Erfahrungen mit Absetzen und Neuanfang von AD

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tassiefan
Beiträge: 4
Registriert: 20. Feb 2006, 15:24

Erfahrungen mit Absetzen und Neuanfang von AD

Beitrag von tassiefan »

Hallo,

ich bin neu hier im Forum. Lese schon eine ganze Zeit und habe mich heute endlich entscheiden können Euch um Eure Erfahrungen zu fragen.

Kurz mein Hintergrund. Leide seit 2 Jahren unter Depression. Wurden bislang immer aufgrund meines Jobs ausgelöst. Hatte auf einmal immer das Gefühl, den Anforderungen nicht mehr gerecht zu werden, den Stress und Druck nicht mehr auszuhalten und fühlte mich völlig erschöpft. Die erste Episode wurde mit Insidon behandelt und ich war nach sechs Wochen wieder fit. Habe das Insidon nach ca. 3 Monaten abgesetzt.
2 Episode letztes Jahr im Februar, dauerte 4 Wochen bis ich wieder arbeiten konnte und wurde mit Citalopram behandelt. Habe ich ca. 8 Wochen genommen, dann abgesetzt und im Juli wieder angefangen, da es mir da wieder schlechter ging. Habe es dann bis November genommen und sehr langsam ausgeschlichen. Es ging mir sehr gut damit und ich habe auch wieder sehr gepowert.
Akutell habe ich wieder eine Episode seit Anfang des Jahres. War zu Beginn noch arbeiten, bin aber jetzt schon länger krank geschrieben. Mein Neurologe hat mir diesmal Cipralex verschrieben. Nehme es nun schon 5 Wochen, merke aber keine richtige Besserung. Bin zwar nicht mehr ganz so letargisch und gehe auch raus, aber das Wattegefühl im Kopf, der fehlende Antrieb am Morgen und generell das Gefühl völlig neben sich zu stehen ist nicht weg. (Habe ich bei den letzten Episoden nicht so lange gehabt) An manchen Tagen ist es besser, an anderen wie heute eher wieder nicht.
Hat jemand von Euch Erfahrungen damit, dass ein Medikament was vorher gut gegriffen hat nicht mehr funktioniert? Bin in den letzen Wochen durch alle Stimmungen gegangen. Von totaler Sinnlosigkeit über Verzweiflung, dann wieder Hoffnung.
Habe morgen wieder einen Termin beim Neurologen um mit ihm bzgl. des Medikamentes und meines Zustands zu sprechen.

Sorry für den etwas längeren Text.

Simone
lilly
Beiträge: 360
Registriert: 24. Jan 2006, 11:06

Re: Erfahrungen mit Absetzen und Neuanfang von AD

Beitrag von lilly »

Hallo Simone,

warum hast Du die ADs alle abgesetzt? Haben sie nicht mehr geholfen?

Auf jeden Fall musst Du ein AD, wenn es Dir hilft, weiternehmen, auch über Jahre, wenn es sein muss. Du möchtest Dich doch wohlfühlen, und die ADs schaden nicht.

Wenn das AD nicht hilft, muss man solange probieren, bis man das Richtige hat. Manchmal ist das nicht so einfach.

Dass ein AD in seiner Wirkung nachlassen kann, ist bei mir schon vorgekommen. Ich habe ein anderes verschrieben bekommen, und das hat geholfen.

Ich habe 25 Jahre ADs genommen, und mir geht es gesundheitlich gut.

Viel Glück!
tassiefan
Beiträge: 4
Registriert: 20. Feb 2006, 15:24

Re: Erfahrungen mit Absetzen und Neuanfang von AD

Beitrag von tassiefan »

Hallo Barbara,

danke für Deine Antwort. Habe die AD's immer wieder abgesetzt, weil es mir gut ging und ich wie viele glaube ich den Wunsch und auch den Anspruch an mich selbst hatte ohne Medikamente leben zu wollen. Mittlerweile habe ich meine Einstellung auch soweit im Griff, dass ich es ok finde die Tabletten zu nehmen. Mache neben bei auch noch Therapie.
Habe allerdings immer noch den Wunsch die Ursache für die Depression zu ergründen und bin noch nicht ganz davon überzeugt, dass es nur eine chemische Sache des Hirnstoffwechsels ist. Denn ich hatte ja zwischen der ersten und zweiten Phase fast ein Jahr ohne Tabletten, in der es mir sehr gut ging.
Es beruhigt mich allerdings zu hören, dass Du die Tabletten schon so lange nimmst und sagst es geht die gesundheitlich gut.

Wünsch Dir einen sonnigen Tag

Simone
Denker
Beiträge: 645
Registriert: 11. Apr 2005, 13:55

Re: Erfahrungen mit Absetzen und Neuanfang von AD

Beitrag von Denker »

Hallo Simone,
ich kann das gut verstehen! Wenn es einem gut geht, möchte man gerne wissen, ob das nur an den Pillen liegt, oder ob man jetzt wirklich besser drauf ist. Die Faustregel lautet in etwa so, dass du die AD noch mindestens ein halbes Jahr weiternehmen sollst, nachdem du keine Beschwerden mehr hast. Depressionen können leicht chronisch werden, deshalb macht es schon Sinn, sich vor Rückfällen zu schützen. Ein kanppes Jahr nach Diagnosestellung hatte ich zum ersten Mal wieder sämtlich Medikamente abgesetzt (in Rücksprache mit dem Arzt ausgeschlichen, wie sich das gehört). Dann wurde durch äußere Umstände (Krebserkrankung Schwiegermutter + beruflicher Stress) eine erneute Krise ausgelöst und ab einem gewissen Punkt habe ich erkannt, dass es ohne AD nicht mehr geht. Nehme jetzt wieder seit 7 Monaten Fluoxetin und zwar zunächst 40 mg. Habe jetzt die Dosis auf 20 mg reduziert und will dabei noch so mindestens 1 Jahr bleiben, bevor ich es noch einmal ganz ohne versuche. Wir müssen lernen, mit der Krankheit zu leben und dazu gehört auch eine nüchterne Einstellung zu den Medis.
Bei der Aufdeckung der Ursachen meiner Depression hat mir ein Buch ganz besonders geholfen: Josef Giger-Bütler: Sie haben es doch gut gemeint.
Alles Gute
Denker
tassiefan
Beiträge: 4
Registriert: 20. Feb 2006, 15:24

Re: Erfahrungen mit Absetzen und Neuanfang von AD

Beitrag von tassiefan »

Hallo Denker,

danke für Deine Antwort. Es tut doch immer wieder gut wenn man liest, dass es Menschen gibt denen es auch so, oder ähnlich, geht. Vor allem hat mich Dein Hinweis auf den Auslöser der zweiten Krise angesprochen. Bei mir ist es glaube ich auch immer eine Kombination. Mein Vater ist an Demenz erkrankt, Stress im Job ist sowieso permanent vorhanden und dann immer das Gefühle es allen Recht machen zu wollen. Ich glaub das ist bei mir immer wieder der Auslöser. Am schlimmsten ist es dann immer im Job, weil ich das Gefühl habe, überhaupt nichts mehr auf die Reihe zu bekommen, und leider muss ich in meinem Job konzentriert und auch stressresistent sein.
Danke auch für den Buchhinweis, werde ich mir gern mal ansehen. Bin für alle Anregungen dankbar.

Lieben Gruß

Simone

PS: Mein Neurologe hat mir jetzt Trevilor verschrieben, bin gespannt...
pittromi
Beiträge: 38
Registriert: 10. Mär 2006, 09:08
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Re: Erfahrungen mit Absetzen und Neuanfang von AD

Beitrag von pittromi »

Hallo Simone,
du bekommst jetzt Trevilor. Das ist eines der teuersten Medikamente weil es fast keine Nebenwirkungen hat (zB Mundtrockenheit). Viele Ärzte verschreiben es nicht, weil es eben so teuer ist. Trevilor kannst du ohne Sorgen nehmen. Ich benutze es schon seit 7 Jahren. Allerdings...heilen kann es auch nicht. In erster Linie wirkt es gegen Ängste und steigert den Antrieb. Es macht also nicht müde, sondern aktiviert eher. Jedoch muß jeder seine persönlichen Erfahrungen damit machen. Du schreibst, du wüßtest gerne woher deine Depressionen kommen. Wie ich in deinem ersten Brief gelesen habe, treten die Depressionen während deiner beruflichen Tätigkeit auf. Also scheint hier auch die Ursache zu liegen. Kollegen, Leistugsdruck, die Arbeit gefällt nicht, langweilig, niemand da mit dem geredet werden kann, usw.. Es gibt eine Menge auf der Arbeit die einem das Leben schwer machen können. Mir hat meine Arbeit im Büro bis vor 10 Jahren auch noch Spaß gemacht, aber dann....dann kam der totale Einsatz der PC mit neuer Software. Wo früher 30 Kollegen/innen in einer Abteilung waren, sind heute nur noch 6 !!! Davon noch zwei Halbtagskräfte. Es ist langweilig und öde geworden. Früher haben wir die Arbeit gemacht, heute ist es die Software. Uns bleibt nur noch das Controlling. Es ist leicht zu verstehen das die heutige Arbeitswelt psychisch krank macht. Vermutlich ist es bei dir ähnlich.
Servus, Toni

Denker
Beiträge: 645
Registriert: 11. Apr 2005, 13:55

Re: Erfahrungen mit Absetzen und Neuanfang von AD

Beitrag von Denker »

Hallo toni,
ich unterscheide ganz bewusst zwischen Ursachen und Auslösern der Depression. Auslöser ist meist irgend ein Stress in der Gegenwart, aber die eigentlichen Ursachen liegen viel weiter zurück. Ein Beispiel: Die meisten Depris wollen es immer allen anderen recht machen. Gelernt haben sie dies meist bereits in der Kindheit. Mit dieser Einstellung gerät man natürlich viel leichter unter Stress, weil man sich nicht abgrenzen kann und weil man nicht glaubt, das Recht zu haben, gut für sich zu sorgen. Die eigentliche Ursache liegt also in Glaubenssätzen und Strategien, die wir bereits in früher Kindheit erworben haben.
Gruß
Denker
tipitina
Beiträge: 2
Registriert: 21. Mär 2006, 16:41

Re: Erfahrungen mit Absetzen und Neuanfang von AD

Beitrag von tipitina »

So. Hallo. Ich bin neu hier. Und ich bin froh, dass ich euch hier gefunden habe. Denn ich sitze mal wieder im Loch. Und kann es mir kaum verzeihen. Wie wohltuend ist das, was ich hier lese. Dass Episoden immer wieder kommen (können) und dass ich keine Versagerin bin, weil ich es offensichtlich nicht schaffe, ohne Medikamente zu leben.

Im Dezember 2002 habe ich angefangen, Fluoxetin zu nehmen. Ich habe es ohne jegliche Nebenwirkungen sehr gut vertragen. Nach ca. zwei Wochen fing es an zu wirken. Zum ersten Mal seit langer Zeit fühlte ich mich mal wieder „normal“. Ohne diese lähmende Lustlosigkeit und Antriebslosigkeit, ohne die Trauer und das ständige Grübeln, ohne die Aggressionen und das Nur-noch-schlafen wollen.

Im Januar 2005 habe ich das AD zum ersten Mal (eigenmächtig) abgesetzt. Im März war ich wieder ganz unten. Ich habe nachgegeben und wieder angefangen, die Tabletten zu nehmen (20 mg täglich). Bis zum November. Da habe ich von meiner neuen – und wie ich finde, sehr guten – Hausärztin nach umfangreichen Tests Schilddrüsenhormone genommen, um die Werte zu normalisieren. Damit ging es mir ganz gut. Und so habe ich das AD wieder abgesetzt. Schien zuerst auch in Ordnung zu sein.

Bis vor ein paar Wochen. Seitdem bin ich wieder ganz unten.

Jetzt lese ich hier, dass es hier auch Menschen gibt, die so ein AD über viele Jahre hinweg nehmen. Ich habe gelesen, dass es auf Dauer Nierenschäden verursachen kann. Das hat mir schon einen Schreck eingejagt. Außerdem hatte ich – wie wohl viele andere auch – einfach den Wunsch, ohne Tabletten leben zu können.

Aber ich muss wohl wieder anfangen. Die Sehnsucht nach Normalität ist soooo groß. Gleichzeitig habe ich aber wieder das Gefühl versagt zu haben.

80 Tabletten habe ich noch, die reichen für eine Weile. Die Rezepte bekomme ich von einer Neurologin/Psychiaterin, die ganz nett ist, sich aber nicht weiter kümmert. Wenn man selbst keinen Termin anfragt, verlangt sie keinen und stellt weiter Rezepte aus. Was mich an ihr stört, ist, dass sie in ihrer Praxis für eine Formula-Diät wirbt, d.h. sie offensichtlich vertreibt. Mit sowas habe ich arge Probleme, aus vielerlei Gründen.

Meine „Eckdaten“: Ich bin 46 und habe eine knapp 8jährige Tochter. Wir leben allein. Das war von Anfang an so. Es gibt keinerlei Kontakt zum Vater des Kindes. Darunter leide ich aber nicht. Ich bin beruflich erfolgreich und verdiene ganz gut, gehöre also zu den immer wieder Depressiven, die „gut funktionieren“. Die Abgründe dahinter kennt fast niemand. Ich ziehe mich auch immer mehr zurück, bin am liebsten allein.

Ich bin essgestört, seit ich denken kann – „leider“ nicht bulimisch, sondern adipös. Einige kleine Fortschritte habe ich gemacht, vor allem in der letzten Therapie. Durch den Rückfall in die Depression ist aber vieles wieder zunichte.

Morgen früh will ich wieder anfangen mit dem Fluoxetin.
Auf jeden Fall hat es mir sehr geholfen, diesen Thread hier zu lesen.
Wollte ich nur mal sagen.
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