Zu viele Haare in der Suppe

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Wolke2
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Zu viele Haare in der Suppe

Beitrag von Wolke2 »

Hallo zusammen,

eine absolute Premiere. Ich habe schon Jahre gebraucht, um endlich das www. zu nutzen, und dies ist nun das erste Forum, in dem ich meinen Senf dazu gebe.

Ich verstehe die Vorbehalte zum Thema Therapie sehr gut und "erfreue" mich selbst nun schon an meiner 2. tiefen Deprie-Phase, kann dazu aber sagen, dass mir persönlich auf jeden Fall gut getan hat, jemanden mit meinem ganzen Gedankenmüll belästigen zu können, ohne mir dabei Sorgen machen zu müssen, dass ich jemanden damit belaste.
(Schließlich wird er dafür bezahlt, sich meinen Mist anzuhören )

Denn auch ich kann meine Depression sehr gut verkaufen: Eine blühende Wiese ist ja vielleicht ein schöner Anblick, ich sehe da aber leider mehr das Kriegsgebiet, und überhaupt haufenweise Haare in der Suppe...

Und wenn ich da nun schon wieder in diesem dichten Haarbüschel sitze und mich selbst nicht leiden kann, weil ich nicht in der Lage bin, mein Leben in den Griff zu bekommen, ist ein Therapeut zumindest eine Möglichkeit, den ganzen Gedankenmüll mal abzuladen.

Und für mich ist das derzeit auch so ziemlich die einzige. Ich bringe ja kaum die Kraft auf, mir meine Zähne zu putzen, wo sollte ich die Kraft her nehmen, eine Freundschaft zu pflegen?!
Ich kann derzeit ja noch nicht einmal jemanden in meine Wohnung lassen, weil das Chaos um mich herum genauso unerfreulich aussieht, wie das Chaos in mir drin. Und dazu kommt doch, dass man in Phasen, in denen man sich selbst nicht leiden kann, auch die Zuneigung von anderen nicht akzeptieren oder gar annehmen kann. So ist das jedenfalls bei mir.

Und dann diese leidige Erklärungsnot. Wie sehr habe ich schon versucht, anderen meinen Zustand nahe zu bringen. Mal mit: Stell dir vor, du darfst 2 Tage und Nächte nicht schlafen, und am Abend des dritten Tages darfst du dann mit Freunden ins Kino gehen. Wieviel Spaß hättest du daran? Oder mit der eingangs erwähnten blühenden Wiese.

Das dumme an diesem Leben ist doch, dass es so einfach ist, damit zu hadern.
Und wenn ich denn gerade dabei bin, kann ich mich auch gleich mal beschweren, dass ich zwar genügend Intelligenz mitbekommen habe, um die unendlich vielen Probleme zu sehen, aber mein Hirnkasten reicht nicht für Lösungen. Dann finde ich das "Prinzip des Stärkeren" ziemlich mistig, weiß aber auch, dass ich mich im "Paradies" einfach nur schrecklich langweilen würde mit der dummen Harfe.

Und nun überlege ich, ob ich mit diesem Geschmiere überhaupt jemanden belästigen soll, was ja aber wohl wieder nur ein Symptom dieser merkwürdigen Krankheit ist. Warum kann ich mir nicht einen freundlichen Tumor anschaffen?! Dann wüßte ich wenigstens, wogegen ich zu kämpfen habe. Ein Kampf mit der Depression ist irgendwie wie Schattenboxen im Nebel, und der Mangel an Kampfgeist gehört auch noch zu den Symptomen. Wie bescheuert ist das denn?!

Aber man wächst ja bekanntlich an den Anforderungen. Also müssen aus Menschen wie uns ja echte Riesen werden!
crying_girl
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Re: Zu viele Haare in der Suppe

Beitrag von crying_girl »

hallo andrea!
erstmal glückwunsch, dass du es gewat hast endlich mal deinen "senf" dazu zu geben! ist das nicht ein gutes gefühl endlich mal rauslassen zu können, was einen beschäftigt? also mir ging es so! bin auch erst seit kurzem hier und fühle mich endlich verstanden und akzeptiert. keiner, der nur fragezeichen im blick hat, wenn man zu schildern versucht, wie man sich fühlt!
dieser eine satz, den du genannt hast, spricht mir wirklich aus der seele:

"Ein Kampf mit der Depression ist irgendwie wie Schattenboxen im Nebel, und der Mangel an Kampfgeist gehört auch noch zu den Symptomen. Wie bescheuert ist das denn?!"

da hast du vollkommen recht liebe andrea!!
das ist doch fast das schlimmste an der sache, diese ganzen widersprüche, nichts passt zusammen, man kann das große, ganze nicht mehr sehen...
das macht mich im wahrsten sinne des wortes verrückt...
letztlich will ich dir nur sagen, dass du hier nicht alleine bist!
also gib ruhig öfter deinen senf dazu, wenn dir der sinn danach steht

gruß, laura
BeAk

Re: Zu viele Haare in der Suppe

Beitrag von BeAk »

Liebe Andrea,

dein Schreibstiel gefällt mir gut und ich kann mich Dir nur anschließen.

Allerdings habe ich schon lieber eine schwere Episode als einen Hirntumor, denn die Episode endet, da weiß ich, ob ich den Tumor wieder los werde, ist nicht so sicher.
Wolke2
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Re: Zu viele Haare in der Suppe

Beitrag von Wolke2 »

Hallo Laura!

erst einmal was für ein schöner Name und dann spare ich mir ein Sorry, dass ich erst heute wieder rein schaue, weil ich das wohl keinem erklären muß, der selbst im Nebel schattenboxt. Das kostet viel Zeit und Energie.
Danke, dass Du mir geantwortet hast. Das hat mich sehr gefreut, zumal mein Tag heute mal wieder sehr "erfreulich" war: Ein Termin beim Amtsarzt...

Und ich bin mal wieder mit dem guten Ratschlag aus der Tür gegangen, dass ich mich aufraffen und endlich etwas unternehmen muß. Ich darf mich nicht so hängen lassen und soll doch einfach mal Sport treiben...

Und ich kann auf diese Ratschläge noch nicht einmal wütend reagieren, weil mir durchaus bewußt ist, dass ich den gleichen Schwachsinn von mir gegeben hätte an ihrer Stelle.

Es macht mich nur traurig, dass so viele Ärzte noch so wenig über diese Krankheit wissen und mir immer wieder einen Mangel an Selbstdisziplin vorwerfen. Dabei ist das einzige, was mich überhaupt noch bewegt und über viele Jahre bewegt hat, mein Pflichtgefühl.

In solchen Situationen fühle ich mich dann besonders allein und hilflos.

Aber bei der Betrachtung des Großen und Ganzen kann ich Dir vielleicht eine frohe Botschaft verkünden:

Aus der Perspektive ist unser komischer Planet nichts weiter als ein winziger Kekskrümel in einem riesigen Universum und unsere Sonne explodiert bald. Mir ist das komischerweise manchmal tatsächlich ein Trost, auch wenn ich nicht so ganz begreife, warum eigentlich.
Ich habe eben einen Haufen komische Grütze im Kopf, die mich manchmal sogar vor Lachen unter den Tisch treibt, weil ein Reporter in der Glotze mit ernsthaft, alarmiertem Gesichtsausdruck verkündet, dass das "Husumer Hausschwein" vom Aussterben bedroht ist! Da dachte ich dann nur, dass dieses Schweinchen dieses Problem schon bei seiner Entstehung haben mußte, weil Husum ist doch nicht wirklich groß

Ein ganz lieber Gruß zurück von Andrea

P.S. Ich habe einfach mal die Option "Antworten per eMail zusenden" aktiviert, in der stillen Hoffnung, dass Dich meine Nachricht auf diesem Wege auf jeden Fall erreicht, auch wenn Du nicht wochenlang alles durchackerst, wo Du mal Spuren hinterlassen hast.
Wolke2
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Re: Zu viele Haare in der Suppe

Beitrag von Wolke2 »

Liebe Bea,

auch Dir ein herziges Dankeschön für Deine Zeilen. Ich beneide Dich darum, dass Du so optimistisch bist und Dich selbst und Deine Krankheit so gut kennst.

Mein erster schwerer Schub war Mitte der 90er und dauerte ganze 2 Jahre. Zur Zeit stecke ich in meinem zweiten Schub, habe schon wieder fast 2 Jahre voll und traue mich kaum zu hoffen.
Ich bin auch deshalb so schrecklich genervt davon, weil mir dieser Schub zwei Dinge knallhart klar gemacht hat: 1. Ich kann mich nie wieder wirklich auf mich selbst verlassen und 2. ich weiß nicht, was mich da anfällt. Keine Strategie und kein Konzept.

Dazu ein Mangel an Verständnis sowohl innen als auch außen. Ich würde so gerne mit meinem Vater tauschen. Der lebt so gerne und hat Spaß an seinem Leben, kämpft aber mit Lymphom und Pankreaskrebs, und ich bin "kerngesund" und kann gar nichts damit anfangen. Das ist so blöd und ungerecht.

Beim Nachlesen denke ich nun, dass sich das ganze fast wie ein Vorwurf in Deine Richtung anhört, aber glaube bitte so etwas nicht! Ich habe ein ganz warmes und tolles Gefühl dabei, festzustellen, dass es Menschen gibt, die sich die Mühe machen, auf meine Nörgeleien zu reagieren. Und wenn ich Dir schreibe, dass ich Dich um Dein Wissen beneide, dann ist das ganz ernsthaft ein 1A-Kompliment, und im Grunde möchte ich Dir dieses warme Gefühl einfach nur zurückgeben.

Also ein lieber, warmer Gruß von Andrea
BeAk

Re: Zu viele Haare in der Suppe

Beitrag von BeAk »

Liebe Andera,

so kompetent, bin ich auch wieder nicht. Nur, ich habe meine Episode der Depression meines Mannes zu verdanken. Er war sehr lange nicht bereit ärztliche Hilfe an zunehmen, gab mir die Schuld an der Situation, es war die Hölle für mich. Als er dann endlich Medikamente einnahm, ging es ihm schon nach 2 Wochen deutlich besser und nach 3 Wochen sah er die Welt wieder wie sie ist.
Als ich dann erkrannkte, wusste ich, da muß ich jetzt durch und ich werde es schaffen aus der Episode raus zu kommen. Nun es hat, trotz AD´s, 6 Monate gedauert, also deutlich länger als bei meinem Mann. Habe leider auch die Option, das es jederzeit wieder auftreten kann, aber auch dann werde ich mich da raus arbeiten, da bin ich sicher.

Übrigens, Sport ist nicht zu verachten. Es hebt die Stimmung und ich betreibe ihn, da unsportlich, als Therapie. Auch Entspannungsübungen und noch so einiges mehr haben mir sehr geholfen.

Was tust Du, damit es Dir besser geht?
Wolke2
Beiträge: 306
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Re: Zu viele Haare in der Suppe

Beitrag von Wolke2 »

Hallo Bea,
es freut mich, dass Du Dich noch einmal gemeldet hast.
( Ich habe hier doch tatsächlich einen halben Roman ausgekotzt! Tu Dir die Lektüre lieber nicht an. Das wird Dir wohl kaum irgendwie weiterhelfen. Aber für mich war das ganz toll, ein paar Highlights meines bisherigen Lebens mal zusammen zu fassen und dann sogar abschicken zu können. Danke!)

Wenn ich hier aufschreiben soll, was ich schon alles versucht habe, um aus der Depression heraus zu kommen, hätte ich da eine Medikamentenliste mit 6 Präparaten, die ich alle nicht vertragen habe,(und ich war nicht zimperlich), ich habe bisher 13 verschiedene Ärzte konsultiert,( und keinem ist etwas eingefallen, was ich noch hätte einnehmen können), habe diverse homöopathische Mittel und Bachblüten schon durch, diverse pflanzliche Mittel, eine ganze Batterie Lektüre und unsportlich kann man mich auch nicht nennen.

Zur Zeit schaffe ich aber gerade mal mit Ach und Krach morgens die 5 Tibeter, mein Fitnesscenter hat ein halbes Jahr nach Beginn meiner tiefen Depriephase die Tore geschlossen, (da ist jetzt ein Swingerclub drin)und das bißchen Kraft, das noch da ist (dank der Tibeter) muß ich nutzen, um zu verhindern, dass das Haus in dem ich wohne, abgerissen wird. Das ist ein Kampf gegen viele Windmühlen um bezahlbaren Wohnraum.

Aber immerhin war diese Geschichte, dass eine Genossenschaft ihre Mitglieder vor die Tür setzen will, der Hamburger Morgenpost letzten Sommer sogar eine Titelschlagzeile wert.

Was ich in Zukunft beruflich machen soll, weiß ich auch nicht mehr. Ich habe zuletzt 7 Jahre lang für Zeitarbeitsfirmen gearbeitet und bin meiner Arbeit quer durch Deutschland hinterher gereist. Ich hatte mir ausgerechnet, dass ich auf diese Art eine Chance habe, zumindest annähernd an das Rentenalter heran zu kommen, weil es bei Projektarbeit ja nicht wichtig ist, wie alt jemand ist, sondern dass er kann, was gerade gefordert wird. Das bedeutete die meiste Zeit eine 70-Stunden-Woche mit Übernachtungen in Pensionen, die teilweise einfach nur gruselig waren. Und wenn mal kein Projekt in Sicht war, habe ich sogar unbezahlten Urlaub genommen, um meinen Arbeitsplatz zu erhalten.

Und als ich dann trotzdem (mal wieder!) die betriebsbedingte Kündigung bekam, habe ich im Frühjahr sogar noch versucht, die Sache auf freiberuflicher Basis weiter zu machen. Und das konnte gründlicher und schlimmer nicht schief gehen. Ich habe einen Haufen Geld ausgegeben für ein autobahntaugliches Auto, mich mit den Behörden herumgeschlagen, bin angereist, habe Hotelzimmer gebucht, bin am Arbeitsplatz erschienen und durfte dann nach knapp 5 Stunden wieder abreisen, weil Projekt gestorben.

Seit dem bin ich ehrlich mit meinem Latein am Ende und habe Angst vor dem Arbeitsmarkt, weil ich nicht weiß, wo und wie ich noch mehr Einsatz zeigen könnte.

Irgendwie ist bei mir alles abgebröckelt, und auch an Ursachen für einen Depression habe ich einiges zu bieten. Da könnte ich anfangen mit dem schüchternen, ängstlichen Kind, das von einem engen Familienangehörigen mißbraucht wurde und sich als Kind schon anhören durfte "du freust dich ja überhaupt nicht richtig" mit Problemen in der Schule, dann ein Intelligenztest mit dem Ergebnis 138, und dann nur noch "nun streng dich mal an, du bist doch nicht doof!". Dann mein erster fester Freund, miit dem ich ziemlich lange zusammen war, der dann feststellte, dass er schwul ist und damit zu meiner besten Freundin wurde, der dann als einer der ersten an AIDS erkrankte, und ich war nicht bei ihm, als er starb. Und ich vermisse ihn noch heute.

Dann mein Ehemann, Schwangerschaft, medizinisch indizierter Abbruch, Sterilisation, der heftigste Neurodermitisschub, den ich je gesehen habe, Scheitern der Ehe, wieder ein Arbeitsplatzverlust wg. Verkauf der Firma an die eigenen Landhändler. Der Kampf gegen die Neurodermitis, nur noch rohes Fleisch am Körper, nächtliches Verbrühen der Haut, um mal eine halbe Stunde Schlaf zu ergattern, fürchterlicher Haarausfall und Fingernägel fallen ab, keine Kleidung mehr auf der Haut zu ertragen, mal abgesehen von dem Anblick, der einer Figur in einem Horrorfilm alle Ehre gemacht hätte. Den Kampf gewonnen mit Homöopathie. Heute keine Symptome mehr.

Dann wieder Arbeitsplatzverlust, weil einziger Vorgesetzter was von mir wollte. Ich aber nicht von ihm. Mit verletzter männlicher Eitelkeit keine Zusammenarbeit mehr möglich. Kleine Katastrophen am Rande, wie ein nächtlicher Überfall auf offener Straße (Vergewaltigungsversuch, eins der großen Themen in diesem Leben) und ein paar Jahre später ein Wohnungseinbruch.
Ergebis: Erste tiefe Depression, Dauer ca. 2 Jahre.

Dann wieder Mut, Umzug in diese schöne Wohnung mit Aussicht ins Grüne, Arbeit bei Zeitarbeitsfirma. Erster Auftag in Stuttgart und nebenbei finde ich meine große Liebe eine Etage über mir. Arbeit macht mich fertig, weil Fahrerei Hamburg-Stuttgart = Deutsche Bahn, Pensionszimmer im 4.Stock, Toilette im Keller, Arbeit an sich aber brauchbar: Schön viel zu tun.

Ergebnis: Kaum noch Energie für den Mann an meiner Seite bei Wochenendbeziehung, aber ich dumme Kuh habe mich für die Arbeit entschieden.

Das konnte er nicht ertragen, weil er unter Angstzuständen und Panikattacken litt. Böses Ende am 13.Oktober 1997, und ich trauere heute noch darum. (Darin bin ich echt gut!) Aber zum Glück jede Menge Arbeit.

Nach 25 Monaten Stuttgart kam dann Hameln. Das dauerte nicht ganz so lange und dann ein paar Jahre Kiel. Dann tatsächlich 11 Monate Hamburg, was für ein Luxus. Danach wurde es dann langsam schwierig. Ein paar Wochen Karlsruhe aber nur als Reserve, die dann nicht gebraucht wurde, dazu die schwere Krebserkrankung des Vaters mit mehreren Aufenthalten auf Intensivstation.

Ich spüre, wie mich die Kraft verläßt. Nichts mehr zu tun, keine Arbeit mehr, nur die Angst vor der eigenen Nutzlosigkeit und der Anblick des Vaters, ganz gelb, bewußtlos an Schläuchen. Eine Hiobsbotschaft jagt die nächste. Ich bekomme Angst vor meinem Telefon. Nächtliche Notrufe, und ich jage in Jogginghose über dem Nachthemd im Auto durch die Stadt, um meinem Vater irgendwie beizustehen. Fühle mich dem nicht mehr gewachsen.

Großer Streit mit meiner Schwester, und meine Mutter ist auch mal wieder sauer auf mich, weil ich mit der "Kleinen" doch nicht so umgehen kann. Aber meine Mutter ist sowieso sauer auf mich, weil ich ja ihre Ehe zerstört habe. Das würde sie nie zugeben, weil man einem 10 Jahre alten Kind so etwas wohl kaum anlasten kann, aber immerhin hat sie für viele Jahre ohne Angabe von Gründen den Kontakt zu mir abgebrochen, als sie wieder heiratete. Erst als die Ehe scheiterte, nahm sie den Kontakt zu mir wieder auf, und das spricht doch eigentlich für sich. Ergo, schon recht komplizierte Familienverhältnisse.

Und dann mache ich Anfang diesen Jahres eine Kur in Bad Segeberg. Keine Medikation, kaum Therapie, irgendwie nur Bettenbelegung in einer Herzklinik. Werde als geheilt entlassen, fühle mich aber ganz und gar nicht so. Habe nur gelernt, dass es mir leider nicht gelingt, bei anderen Menschen Mitgefühl zu wecken, weil ich den Eindruck erwecke, als hätte ich alles im Griff.

Bin wieder Zuhause und mein erster Blick in den Briefkasten eröffnet mir, dass ich nun auch noch meine Wohnung verlieren soll, weil die Genossenschaft zu viel Geld für Neubauten und Veruntreuungen ausgegeben hat.

Und nun kämpfe ich seit fast einem Jahr dagegen und werde dabei immer einsamer. Ein Nachbar zieht jetzt z.B. aus, weil er sich ein Wasserbett wünscht und ihm die Genossenschaft nun genug Geld geboten hat. Und nun scheißt er auf die Erhaltung bezahlbaren Wohnraums.

Die einzigen Nachbarn, die ich hier im Aufgang noch habe, drehen gerne morgens um drei die Musik auf oder rufen mich mitten in der Nacht an, weil sie Zigaretten brauchen und keine Lust haben, vor die Tür zu gehen. Dass mir das Herz in die Hose rutscht, weil ich denke, mein Vater stirbt, ist besoffenen Leuten nicht nahe zu bringen.

Und dann frage ich mich, wofür ich da eigentlich kämpfe. Warum tue ich mir das an? Aber was ist denn die Alternative? Wenn ich wenigstens mir die Schuld geben könnte! Dann hätte ich auch die Macht, etwas zu ändern, aber noch nicht einmal an den 3 Autounfällen, die mich in diesem Jahrtausend betrafen, hatte ich auch nur eine Mitschuld.

Die waren einfach so, als wäre ich unsichtbar gewesen. Da fährt dann einer mit Volldampf auf schnurgerader Straße auf mein stehendes, vollbeleuchtetes Auto auf. Und ich stand da nur, weil vor mir einer links abbiegen wollte und ewig nicht konnte wg. Gegenverkehr. Wie geht sowas?! Ergebnis:Ein Haufen Ärger, Aua und Laufereien.

Oder ein A4 findet es witzig, von der Auffahrtrampe Kaltenkirchen (A7,zweispurig) zwischen zwei LKW's durch gleich auf die linke Spur durchzuziehen, damit direkt vor meine Nase, ich was 50 km/h schneller, kann nur noch ausweichen, weil bremsen = Crash mit 3 PKW's und 2 LKW's, also mache ich eine dritte Spur auf und bretter durch den Matsch an der Mittelleitplanke an diesem Irren vorbei.

Klappte sogar, aber dann der Versuch, wieder auf die Straße zu kommen, scheiterte nach einigen Schlengeleien, die mich zum Glück weit genug von allen anderen weg brachten, mit einem unfreundlichen Dreher und einem Krach gegen die Mittelleitplanke.

Und dann parke ich also verkehrt herum auf der linken Fahrspur der A7 und sehe den Verkehr nun auf mich zurollen, ergo kein guter Parkplatz. Auto lief aber noch, erstaunlicherdings, ich also Gang rein und ab auf die Standspur. Toller LKW-Fahrer verhindert, dass der A4 mit eingebauter Vorfahrt abhaut.

Unfallarzt hält mich für Simulanten und da ich Frau, ich sowieso Schuld an Unfall, weil zu doof zum Fahren. Ich sitz Zuhause und grübel ein paar Minuten darüber, wie ich den Unfall hätte verhindern können, komme zu keinem Ergebnis, stelle aber fest, dass die paar Minuten 5 Stunden gedauert haben. War schon komisch.

Denke gerade, ach herje, ich schreib mir hier einen Wolf und könnte noch ewig so weiter machen! Wer soll das denn alles lesen?! Aber darum geht es ja gar nicht. Ich kann es abschicken, und das ist toll. Und damit kann ich mir selbst auch mal vor Augen führen, was mir ständig alles so im Kopf herumkreist, so ohne Ende und ohne Ergebnis.. Ich sage ja, haufenweise Haare in der Suppe, und ich sehe die Suppe nicht mehr. Nichts nahrhaftes, nur Sachen, an denen ich mich verschlucke.

OK, es geht vielen milliarden Leuten bestimmt viel, viel schlechter als mir. Mein Problem ist doch einfach nur, dass ich zu viel Zeit zum Grübeln habe, was doch echter Luxus ist. Man reiche mir also einen Überlebenskampf. Den kann ich dann entweder bestehen oder daran scheitern und das ganz ohne schlechtes Gewissen. Und schon finde ich, dass ich mich schämen sollte, mir so etwas zu wünschen. Und da ist es wieder, das unverzichtbare, schlechte Gewissen und die Frage, wozu das ganze.

Wenn da wenigstens noch einen Sehnsucht oder ein Wunsch wäre, oder wenn ich wenigstens das Gefühl hätte, jetzt alles, was mir so an Übelkeiten passiert ist, raus gelassen zu haben, aber nö. Ich will eigentlich nur noch nach Hause, muß aber schon wieder Lachen, wenn ich mir vorstelle, was für ein schlimmer Finger ich in meinem letzten Leben gewesen sein muß, dass ich dieses Trommelfeuer an kleinen Katastrophen verdient habe.

Und immerhin findet sich in meinem Lebenslauf kein Krieg, keine Flut, keine Hungersnot, keine Obdachlosigkeit und auch keine Suchtkrankheit. Und das einzige, was ich brauche, ist ein Ziel, ein Wunsch, etwas wofür sich das alles lohnt. Aber ich würge immer nur an den Haaren in meinem Hals, bin froh, dass ich keine Kinder hier ausgesetzt habe und dass mich kein Partner ertragen muß. Bla, bla, bla. Das ist doch auch wirklich nicht zu ertragen! Meine Güte, geht mir diese dumme Kuh auf den Keks!

Aber zumindest kann mir keiner vorwerfen, dass ich die Abladeplätze, die sich mir bieten, nicht nutze.. Mein armer Therapeut kann ein Lied davon singen, und zumindest in der Masse ist das hier doch schon ziemlich beeindruckend. Was für eine Aneinanderreihung von Buchstaben, wow! Und momentan fällt mir doch tatsächlich nichts mehr ein, was ich hier noch hinmotzen könnte, was eine glatte Lüge ist, denn es gibt kaum ein Thema, an dem ich nichts auszusetzen hätte. Ich finde nur, dass es langsam mal reicht, denn nun wird es sogar mir zu viel!
tomroerich
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Re: Zu viele Haare in der Suppe

Beitrag von tomroerich »

Hallo Andrea,

hmmm, schon mal dran gedacht, deine Lebensgeschichte Hollywood anzubieten? Ist echt gruselig, was du schreibst und wenn ich dein Therapeut wäre, würde ich dich als erstes fragen, worüber du dich eigentlich wunderst und was ich da bitte therapieren soll, da doch deine Depressionen geradezu zwingend eine Folge eines solchen Lebens sein müssen. Dein Leben gehört therapiert. Ne, Ironie gehört hier einfach nicht her aber sie drängt sich mir auf wie der Gedanke, dass das ein Film sein muss, obwohl ich gleichzeitig sehr berührt bin bei der Vorstellung, dass du überhaupt noch lebst und noch leben willst. Wie hast du es geschafft, all diese Unglücke auf dich zu ziehen- das ist eigentlich die Frage, die in mir beim Lesen immer größer und größer wurde. Ich bin kein Mensch, der mit Begriffen wie Zufall oder Pech was anfangen kann, bloß versteh das jetzt um Himmels Willen nicht so, dass du dann wohl selbst dran Schuld sein musst.

Aber jemand, der so unglaublich anstrengend lebt und so dermaßen magnetisch auf Unglücke wirkt, der glaubt an irgend etwas. An was glaubst du bei deinem Kampf gegen diese Genossenschaft und warum grollst du dem Nachbarn, der es sich leichter machte? Vielleicht sind alle diese Dinge unabwendbar gewesen aber weißt was, das kann ich mir nicht vorstellen. Und wieder meine ich nicht "selbst Schuld", ich spreche wieder davon, an was wir glauben- auf eine Weise glauben, dass wir nie auf die Idee kommen, es könnte auch was anderes geben als eben diesen Glauben daran, dass man zum Sch....fressen geboren wurde.

Du hast mein tiefstes Mitgefühl, das kannst mir auch glauben, auch wenn es sich nicht so anhört. Aber ich bin so nicht, dass ich vor allem davon spreche. Du bist very intelligent und ich hoffe, du verstehst meine Gedanken so, wie ich sie meine und siehst kein mangelndes Mitgefühl darin.

Herzlichen Gruß!

Thomas
Betroffene für Betroffene

http://www.depressionsliga.de
Wolke2
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Registriert: 19. Dez 2005, 11:44

Re: Zu viele Haare in der Suppe

Beitrag von Wolke2 »

Hallo Thomas,
den Roerich interpretiere ich z.B. so, dass sich dahinter eventuell ein Fan von Brösel verstecken könnte. Ich suche im Baumarkt immer gern nach "Schnüffelstücken" oder auch "Nimm die Blaubeeren vom Tisch, die machen immer so'n Dreck" ist einfach herrlich, und die "Kasper-Busreisen" waren lange Zeit bei mir um die Ecke.

Und genau das ist es doch, darum lebe ich noch. Ich habe meinen Humor noch nicht verloren, auch wenn er zeitweilig so trocken ist, dass er nur noch staubt und ich heftigst husten muß.

Weiter habe ich gar kein Problem damit, dass sich jemand das Leben leicht macht, aber dann soll er bitte dazu stehen und nicht so tun, als wäre es anders. Das enttäuscht mich und tut mir weh. Und ich finde es nicht witzig, dass ich nun am Ende meine Wohnung verlieren soll, weil da jemand ein Wasserbett braucht. Obwohl, so beim Nachlesen... irgendwie witzig ist es doch...

Und warum ich kämpfe ist ganz einfach zu beantworten: Sich hinzusetzen und mit dem Schicksal zu hadern tut zwar gut, hilft aber nicht weiter. Ich brauche das Gefühl, es wenigstens versucht zu haben.
Und irgendwo ganz tief in mir drin, glaube ich sogar an einen Sinn, sonst würde ich es nicht versuchen. Hört sich irgendwie eigenartig an, aber Glaube halte ich für sehr wichtig.

Und aufgeschrieben habe ich ja nur ein Sammelsurium unter der Überschrift "Gründe für die Depression", was ja nicht bedeutet, dass mein Leben ein einziges Jammertal ist. Aber es hilft, wenn mir jemand das Gefühl gibt, dass ich mir nicht einbilde, dass das schon ziemlich hartes Brot ist, was ich da kauen muß. Dank dafür an Meister Röhrich! Und an Pech oder Zufall glaube ich auch nicht, ich kann mich eher mit dem Gedanken anfreunden, dass ich im letzten Leben ein absolut widerliches Fieh gewesen bin und dafür jetzt die Quittung bekomme, oder vielleicht kann ich mir ja sogar etwas darauf einbilden, dass eine höhere Macht mich für würdig und stark genug hält, diese Aufgaben zu bewältigen. Ist doch auch ein hübscher Gedanke.

Ich habe ja noch nicht einmal damit gerechnet, dass sich jemand durch den ganzen Kilometer endlosen Text kämpft, und ich kann mich nun noch so sehr bemühen und Deine Antwort 3x lesen, ich finde den Mangel an Mitgefühl einfach nicht. Vielleicht bin ich ja doch nicht so intelent, wie du denken tust
Majuha10
Beiträge: 464
Registriert: 2. Nov 2005, 16:32

Re: Zu viele Haare in der Suppe

Beitrag von Majuha10 »

Liebe Andrea,
ich lese jeden Deiner Beiträge in den unterschiedlichen Threads und möchte Dir ein dickes Kompliment machen. Du bringst es direkt und rasant auf den Punkt. Dein Humor ist köstlich, obwohl ich es so wahrnehme, als ob sich dahinter eine tiefe Traurigkeit verbirgt.
Ich habe den Eindruck als seist Du eine mutige und starke Frau, die unendlich viel gibt.

Ich freue mich schon auf weitere Einträge deinerseits.

LG Maruschka
Wolke2
Beiträge: 306
Registriert: 19. Dez 2005, 11:44

Re: Zu viele Haare in der Suppe

Beitrag von Wolke2 »

Hallo Maruschka,

na, dann fühle ich mich doch einfach mal freundlich gebauchpinselt. Vielen Dank für das Kompliment! Tut immer gut, und gerade dann, wenn da draußen nur noch lauter kleine Irre fröhlich vor sich hin zündeln und ein Puff und Päng nach dem anderen von sich geben, als würden sie dafür bezahlt.

Die tiefe Traurigkeit hinter der ganzen Fröhlichkeit liegt doch aber schon in Überschrift und Natur der Sache auf einer Homepage für Depressive. Ich habe das sogar für die Eingangsbedingung gehalten

Ein ganz lieber Gruß zurück
von Andrea (Was wörtlich übersetzt übrigens "der Starke" heißt. Ich mache also meinem Namen Ehre so gut ich kann und habe trotzdem einen Haufen Schuhe im Schrank )
Celestina
Beiträge: 33
Registriert: 7. Dez 2005, 16:13

Re: Zu viele Haare in der Suppe

Beitrag von Celestina »

Hallo Andrea,

jetzt muss ich es auch einmal loswerden: Du hast eine irrsinnige Kraft und ich liebe Deinen staubtrockenen Humor und die Selbstironie, die trotz allem immer wieder mal aufblitzen. Ich bin außerdem zutiefst beeindruckt von Deiner Offenheit.

Nach allem, was Du erlebt hast, ist Deine Depression meiner Meinung nach eine vollkommen "normale" Reaktion, so absurd sich das auch anhört.

Liebe Grüße
Wolke2
Beiträge: 306
Registriert: 19. Dez 2005, 11:44

Re: Zu viele Haare in der Suppe

Beitrag von Wolke2 »

Hallo Celestina,

mein Bäuchlein wird ja langsam richtig blank und ich selbst immer größer! Das könnte dazu führen, dass ich neben der Erkenntnis, dass ich eine ganz normale Irre bin, auch noch an Größenwahn erkranke Fühl Dich auch mal heftig geknutscht!

Und nebenbei möchte ich noch bemerken, dass ich heute einen ziemlich guten Tag habe, obwohl er viel zu spät anfing, was ich eigentlich schon mal hasse. Aber ich kann mit Stolz verkünden, dass ich es endlich geschafft habe, meine Winterdecke aus ihrem Versteck zu zerren und mich nun darauf freuen darf, nachher in ein frisch bezogenes Bettchen zu schlüpfen, selbst ganz frisch und duftig, und nicht mehr unter der dünnen Decke zu frieren. Und als wäre das noch nicht genug, säuselt im Hintergrund meine Waschmaschine leise vor sich hin, und ich habe es tatsächlich geschafft, die Handtücher von der Leine zu bekommen, bevor ich sie noch einmal hätte waschen müssen.

Und sogar, dass heute Silvester ist, kann ich ziemlich erfolgreich verdrängen, was sicherlich auch damit zu tun hat, dass ich hier nun sitze und in die Tasten klopfe mit dem guten Gefühl, nicht allein mit meinen komischen Gedanken auf diesem komischen Planeten zu sein. Ich kann nur DANKE sagen, auch wenn ich dabei feststelle, dass Worte manchmal viel zu klein sind.
Celestina
Beiträge: 33
Registriert: 7. Dez 2005, 16:13

Re: Zu viele Haare in der Suppe

Beitrag von Celestina »

Hallo Andrea,

danke fürs Knutschen. Fühl Dich zurückgeknutscht. Ich glaube, von der Depression zum Größenwahn ist es ein weiter Weg, da brauchst Du Dir sicher erst einmal keine Sorgen zu machen;-)

Celestina
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