liebe Grüße und einen schönen Dienstag!
mein gelerntes Sammelsurium: https://otterchenblog.wordpress.com/
912318798
Beiträge: 1590
Registriert: 28. Jul 2007, 13:39

Re: Der Trauerfall und die Heilung

Beitrag von 912318798 »

Grüß Euch!

@ Jens:
Ich freue mich für Dich, angesichts Deiner Methode, die Dinge annehmen zu können.
Gleichwohl bedaure ich, was Du an Schlimmem durchlebst, die Zutaten für Deinen Leidensweg, wie es scheint.
Ich teile Deine Erkenntnisse, doch fehlt mir das Vermögen, die Vergangenheit zu bewältigen, oder auch der Wille dazu – analog Kormoranins Formulierungen.

Kommt noch dazu, was sich an erlebtem und getanem Negativen während dieses Zustandes ansammelt und ebenfalls zu etwas zu bewältigendem wird.

Es ist diese elende Spirale, vielzitiert, abgedroschen und dennoch immer wahr.

Wie kommen wir heraus?

Übrigens: die Frage der Verantwortlichkeit für unseren Zustand kann ich nicht so einfach sehen.
(Da gibt es diesen anderen Thread)
Immerhin gibt es ein Umfeld, das sich positiv oder negativ zu unseren Problemen auswirken kann, wenn es will!

Und außerdem: Ich kenne Geheilte; doch die Umstände waren dafür auch gegeben.
Für mich sehe ich jedoch auch kein Entrinnen und ich würde mir deshalb wünschen, die Dinge handhaben zu können, wie so viele hier.


Liebe Grüße und bleibt stark


Jojo
kormoran
Beiträge: 3276
Registriert: 29. Mai 2007, 21:56

Re: Der Trauerfall und die Heilung

Beitrag von kormoran »

hmm. da kommen gleich mehrere themen die es in sich haben zusammen.

@ jens: wenn mein kopf wieder klar denkt dann geißle ich mich nicht mehr so, dass ich doch verdammt noch mal einfach nur tun müsste. es ist eben faktum dass mich irgendwelche blockaden selbst vom wollen, oder, wenn das wünschen wieder aktiv ist, dann eben vom anstreben und umsetzen abhalten.

auch jetzt. immer wieder. nur: endlich will ich klären, was ich bin und was ich will und dann systematisch MEIN leben verwirklichen. von fremden erwartungen befreien, zb. also ich steh auch tw. da wo ich eigentlich mit 18 hätte stehen sollen und gleichzeitig ist mein leben zu einem gutteil gelaufen.

ich für mich hoffe, dass ich mich nicht wieder durch (tw. eingebildete) sachzwänge in ein hamsterrad treiben lasse, sondern wirklich achtsam BEI MIR bleibe (wenn ich sie einmal gefunden habe )

@jojo
wenn man trauer etwas weiter fasst, mache ich auch die erfahrung dass solche prozesse sehr lange brauchen und in wellen ablaufen. auch wenn es unbewältigbar und unmenschlich scheint, je damit klar zu kommen: doch, auch du wirst wieder freier und aufrechter gehen können. es ist aber verdammt schwer. oft habe ich angst die trauer zuzulassen, oder bin überrascht wenn sie wieder auftaucht.

was die verantwortung betrifft: es ist wirklich wichtig, die verantwortung oder sogar schuld klar zuzuordnen - gleichzeitig aber zu wissen, nach vorne hin, ins leben hinein, GEHÖRT ES MIR, HABE ICH ES IN DER HAND.

ich wünsche dir, jojo, dass du ein umfeld hast oder findest, wo du in deinem tempo, in portionen die für dich bewältigbar sind, so wie die anderen hier, die erfahrungen bewältigen, bearbeiten, integrieren und zunehmend dein leben für dich lebenswert gestalten kannst.

jetzt wo ich nicht so hoffnungslos fühle wie vor einigen tagen zitiere ich holgi, der mich drauf hingewiesen hat:
nichts ist unmöglich
und auch der kleinste schritt ist ein stück des weges.

der erfolg eines tages kann schon darin liegen, ein gefühl wahrgenommen zu haben. oder sich zu freuen, dass ein essen fein gewürzt angenehm schmeckt.

alles liebe
kormoranin
 http://www.depressionsliga.de
*** zurück ins leben!
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