Alte Wunden die nicht heilen ...

[BinAmEnde]

Hallo,

Teil meiner Erkrankung, einige wissen das schon, sind Schuldgefühle gegenüber meiner Familie, besonders meinem verstorbenen Bruder. Nun, ich hatte nie ein gutes Verhältnis zu meinen Eltern, und als sie starben, verwehrte ich mir lange Zeit, Frieden mit Ihnen zu schließen. Was ich nie erzählte ist, dass ich damals zu der Mutter meiner damaligen Freundin ein sehr enges, freundschaftliches Verhältnis hatte, dass sich auch lange Zeit nachdem wir schon wieder auseinander waren, bewahrte. Sie gab mir das Gefühl, "nach Hause zu kommen", wenn ich sie besuchte. Eigentlich war sie mein "selbst erwählter" Mutter-Ersatz.

Tja, gestern erfuhr ich dann, dass "die alte Dame" einen Herzinfarkt erlitt und mit diversen Störungen/Symptomen in ein Pflegeheim kam.

Und jetzt spüre ich, wie sich mein Leben, meine Erfahrungen wiederholen. Schon wieder ein Deja Vu? Ich würde sie gerne besuchen, um ihr zu zeigen, dass ich noch immer an sie denke. Aber ich habe Angst vor dem, was ich sehen könnte. Ich möchte sie so gerne genau so in Erinnerung behalten, wie ich sie zuletzt vor etwa einem Jahr sah! Andererseits hat sie einen Besuch, wie soll ich sagen, verdient (?).

Ich bin ihr sicher kein guter Trost. Was kann mein Besuch bewirken? Andererseits: Jetzt habe ich die Chance, mich von einem Menschen, der mir viel bedeutet hat und noch bedeutet, zu verabschieden, etwas Trost zu spenden, vielleicht sogar meinen Frieden zu finden.

Sollte jemand etwas Ähnliches kennen, wäre ich für einen Rat sehr dankbar!

Liebe Grüße, Werner

[Emriye2]

[Sunshine77]

Hallo Werner,

Es tut mir leid für dich in dieser Situation zu sein, aber ich denke sie könnte wirklich auch eine Chance für dich sein manch altes zu verarbeiten.

Weiß ja nicht wie dein momentaner Zustand so ist und würde mich deshalb auch sehr danach richten wie du selber einschätzt wie dir diese Begegnung bekommen würde?

Grundsätzlich denke ich braucht man sich als Mensch nur kurz zu überlegen wie es einem selber in der Situation des kranken im Pflegeheim wohl ergeht. Würdest du dich in dieser Situation freuen von alten, liebgewonnenen Menschen besucht zu werden? Denke immer Freundschaft bedeutet auch für einander da sein, wenn es einem schlechter geht, oder nicht? Sie würde sich sicherlich freuen. Natürlich wäre es eine neue Erfahrung für dich, aber vielleicht auch positiver als du es dir momentan vorstellst? Wenn es dir zuviel wird, kannst du ja immernoch zügig wieder gehen. Aber ich denke ein erstmal kurz eingeplanter Besuch vielleicht mit Blumen wäre für euch beide gut. Der Rest würde sich dann schon ergeben und du kannst selber entscheiden inwieweit du dich da emotional einbringen möchtest.

Viele Grüße,
Tini

[sunshine_do]

Hallo Werner,

also erstmal wird die Frau sich wahrscheinlich über Deinen Besuch freuen. Das tut jeder ... einfach das Gefühl .. der hat mich nicht vergessen, dem bin ich nicht egal .. ist schon viel wert .. da kommt es nicht darauf an, das Du auch noch die richtigen Worte findest bei Deinem Besuch

wenn es Dir auch schwerfällt hinzugehen .. ueberlege mal, was ist, wenn sie stirbt und Du warst nicht da. Wirst Du dann den Rest Deines Lebens ein schlechtes Gewissen mit Dir rumtragen, weil Du nicht gegangen bist ?? Überwinde Dich lieber jetzt.. hinterher bist Du bestimmt traurig über das, was Du gesehen hast, aber gleichzeitig bestimmt auch froh, das Du Dich verabschiedet hast. Und damit ist das wenigstens abgeschlossen und Du musst später kein schlechtes Gewissen mit Dir rumtragen

viele Gruesse
Sunshine

[Chiron]

Hallo Werner,

mir ging es mal so ähnlich wie Dir.

Die Nachbarn gegenüber von meinen Eltern waren mir Lebensgefährten in vielen Stationen meines Lebens.
Der Mann war groß und stark. Irgendwann zog ich weg und gründete eine eigene Family.
Man sah sich nicht mehr so oft wie früher.
Eine schwere Krankheit zeichnete den früher so kräftigen Mann. Jedesmal sobald mein Vater mir von seinen Besuchen bei diesem Freund erzählte und wie schlecht es ihm ginge, schauderte es mich.
Ich schaffte es kein einziges Mal ihn selbst zu besuchen. Es ging einfach nicht. Der Gedanke an seine und meine Hilflosigkeit überforderte mich total.
Als er starb, schaffte ich es nicht mal zu seiner Beerdigung.
Jedoch schrieb ich all meine Gefühle und Trauer in einem langen Brief an seine Frau nieder.
Ihre Antwort:"Chiron, das war der schönste Trost für mich."
Sie spürte, dass meine Worte ehrlich waren und ich ihn einfach so in Erinnerung behalten wollte wie er früher war: Ein großer starker Mann, der mir als Kind teilweise Angst einjagte und mir in seiner Güte in verzweifelten Momenten zur Seite stand.

3 Jahre später erkrankte seine Frau, die nie richtig über seinen Tod hinweg kam.
Sie war meine mütterliche Freundin und ein Mensch, den ich heute noch, über alle Maßen vermisse.
Da sie schon immer eine zarte und zierliche Person war, konnte ich sie besuchen und es war ein Genuß das Strahlen in ihren Augen zu sehen, weil sie sich freute mich zu sehen und mein emotionales Gequassle für sie ein Zeichen von Lebenslust und Lebendigkeit war.

Als es an ihr Ende ging und ihre Schwester sie über eine große Entfernung zu sich holte, konnte ich sie nicht mehr besuchen.
Deshalb schrieb ich ihr, wie schon früher, lange Briefe mit meinen Alltagserlebnissen.
Sie konnte nicht mehr selber lesen, aber ihre Schwester las ihr die Briefe vor und ließ mir ausrichten, sie hätten selten so gelacht.
Dadurch war ich ihr so nah als säßen wir uns gegenüber.

Ich glaube es war für uns beide ein schönes Gefühl der Freundschaft und Verbundenheit, die ich auch heute noch für sie empfinde.
Wahrscheinlich wacht sie gerade über mich und es kommt ein Spruch von ihr, der da lautet:
"Chiron, das macht eine Dame nicht."
Darüber könnte ich heute noch lachen, denn sie war eine absolute Dame und tolle Frau.
Ich dagegen, immer schon etwas unkonventionell.

So war es bei mir. Was für Dich richtig ist, kannst nur Du selbst mit dem Bauch entscheiden.
Viel Glück dabei.

Liebe Grüße,

Chiron

[BinAmEnde]

Ich danke Euch!

Ich werde versuchen so schnell wie möglich meine Kraft zusammen zu raffen und hinzugehen. Denn es ist meine Chance, die Fehler der Vergangenheit, das Verhaltensmuster zu durchbrechen! Sie hat diesen Respekt einfach verdient! Ich hoffe, es haut mich nicht um! Natürlich habe ich Angst vor dem nächsten Tief, auch wenn ich derzeit recht stabil bin. Aber ich werde es tun! Um der alten Zeiten willen! Um ihr zu zeigen, dass ich sie nicht vergessen habe. Und weil sie meine Familie war, meine Vertraute, meine "Ersatz-Mama".

Liebe Grüße, Werner

[Emriye2]

[sunshine_do]

Hallo Werner

herzlichen Glückwunsch zu dieser Entscheidung. Ich denke, Du wirst es nicht bereuen. Ich wünsche Dir alles Gute und Stärke für diesen Besuch

viele Grüße
Sunshine

[BinAmEnde]

...Freitag ist es soweit! Ich werde hingehen. Mache mir zwar schon jetzt gedanklich in die Hosen, aber ich werde es tun! Habe mir Verstärkung gesucht, die mich begleiten wird, damit ich - naja, ich weiß nicht so genau warum. Vielleicht weil ich damit besser umgehen kann. Einen Rettungsanker vielleicht. Keine Ahnung.

Liebe Grüße, Werner

[Sunshine77]

Find ich echt klasse von dir Werner. Und auch das mit der seelischen Unterstützung find ich eine prima Idee! Berichte doch bitte mal wie es dir danach ergangen ist, ok? Würd mich echt interessieren...

LG,
Tini

[Ninuccia]

Hallo Werner,

ich muss mich Tini77 anschließen. Seelische Unterstützung oder ein Rettungsanker ist vollkommen in Ordnung.
Man muss nicht immer alles alleine durchstehen, auch nicht als Mann !!

Ich würde auch gerne erfahren wie es gelaufen ist.

Ich wünsche dir viel Kraft dafür.

alles Liebe, Ninu

[Sunshine77]

Hallo Werner,

Mußte ja ein bischen kramen um deinen Thread wiederzufinden, aber ich wollte mal gerne fragen wie der Besuch denn eigentlich für dich gelaufen ist?

Liebe Grüße,
Tini