Zu viel Depression?

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uli123
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Registriert: 11. Okt 2004, 12:21

Zu viel Depression?

Beitrag von uli123 »

Hallo zusammen,
ich bin schon länger hier angemeldet, habe aber bisher nur still mitgelesen. Nun möchte ich auch mal eine Diskussion zu einem Gedanken anregen, der in gewisser Weise provokant ist.

Ich glaube, daß zu oft und zu schnell Depressionen diagnostiziert werden. Und zwar bei Menschen, die mit der Gesellschaft nicht klar kommen (Und ich behaupte mal als Laie, daß das bei den meisten hier der Fall ist.). Für die Gesellschaft ist es einfacher, den einen als krank aus dem Alltag heraus zu nehmen, als sich selbst in Frage zu stellen.

Kurz und gut: ich glaube einfach, in vielerlei Hinsicht ist die Gesellschaft krank, die Lebenswege vorgibt, die viele nicht beschreiten wollen oder können. Und bevor sich die Gesellschaft ändert, wird lieber der, der damit nicht klarkommt, als krank eingestuft, damit alles weiterlaufen kann wie gewohnt und nicht durch den störenden Grübler, Traurigen gebremst wird. (Dabei gehören Grübeln und Traurigsein doch zu den Eigenschaften des Menschen. Aber das soll man wohl besser in den eigenen vier Wänden machen. Draußen heißt es, lachen und nichts in Frage stellen. )

In Wahrheit müßte unsere Geselschaft mit ihren fragwürdigen Idealen und Sichtweisen mal auf die Couch.

Ich selbst bin depressiv (leicht? schwer? mittel?), bin mir aber sicher, daß viel meiner Symptome wie Antriebslosigkeit, Kontaktscheue usw. zum großen Teil nicht die Ursache in mir haben, sondern in der Welt da draußen. (Antriebslosigkeit: Ich bin schon gerne aktiv, habe aber oft keine Lust auf die Aufgaben, die die Gesellschaft für mich bereit hält. Kontaktscheue: Ich habe auch gerne Umgang mit Menschen, aber oft nicht auf die Art und Weise, die in der Gesellschaft üblich ist. ... )
Das soll nicht heißen, daß ich nicht an mir arbeiten soll, ich will auch nicht alles auf die anderen schieben. Aber ich glaube, so manche Therapie (auch Eigentherapie) zielt darauf ab, den "Kranken" für die Gesellschaft wieder fit zu machen und nicht darauf, den Patienten für sich selbst fit zu machen und zu innerer Zufriedenheit zu führen. Für seinen individuellen Lebensweg.

Bleibt die Frage, welche Rolle die Ärzte haben? Ich will mir nicht anmaßen, medizinische Erkenntnisse in Frage zu stellen, nur sollte man sich doch mal fragen dürfen, wie es zu diesen Erkenntnissen gekommen ist. Definitionen von normal und unnormal sind oft die Basis von psychischen Krankheitsbildern. Und wer definiert Normalität? Die Gesellschaft.

So oder so ähnlich meine Gedanken.

Bin jetzt gespannt auf Eure Äußerungen

Uli
Weltenwandlerin
Beiträge: 677
Registriert: 9. Mai 2006, 13:19

Re: Zu viel Depression?

Beitrag von Weltenwandlerin »

Hallo Uli!

Ich würde ja zu gerne wissen, was unsere Frau Zink (Diplom Soziologin) darüber denkt! Jedenfalls ein spannendes Thema.

Ich habe darüber auch schon nachgedacht. In letzter Zeit stelle ich mir oft die Frage, was denn nun krank und was gesund oder normal ist. Normal heißt ja eigentlich nur, dass es so viele machen, dass es eben auffällt, wenn man selber nicht mitmacht. Es sagt aber nichts darüber aus, ob es pathogen oder gesund ist.

Nach dem sich mein Weltbild in den letzen 12 Monaten immer mehr durch verschiedene Erfahrungen in der Therapie, Meditation, Buddhismus und durch die Entdeckung für mich neuer, spannender Theorien (Systemtheorie, Konstruktivismus) veränderte, finde ich unsere Welt ein mal mehr schräg und vor allem sehr komplex. Und ich finde immer weniger verrücktes an dem Verhalten der "Verrückten", wenn ich ehrlich bin. Auch wenn solche Gedankengänge nicht gerade erwünscht sind und dazu führen können, selber als psychotisch abgestempelt zu werden, bloß, weil man anders denkt.

Lange war es mir super wichtig, meine Diagnosen genau zu kennen, mich einzuordnen und allem einen Namen zu geben. Das ändert sich zunehmend. Geht es nicht eher darum, für sich einen Weg der konstruktiven Bewältigung zu finden? Heilsam für sich und andere zu handeln? Die Gefahr bei Diagnosen ist in meinen Augen ihre Begrenzheit und Starre. Sie sind Arbeitshypothesen und können sehr hilfreich sein, mehr aber nicht. Was wissen wir denn schon "wirklich"?

Nachdenkliche Grüße,
Mika
Werden kennt kein Ende. Der Strom fließt weiter. Jeder Augenblick ist neu. Der Schmerz des Wachsens: der Mühen wert! (Bruno-Paul de Roeck)
WOWO
Beiträge: 8
Registriert: 22. Feb 2007, 21:58

Re: Zu viel Depression?

Beitrag von WOWO »

HAllo ulli, Hallo Mika,

wer bitte ist denn die Gesellschaft? Aus meiner Sicht sind wir die Gesellschaft, und nur wir können diese Gesellschaft auch verändern. Ich arbeite seit 20 Jahren im sozialen Bereich und denke schon seit bestimmt 15 Jahren, dass unsere Gesellschaft krank ist. Ich bin gespannt wie diese Krankheit sich auflösen wird, ob friedlich oder per Gewalt. Die ganzen sozialen Kürzungen ob bei der Gesundheitsreform oder SGB II aus meiner Sicht der absolute Wahnsinn.
Das dazu ich könnte noch mehr dazu sagen, aber ich merke schon wieder, dass ich wütend werde bei diesen Gedankengängen. Weil ich mich hilflos fühle.

Kleiner Einblick zu meiner Person
bin 52 jahre alt weibl., seit Feb. 07 kämfpe ich wieder mit meiner Depression ( habe ich sporadich seit 99) komme nicht damit klar,
ich will genau wissen, warum wie so weshalb, kann nicht akzeptieren, dass ich krank bin, ist oft die Hölle für mich.

Gruß
Wowo
Anne Blume
Moderator
Beiträge: 1698
Registriert: 7. Dez 2006, 13:25

Re: Zu viel Depression?

Beitrag von Anne Blume »

Erwischt, liebe Mika! Habe Ulrichs posting tatsächlich aufmerksam gelesen.
Meiner Meinung nach bedingt und beeinflusst das eine das andere (der Mensch die Gesellschaft und umgekehrt), nur das Ausmaß ist individuell verschieden - mit allen Konsequenzen. Eventuell ist es wichtig, festzulegen wieviel "Theorie" man sich selber erlaubt. Soviel ganz kurz von mir.

Viele Grüße,
Anne Zink
ausgewandert
Beiträge: 48
Registriert: 22. Mär 2007, 15:33

Re: Zu viel Depression?

Beitrag von ausgewandert »

vieleicht hast du recht das in der jetziegen gesellschaft die depressionen zunehmen wegen der umstände aber als reine ursache wuerde ich sie nicht nehmen wollen
meine familie ist ein gutes beispiel dafuer depressiv seid 3 generationen also 4 gesellschaftssystheme
ansonsten finde ich gut das diese krankheid heutzutage doch immer mehr akzeptanz in der gesellschaft findet und aus der schmuddelecke herausgeholt wird
die meisten leute mit denen ich rede und mich als depri aute finden das foellig ok was vor 50 jahren sicher nicht der fall gewesen wäre
gruss birgit
SchwarzeSchnecke

Re: Zu viel Depression?

Beitrag von SchwarzeSchnecke »

Hallo Ulrich,


Ich glaube, daß zu oft und zu schnell Depressionen diagnostiziert werden. Und zwar bei Menschen, die mit der Gesellschaft nicht klar kommen (Und ich behaupte mal als Laie, daß das bei den meisten hier der Fall ist.). Für die Gesellschaft ist es einfacher, den einen als krank aus dem Alltag heraus zu nehmen, als sich selbst in Frage zu stellen.

Kurz und gut: ich glaube einfach, in vielerlei Hinsicht ist die Gesellschaft krank, die Lebenswege vorgibt, die viele nicht beschreiten wollen oder können. Und bevor sich die Gesellschaft ändert, wird lieber der, der damit nicht klarkommt, als krank eingestuft, damit alles weiterlaufen kann wie gewohnt und nicht durch den störenden Grübler, Traurigen gebremst wird. (Dabei gehören Grübeln und Traurigsein doch zu den Eigenschaften des Menschen. Aber das soll man wohl besser in den eigenen vier Wänden machen. Draußen heißt es, lachen und nichts in Frage stellen. )


Ich halte unsere Gesellschaft auch für krank...

Guckst Du hier:

"wir sind die normalen"
http://www.kompetenznetz-depression.de/ ... 1174436876

Und hier:

"Hochsensibilität"
http://www.kompetenznetz-depression.de/ ... 1173358275


Dennoch bin ich nicht der Meinung, daß Depressionen zu oft und zu schnell diagnostiziert werden. Bei einem Großteil der Betroffenen werden sie nämlich ÜBERHAUPT NICHT diagnostiziert. *****
Es ist eher so, daß viele Leute die Wörter "deprimiert" und "depressiv" verwechseln. –

Ja, Grübeln und Traurigsein gehören zum Menschen. Aber ab einem gewissen Ausmaß wird es eben krankhaft. –

Du schreibst: "Draußen heißt es, lachen und nichts in Frage stellen."
Ich verstehe, was Du meinst. Aber wenn jemand mal z.B. in der Öffentlichkeit weint, dann wird der/ die vielleicht schief angeschaut, aber deswegen noch nicht gleich als depressiv bezeichnet.
*****

VG, Anne
ANOVA
Beiträge: 1137
Registriert: 22. Jul 2006, 21:27

Re: Zu viel Depression?

Beitrag von ANOVA »

Liebe Mika,

ich finde, Du hast ein absolut geniales Posting losgelassen! Ich kann zwar gerade nicht näher auf das Thema eingehen (habe Mörder-Prüfungsstress und daher keinen freien Kopf), wollte Dir aber kurz sagen, dass Dein obiges Posting in die Liste der lesenswerten Postings aufgenommen werden sollte. Grund: Du beschreibst sehr schön den Wandel vom Kranksein zum Gesundsein (oder wie auch immer man es nennen will). Ich glaube nämlich, dass es ein total wichtiger Schritt ist, sich von den Diagnosen zu distanzieren, sie loszulassen (und sich damit nicht mehr mit der Krankheit zu identifizieren) und mehr darauf zu schauen, wie man zu einem befriedigenderen (glücklicherem?) Leben kommen kann.

Liebe Grüße

Xenia
P.S. Muss mich prüfungsbedingt auch gerade mit Systemtheorie und Konstruktivismus bzw. Teilgebiete von beidem beschäftigen...
Majuha10
Beiträge: 464
Registriert: 2. Nov 2005, 16:32

Re: Zu viel Depression?

Beitrag von Majuha10 »

Hallo Ullrich,

bitte nimm es mir nicht übel, wenn ich hier in deinen Thread platze und zu dir selber nichts direkt sagen kann, außer Herzlich Willkommen.

Meine Einstellung zur Gesellschaft ist folgende:

Die Gesellschaft sind wir. Warte ich darauf, dass sich die Gesellschaft ändert, dann fülle ich Zeit damit, dass ich mich schon mal ändere, weil es sonst passieren könnte, dass ich die Änderung in der Gesellschaft gar nicht mit bekomme.


Liebe Mika,

ich stimme Xenia in Bezug auf dein Posting völlig zu und ich freue mich zu sehen, wie du mit 7 Meilen Stiefeln durch die Welt marschierst.

Liebe Xenia,

trotz Prüfungsstress eine wirklich für mich treffende Erweiterung von Mika.

Ich glaube nämlich, dass es ein total wichtiger Schritt ist, sich von den Diagnosen zu distanzieren, sie loszulassen (und sich damit nicht mehr mit der Krankheit zu identifizieren) und mehr darauf zu schauen, wie man zu einem befriedigenderen (glücklicherem?) Leben kommen kann.


LG Maruschka
flocke
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Registriert: 13. Feb 2003, 09:52

Re: Zu viel Depression?

Beitrag von flocke »

also dass die gesellschaft im wandel ist unterschreibe ich sofort, aber gegen das meiste andere wehrt sich in mir so einiges...


zum einen denke ich nicht dass zu oft depression diagnostiziert wird, sondern eher zu selten...

wer wird denn diagnostiziert? jemand der leidet und deshalb zum arzt geht. oder kommen jetzt schon diagnosevertreter an die tür und machen einen schnelltest?!

die gesellschft als krank zu sehen und nicht sich selber, mag ein weg sein mit seiner situation um zu gehen...aber vielleicht auch ein weg den eigenen problemen aus dem weg zu gehen, anstatt sich ihnen zu stellen.
ausserdem besteht die gesellschaft aus vielen individuen...
"krank", "gesund", "normal" usw ergibt sich nun mal daraus was die mehrheit ist oder hat und was sich im laufe derzeit zum ideal entwickelt hat...daran sind dann wieder die einzelnen menschen beteiligt die am ende die "gesellschaft" bilden.



flocke
Pessimisten sind Optimisten mit Erfahrung
Weltenwandlerin
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Registriert: 9. Mai 2006, 13:19

Re: Zu viel Depression?

Beitrag von Weltenwandlerin »

Hallo WOWO,

ich komme auch aus dem sozialen Bereich! Ja, da hast du wohl recht: WIR sind die Gesellschaft. Veränderung fängt entsprechend erstmal in einem selbst an und zieht seine Kreise im Außen. DIE Gesellschaft wird es wohl nicht geben, dafür ist sie viel zu komplex.

Das dich die ganzen Veränderungen wütend machen, kann ich gut verstehen! Das habe ich für mich persönlich allerdings als auf Dauer sinnlos aufgegeben, vor allem, wenn aus der Wut keine konstruktive Aktion erwächst/erwachsen kann. Sie schadet mir nur auf lange Zeit gesehen.

Vielleicht bin ich mit 52 allerdings auch nicht mehr so gelassen wie jetzt. Wenn ich bis 70 arbeiten muss...Will meinen: ich habe im Moment gut reden.
_________________

Hallo Frau Zink,

danke für das "gehört-werden" und sich-an-der-Diskussion- (wenn auch nur kurz ) beteiligen!

Ich muss mich zwangsläufig (Studium) mit viel Theorien beschäftigen...Stimmt schon, zuviel ist auch nicht gut, vor allem, wenn man es nicht umsetzen kann und sich in abstrakten Gedankengebäuden verirrt und das wirkliche (?) Leben verpasst. Ich bemühe mich täglich, praktisch zu sein.
_________________

Liebe Anne!

Ich meine zu verstehen, was du meinst wenn du schreibst, dass die Gesellschaft den Weg vorgibt... Sicher gibt es Normen und Normalität, Gesetze etc. Aber...Das ist nicht alles, meine ich.

Ich habe mich selber lange als Opfer und unfrei gefühlt und inzwischen das Gegenteil erlebt: ich bin frei. Ich habe immer die Wahl! Auch wenn jemand sagt, du musst das und das tun um irgendwie dazu zu gehören, so bist es doch immer du, die es dann letztendlich tut, oder eben nicht. Meine persönliche Erfahrung ist, dass die härtesten Zwänge, Vorschriften, Regeln und Beschränkungen aus einem selbst kommen.
___________________

Liebe Xenia,

danke! Ich wünsche dir viel Erfolg für deine Prüfung (darf ich fragen, worin du geprüft wirst?)?

___________________

Hey Maruschka!

Ja, dass ist es! Wie sollen wir Veränderungen erleben können, wenn wir ihr die Tür nicht öffnen? Schön ausgedrückt!

_________________

Hi Flocke,

ja, ich denke auch, dass um Verantwortung geht! Diagnosevertreter- super! Ich musste echt lachen, habe mir das mal bildlich vorgestellt...

________________

Und Uli, was sagst du?


Mika
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ANOVA
Beiträge: 1137
Registriert: 22. Jul 2006, 21:27

Re: Zu viel Depression?

Beitrag von ANOVA »

Liebe Maruschka,

ja, irgendwie war das für mich ein sehr wichtiger Schritt... Ich habe das Gefühl, als ob ich zwischen gesund - krank - gesund verschiedene Phasen bezüglich Einstellung zu Diagnosen durchlaufen habe: Erst habe ich mich gegen die Diagnose gewehrt, wollte mir einreden, ich müsste mich einfach nur mehr anstrengen. Irgendwann hatte ich die Diagnose dann quasi geschluckt und sie half mir enorm, mich mit meiner Erkrankung auseinanderzusetzen bzw. mich selbst kennenzulernen. Denn in dieser Phase habe ich sehr viel Fachliteratur verschlungen, die mir persönlich einiges an Klarheit und (Selbst-)Verständnis brachte. Auch habe ich in dieser Phase den Kontakt zu "Leidensgenossen" als sehr hilfreich empfunden. Aber dann trat die Diagnose immer mehr in den Hintergrund, bis sie mir ziemlich wurscht war. In dieser Phase wurde mir bewusst, dass ich zwar eine PS habe, aber keine PS bin. Und irgendwann konnte ich dann einen endgültigen Abschied von meinen Diagnosen nehmen. Lustigerweise vergesse ich hin und wieder sogar, dass ich durch SVV-Verhalten ziemlich viele hässliche Narben habe (okay, lustig ist es nicht wirklich, wenn es mir wieder einfällt).



Liebe Mika,

ich werde u.a. in Wissenschaftstheorie geprüft (nein, ich studiere nicht Philosophie ).

Zur (kranken) Gesellschaft möchte ich noch etwas loswerden: ich bin absolut davon überzeugt, dass "die" Gesellschaft krank ist. Aber was nützt es mir, wenn ich mich damit tröste, die Gesellschaft sei das Übel? Eben, es nützt mir nichts und verhindert evtl. sogar eine Verbesserung meines Befindens. Ich persönlich habe bestimmte Konsequenzen gezogen, und stehe bestimmten gesellschaftlichen Phänomenen kritisch gegenüber, d.h. ich gehe meinen Weg, der oftmals ein anderer ist als der des Mainstreams, was nicht selten erstmal mit zusätzlichen Hürden verbunden ist. Ich habe meine Art "political correctness" gefunden, im positiven Sinne, und versuche, mein Leben nach meinen Prinzipien zu führen.

Eigentlich spielt es in dem Moment, in dem ich mich schlecht fühle, gar keine Rolle, ob die Gesellschaft krank ist oder ich es bin. Denn, wie weiter oben geschrieben wurde, die Mehrheit determiniert, was gebilligt wird und was nicht. Auch wenn vieles, was von dieser Mehrheit gebilligt wird, aus moralischer Sicht mindestens fragwürdig ist.

Aber eben, das Wissen um eine kranke Gesellschaft bewirkt noch lange nicht, dass ich mich gut fühle.

Im übrigen glaube ich eigentlich nicht daran, dass Depressionen (und anderer Psycho-Kram) zu oft diagnostiziert wird. Im allgemeinen wird ja immer noch davon ausgegangen, dass Depression gar keine Krankheit ist, sich die Leute halt nur mal zusammenreißen müssten. Dementsprechend hoch dürfte die Hemmschwelle sein, sich einem Arzt anzuvertrauen.

Liebe Grüße erstmal

Xenia
Guitaranderl

Re: Zu viel Depression?

Beitrag von Guitaranderl »

Hallo Uli, hallo Ihrs,

ich möchte die Männerquote dieses Threads ein wenig anheben und auch etwas zu diesem interessanten Thema ablassen...

Es gab eine Zeit, Uli, da habe ich mich oft gefragt, ob ich mich so schlecht fühle, weil z.B. mein Job mich unglücklich macht oder ob sich mein Job so anfühlt, weil ich unglücklich bin. Wir Männer haben oft eine analytische Weltsicht und wollen die Dinge verstehen und durchdringen.

Grundsätzlich haben wir es sicher mit einer Wechselwirkung zu tun; das Eine beeinflusst und/oder bedingt das Andere. Dennoch möchte ich meinen, dass unsere Wahrnehmung der Welt unsere selbstgemachte Realität ist. Wenn Du also heute meinst, "die Welt sei schlecht", dann würde ich Dich gern einmal erleben, wenn Du z.B. HalsüberKopf verknallt bist und gerade ein ganz besonderes Erfolgserlebnis hattest.. ob dann die Welt immer noch so schlecht ist..

Wenn Du Dir z.B. die Werke misanthropischer Schriftsteller ansiehst, dann haben die in Ihrer Biografie oft gute Gründe, eine gewisse Weltverachtung zu vertreten. Aber "ist" die Welt dann so? Ich glaube, nicht.

Ja, unsere Welt krankt zweifelsohne und viele Dinge sind höchst absurd, aber kann das als Begründung für eine Depression oder deren klassische Symptome herhalten? Ich vermute eher, dass es uns hilft, die Welt dann so zu sehen, weil uns das einen guten Grund liefert, uns schlecht fühlen zu dürfen.
Für depressive Menschen ist der Frühling oft eine ganz schwierige Jahreszeit. Aber nicht, weil "die Welt so schlecht ist", sondern weil wir die sprießende, aufhellende Natur dann mit unserem Gefühlsleben nicht in Einklang bekommen. Wir müssen dann realisieren, das wir neben dem Leben daherlaufen. Und das tut weh.

Die Gesellschaft ist doch nichts anderes als wir Individuen alle zusammen. Und wir sind gut UND schlecht; nicht nur das eine ODER das andere. Wir alle haben gute und schlechte Seiten; die Gesellschaft auch.
Gleiches gilt aus meiner Sicht für die Welt. In diesen Tagen brechen überall Blumenmeere durch die Rasenflächen.. überall wollen Knospen explodieren, die Sonne reflektiert sich im Haar eines Kindes etcetc. Ist das schlecht?

Ich glaube die "schlechte Weltsicht" ist hilfreich und problematisch gleichermaßen. Zum Einen nimmt sie Chance für das Erleben positiver Dinge und Eindrücke, zum Anderen ist sie nichts anderes als ein Schutz, der davor bewahrt, einfach zu realsieren, dass es "in uns ist". Wir können damit Verantwortung abgeben und uns etwas erleichtern. Wenn es hilft, ist es o.k.. Ein Problem liegt sicher aber in der Ausstrahlung, die man dann bekommt (oder verliert). Das kann ziemlich einsam machen...

Heute glaube ich, dass wir die Welt und die Gesellschaft imgrunde genau so sehen, wie wir uns fühlen...und dass es zu einem ganz großen Teil an uns ist, wie wir unseren Mikrokosmos mit Leben und Eindrücken erfüllen.

Herzlich aus dem Hamburger Frühling
Andreas

NS.. NORMalität definierst DU, niemand anderes. Du musst Dich von Deinem Weltbild her, keiner Norm unterwerfen. Natürlich müssen Ärzte, Krankenkassen, Therapeuten etc. "normieren"; wie soll das sonst funktionieren. Aber Du musst das doch nicht kritiklos annehmen!?
horse4me
Beiträge: 124
Registriert: 16. Feb 2007, 15:55

Re: Zu viel Depression?

Beitrag von horse4me »

"Die Welt ist so gut oder schlecht, wie wir sie sehen" - das ist ein Spruch meines Schreibtisch-Bildkalenders...
Menschen,die in der Gesellschaft (kann schon im Kindergarten losgehen, lacht jetzt bloß nicht; auch 3jährige sind eine Gesellschaft...)nicht klarkommen,leiden darunter,haben oft Mißerfolg, das Selbstbewusstsein nimmt ab.Es schleichen sich negative Gedanken ein und es entsteht ein Teufelskreis, der immer intensiver wird und aus dem viele nicht mehr rausfinden (auch ich).Das eigene Leben(Erziehung,eigene Einstellungen/Erfahrungen)und äußere Einflüsse(Reaktionen/Verhalten anderer od.Geschehnisse)können sich auch zu einem solchen Negativ-Kreis schließen.Irgendwann wenn man dann plötzl.eine Gefühlslosigkeit erlebt und sich wie emotional taub fühlt und nicht mehr leben will, würde ich sagen, ist man sehrwohl krank und -ich sage mal vorsichtig: in dem Moment - depressiv.Ich glaube nicht, dass Fachärzte dann eine Fehldiagnose stellen,da sie ihre Patienten doch auch befragen und wohl unterscheiden können sollten zwischen Depri und -wie nenne ich das jetzt - "negative Stimmungen".
Die Gesellschaft hat sich geändert aber die Eigenschaften der Menschheit wie Neid, Hass, Eifersucht, Geltungssucht etc. hat es schon immer gegeben (wurde Ötzi nicht angebl. ausgeraubt/erschlagen?)...ich sehe die Gesellsch.wie einen Partner, der nur nehmen will, aber fast nichts mehr gibt:wo bleiben Hilfsbereitschaft, Entgegenkommen, Nachsicht,jemanden etwas gönnen ohne Neid/Eifersucht...?alle rennen als Egoisten mit ausgefahrenen Ellbogen, um ja nicht unterzugehen...lieber mitschwimmen und austeilen als dagegenschwimmen, als einzelner geht man sonst unter oder wird zum Außenseiter.Wir hätten doch jederzeit die Möglichkeit (gut: eingegrenzt durch gesetzl.Regelungen/Finanzen/etc.),das zu tun,was wir wollen und nicht was die Gesellschaft vorschreibt,aber würden wir uns dann nicht evtl. zum Außenseiter machen?
wie z.B."ÖFF"(Extrembeispiel für einen Außenseiter der Gesellschaft,weil er anders lebt,andere Ansichten hat und diese vertritt...-er lässt sich nicht mal durch Finanzen und gesetzl.Regelungen beeinflussen...;oder Leute, die 1od.2 Jahre aussteigen und die Welt umsegeln, dabei aber eine Bereicherung erfahren und später wieder"in die Ges. einsteigen").Andererseits sollten die Politiker dafür sorgen, dass die sozialen Bedingungen wieder verbessert werden, denn allein Geldsorgen können einen eben auch in die Depression treiben (es gibt genug in Deutschl.die mit dem Existenzminium zu kämpfen haben)-bin ich jetzt überhaupt noch beim Thema....ich glaube, ich beende einfach meinen Redefluss, außerdem ist es ganz schön spät geworden für mich....
Alles was du bist, alles was du willst, alles was du sollst, geht von dir selber aus. (J.H.Pestalozzi)
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