Es geht auch wieder aufwärts - der Mutmachthread!

Lioness
Beiträge: 1911
Registriert: 29. Mai 2005, 23:21

Es geht auch wieder aufwärts - der Mutmachthread!

Beitrag von Lioness »

Hallo liebe Forumsgemeinde,

auf dem „Familientreffen“ in Düsseldorf am letzten Samstag konnten einige von uns berichten, dass es ihnen deutlich besser geht, was die Depression anbelangt. Es war eine echt wohltuende und aufbauende Erfahrung, auch diesen so positiven Aspekt der Krankheit miteinander zu teilen und sich gemeinsam an ihm zu freuen.

Da hier im Forum auch oft von (neuen) Teilnehmern, die akut in einer depressiven Phase stecken, die verzweifelte Frage zu lesen ist: „Gibt es überhaupt einen Weg aus der Depression? Wird es jemals wieder besser? Was hat Euch geholfen?“ etc., haben wir überlegt, ob es nicht sinnvoll sei, zu diesem Thema auch einen eigenen Thread zu eröffnen – zum Mut-machen, und quasi als Gegengewicht zu all den Threads, in denen sich zu den negativen Seiten der Depression ausgetauscht wird. Womit wir um Himmels willen nicht sagen wollen, dass das nicht richtig oder unangebracht ist! Jammern und sich trösten lassen hat seine Zeit und seinen Platz und seine ganz eigene therapeutische Wirkung.

Aber wir dachten halt auch, dass positive Ereignisse / Verläufe, ein Nachlassen der Depression, hier manchmal zu kurz kommen, wobei das in der Natur der Dinge eines Depressionsforums liegen mag.

Und natürlich hat es hier auch – wohl immer? – schon Berichte Einzelner gegeben, wenn es ihnen wieder besser ging. Werner-Dachte-Mal ist mir als letztes Beispiel noch präsent. (Huhu Werner!)

Wie dem auch sei, hier ist nun also der Thread für alle diejenigen, die eine Besserung, ein Nachlassen oder gar Verschwinden ihrer depressiven Symptome feststellen konnten und ihre Erfahrungen gerne mitteilen möchten – und vor allem für alle diejenigen, denen solche Berichte als Trost und Ermutigung hilfreich sein könnten.

In diesem Sinne: frohes Schreiben!

wünscht
Lioness



Wir brauchen den Blick nach hinten, um unser Leben zu verstehen. Wir brauchen den Blick nach vorne, um unser Leben zu LEBEN!
dore
Beiträge: 216
Registriert: 15. Mär 2006, 11:29

Re: Es geht auch wieder aufwärts - der Mutmachthread!

Beitrag von dore »

Schöne Idee!!

Finde ich wirklich gut, denn Aufbauendes und Tröstendes zu lesen, und somit mitzubekommen, dass es anderen auch irgendwann wieder besser geht, ist doch eine hoffnungspendende Tätigkeit hier im KND.

Gruß, Susann



Drei Dinge helfen, die Mühseligkeiten des Lebens zu tragen: Die Hoffnung, der Schlaf und das Lachen.

-Immanuel Kant-
Lioness
Beiträge: 1911
Registriert: 29. Mai 2005, 23:21

Re: Es geht auch wieder aufwärts - der Mutmachthread!

Beitrag von Lioness »

Danke, Susann,

dann mache ich mal den Anfang.....

... und ein Wort gleich vorweg:


Dies ist KEINE Gebrauchsanweisung nach dem Motto: „So kann’s klappen! Macht es so, und es geht Euch bald besser!"

Es ist mein persönlicher Weg mit der Krankheit Depression, es sind meine Erfahrungen und Strategien, es ist meine derzeitige Standortbestimmung.

Hmm, wo fange ich bloß an? Vielleicht mit der Kurzfassung der „klinischen Eckdaten“:

[Im lebensgeschichtlichen Vorfeld: mehrere durch verschiedene Lebensumstände ausgelöste psychische Störungen/ Zusammenbrüche (leider nie näher spezifiziert, kommen Depressionen schon recht nahe.....), Behandlung jeweils Psychotherapie / Psychopharmaka]

Spätsommer 2004: berufsbedingter Umzug (Seiteneinstieg in’s Lehramt = Referendariat) ganz allein in „unwirtliche“ neue Umgebung

---> unerkannter Ausbruch der Depression schon vor dem Umzug.

---> Druck und Stress auf der Arbeit (Arbeit an Hauptschule, Ausbildungssituation,
vor Allem aber mobbende Vorgesetzte)

lösen Anfang 2005 den völligen psychischen Zusammenbruch aus.

Was dann folgte, wird der Großteil hier so oder so ähnlich auch mitgemacht haben:

- stationäre Aufnahme in der Psychiatrie

- Diagnose (u.a.) Depression (wer hätte es gedacht.....) mit dem Vollbild einer schweren Episode:

- Gefühle, absolut versagt zu haben, wertlos zu sein, nichts zu können, keine Zukunft zu haben, etc.

- heftige akute Suizidgedanken = weiterer stationärer Aufenthalt zur Krisenintervention

- 6-wöchige medizinische Reha

- Krankschreibung insgesamt 6 Monate

Und auch das habe ich erleben müssen:

- Klinikärzte, die die Meinung der ambulanten Therapeutin, ich sei traumatisiert, nicht teilen und darauf beharren, ich solle doch an meinen Arbeitsplatz zurückkehren

- Ärzte (ambulant und Klinik), die mir sagen: „Sie sind doch so intelligent (und gläubig). Sie wissen doch schon, dass das Leben auch Leid bedeutet. Sie haben doch einen äußerst fähigen Kopf auf Ihren Schultern.“ usw. usw.

- keine sofortige therapeutische Hilfe vor Ort, Wartezeit überall mindestens 6 Monate, das daraus resultierende Gefühl, weiter allein und verlassen zu sein.

- eine ambulante Psychiaterin, die mich nach der Entlassung aus der stationären Krisenintervention genervt fragte, was ich denn nun bei ihr wolle, und mich überdeutlich nicht wirklich ernst nahm.

- eine Sammlung von mittlerweile 10 (in Worten: zehn!) psychiatrischen Diagnosen, die sich teilweise gegenseitig ausschließen (davon allerdings 5 Stück aus dem eigentlichen Umfeld der Depressionen)

Aber ich habe alles in Allem auch großes Glück im Unglück gehabt:

- ich gehöre offensichtlich zu den 70 %, bei denen ein AD gut anschlägt, und zwar gleich das erste Präparat (Mirtazapin)

- meine Depressionen / Zusammenbrüche haben eindeutig zuweisbare lebensgeschichtliche Ursachen und sind ganz offenkundig jedes Mal durch aktuelle belastende / negative Lebensumstände ausgelöst worden.

- ich habe im zweiten Anlauf eine erfahrene, einfühlsame Psychiaterin gefunden, die mich absolut ernst nahm und nimmt (in der schweren depressiven Episode gab’s selbstredend jede Woche einen Termin und die Option, jederzeit dort anrufen und einen Notfalltermin bekommen zu können, wenn „es“ nicht mehr geht).

Und die sich Woche für Woche geduldig mein Jammern und Klagen anhörte, nie mit auch nur einer Silbe durchblicken ließ, dass es sie vielleicht irgendwann doch mal nervte, sondern Woche für Woche beständig, oft nur mit anderen Worten, entgegensetzte: „Es wird auch wieder besser, Frau XY, ganz bestimmt. Es wird nicht so bleiben. Sie haben sich doch schon auf den Weg gemacht.“ Und sie hatte tatsächlich Recht......

- Ich habe – nach längerer nerviger Wartzeit mit etlichen Durchhängern- endlich DIE für mich passende Therapeutin und Therapieform gefunden

WAS HAT MIR GEHOLFEN? WAS WAREN MEINE STRATEGIEN?

1) Überhaupt endlich einmal eine konkrete psychiatrische Diagnose zu haben, und sich damit auseinandersetzen zu können.

In Folge erstmalig die Erkenntnis: Du bist nicht komisch, verkorkst, abnorm, anders, unmöglich....... Du bist krank, hast eine Störung, die ihre Ursachen hat – und bist damit alles andere als eine Außenseiterin! Es gibt so viele andere....

2) Eine reaktive Depression zu haben (s.o.) bedeutet konkret und praktisch, der Depression nicht ganz so gnadenlos ausgeliefert zu sein. In dem Maße, in dem ich zum einen mit therapeutischer Hilfe meine Lebensgeschichte weiter aufarbeitete und zum anderen etwas an meinen aktuellen Umständen zu ändern in der Lage war bzw. bin, machte die Depressionssymptomatik Schritt für Schritt den Rückzieher. Das wiederum half enorm in der Überwindung der Gedanken, macht- und hilflos zu sein.

Und es machte Mut zum weitermachen. Und ich muss mich nicht fragen: Warum ich? Warum habe ich eine Depression? Das „Warum“ ist glasklar......

3) Ganz, ganz wichtig: Hilfe und Unterstützung durch andere zu bekommen! Sei es durch meine Freunde (zweien von Ihnen verdanke ich aus meiner heutigen Sicht im wörtlichen Sinne, die schwere Depression überlebt zu haben......), sei es durch professionelle Hilfe (Psychiaterin, Psychotherapeuten, psychosozialer Fachdienst, Rehaberatung KK, Kliniken), und sei es vor allem durch den Austausch mit Leidensgenossinnen, in einer SHG und letztendlich hier im Forum!

An dieser Stelle zu schreiben, was mir dieses Forum und die entstandene Nähe und die konkreten Kontakte und Freundschaften zu Einzelnen hier bedeuten, würde den endgültig den Rahmen sprengen! Ich kann nur sagen, dass es ein ganz wesentlicher Faktor zu meiner Genesung war und ist!

4) Die Krankheit als zu mir gehörig zu akzeptieren, und sie als gegeben anzusehen. Auch hier war meine Psychiaterin federführend, indem sie mir recht früh reinen Wein einschenkte:

- ich habe aufgrund meiner Lebensgeschichte eine Neigung dazu, bei entsprechenden belastenden äußeren Faktoren mit einer Depression zu reagieren

- ich werde lernen müssen, mit der Krankheit zu leben, da kann man leider nicht sagen, dass man ein für allemal geheilt ist.

Das bedeutet – nach entsprechendem Hadern mit meinem Schicksal und schließlichem Schlucken der Kröte - im Positiven, dass ich gegen die Symptome der Krankheit sehr wohl kämpfen kann und muss – dass es aber reine Kraft- und Zeitvergeudung ist, gegen die Krankheit an sich zu kämpfen. Sie ist da und wird wohl im Hintergrund immer lauern.

5) Ich habe endlich die für mich bahnbrechende, stimmige und deutliche Fortschritte erzeugende Therapieform samt passender Therapeutin gefunden: Traumatherapie nach Reddemann/Huber!

Ich bin endlich diagnostiziert und anerkannt als unter einem komplexen Trauma und seinen Folgen leidend – aber eben gut in der Bewältigung sich befindend!

6) Ich habe im Verlauf der Therapie zwei entscheidende Dinge gelernt:

- Die Dinge Schritt für Schritt anzugehen: jeden Tag, jede Woche, jeden Abschnitt für sich anzugehen und ihn zu bewältigen. Und nicht mehr auf die Gesamtheit all dessen zu blicken, was noch vor mir liegt, was noch zu schaffen ist, und daran schier zu verzweifeln.

- Für mich selber gut zu sorgen; auf die Stimme meines Inneren Kindes und seine Bedürfnisse zu hören; und mich selber mehr so zu nehmen, wie ich bin, mit allen Fehlern und Schwächen, und es ist gut so!


WIE GEHT ES MIR AKTUELL?

Hier, jetzt und heute kann ich sagen, dass es mir wieder richtig gut geht:

- Ich fühle mich fit, voller Energie und Tatendrang.

- Ich fühle mich psychisch recht stabil.

- Ich habe wieder Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten.

- Ich kann wieder voll Zuversicht in die Zukunft schauen, Dinge planen etc.

- Ich kann wieder ganzheitlich und in Zusammenhängen denken, meine Konzentrationsfähigkeit ist fast auf dem Level, auf dem sie vorher war.

- Ich sehe nicht mehr das Examen als unüberwindlich erscheinenden Berg vor mir, sondern als Herausforderung, die ich wohl meistern werde.

- Ich kann einzelne auch heute noch auftretende Symptome /Aspekte ertragen / aussitzen und verfalle nicht in Enttäuschung und Panik, wenn sie auftreten.

Lediglich die Gefühlsebene hinkt in der Besserung noch hinterher – richtig weinen /traurig sein / aus der Haut fahren geht immer noch nicht – vielleicht auch eine NW des ADs?

Ich habe durch die Medikamente über 20 kg zugenommen und fühle mich damit weder wohl noch attraktiv oder gar sexy – ABER das ist im Moment für mich absolut sekundär gegenüber der Erleichterung, mich ansonsten wieder gut und fast „normal“ zu fühlen. Kommt Zeit, kommt Rat, kommt Gewichtsreduktion!

Es ist mir auch bewusst, dass sich dieser Status Quo auch wieder verschlechtern, die Krankheitssymptomatik wieder aufflackern kann. Doch für den Moment genieße ich diesen Zustand, dieses Gefühl, nach über zwei Jahren wieder auf so einem Level zu sein, und freue mich einfach darüber, gerade auch im Hinblick auf das, was ich – für den Moment – überwunden habe.

______________________________________________________________________________

Ein ellenlanges Posting, ich weiß! Aber mir war wichtig, neben dem positiven Jetztzustand auch die ganzen Abgründe, die eine schwere Depression so mit sich bringt, zu schildern – und zu bekräftigen, dass auch aus solchen Abgründen ein Weg wieder herausführt!

Nochmals: Dies ist nicht DER Weg aus der Depression heraus! Es ist EIN Weg, eben MEIN Weg, der so einzigartig ist wie ich und meine Form der Depression. Jeder Mensch ist einzigartig, jede Depression ist anders, und manches, was ich geschildert habe, wird anderen Betroffenen vielleicht nicht weiterhelfen. Es ist mein subjektiv erfahrener Weg mit und aus der Krankheit heraus, zurück ins Leben. Aber ich hoffe sehr, dass er anderen Mut macht und Kraft gibt, durchzuhalten, weiterzukämpfen, sich Hilfe zu suchen und diese auch anzunehmen etc.

Aus diesem Grunde bitte ich auch ernsthaft und inständig darum, hier keine Diskussionen über einzelne Aspekte oder das Thema als solches aufkommen zu lassen!

LG
Lioness



Wir brauchen den Blick nach hinten, um unser Leben zu verstehen. Wir brauchen den Blick nach vorne, um unser Leben zu LEBEN!
Murmelina
Beiträge: 113
Registriert: 15. Mai 2006, 07:35

Re: Es geht auch wieder aufwärts - der Mutmachthread!

Beitrag von Murmelina »

Ingrid2
Beiträge: 117
Registriert: 13. Jan 2006, 19:46

Re: Es geht auch wieder aufwärts - der Mutmachthread!

Beitrag von Ingrid2 »

Liebe Lioness,

ich danke dir sehr für deinen ausführlichen Bericht.

Besonders wichtig ist mir zum jetzigen Zeitpunkt, was du über deine Psychiachterin geschrieben hast:
"Und die sich Woche für Woche geduldig mein Jammern und Klagen anhörte, nie mit auch nur einer Silbe durchblicken ließ, dass es sie vielleicht irgendwann doch mal nervte, sondern Woche für Woche beständig, oft nur mit anderen Worten, entgegensetzte: „Es wird auch wieder besser, Frau XY, ganz bestimmt. Es wird nicht so bleiben. Sie haben sich doch schon auf den Weg gemacht.“ Und sie hatte tatsächlich Recht......"

Mir war und ist es immer wieder richtig peinlich, zu jammern und zu klagen. Deshalb halte ich mich in dieser Hinsicht oft zurück, auch wenn mir mein Psychiater ähnliches sagt wie dir deine Ärztin.

Dass es dir jetzt so gut geht, lässt mich hoffen, dass es vielleicht auch bei mir aufwärts gehen wird.

Nochmals vielen Dank


Ingrid
Murmelina
Beiträge: 113
Registriert: 15. Mai 2006, 07:35

Re: Es geht auch wieder aufwärts - der Mutmachthread!

Beitrag von Murmelina »

Lioness
Beiträge: 1911
Registriert: 29. Mai 2005, 23:21

Re: Es geht auch wieder aufwärts - der Mutmachthread!

Beitrag von Lioness »

Hallo Murmelina,

das Alter der "Familie Kompenet" reicht von Mitte zwanzig bis ich glaube gut in die 50'er hinein - bin selber 42 - , ist aber völlig irrelevant, ganz ehrlich! Jeder und jede ist herzlich willkommen.

Wir würden uns sehr freuen, Dich beim nächsten Mal, am 1. Advent, unter uns begrüßen zu können!

Lieben Gruß
Lioness



Wir brauchen den Blick nach hinten, um unser Leben zu verstehen. Wir brauchen den Blick nach vorne, um unser Leben zu LEBEN!
Murmelina
Beiträge: 113
Registriert: 15. Mai 2006, 07:35

Re: Es geht auch wieder aufwärts - der Mutmachthread!

Beitrag von Murmelina »

ghana
Beiträge: 686
Registriert: 6. Feb 2006, 20:22

Re: Es geht auch wieder aufwärts - der Mutmachthread!

Beitrag von ghana »

Liebe Forianer,

ich finde Lioness Vorschlag, mit diesem thread Mut zu machen richtig gut.
Vor drei Jahren stieß ich auf dieses Forum. Damals hatte ich gerade meine Diagnose "Depression" bekommen und wollte mich über die Krankheit und ihren Verlauf kundig machen. Hier im Forum las ich dann überwiegend von Leuten, die schon das X. AD ohne Erfolg ausprobiert hatten, die seit Ewigkeiten auf einen Therapieplatz warteten usw. Das hat mir damals unheimlich Angst gemacht.

Ich hoffe, dass dieser thread ein kleines Gegengewicht bieten kann und Hoffnung und Mut spendet.

Zu meiner "Geschichte":

- mehrere Verwandte mit psychischen Krankeiten, v. a. Depressionen, u. a. auch meine Mutter (= genetische Disposition + Möglichkeit, depressives Verhalten zu "lernen")
- 1. (diagnostizierte?) depressive Episode mit 23 Jahren während der Arbeit an der Abschlussarbeit des Studiums:
-- große, von nichts und niemandem ausräumbare Zweifel an meiner Leistungsfähigkeit bis hin zur absoluten Schreibhemmung
-- fast alle "üblichen" depressiven Symptome inkl. Suizidalität + deutliches somatisches Syndrom + Angst
--> Diagnose: mittelgradige depressive Episode

Ich war felsenfest überzeugt, dass mir aus meiner Situation nichts und niemand heraushelfen konnte.
Meine Mutter schleppte mich zur Psychiaterin, die sehr nett war und sich fast zwei Stunden Zeit für mich Zeit genommen hat . Sie empfahl eine Einweisung als Notfall in die Psychiatrie, was ich aber ablehnte, u. a., weil ich mich von meinen Eltern, die Psychiatrieaufenthalte bei Depressionen als "nicht hilfreich" ansehen, sehr unter Druck fühlte.
Als "Kompromiss" bekam ich Paroxetin, zweimal pro Woche einen Termin bei der Ärztin, eine einmonatige Krankschreibung trotz meinen Einwänden und die Auflage, höchstens vier Stunden pro Tag vor der Abschlussarbeit zu sitzen. Letzteres riet sie mir GANZ, GANZ dringend.

Diese Anweisung war für mich Gold wert(wenn auch SEHR SCHWRER einzuhalten), da somit der Kreislauf geschwächt war, dass ich mich den ganzen Tag und die halbe Nacht pausenlos damit runterzog, vor dem Computer zu sitzen und nichts zustande zu bringen.
Wichtig war für mich auch die Versicherung der Ärztin, dass meine Denkprobleme Symptom der Krankheit seien und wieder abklingen würden.

Besonderes Glück hatte ich mit dem AD, das bereits nach knapp zwei Wochen und ohne NWs zu wirken begann.
Nach drei Wochen konnte ich mir zumindest wieder vorstellen, dass meine Arbeit irgendwie "durchkommen" würde, konnte wieder daran weiter schreiben und sie schließlich fristgerecht abliefern.
Dass meine Wahrnehmung meiner Fähigkeiten in der Depression total verschoben war, wurde mir einige Wochen später durch die gute Benotung der Arbeit "bewiesen" ...

Tierische Angst hate ich, jemandem zu sagen, was mit mir los war. Als ich es dann bei einigen wenigen wagte, war ich total überrascht
1. dass diese Menschen Wissen über die KRANKHEIT Depressionen hatten und dass jedervon ihnen irgend jemanden anderen kannte, der auch unter Depressionen litt
2. dass sie die Krankheit entsprechend (relativ) ernst nahmen
3. dass sie mich trotzdem noch "mochten"

Riesig enttäuscht von mir war ich, als ich in der Lehrerausbildung zwei Jahre später wieder in eine ähnlich schwere depressive Episode rutschte. Meine Ausbildung hätte ich damals fast abgebrochen - wenn ich nicht wieder "Glück" gehabt hätte. Mit dem Arzt kam ich zwar diesmal schlecht zurecht, aber wieder half mir das Paroxetin schnell aus dem "Gröbsten" heraus.

Besonders hilfreich war und ist für mich auch mein Partner, der mich zum einen einfach "festhält" und zum anderen "kreative anti-depri Einfälle" hat : Aktuell muss ich ihm z. B. täglich etwas Positives von der Arbeit erzählen. Das bewirkt, dass ich mich schon während der Arbeit eher auf Positives konzentriere, damit ich auch was zu berichten habe .

Kurzfassung:
Hilfreich ist /sind für mich
- das für mich passende AD gefunden zu haben
- Freunde, die mich und meine Krankheit ernst nehmen
- mein Freund

Stefanie
"Am dunkelsten ist es immer vor der Dämmerung." (Eoin Colfer)
Clown
Beiträge: 4328
Registriert: 8. Nov 2004, 18:22
Kontaktdaten:

Re: Es geht auch wieder aufwärts - der Mutmachthread!

Beitrag von Clown »

Hallo Stefanie,

heißt das, dass du gar keine Psychotherapie machst/brauchst?

Mir ist an deinem Bericht noch aufgefallen, dass du viele Begriffe in Anführungszeichen setzt, z.B. 'Glück'. Gerade bei diesem Wort würde mich interessieren, warum du es gemacht hast.

Freundliche Grüße,
Clown
"Realize deeply that the present moment is all you ever have. Make the Now the primary focus of your life."
Eckhart Tolle
findulin
Beiträge: 191
Registriert: 13. Mai 2006, 12:33

Re: Es geht auch wieder aufwärts - der Mutmachthread!

Beitrag von findulin »

Hallo,
Klasse Lioness,
es ist schon immer gut zu lesen,das es einen Weg nach draußen gibt.Den habe ich mittlerweile gefunden.Plage mich aber immer noch mit wiederkehrenden Schüben der Depression rum, diese sind nicht mehr so Stark wie am Anfang und mittlerweile habe ich auch eine AD-Kombination die mir gut hilft.
Ganz besonders hilfreich war es für mich EMDR zu machen.Eigentlich hatte ich die Hoffnug auf Besserung zu diesem Zeitpunkt schon aufgegeben.(Gerade wegen dieser Erfahrung finde ich diesen Thread so wichtig)Aber ich wollte es dennoch nicht akzeptieren. Also an Alle,Depressionen sind behandelbar,auch wenn es manchmal dauert bis die passende Methode gefunden ist.Seit meiner Traumabearbeitung geht es mir gut.Ich bin in der Lage mein Leben zu meistern ohne ständig nach Hilfe zu schreien.Und ich genieße endlich wieder das Leben.(Nun nicht jeden Tag,der heute war Scheiße, habe mich kräftig mit meinem Mann gezofft)Aber auch das ist für mich kein Weltuntergang.Schließlich gehörn Konflikte zum Leben dazu.
Letzten Samstag saß ich im Eiskaffe unterhielt mich mit netten Leuten und dachte mir wie schön ist das Leben !!
In diesem Sinne
LG
Kathrin
ghana
Beiträge: 686
Registriert: 6. Feb 2006, 20:22

Re: Es geht auch wieder aufwärts - der Mutmachthread!

Beitrag von ghana »

Liebe Clown,

>> Heißt das, dass du gar keine Psychotherapie machst / brauchst? >>

Verständlich, dass dir der Gedanke kommt, weil ich nichts von meinen beiden VTs geschrieben habe. Ich tat mir schwer mit dem Formulieren, habe etwas zur Therapie geschrieben, gelöscht, wieder geschrieben, wieder gelöscht ... besonders in diesem thread fällt es mir schwer, weil die Therapien nicht zu dem zählen, was ich als hilfreich erlebt habe. Andererseits kann ich auch nicht klar fassen, warum genau sie mir nicht geholfen haben, denn mit den beiden Therapeuten habe ich mich durchaus verstanden. Klar, die Therapien waren extrem kurz: Die erste wurde vom Therapeuten nach 12 Sitzungen beendet (er meinte, das reiche, ich bräuchte im Moment keine Therapie mehr) und die andere ist nach 15 Stunden zu Ende gegangen, weil ich a) umgezogen bin und b) auch dieser Therapeut nicht die Notwenidgkeit sah, dass ich die Therapie am neuen Wohnort fortführe.
Ich habe wegen der Therapiegeschichte aber ziemlich Bauchgrummeln, weil ich mich bisher kaum verändert habe und ich daher eine weitere Episode bei mir für nicht unwahrscheinlich halte.

Oh, du hast Recht, ich habe heute massenhaft "" gesetzt *amkopfkratz*! Ich setze "" wenn ich zitiere (z. B. bei "Kompromiss" oder "nicht hilfreich") oder wenn mir ein Wort in dem Zusammenhang nicht ganz passend erscheint. Das ist z. B. auch bei "Glück" der Fall gewesen. Klar ist es richtig Glück, dass mir wieder so schnell geholfen wurde, aber die Umstände, warum ich Hilfe brauchte, empfand ich ja alles andere als glücklich ...

Ich hoffe, jetzt ist es klarer - irgendwie ist heute nicht mein Tag, was das Formulieren betrifft.

LG
Stefanie
"Am dunkelsten ist es immer vor der Dämmerung." (Eoin Colfer)
Clown
Beiträge: 4328
Registriert: 8. Nov 2004, 18:22
Kontaktdaten:

Re: Es geht auch wieder aufwärts - der Mutmachthread!

Beitrag von Clown »

Danke Stefanie für die Zusatzinfo

«...weil ich mich bisher kaum verändert habe und ich daher eine weitere Episode bei mir für nicht unwahrscheinlich halte.»

Das klingt, als ob du wüsstest, was du anders machen müsstest, um gesund zu bleiben?
Ist nur so ein Eindruck von mir gerade...brauchst gar nicht zu antworten, Stefanie, ich will dir nicht zu nahe treten.

Alles Gute,
Clown
"Realize deeply that the present moment is all you ever have. Make the Now the primary focus of your life."
Eckhart Tolle
ghana
Beiträge: 686
Registriert: 6. Feb 2006, 20:22

Re: Es geht auch wieder aufwärts - der Mutmachthread!

Beitrag von ghana »

Hallo Clown,

bäh, ich antworte trotzdem !

Na ja, so ungefähr weiß ich schon, was ich anders machen sollte.
Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass ich der Mensch, der ich dann sein würde, gerne wäre. Ein paar Eigenschaften und Fähigkeiten von mir sind mir einfach wichtig - die möchte ich nicht aufgeben. Ich glaube, ohne sie würde ich mich auch nicht wohl(er) fühlen.

LG
Stefanie
"Am dunkelsten ist es immer vor der Dämmerung." (Eoin Colfer)
Chiron
Beiträge: 2006
Registriert: 14. Feb 2005, 15:45

Re: Es geht auch wieder aufwärts - der Mutmachthread!

Beitrag von Chiron »

Hallo Lioness,

das war eine gute Idee mit diesem Thread!

Am meisten freute es mich zu lesen, dass Du keine Angst mehr vor dem Examen hast und es als Herausforderung siehst, die Du meistern wirst.
Aber davon war ich schon vorher überzeugt, denn Du bist eine starke Frau.

Hier nun meine Geschichte als Mutmacher für alle Neuerkrankten:

Mit 2,5 Jahren erlitt ich einen schweren Unfall und wurde 10 Tage und Nächte im Krankenhaus fixiert. Das führte bei mir zu einem anhaltendem Trauma.

Mit 11 Jahren fing meine Depression aus heutiger Sicht an. Sie äußerte sich in unerklärlichen Magenschmerzen.

Zwischen 12 und 13 Jahren, 3 SM-Versuche.
Ein Besuch beim Psychiater, der mir nur rosa Pillen aufschrieb, die nicht viel halfen.

Mit 17 Jahren Mobbing auf der Arbeit.
Ich bekam wöchentlich Depot-Spritzen über ein halbes Jahr.

Mit 19 Jahren der Versuch einer Therapie, die nie richtig statt fand, weil die Termine ständig ausfielen und ich dann keine Lust mehr hatte.

Mit 24 Jahren nochmal eine schwere depressive Phase, wieder ein Versuch beim Psychologen.
Seine Meinung: "Sie sind eine intelligente junge Frau. Ich weiß nicht wie ich ihnen helfen soll."

Heirat mit 25 Jahren. Danach Geburt 2-er Söhne. Es folgten zig körperliche Krankheiten, Erschöpfungszustände.
Aus heutiger Sicht eine versteckte Depression.

Endlich im Alter von 40 Jahren, die Bekanntschaft einer Narkoseärztin im Krankenhaus, als eine Bauchspiegelung wegen starker Bauchkrämpfe durchgeführt werden sollte.
Sie schickte mich zu einer Psychiaterin.
Die Behandlung konnte beginnen.

Der erste Krankenhausaufenthalt wegen einer schweren Depression folgte. Einnahme von AD`s.

Danach sporadische Termine bei einem Psychotherapeuten.

2 weitere Krankenhausaufenthalte folgten im Abstand von ca. 1 Jahr.

Letztes Jahr Trennung von der Familie, weil ich erkannte, wie sehr mich meine gescheiterte Ehe weiter in der Depression verharren ließ.

Meine Diagnosen:

Bipolar affektive Störung, Anpassungsstörung wegen meines erlittenen Trauma.

Seither immer wieder starke Stimmungsschwankungen nach oben oder unten.

Mittlerweile nehme ich dagegen Lamotrigin in Höhe von 200 mg täglich am Abend.

Zurzeit fühle ich mich gut und glaube das Medi hilft.

Ich akzeptiere inzwischen meine Krankheit und weiß, dass sie nie verschwinden wird, aber ich damit leben kann, wenn ich mich an ein paar Spielregeln halte.

Das Forum entdeckte ich vor ca. 3 Jahren.
Anfangs war ich nur stille Mitleserin, weil ich dachte: "Oh weh, die kennen sich ja alle."

Inzwischen weiß ich, dass hier jeder willkommen ist und jeder mal sein erstes Posting verfasste.

Für Eure Unterstützung hier, bin ich unendlich dankbar. Denn sie half/hilft mir so manche Klippe meiner Krankheit zu umschiffen.

Aus jedem Tief geht es wieder heraus.

Davon bin ich inzwischen überzeugt.
Ebenso gehört es dazu, stimmungsmäßig mal oben oder mal unten zu sein.

Bei manchen, heilen Depressionen durch die richtige Behandlung wieder.
Bei anderen, so wie bei mir, gehören sie zum Leben dazu, was nicht heißt, dass ich dauerdepressiv bin.
Auch mit chronischen Depris kann man mit der entsprechenden Behandlung ganz gut leben.

Alles Liebe und Gute für Euch,

Chiron
"Was mich nicht umbringt, macht mich noch stärker."
Kiesch
Beiträge: 154
Registriert: 16. Sep 2006, 19:13

Re: Es geht auch wieder aufwärts - der Mutmachthread!

Beitrag von Kiesch »

Danke liebe Lioness, dass du diesen Thread eröffnet hast)))))

Zu mir:

Vor ca. 10 Jahren erste depressive Phase mit extremen Angstzuständen und psychosomatischen Störungen.
Nach langem hin und her ein Klinikaufenthalt von 12 Wochen und danach 2 Jahre ambulante Psychotherapie.
Es war toll, es ging mir wieder gut und bis 2004 hatte ich ein absolut tolles Leben.

Seit 2004 krankheitsbedingte erneute auftretende Depressionen und auch Angstzustände. Konnte meinem eigen erstellten Leistungsdruck durch chronische Krankheit nicht mehr standhalten.

Es folgte erst die ambulante Schiene, dann ein 5 wöchiger Klinikaufenthalt. Danach erstmal lange nichts.......bis auf die Depri die nicht von mir weichen wollte.
Nun seit einiger Zeit in einer Tagesklinik aber nur ambulant in psychatrischer und therapeutischer Betreuung. Die Einnahme eines AD`s was mir sehr hilft und vor allem der Kontakt zu gleichgesinnten.

Heute gehts bei mir sicher noch oftmals Auf und wieder ganz steil bergab, aber nicht mehr zu vergleichen mit den letzten 2 Jahren, als alles wieder von vorne begann.

Die chronische Krankheit ist geblieben und wird mich immer wieder in meine Schranken weisen und dennoch habe ich in meiner kleinen Welt gelernt etwas besser damit umzugehen.

Was mir wirklich hilft möchte ich nochmal aufzählen:

Mein AD
Der Anschluss an die Klinik in der ich jederzeit um Hilfe bitten kann
Mein Mann, der gelernt hat mit mir und den Depris umzugehen
Und auch der ständige kontakt zu gleichbetroffenen

Das alles sagt mir, dass ich wieder eine Stabilität erreichen kann, wenn ich rechtzeitig um Hilfe bitte und mich nicht irgendwo verstecke, wo niemand ahnen kann, wie es mir wirklich geht.

Also Mut dazu geben möchte sich fachliche Hilfe zu holen und sich nicht zu scheuen Kontakte zu gleichgesinnten aufzubauen))))

Ich bin mir sicher, jeder kann für sich diesen langen und beschwerlichen Weg aus der Depression schaffen, wenn er sich selber ernst nimmt und nicht in Verzweiflung ersticken möchte.

Liebe Grüsse
skippie
Denker
Beiträge: 645
Registriert: 11. Apr 2005, 13:55

Re: Es geht auch wieder aufwärts - der Mutmachthread!

Beitrag von Denker »

Danke Lioness,
ein wunderbarer Thread, ich hoffe, es werden noch viele Berichte folgen. Hier der meinige:
Ich bin heute 47 und denke, meine erste depressive Episode mit SM-Gedanken hatte ich etwa mit 15. Diagnostiziert wurden die Depris allerdings erst vor gut 2 Jahren. Damals befand ich mich in einer akuten Überlastungssituation. Ich hatte heftigen beruflichen Stress, mein Schwiegervater starb und meine Ehe stand auf der Kippe. Es freut mich, dass ich gerade heute diesen Bericht schreiben kann, denn heute ist unser 15. Hochzeitstag und ich kann heute mit Stolz behaupten, dass unsere Ehe die Krankheit nicht nur überlebt hat, sondern dass unsere Beziehung auch an dieser Krankheit gewachsen ist! Aber der Reihe nach:
Im Sept. 2004 habe ich mich erstmals in die Hände eines Neurologen begeben, der eine mittelgradige Depression feststellte, mir 2 Antidepressiva verschrieb (Fluoxetin zur Stimmungsaufhellung und Antriebssteigerung und Mirtazapin zum Schlafen) und mir eine Psychotherapie empfahl.
Ich hatte doppeltes Glück: Die Medikamente brachten relativ schnell Linderung und trotz Antriebsschwäche gelang es mir, relativ schnell einen Therapieplatz zu finden. Mache jetzt seit 2 Jahren Verhaltenstherapie und finde das nach wie vor sehr wichtig. Ich betrachte die Antidepressiva als so etwas wie ein Schmerzmittel für die Seele. Akut sehr hilfreich, aber sie ändern langfristig nichts an den verkehrten Denkweisen, die mich in die Depression getrieben haben! Das war insbesondere ein zu hoher Anspruch an mich selber, Perfektionismus, das Gefühl nur geliebt oder anerkannt zu werden, wenn ich etwas dafür leiste... Das führte dazu, dass ich mich immer mehr von meinen eigenen Bedürfnissen entfernt habe, sie eigentlich gar nicht mehr kannte. Und das führte zu einer großen Leere und Sinnlosigkeit in meinem Leben. Und diese Einstellungen kann man mit einer Verhaltenstherapie langsam aber stetig verändern. Es erfordert allerdings Geduld.
Im Frühling 2005 konnte ich Mirtazapin absetzen und im Sommer 2005 setzte ich auch das Fluoxetin ab. Ich machte das jeweils nach Rücksprache mit meinem Arzt und in kleinen Schritten, nicht abrupt. Dann ging es allerdings wieder bergab. Bei meiner Schwiegermutter wurde Hautkrebs festgestellt, was neben vielen Ängsten auch eine Menge Stress bedeutete. Als absehbar war, dass der berufliche Stress auch wieder zunehmen würde, entschloss ich mich nach 2 Monaten Pause, dass Fluoxetin wieder zu nehmen. Es war wohl eine richtige Entscheidung, den es ging mir schnell besser. Danach habe ich bis vor 1 Woche noch eine halbe Dosis Fluoxetin als Rückfallprophylaxe genommen und weil es mir immer noch gut geht bin ich gerade dabei, auch diese letzten mg auszuschleichen.
Ich denke genau wie viele anderen, dass die Depris nie ganz weg sind und immer irgendwie im intergrund auf ihre Chance lauern. Trotzdem bin ich ganz optimistisch, dass ich es künftig ohne die chemische Krücke schaffe, denn ich habe insbesondere gelernt, meine Gefühle zu beachten und insbesondere meine Gedanken. Ich erkenne heute sofort, wenn ein Gedanke zu meinen Depressionen gehört und dann denke ich eben etwas anderes.
Im Beruf habe ich meinem Leistungsdenken abgeschworen und siehe da, es geht auch anders!
Trotzdem habe ich natürlich noch so meine Baustellen:
Manchmal fühle ich mich noch sehr schlapp und energielos. Dann hänge ich zu sehr vor dem Fernseher ab, anstatt die Dinge zu tun, die ich gerne tun würde und die eigentlich auch meine Batterien wieder aufladen würden. Das will ich ändern!
Beruflich habe ich so meine Probleme mit Aufschieberitis (Prokrastination). Auch daran will ich weiter arbeiten, denn das ist ein großer beruflicher Stressfaktor und somit ein großes Rückfallrisiko.
Was hat mir geholfen:
Zu erkennen, dass ich nicht faul und undiszipliniert bin, sondern krank. Auch für meine Frau war es wichtig, die Depression als Krankheit anzuerkennen. Danach konnte sie anders damit umgehen.
Der Kontakt mit Betroffenen, sei es hier im Forum oder aber in meiner Selbsthilfegruppe. Es tut gut, wenn man weiß, dass es einem nicht alleine so geht. An dieser Stelle ein besonderer Dank an alle, die dieses Forum am Leben halten, sei es als Admins oder als Betroffene.
Infos, sei es aus Büchern oder aus dem Internet. Wohl jeder stellt sich irgendwann einmal die Fragen: Was will mir diese Krankheit sagen? Warum trifft es gerade mich? Ein Buch möchte ich hier besonders hervorheben: Josef Giger-Bütler: Sie haben es doch gut gemeint. Dieses Buch half mir zu verstehen, was in meiner Kindheit mit mir gemacht wurde und wie daraus später Depressionen wurden. In diesem Buch habe ich mich wie in keinem anderen wiedergefunden!
Meine Frau hat mich sehr unterstützt. Meine Therapeutin sagt immer: "Man wird nicht pflegeleichter durch die Therapie" und da hat sie vollkommen recht. Meine Frau hat sehr viele Veränderungen an mir erlebt in den letzten beiden Jahren. Und die waren für sie nicht immer zum Vorteil.
Meine Arbeitskollegen und mein Chef wissen auch, was mit mir los ist und sie behandeln mich immer noch wie einen normalen Menschen. Auch das hilft.
Insgesamt kann ich mich heute besser abgrenzen und mehr zu meinen Bedürfnissen stehen. Das führt dazu, dass der Akku nicht so schnell leer wird. Ich weiß, welche Dinge meinen Akku wieder auffüllen und ich bemühe mich, dass diese Dinge im Alltag nicht zu kurz kommen.
Und ich kann mir heute vorstellen, dass ich ein liebenswerter Mensch bin und einen Wert habe, auch wenn ich dafür nichts spezielles leiste. Das hilft mir, meinen perfektionistischen Leistungsanspruch herunterzuschrauben.

Ich kann heute nicht ausschließen, dass ich auf extremen Stress wieder depressiv reagieren werde. Aber ich denke:
Die Grenze für diesen Stress liegt heute höher.
Ich würde früher erkennen, was mit mir los ist.
Und ich würde mich in diesem Fall nicht scheuen, mir wieder Hilfe zu suchen und auch erneut Medikamente zu nehmen.

Es gibt einen Weg aus der Depression! Jeder muss seinen eigenen Weg finden, meine Geschichte ist nur ein Beispiel. Der Weg ist nicht unbedingt bequem, aber es gibt auch sehr viel zu gewinnen. Mein Leben ist heute ein anderes und ich möchte mein altes Leben nicht wieder haben, denn das ist es, was mich depressiv gemacht hat.
Liebe Grüße
Denker
deary
Beiträge: 424
Registriert: 17. Jun 2005, 13:05

Re: Es geht auch wieder aufwärts - der Mutmachthread!

Beitrag von deary »

Liebe Lioness!

Es freut mich, zu lesen, dass es Dir besser geht.

Und ich gratuliere Dir, dass Dein langer beschwerlicher Weg endlich die ersten deutlichen Erfolge zeigt!!!!

Allerdings empfinde ich es komischerweise hier im Forum nicht so, dass die andere Seite- die Forianer, die über Jahre in der Depression sind- ein Übergewicht bilden.

Früher gab es hier im Forum zwei Rubriken, die jetzt zu einer zusammengefasst wurde ( "Umgang mit der Krankheit und "Umgang mit Krisen"), wahrscheinlich der Einfachheit halber.
Da hattest Du dann die zwei "Fraktionen" deutlich getrennt, jetzt ist alles in EINER Rubrik, der , in der wir gerade schreiben.!

Wenn ich Bücher über Depression lese ( und das habe ich reichlich getan) , habe ich dabei immer die " Fälle " vermisst, die eben über Jahre sich hinziehn.
Ich habe noch neulich mit Freunden darüber geredet , warum das wohl so sei.
Die meisten waren der Ansicht, man wolle die Betroffenen nicht demotivieren, z.b . auch in dem famosen Buch von Hegerl/ Althaus/Reiners " Das Rätsel Depression" -eine Krankheit wird entschlüsselt werden "Zeiten "einer Depression genannt "bis zu 9 Monate" , dass ich mich beim Lesen echt gefragt habe, wo die diese Zeiten hernehmen.
Ist die Diagnose "evtl. Lebenslänglich" zu unaushaltbar???

Oder dauert eine Depression tatsächlich in der überwiegenden Zahl der Fälle nicht lebenslänglich?
(ich weiß es nicht.)

Viele, die hier im Forum geschrieben haben, haben sich ohne zu verabschieden "davon gemacht", nachdem sie gesund geworden sind, deshalb finde ich es gerade gut, wenn auch diejenigen schreiben, denen es besser geht.

( Aber vielleicht hast du auch deshalb den Eindruck, liebe Lioness, dass hier vermehrt die "noch Steckengebliebenen" schreiben.)

Es ist ganz natürlich ,denke ich, dass Du uns, denen es nicht so gut geht wie Dir, Lioness, auch Mut machst mit diesem Thread und dafür möchte ich Dir danken.

Aber auch dem anderen Gefühl, das beim Lesen Deines Beitrages mitschwang, möchte ich hier Raum geben.

Wenn ich Deinen Beitrag lese, dann wird mir schwindlig, als ob ich an einem Riesen- Sky-Sraper-Hochhaus hochschaue...
Ich weiß nicht genau, warum.
Vielleicht ob des langen Weges, den ich noch vor mir sehe, wenn ich all das lese, was Du bereits geschafft hast.

Bei mir lautet die Diagnose zwar nicht "reaktive", aber Du hast ja selber festgestellt, wie widersprüchlich Diagnosen sein können.

Worin ich mich auf jeden Fall wiederfinde in deinem Fall, das ist die Grund-Traumatisierung und die Depression, die u.a. dann bei Belastungen auftritt.

Ich weiß, dieser Beitrag ist nicht so sonderlich strukturiert, aber ich hatte das Gefühl, das mal aufschreiben zu müssen.

(Ich hoffe, Du verstehst mich richtig, ich freue mich natürlich sehr über Deinen Riesen-Schritt in Richtung Gesundheit , wie auch bei den anderen, deren Geschichte man hier verfolgt, und die es schaffen, wieder stabil (-er) zu werden.)

(Du hast ja geschrieben , Du möchtest keine Diskussion über einzelne Komponenten Deines Beitrages, ich hoffe, dass dies hier nicht als solcher Beitrag zu werten ist.?!!!!)


Ich wünsche Dir, liebe Lioness, auf deinem Weg weiterhin alles Liebe und Gute, dass Du das Examen packst, dass Du weiterschreibst hier im Forum, auch wenn es Dir weiterhin besser geht , und dass Du weiterhin so viel Mut verbreitest !
Und last- but not least- hoffe ich, Dich und die ganze Düsseldorfer Truppe doch irgendwann mal persönlich kennen zu lernen, denn die Beschreibung Eures Treffens klang ganz toll.

(leider hab ich das letzte Treffen verpasst, aber den neuen Termin am 1. Advent habe ich mir notiert, natürlich nur für den Fall, dass ich noch willkommen bin?!!)
(hoffnungsvoll und lieb-guck...)

Liebe Grüße
deary
Lioness
Beiträge: 1911
Registriert: 29. Mai 2005, 23:21

Re: Es geht auch wieder aufwärts - der Mutmachthread!

Beitrag von Lioness »

Hallo Deary,

lieben Dank für Deine ausführliche Antwort - und nein, ich sehe das nicht als Diskussion an, Gott bewahre. Es ist ein konstruktiver Kommentar, absolut am Platze und legitim. Was ich verhindern wollte, ist eine Diskussion á la "ich sehe das aber ganz anders" oder "so ist das nicht richtig" etc..

Stimmt, ich habe bereits eine ganze Menge Weges hinter mich gebracht - aber ich habe eben auch so richtig tief im dunklen Loch gesessen, ohne Kraft, und hätte nie und nimmer gedacht, dass ich so weit komme, dass so eine weitgehende Verbesserung / Genesung überhaupt möglich ist. UND ich bin die Schritte gegangen, wie ich es in den Momenten halt vermocht habe - mühsam, einen Fuß vor den anderen, manchmal auch wieder zwei Schritte zurück, oft verzagend (meine liebe Freundin A. könnte an dieser Stelle ein Lied davon singen, wie oft sie mich heulenderweise am Telefon hatte: "Ich kann das nicht, ich will nicht mehr, ich weiß nicht, wie es weitergehen soll....")

Meine verschiedenen Therapeuten haben alle übereinstimmend gesagt: "Sie müssen schon vor der Geburt einen unheimlichen Lebenswillen gehabt haben, sonst hätten Sie das alles nicht überlebt (sprich: meine eigene Schwangerschaft + Kindheit)." Sicherlich ein entscheidender Faktor...... der mich sogar in der suizidalen Krise rechtzeitig Hilfe holen ließ, weil genau dieser Persönlichkeitsanteil seine Stimme erhob und laut und deutlich sagte: "ICH will aber nicht sterben. DU vielleicht im Moment - ICH aber nicht!"

Und natürlich bist Du uns jederzeit auf den Düsseldorftreffen willkommen - wie jeder und jede!

Alles Liebe
Lioness



Wir brauchen den Blick nach hinten, um unser Leben zu verstehen. Wir brauchen den Blick nach vorne, um unser Leben zu LEBEN!
deary
Beiträge: 424
Registriert: 17. Jun 2005, 13:05

Re: Es geht auch wieder aufwärts - der Mutmachthread!

Beitrag von deary »

Liebe Lioness,

puh, da bin ich aber doch -ehrlichgesagt- erleichtert, hatte schon ein "kritisches" Gefühl!

Also, bis bald dann und
spätestens in Düsseldorf!

Liebe Grüße
deary
Tim_Pfeiffer
Beiträge: 455
Registriert: 20. Mär 2003, 15:12
Kontaktdaten:

Re: Es geht auch wieder aufwärts - der Mutmachthread!

Beitrag von Tim_Pfeiffer »

Liebe Leute,
auch von unserer Seite: Wir (und ich spreche da für Dr. Niedermeier mit) finden, dass dies ein ganz wichtiger thread ist. Ich würde es aber begrüßen, wenn er sich tatsächlich auch zukünftig auf die Schilderung von "Erfolgsstories" beschränkt, um keinen Kuddel-Muddel aufkommen zu lassen. Dies würde es noch leichter machen, auch ggf. immer wieder auf diesen thread zu verweisen.

Viele Grüße
Tim Pfeiffer-Gerschel
a.w.
Beiträge: 152
Registriert: 4. Aug 2006, 19:33

Re: Es geht auch wieder aufwärts - der Mutmachthread!

Beitrag von a.w. »

Ich möchte hier auch kurz mitteilen, dass es mir besser geht.
Nachdem ich neulich den Höhepunkt meines Tiefpunktes erreicht hatte, zusammengebrochen bin und mich dauernd übergeben musste, kann ich heute aufatmen.
Ich habe mir mal wieder eine Spruch auf den Badezimmerspiegel geschrieben und jedesmal wenn ich reingeschaut habe,gelesen, dass heute der erste Tag vom Rest meines Lebens ist.
Das alleine hat sicherlich nicht geholfen.
Ich habe viel Zuspruch hier im Forum erhalten, auch durch private MAILS. Vielen Dank dafür, das hat mich getragen und mich wissen lassen, dass ich nicht so alleine bin, wie ich es oft glaube.
Ich habe auch in meinem Mann einen neuen Freund entdeckt, denn ausgerechnet er stand mir bei und hat getan und gemacht, um mir meine Situation zu erleichtern.
Und weil ich mit der Vergangenheit abschließen will, habe ich alles mögliche weggeschmissen, umgestellt, renoviert und neu dekoriert. Habe mir die Haare abschneiden lassen und gefärbt, neue Brille und neue Kleidung gekauft (Ich hole die nächsten Wochen garantiert keine Kontoauszüge )
Kurzum: ich habe auch etwas an mir und an meiner Umgebung getan, um die Vergangenheit besser abschütteln zu können.Vielleicht ist das nicht gerade der Beste Weg, aber mir hilft die oberflächliche optische Veränderung, um auch die inhaltliche Veränderung verarbeiten zu können.
Und jetzt geht es mir besser! Ich erfreue mich wieder an der Musik und habe nicht immer nur an meinen Kummer gedacht.
Es geht aufwärts! Und ich hoffe, dass dieser Trend anhält!
Liebe Grüße von Janina
Heute ist der erste Tag vom Rest Deines Lebens. Mach was draus !!
chrigu
Beiträge: 2081
Registriert: 20. Mär 2006, 12:20

Re: Es geht auch wieder aufwärts - der Mutmachthread!

Beitrag von chrigu »

Liebe Janina,

und schon wird der Mutmach-Thread seinem Namen voll gerecht!
Weil es mir Mut macht, dass auch gerade jemand eine gravierende Umwälzung in seinem Leben in Angriff nimmt.
Ich finde es überhaupt nicht albern, sich dafür die Haare zu färben oder eine neue Brille zu kaufen. Ich glaube sogar, dass das ein guter Weg ist, weil man so jeden Morgen in den Spiegel blickt und sieht, dass man jemand anders ist. Das ist eine Mahnung, sich auch anders zu verhalten, sein Leben zu ändern.

Auch ich versuche (immer noch und immer wieder) mein Leben zu ändern. Ich weiß nicht, der wievielte Anlauf das nun ist. Aber die Energie, die ich schon mal gespürt habe, die ist noch da.
Egal, was passiert, am Ende habe ich mich gefunden und bin bei mir und ich weiß, dass ich dann unterscheiden kann, was gut ist und was richtig ist und was nicht.

Bevor mich jetzt jemand bremsen will: Ich weiß, dass dann nicht alles schlagartig gut und reibungslos ist. Das will ich auch gar nicht.

Mein Weg führt zu mir, ich lasse alle meine Lügen und Trugbilder der Vergangenheit hinter mir, lasse Wut, Trauer und Enttäuschung den Raum, den sie brauchen. Damit alle anderen Gefühle auch wieder Platz haben.

Liebe Janina, wir könnten einen Pakt schließen - wenn Du magst: Wir beobachten uns gegenseitig, sozusagen. Und berichten uns gegenseitig von Erfolgen, Rückschlägen etc. Gerne in einem eigenen Thread oder auch per Email, damit wir diesen Thread nicht "blockieren". Aber wie gesagt, nur wenn Du magst. Ich bin gerade auf der Suche nach ein wenig Unterstützung und durch Dein Posting und Deine Pläne fühlte ich mich Dir gerade nahe, ich weiß auch nicht warum.
Nur eine Idee.

Liebe Grüße
Chrigu
heute
Beiträge: 405
Registriert: 4. Nov 2005, 11:31

Re: Es geht auch wieder aufwärts - der Mutmachthread!

Beitrag von heute »

Hallo Lioness und andere Poster,

danke für den Mutmachthread!

Hilft mir wirklich zu lesen, dass die Behandlungsschritte nicht immer glatt verliefen, die Ärzte und Therapeuten euch und eurer Krankheit und Situation nicht immer gerecht wurden... und ihr trotzdem nicht aufgegeben habt!

Danke für die Erfahrungsberichte!

Schöne Grüße

Nene
"So many things I would have done, but clouds got in my way." Joni Mitchell (Both sides now)
a.w.
Beiträge: 152
Registriert: 4. Aug 2006, 19:33

Re: Es geht auch wieder aufwärts - der Mutmachthread!

Beitrag von a.w. »

Hallo Chigru,
vielen Dank für deine unterstützenden Worte.
Laß uns gerne einen Pakt eingehen und uns beobachten. Ich weiß schon, wie Du es meinst und die Idee ist vielleicht gar nicht schlecht.
Dein Profil ist nicht freigegeben, sonst hätte ich Dir gemailt.
Wenn Du magst, kannst Du mich gerne anschreiben. Ich würde mich freuen!
Liebe Grüße an Dich und bis demnächst.
Janina
Heute ist der erste Tag vom Rest Deines Lebens. Mach was draus !!
Antworten