Krank? Ich?

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SadSoul
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Krank? Ich?

Beitrag von SadSoul »

Wo soll ich nur anfangen, um den Menschen klarzumachen was mir fehlt ohne sie gleich mit meiner ganzen Lebensgeschichte zu langweilen… ich tu es mit einer Kurzfassung jetzt trotzdem ^^
Es fällt mir auch schwer die Vergangenheit objektiv zu rekonstruieren. Die philosophische Position des Konstruktivismus beinhaltet dass wir unsere Realität subjektiv erfinden (konstruieren) und nicht - wie nach realistischer Auffassung - objektiv entdecken. Ich glaube dass eine objektive Selbsterkenntnis nahezu unmöglich ist, aber dafür kann man ja mit anderen Menschen kommunizieren, um der „Wahrheit“ etwas näher zu kommen... So genug gelabert, jetzt zu mir

Vor zwölf Jahren wurde ich zum erstenmal depressiv. Wenn es dafür einen Auslöser gab, dann war es Mobbing. In meiner damaligen Klasse wurde ich schikaniert, Intrigen wurden gesponnen und auch vor körperlicher Gewalt wurde nicht immer zurückgeschreckt... Ich hatte erst meine Ruhe als ich begann mich aktiv zu wehren, der Mob hat sich dann ein besseres Opfer gesucht und gefunden. Jedenfalls war ich wochenlang niedergeschlagen, meine Leistungen verschlechterten sich rapide, ich konnte mich kaum noch konzentrieren. Alles was ich damals fühlte, sollte in den kommenden Jahren immer wiederkehren. Diese negative Gefühlswelt sollte ein Teil meiner selbst werden.

Im Jahr darauf wechselte ich die Schule. Mit viel Mühe schaffte ich es dort, Anschluss zu finden. Es ging mir besser, ich kam einigermaßen zurecht. Dennoch fiel ich zwischen 1995 und 1997 immer wieder in ein Loch. Mal war es saisonal bedingt, wenn die Tage kürzer und grauer wurden, im Herbst geht es mir jedes Jahr schlecht. Mal war es ein Todesfall oder auch nur kleine Niederlagen die mich aus der Bahn warfen.
Von Depressionen war damals nicht die Rede, ich redete mir sogar ein, dass es noch normal sei, dass es mit der Pubertät zusammenhängen würde. Ich wollte nichts besonderes sein, ich wollte einfach nur dazugehören...
Zwischen 1995 und 1997 hatte ich es auch geschafft, mir einen vernünftigen Freundes- und Bekanntenkreis aufzubauen. Ich gehörte dazu. Ich fing an auf Partys zu gehen, hatte meine ersten Erfahrungen mit den Mädels ... und ich hatte, leider, auch meine ersten Erfahrungen mit illegalen Substanzen gemacht. Als mich 1998 meine damalige Freundin sitzen ließ, fiel ich wieder zurück... mir ging es sehr schlecht. Es kamen noch ein “paar“ andere Sachen hinzu, und ich habe es einfach betäubt. Die Lösung war praktisch, man rauchte oder schluckte was, und paff, eine halbe Stunde später war man selig.
Gegen eine solche Therapie spricht...
1. Man schadet auf Dauer enorm seiner Psyche
2. Es kostet sehr viel Geld
3. Man kann die eigene Lage nicht mehr richtig einschätzen
4. Wenn man nüchtern ist, ist man depressiver als vorher
5. Man verliert den Kontakt zu Personen die nicht in einer solchen Szene rumhängen
6. Wenn man instabil ist, sollte man mit so was gar nicht erst anfangen
7. Wenn man stabil ist, wird man durch solche Geschichten instabil

Mittlerweile schreiben wir das Jahr 1999... ich hatte die Schule geschmissen und war mental eigentlich völlig fertig... Als einer meiner Freunde in der geschlossenen Psychiatrie landete, und eigentlich auch die anderen abrutschten, beschloss ich, den Kontakt zu dem ganzen Freundeskreis abzubrechen. (mittlerweile war es eh nur noch eine Zweckgemeinschaft). Ich suchte mir einen Job und beschloss meinen Schulabschluss nachzuholen. Nach einem kalten Entzug war ich zwar immer noch schön depressiv, aber es ging wieder aufwärts. Die Depressionen sind seitdem zwar nie mehr ganz weggegangen, die Welt war nicht immer grau, aber richtig gut wurde es nicht mehr. Ich ging wieder zur Schule, war gleich mal Klassenbester weil ich wirklich mein bestes gab... mangelnde Intelligenz war eigentlich nie der Grund für mein Versagen. Es gab auch wieder Menschen, die Interesse an mir zeigten und ich hatte auch wieder einen Bekanntenkreis mit dem ich am Wochenende was unternehmen konnte. Aber ich gab vor, jemand zu sein, der ich nicht war. Und mit den Menschen mit denen ich verkehrte konnte ich auch nicht über meine Sorgen und Ängste reden. Ich hatte Schuldgefühle, mangelndes Selbstwertgefühl, ich war innerlich unruhig und gleichzeitig hatte ich nicht sehr viel Antrieb... Das klingt paradox, aber die Unruhe blockierte mich. Ich habe es verlernt, überhaupt Freude zu empfinden, wenn ich nüchtern bin. Zwischen 2000 und 2004 gab es immer wieder Momente, in denen ich dieses menschliche Defizit mit Hanf verdrängt habe. Dieses künstliche Glück sind die besten Momente, an die ich mich aus dieser Zeit erinnern kann.

2001 hatte ich dann trotzdem mein Abi... und ging studieren. Ich hatte es sozusagen mal wieder geschafft. Die Welt stand mir offen, ich zog in eine andere Stadt, hatte eigentlich eine nette Wohnung, die zwar klein aber dennoch nett war... Eigentlich hätte ich zufrieden sein „müssen“... ich war es aber nicht, im Gegenteil. Meine Vergangenheit ließ mich nicht los... und ich verlor allmählich den Faden. Ich fing mich ganz an zu isolieren, erst privat, irgendwann ging dann auch mein Studium den Bach runter. Irgendwann verließ ich meine Wohnung kaum noch, meldete mich bei niemandem mehr. Der Mensch, der 2 Jahr lang in dieser Wohnung vegetiert hat, das war nicht mehr ich... es tut mir heute sehr weh, wenn ich daran denke, wie lange ich gebraucht habe, bis ich den Entschluss fassen konnte mir Hilfe zu holen. Ich war kraftlos, chronisch müde und hatte überhaupt kein Selbstwertgefühl mehr... selbst einfachste Dinge fielen mir schwer. Dieses Verhalten ist nicht logisch, absolut nicht... ehrlich gesagt, es ist verdammt bescheuert.
2003 brach ich mein Studium dann ab, man kann nicht studieren, wenn man nicht mehr zur Uni geht... das liegt auf der Hand. Ich ging arbeiten, aber ich hatte viele Probleme meinen Alltag zu bewältigen und wurde auf eine ziemlich unsoziale Weise am 1.April 2004 gefeuert (die Geschichte erzähl ich bei Gelegenheit mal). Jedenfalls war das der Auslöser der alles noch mal verschlimmerte, ich hatte streng genommen einen Nervenzusammenbruch und fiel diesmal in ein bodenloses Loch...
Die Depressionen schlugen in Todessehnsucht und etwas später in Selbsttötungsabsicht um... Ich habe mir das Leben nicht genommen, weil ich das vor allem meinem Bruder und meiner Mutter nicht antun wollte... Wenn man sein eigenes Leben schon ruiniert, dann muss man nicht noch andere runter ziehen. Ich versuchte eine Therapie zu machen, aber das lief auch nicht so wie erhofft. Meine Familie setzte mich, ohne schlechte Absicht, ziemlich unter Druck, dass es mir dann gleich besser gehen müsse... Leider hatte ich auch das Gefühl, dass der Psychiater/Psychotherapeut (er hatte eine doppelte Ausbildung gemacht) das genauso sah... Außerdem wirkte er während unserer Gesprächsstunden desinteressiert.
Allerdings verschrieb er mir gute Medikamente. 100mg Serlain (Zoloft), 100mg Trazodon und 50mg Solian täglich. Dass er mir in Bezug auf die Wirkungsweise und Zweck des Neuroleptikums Solian nicht die Wahrheit sagte, dass habe ich ihm verübelt und habe die Therapie dann abgebrochen. Tja, ich kann auch lesen und Dokumentation über Medikamente findet man reichlich, wenn man sucht. Für mich war das ein Vertrauensbruch und ohne Vertrauen macht das ganze keinen Sinn.
Ich schiebe die Schuld für diesen Misserfolg nicht dem Arzt zu, aber ausser mir Rezepte auszustellen, konnte er nichts mehr für mich tun.
Die Kombination sorgte aber wirklich dafür dass es mir dann wieder besser ging... ich fühlte mich etwas freier und konnte so zumindest die Suizidalität überwinden... Ein halbes Jahr später jedenfalls war ich wieder soweit, um zu arbeiten... Ich fand wieder einen Job... mein Leben wurde wieder besser... usw.

Aber ich bin weiterhin depressiv und bald ist der 1. April 2005... und ich stecke wieder in einem Loch. Ich habe Angst, dass ich wieder so abstürzen könnte, es geht mir momentan wirklich nicht gut. Aber ich werd mich jetzt auch nicht hängen lassen...

Ich möchte mich bei jedem bedanken, der den ganzen Beitrag wirklich gelesen hat , eigentlich wollte ich den letzten Teil ausführlicher erzählen, aber ich bin jetzt ziemlich müde und habe für heute keine Kraft mehr...

P.S. Wenn einem das Wasser bis zum Hals steht, nur nicht den Kopf hängen lassen
tm
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Re: Krank? Ich?

Beitrag von tm »

Hallo Leon.

Da wir ja gestern einen recht langen Chat hatten, denke ich, inhaltlich nicht mehr so sehr auf Dein Posting eingehen zu müssen.

Versuch mal den Moment ins Auge zu fassen: Du weisst schon...Saint Germain im Hintergrund..Du ein Hoegaarden, sie, ein Trappistenbier und dabei völlig ungezwungen reden.

Schwarzmalen kann man auch noch genug wenn man in der Höhle sitzt. Aber wenn die Möglichkeit zur Interaktion besteht, sollte man diese ergreifen. Selbst wenn es dann nicht der Idealvorstellung dessen entspricht, was man sich jetzt vielleicht unter einem der besten Abende seines ganzen Lebens vorstellen würde.
Aber die Ablenkung sollte man sich gönnen. Meist lässt sich dann am Abend noch genug, und meist noch klarer, darüber grübeln, was man in seinem Leben so falsch gemacht hat - wenn man dann überhaupt noch in der Stimmung dazu ist ...

Gruß,
Thomas.
Dendrit
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Re: Krank? Ich?

Beitrag von Dendrit »

Hallo Leon,

happig, Kloß steckt im Hals. Mit meiner Vergangenheit (ist aber was anderes) komme ich auch nicht klar. Ich vermute, Du bist sauer, wg. dem Solian. Kann ich verstehen - ich bekam es im Austausch eines bis dahin gut verträglichen AD's und das von einem Facharzt, weshalb ich seine Handlungsweise nicht nachvollziehen kann. Und die Fixdaten - in einem Thread wurde darüber "gesprochen" - haben viele. Eigentlich ist es ja wie Silvester: man erlebt die Stunde 0.00 bewusst, aber es ändert sich ja doch nichts. Die Uhr tickt immer noch 60 sec. für eine Minute. Aber schön, dass Du doch einiges überwunden und einen Willen dazu hast. Auch wenn es Dir jetzt mies geht. Bist Du in einer Therapie?

Meinst Du, eine Halskrause zur Unterstützung hilft, dass der Kopf oben bleibt?

LG, Manuela
SadSoul
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Re: Krank? Ich?

Beitrag von SadSoul »

Ich war sauer... weil er mir erklärte, dass Solian einfach ein "Verstärker" für die ersten zwei Medikamente sei, aber das war natürlich Schwachsinn. Wenn das die Wahrheit gewesen wäre, dann hätte er auch einfach noch die Dosis der ersten beiden Medikamente erhöhen können. Dafür werden Neuroleptika nicht hergestellt. Ich wusste ja, was ich ihm erzählt hatte und als ich mich dann intensiver mit dem Thema beschäftigte, da schien es für mich auch Sinn zu machen, mir so was zu verschreiben... es ging im Kern um die antipsychotische und sedierende Wirkung (siehe, die beschriebene soziale Isolation, Gefühlsverflachung und auch etwas Paranoia, die innere Unruhe die mit meiner äußeren Antriebslosigkeit gekoppelt war/ist)
Ich verübele ihm nicht, dass er zum Schluss kam, dass er mir das Medikament verschreiben solle... sondern dass er mich als Patient, nicht aufklären wollte, selbst als ich ihn direkt danach gefragt hatte. Er hat mir das Medikament mehr oder weniger als Wunderwaffe verkauft und kein Wort über mögliche Nebenwirkungen und Spätfolgen verloren... Verlangt man wirklich zuviel wenn man, als Laie von einem Mediziner, eine ehrliche Antwort erwartet?

Dass er mal kurz 10 Minuten mit einem Kollegen vom Fach telefonisch über ein Symposium quatschte und dafür unsere Sitzung unterbrach, während ich mein Herz ausschüttete, na ja, das fand ich auch nicht so klasse... es war ja nicht so, dass er keine Sekretärin hatte. Die hätte die Nummer ruhig niederschreiben können, und er hätte dann zurückrufen können.
Na ja, egal, ich will den Mann jetzt auch nicht zu sehr niedermachen, die Antidepressiva haben ja wirklich die Symptome gelindert, und ein paar gute Ideen konnte er mir trotzdem auf den Weg geben... Ich dachte echt, das Problem wäre bald gelöst ^^
Vernünftig (lol/heul, sucht es euch aus) wie ich bin, hatte ich die Medikamente dann unter Aufsicht eines Hausarztes ausgeschlichen... das ging in etwa 3 Monate gut.

Im Moment mache ich keine Therapie und nehme auch keine Medikamente, aber ich werde, mir wieder ein Therapieangebot suchen - Ich will und muss auch konstruktiv mitarbeiten und neue Ideen aufnehmen... Ich suche nach einer langfristigen Lösung, und will mir wirklich Hilfe holen, ich habe es zumindest endgültig verstanden, dass ich meine Probleme nicht allein lösen kann und dass niemand sie für mich lösen kann. Ein bisserl Hilfe ist deshalb sehr willkommen...
Allerdings weiß ich momentan nicht, welches Ziel ich mir für eine Therapie setzen soll. Was ist realistisch, welche Angebote gibt es bei mir in der Gegend... wo sollte bei mir der Schwerpunkt der Therapie liegen... Sollte ich einer Selbsthilfegruppe beitreten, wo finde ich eine solche Gruppe... usw. usw.


Zumindest weiß ich seit heute, dass ich nicht bald meinen Job verliere und das wird mir bestimmt helfen, den Boden nicht gleich wieder unter den Füssen zu verlieren.
Ich bin heute um einiges gelassener als ich es die letzten Wochen war... ich hab sogar mal wieder vernünftig gegessen.


@Tom

Vielleicht sind ein paar Bier und ein süßes Lächeln wirklich das beste Antidepressivum
No risk, no fun
Dendrit
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Re: Krank? Ich?

Beitrag von Dendrit »

Hallo Leon,

SHG (Selbsthilfegruppe) ist eigentlich immer gut: Ich wollte auch zu einer gehen, aber in meiner direkten Umgebung is' nix - und Lust, 1,5 h abends wohin fahren, habe ich auch nicht, muss die Zeit ja auch wieder zurück. Ich habe mal bei NAKOS gesucht, vielleicht kannst Du was für Dich finden: http://www.nakos.de. Hier, eine kleine Belohnung für's vernünftige Essen:

LG, Manuela
SadSoul
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Re: Krank? Ich?

Beitrag von SadSoul »

Danke für den Link Manuela, leider konnte ich kein passendes Angebot dort finden... Ich wohne nicht in Deutschland, wenn es solche Gruppen bei mir in der Gegend gibt, dann sollten sie jedenfalls an ihrem Internetauftritt arbeiten

mfg
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