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Soziale Phobie

Verfasst: 22. Jan 2006, 15:28
von Sauerländer
Hallo,

eine Lebensgeschichte kurz erzählen? ich versuch`s mal.

Ich bin 46 Jahre alt und hatte meinen ersten Stotteranfall mit 6. Weil mich meine "besten" Freunde sofort danach ausgelacht haben, beschloss ich, nicht mehr zu reden, bzw. nur noch das Nötigste. Aufgrund ungünstiger Familienverhältnisse und dem kaum vorhanden Angebot an Fachärzten führte meine Leben von Beginn an in eine Sackgasse. Das Resultat, keine Freunde, keine Bekannte, kein oder kaum Kontakt zu den Arbeitskollegen oder Nachbarn, bringe z.B. den Müll nur bei Dunkelheit runter.

Wenn ich hier im Forum lese, was Depressionen bedeuten, habe ich vermutlich keine Depression. Doch was ist es dann? Vor einigen Jahren habe ich es dann herausgefunden. Ich leide schon seit der Kindheit an einer sozialen Phobie ergänzt durch eine gelegentlich auftretende Persönlichkeitsstörung. Das war mir früher natürlich nicht bewusst und begann schon sehr früh meine Therapiekarriere.

Vorzugsweise handelte es sich um Sprachtherapien, die ALLE ins Leere liefen. Heute weiß ich warum. Als die Erfolge ausblieben, zog mich das natürlich noch mehr runter. Es wurde Zeit für andere Therapieformen. Psycho- und Verhaltenstherapien oder Besuche beim Psychiater. Auch das, ohne Erfolg. Im Gegenteil, jede Therapie zog mich nur noch mehr runter. Ist ja auch klar, wenn man sich bewusst wird, dass nichts so richtig helfen will.

Vor ca. 2 Jahren fing ich mit AD`s an. Zuerst Doxepin, dann später Mirtazapin. Erfolg? Ihr könnt es euch denken. Seit ein paar Tagen nehme ich Johanniskraut, mal sehen, was das bringt. Zu dem was ich jetzt schreibe, bitte ich euch, eure Aufmerksamkeitsfähigkeit ein wenig mehr zu erhöhen. Denn die meisten Menschen überhören es gerne. Können sich nicht wirklich vorstellen, wie es ist, alleine zu sein, keine Freude oder Bekannte zu haben.

Könnt Ihr euch vorstellen wie es ist, wenn man seit der Kindheit aufgrund von Lebensangst nie gelernt hat zu lernen, es nie geschafft hat soziale Kontakte aufzubauen? Das Ergebnis liegt auf der Hand. Mit meinen 46 Jahren liege ich Kontaktmäßig auf dem Niveau eines 9 Jährigen. So um diesem Alter bin ich nämlich stehen geblieben. Das hatte natürlich Auswirkungen auf das spätere Leben. Die Hauptschule habe ich gerade mal eben so geschafft, genauso wie die Lehre. Heute bin ich Maschinenbediener. Und dennoch, total überfordert. Ich muss es noch mal auffrischen, wer nie gelernt hat, und dann noch mit meinen sämtlichen psychischen Begleitsymptomen, hat schon mal des öfteren Suizidgedanken. Denn eigentlich funktioniere ich doch nur noch. Arbeiten, Fernsehgucken, schlafen, arbeiten.......

Und jetzt ist es wieder soweit, ich muss heute Abend los zur Nachtschicht. Ihr könnt euch meine Angst nicht vorstellen. Hier frage ich mich, ist das dann eine Depression oder eine handfeste Panikattacke? Ich weiß es nicht, was kann mir helfen? Therapien habe ich schon viele durchlaufen. AD´s helfen auch nicht. Ich wohne in einer ländlichen Gegend, kaum Therapieangebote.

Ich möchte noch kurz zum Schluss meine einschneidensten Erlebnisse zu schildern, um euch zu demonstrieren, in welchen Situationen ich eine Alternative dem Suizid vorgezogen habe. Mit 18 eingezogen zum Bund. Am ersten Abend schon ausgelacht. Am nächsten Morgen habe ich mich sofort unerlaubt von der Truppe entfernt (Fahnenflucht). Mit dem Zug durch ganz Deutschland geirrt, auf der Suche nach einer Endlösung. Habe mich schließlich bei irgendeinem Anwalt "gestellt" und wurde später ausgemustert. Ich muss gestehen, das war das mit Abstand die gefährlichste Situation, ich hätte ALLES getan, um dort nicht wieder hinzumüssen.

Ein paar Situationen folgten zwar noch, aber um es nicht allzu lang werden zu lassen, seit einem Jahr habe ich mich wegen meiner sozialen Phobie auf Dauernachtschicht setzen lassen. Trotzdem, es gibt nicht wenige Arbeiten oder Maschinen, bei denen ich eine regelrechte Panik entwickelt habe. Ich möchte nur noch weg. Noch wirkt mein Selbsterhaltungstrieb, muss ja schließlich von was leben. Doch mein Meister geht dieses Jahr in Rente. Er ist ein Mensch, der mich unterstützt, der auch die Nachtschicht durchgeboxt hat. Was kommt nach ihm? Und wieder, Panik macht sich breit. Denn wenn ich die Firma verlasse, war es das mit meinem Berufsleben. Ich werde nie wieder einen Job finden. Denn ihr müsst bedenken, in fast jedem Beruf hat man Kontakt zu Menschen.

Ich mach` jetzt Schluss. Wenn die/der eine oder andere es geschafft, sich in meine Lebenssituation hinein zu versetzen, was würdet ihr an meiner Stelle machen? Denn eines darf man nicht übersehen, weder Therapien noch AD`s können mir meine geringe Berufs- und Lebenserfahrung zurückbringen. Auch wenn ich das Wort nur sehr schwer über die Tasten bringen, ich dachte schon mal an Frührente. Da schnürrt sich bei mir alles zusammen, denn........ich arbeite grundsätzlich sehr gerne, es füllt mich aus, und lenkt von meinen Problemen ab. Auf der anderen Seite ist es aber der Job, der ca. 90 Prozent meiner Sorgen ausmacht.

Viele Grüße

Hans aus`m Sauerland

Re: Soziale Phobie

Verfasst: 22. Jan 2006, 17:17
von Rike
Hallo Hans,
beim Lesen Deines Beitrages ist mir nur eins eingefallen: Gibt es in Deiner Nähe Selbsthilfegruppen? Deine Sozialphobie scheint zwar sehr ausgeprägt zu sein, aber das heißt ja nicht, dass es keine Möglichkeit gibt, etwas dagegen zu tun, auch mit 46 ist man nicht zu alt, um sein Leben zu verändern. Eine Selbsthilfegruppe wäre eine Möglichkeit, auch wenn es erst mal viel Überwindung kostet! Und hast Du einen Therapeuten, vielleicht wäre eine Klinik (stationäre Reha, kann man gut als "Kur" tarnen) gut für Dich, um Dich in sozialen Kontakten zu üben?
Und wenn Du nur Nachtschicht arbeitest, ist Deine Möglichkeit, Kontakte zu knüpfen, natürlich noch eingeschränkter. Hast Du wenigstens einen oder zwei Freunde? Wie steht es mit Deiner Familie? Gibt es da gar keine Kontakte? Oder hast Du Dich von allen zurückgezogen?

Re: Soziale Phobie

Verfasst: 22. Jan 2006, 18:29
von Lee

Re: Soziale Phobie

Verfasst: 22. Jan 2006, 19:26
von xhagen
Hallo Hans,

bitte verzeih mir das Bringen des Titels
"Hänschen klein, ging allein, in die weite weite Welt hinein......"
bitte verteh mich richtig, es soll keine Provokation sein jedoch ....

Was mir sonst noch zu deinem Bericht einfällt ist: Der ist Gut und Schlüssig formuliert; welcher 9 Jährige bringt das so ?

Kannst du wirklich "nur" Schreiben und überhaupt gar nicht reden ?

Ich selbst habe auch seit Urzeiten soziale Phopien (früher erröten).
Die sind auch nicht so geblieben sondern haben sich gewissermassen "verändert".
Wie siehst damit aus ?
Wissen um die "Angst-Hindergründe" und bewußte "Entspannung" gibt mir inzwischen Sicherheit.

Zum Erfolg: Du weißt ja "Erfolg ist relativ". Und Veränderungen zum Guten können von einer "verdunkelten Lebenssichtweise" wie ich sie bei dir vermute auch schlecht wahrgenommen werden.
Da braucht man schon detaillierte Aufschriebe (Tagebuch).

Nachdenken über sich selbst und "meine Unzulänglichkeiten" das zieht runter und schadet!

Erinnerst dich mal an einen für dich guten Kontakt ?

Also was hälst du davon im ersten Schritt zu Klären was für dich in Bezug auf Kontakt gut bzw. machbar ist.

Und im zweiten Schritt....
na was denkst du ?
Übrigens: meine Vorredner hatten auch schon erste To-do-Ideen; was für dich jedoch passt entscheidest du letzendlich selbst)

gruß zg

Re: Soziale Phobie

Verfasst: 22. Jan 2006, 19:41
von Sauerländer
Hallo zusammen,

danke für die Kommentare. Ich habe sie eben erst gelesen. Da ich mich schon für die Nachtschicht fertig machen muß, werde ich morgen dazu was schreiben.

Viele Grüße

Hans

Re: Soziale Phobie

Verfasst: 22. Jan 2006, 20:35
von BeAk
Liebe Hans,

ich will Dich ja nicht vertreiben. Aber was bringt es, sich bei den Depressiven Streicheleinheiten abzuholen, anstatt in einem Angst- oder Phobieforum konkreten Rat von Phobieerfahrenen zu bekommen?
Die Depressiven können dich nur streicheln (haben ja keine Ahnung von der Materie), die alten Phobiker könnten fragen, was Du denn jetzt konkret gedenkst gegen Deine Angst zu tun.

Re: Soziale Phobie

Verfasst: 22. Jan 2006, 21:49
von Leni2
Hi Hans,

herzlich Willkommen im Forum!

Ich kann deine Problematik gut verstehen! Aber es gibt wirklich Aussicht, auf Erfolg .

Lass dich von Bea nicht verschrecken, denn so massive Ängste bringen meist auch eine handfeste Depression mit sich. Und auch wenn es viel Mut erfordert, seine Ängste zu überwinden, sind doch eigentlich Streicheleinheiten das Wichtigste, was man braucht, wenn man so viele Jahre allein war. Man braucht einfach mal Menschen, die einen verstehen und einen nicht gleich verurteilen und bei denen man so sein kann, wie man ist. Und wenn es erstmal nur virtuell ist. Ich schaff auch nicht viel anderes.

Lieber Hans, wie wäre es mit einem Klinikaufenthalt? Ich war gerade in einer Klinik und da gab es ein sehr wirkungsvolles Angstprogramm. Ich habe jedenfalls einen ganz neuen Blickwinkel bekommen. Und allein die ganzen Menschen, denen es ähnlich geht wie einem selbst, tun einem gut und sind auch ein gutes Übungsfeld. Allein ist das alles kaum zu schaffen, denke ich, hier im Forum zu schreiben ist der erste Schritt. Mach weiter!

Alles Gute dir!

Lena

Re: Soziale Phobie

Verfasst: 22. Jan 2006, 22:45
von muckelmaus
Hallo Hans,

Du bist nicht allein!!
Ich war im letzten Sommer 3 Monate stationär in einer verhaltenstherapeutischen Klinik, in der ich mit der Diagnose "Soziale Phobie" endlich eine Idee bekommen habe, was eigentlich unter anderem mit mir los ist. Die Therapie war zwar nicht ganz einfach zu bewältigen, hat mir aber eine Menge gebracht. Es kostet zwar wahnsinnig viel Kraft, sich in Konfrontationsübungen immer wieder schwierigen Situationen zu stellen, aber es wird besser dadurch. Und weil ich in der Klinik gelernt habe, was die Gedankenfehler sind, durch die ich in die Vermeidung gerutscht bin, kann ich heute in der Regel die Vermeidung vermeiden.

Aus meiner Erfahrung heraus kann ich Dir nur sagen, versuche einen stationäre kognitive Verhaltenstherapie für soziale Phobie zu machen. Und wenn sich daran eine berufliche Belastungserprobung und eine Wiedereingliederung anschließen lassen, um so besser.

Ich habe einen Teil meiner Verzweiflung, der aus der sozialen Phobie herrührte, hinter mir lassen können und etwas mehr Lebensqualität erlangen können. Meine anderen Krankheitsdiagnosen machen mir weiterhin sehr zu schaffen - zu Zeit bringt mich meine Depression wieder tiefer in die Verzweiflung, aber es bewegt sich was in mir ...

Nein, zurückbringen könnte eine Therapie nichts, aber Du könntest neue Erfahrungen machen und damit einen Teil der Ängste soweit ablegen, dass Du einen Job mit begrenzten Menschenkontakt machen kannst.

Herzliche Grüße von
muckelmaus, die es immer wieder viel Überwindung kostet hier im Forum zu schreiben! Und es deshalb bewußt tut - zumindest wenn ich meine etwas sinnvolles schreiben zu können ...

Re: Soziale Phobie

Verfasst: 23. Jan 2006, 14:24
von Sauerländer
Hallo liebe Forenmitglieder,

zurück von der Nachtschicht, und nach einem viel zu kurzen Schlaf, muss mich erst wieder dran gewöhnen, möchte ich noch ein paar Zeilen zu euren Kommentaren schreiben. Bedankt habe ich mich ja schon gestern. Er umschließt aber auch die Hinzugekommenden.

Nach den ersten Statements habe ich gleich erkannt >hier bist du falsch< Zwischen einer sozialen Phobie und einer Depression liegen, im "Normalfall", Welten. Trotzdem haben mich einige Ratschläge weitergebracht, bzw. veranlasst, einigen "Links" nachzugehen.

Im übrigen, stationär wurde ich schon vor Jahren behandelt. 9 Wochen war ich einer vom Arbeitsamt organisierten Reha-Klinik. Das ganze hätte ich mir sparen können. Die Therapieangebote gingen noch nicht mal ansatzweise in meine Richtung. Von da an habe ich mich immer gegen sowas gesträubt.

Wie es aber aussieht, muss ich wohl doch umdenken. Wenn ich sehe, wie mich der letzte Sonntag in Panik versetzt hat, komme ich nicht um entsprechende Maßnahmen herum. So kann es auf jeden Fall nicht weiter gehen. Und es wird mit zunehmendem Alter immer schlimmer.

Zum Glück stehe ich mit einer Forumnutzerin, die ich vor einem Jahr hier kennengelernt habe, im ständigen E-mail-Kontakt. Sie wird mir aufgrund ihrer Erfahrung bestimmt weiterhelfen können.

Übrigens, falls du das hier liest, ich grüße dich ganz herzlich.

Den Rest grüße ich auch und, wird ja schon zur Gewohnheit, ich möchte mich noch mal ausdrücklich bei allen bedanken, die in diesem Forum Hilfesuchenden mit Rat und Tat zur Seite stehen.

Viele Grüße

Hans

Re: Soziale Phobie

Verfasst: 23. Jan 2006, 15:06
von leo100000tier
Hallo Hans,

auch ich litt jahrelang an einer sozialen Phobie, habe es kaum geschafft meine Schule und eine Ausbildung zu beenden. Hatte keine Freunde, bin kaum noch vor die Tür gegangen.
Dann habe ich mich dazu entschlossen eine psychosomatische Reha zu machen. Ich war für 8 Wochen in Bad Frankenhausen, die sich sehr gut mit diesem Krankheitsbild auskennen. Was soll ich sagen, ich bin ein ganz anderer Mensch geworden, kann auch Menschen zu gehen, habe Freundschaften geschlossen, ja ich habe wieder Spaß am Leben. Mein Selbstbewußtsein ist unglaublich gestiegen. Ich möchte dir an meinem Beispiel Mut machen.
Ich wünsche dir von Herzen alles Gute für deinen weiteren Weg.

Peter

Re: Soziale Phobie

Verfasst: 23. Jan 2006, 15:42
von jes
Hallo Hans,
erstmal toll das du so offen über dein Krankheitsverlauf reden kannst.
Ich bin 27 und habe vermutlich auch seit der Kindheit die Diagnose. Das heißt natürlich wurde damals als Kind immer gesagt ich wäre halt schüchtern und nicht krank. Die Diagnose selber habe ich schwarz auf weiss noch gar nicht so lange. Persönlichkeitsstörung habe ich auch erst aufs Papier vor kurzem, im Gegensatz zu dem leiden was ich schon fast Jahrzehnte habe.
Ich habe gerade überlegt wie man in deiner Situation helfen könnte. Habe auch gedacht das du vielleicht einfach die falsche oder wenig Unterstützung bekommen hast, was dir letztendlich den Mut genommen hat was zu unternehmen.
Es gibt schon eine ganze Reihe von Antidepressiva die auch auf Ängste wirken.
Im Übrigen denke ich das es bei dir auch der Fall sein kann das du Depressionen und eine soziale Phobie haben kannst. Es ist ja nicht so das nur immer eins kommt. Ich habe gleich 4 Diagnosen, aber ich gebe nicht auf und versuche damit zu lernen und zu leben.
So jetzt bin ich gerade abgekommen, davon was ich sagen wollte. Vielleicht ist es einfach nicht das richtige Medikament gewesen, nicht der richtige Psychater bei dem du dich gut aufgehoben fühlst. Ich denke das es wichtig ist das du eine gute Betreung hast, findest.
Ich kann dir noch ein gutes Buch empfehlen, es ist sehr liebevoll und warmherzig geschrieben, es fällt mir nicht mal schwer dieses ansich Sachbuch zu lesen.

Frei von Angst und Schüchternheit heißt es,
von Barbara und Gregory Markway.

Es ist ein Selbsthilfeprgramm, speziell für soziale Phobie

Ich wünsche dir alles Gute
Jessica

Einfach nicht aufgeben, und vielleicht auf das kleine oder große Glück hoffen ...