Diskussionsforum Depression

Hallo,

ich bin Studentin und habe total Probleme damit, wenn ich in Klausuren saublöde Fehler mache.Fehler, die man macht, weil man etwas nicht weiß,kann ich mir noch verzeihen. Aber wenn es welche auf dem Niveau von "von der falschen Seite in eine Einbahnstrasse fahren, obwohl man die in- und auswendig kennt" sind, komme ich da nicht drüber weg. Habe das jetzt bei einer Klausur schon 2x gemacht und kann sie erst wieder in einem Jahr schreiben.Und die Fehler sind so bescheuert, dass ich mich tierisch schäme-und ich weiß wirklich absolut nicht, warum ich die gemacht habe. Es ärgert mich so und ich fühle mich total dumm.Mein ganzer Selbstwert hängt davon ab.Habe gestern nur geheult und mich selbst verflucht.Wie lerne ich bloß, damit umzugehen?

birdy

Hey ihr da draussen,

wäre echt klasse,wenn ihr antworten würdet.

LG,birdy

Hallo Birdy,

umsonst heißt es nicht Lehrgeld bezahlen.

Jeder macht Fehler, auch schwerwiegende. Oder meinst Du wer z.B. mit seinem Auto beschwipst einen Unfall verursacht hat nimmt das einfach so hin? Auto kaputt, Strafe, Führerschein weg und Versicherung zahlt nicht.

Es gibt schlimmeres als eine Klausur zu verhauen. Manche machen sogar Fehler, die sie ruinieren, schwer verletzen oder töten.

Also, nicht unter Druck setzen, die Schwächen gehören genauso zu Dir wie Deine Stärken.

Nobody is perfect.

In diesem Sinne!

Gruß Simpl

Hi Birdy,

ich kann das gut verstehen. Ich habe einen fast schon 'wahnhaften' Perfektionsanspruch, es ist für mich unerträglich, manche meiner Defizite zu akzeptieren. Ich schäme mich zum Beispiel für jeden Rechtschreibfehler und jeden von mir empfundenen Stilmangel. Diesen Anspruch habe ich, weil ich befürchte, nicht 'geliebt' oder anerkannt zu werden, wenn ich fehlerhaft bin beziehungsweise meinem Selbstanspruch nicht genüge.

Auch hinter Deiner Problematik steckt vielleicht ein Anspruch an Dich selbst, der dazu dienen soll, die - von jedem Menschen so dringend benötigte - Anerkennung der Umwelt zu erreichen. Oftmals sind es auch frühe Verhaltensmuster, an deren Ursprung wir uns gar nicht mehr erinnern, also Situationen aus der Vergangenheit, in denen wir aufgrund gemachter Fehler von unseren Eltern oder anderen wichtigen Personen abgelehnt oder ausgelacht wurden und uns minderwertig fühlten.

Die Crux an der Sache: Je mehr Angst wir haben, desto nervöser werden wir. Und mit zunehmender Angst steigt auch die Gefahr irrationaler, chaotischer Handlungs- und Denkweisen, die die Wahrscheinlichkeit 'unnötiger' Fehler erhöhen. Wenn man also seine Angst vor Fehlern ein wenig abbauen kann, verringert sich auch deren Wahrscheinlichkeit, weil wir dann ruhiger werden, klarer denken und handeln können.

Aber eigentlich finde ich es total menschlich, daß man sich ein wenig schämt, wenn man 'dämliche Fehler' macht. Es hängt natürlich auch davon ab, inwiefern Du mit Deiner Gesamtperson einverstanden bist. Wenn das Grundselbstwertgefühl nicht okay ist, fällt es wesentlich schwerer, mit eigenen Detail-Defiziten umzugehen.

Wichtig finde ich auch den Dialog mit sich selbst. Kannst Du Dir denn Verständnis entgegenbringen? Was passiert, wenn Du versuchst, Deine eigene Fehlerhaftigkeit zu akzeptieren? Welche Ängste tauchen dann in Dir auf?


Grüße,
Chimera

Hi Chimera,

ich hab mich während der Klausur eigentlich aber gar nicht ängstlich gefühlt, das ist es ja gerade...kann`s mir nicht erklären.
Das mit den Noten ist bei mir tatsächlich so, weil ich mich schon früher nicht wirklich von meinem Vater geliebt gefühlt habe.Außerdem war ich meist auch unter Gleichaltrigen ein Außenseiter-schätze, dass es damit zu tun haben wird.Das "sich-selbst-unter-Druck-setzen"ist geblieben.Wie schaltet man sowas bloß aus?! Obwohl es mir manchmal ansatzweise auch gelingt, nur eben leider nicht in schweren Fällen.Muß eben weiter an mir arbeiten.

Liebe Grüsse

birdy

Hallo Birdy,

wenn die Fehler nicht aus mangelndem Wissen resultierten, waren es wohl Flüchtigkeits- beziehungsweise Konzentrationsfehler. Und woher kommt Flüchtigkeit? Aus Unruhe. Und woher kommt Unruhe? Aus Überforderung. Und woher kommt Überforderung? Aus dem Druck, in einer bestimmten Zeit mehr leisten zu wollen, als man leisten kann, mit mehreren Fragen gleichzeitig [was eigentlich nicht geht] beschäftigt zu sein.

Also: Du willst mehr leisten, als Du leisten kannst. Weil Du mit Deiner Leistung nicht zufrieden bist. Wer aber bestimmt, ob Du mit Deiner Leistung zufrieden sein darfst? Im Grunde nur Du. Deshalb, sei verständnisvoll mit Dir. Wenn Du Dir nicht den Druck gibst, mehr leisten zu wollen, als Du leisten kannst, wirst Du das, was Du eigentlich leisten kannst, auch in Klausuren umsetzen können. Du verstehst, wie ich das meine? Meine persönliche Erfahrung ist eben, daß zuviel Druck nur Chaos erzeugt. Fordern muß man sich schon, aber eben nicht überfordern, mit der Brechstange geht's meistens nicht...

Klar isses ziemlich ätzend, Klausuren wiederholen zu müssen, da kannste leider nix mehr dran ändern. Aber Du kannst Deine Leistungsfähigkeit nachhaltig verbessern, indem Du auch Deine Grenzen respektierst. Wir Menschen neigen immer dazu, den Anforderungen der Anderen entsprechen zu wollen, uns mit Mitmenschen zu vergleichen. Und klaro isses nicht leicht, Außenseiter zu sein, aber das sagt nix über Deinen Wert als Mensch aus. Menschen, die sich nicht so dolle in Gruppen integrieren, zeichnen sich häufig sogar durch besondere Stärke und Individualität aus. Und das ist ebensowenig was Schlechtes wie es was Tolles ist, ein Herdentier zu sein. Will sagen: Du bist der Maßstab, nicht Dein Vater und nicht die Anderen...


Grüße,
Chimera [Der sich seiner Kommasetzungsschwäche heute ergeben hat... <img src="images/icons/icon42.gif" alt="]

Hi Birdy,

ich bin keine Perfektionistin und auch nicht besonders ehrgeizig. Wenn ich aber von einer Sache begeistert bin, dann möchte ich sie auch gut machen - und dann ärgere ich mich schon mal über Flüchtigkeitsfehler. Ich erinnere mich z.B. noch sehr gut daran, dass mich ein Dozent mal angemacht hat: "Wenn Sie wenigstens intelligente Fehler machen würden - aber das hier...!" Ich war geknickt.

Inzwischen begegne ich Fehlern - wo immer es geht - mit Humor. Ich entscheide, wie ernst ich das Leben nehme. Wenn etwas schief gelaufen ist, sage ich mir möglichst: "He, super! Das hast du ja mal wieder fein hingekriegt. Schick!" Und lache drüber.

Anders sieht es bei der Arbeit aus. Wenn mich mein Chef rüffelt, bin ich sehr wohl sauer. Auf ihn. Mein Gefühl mir gegenüber ist dann eher Scham.


@ Chimera,

klasse Beitrag!


Grüße an alle
Lee

Hi Birdy,

ich kenne diesen Perfektionsanspruch ganz genau, und ich habe inzwischen verstanden, dass er nur ein Symptom für eine darunterliegende Krankheit/Persönlichkeitsstörung ist. Das ist jetzt sehr allgemein, ich weiß. Was ich sagen will ist: Kämpfe nicht gegen diese Sucht nach Perfektion, suche die wirklichen Gründe, auch wenn du dafür weit zurück und tief in dich hineinschauen musst.

Viele Grüße,
Stefan

Hallo Ihr!

Auch ich erlebe oft totale Schamgefühle bei den kleinsten Fehlern, die gehen z.T. so weit, dass ich mich vollständig selbst entwerte.

Im Internet habe ich irgendwo Seiten zu einem Anti-Scham-Training gefunden. Das besteht darin, daß man übt, sich bewußt "lächerlich" zu machen. (Z.B. jemanden auf der Strasse fragen, wie eigentlich unser Bundeskanzler heißt.) Allein diese Übungen durchzulesen hat mich total erheitert. Wenn ich sie wohl auch nicht so direkt umsetzen werde (z.B. in der Strassenbahn laut singen, jemanden absichtlich mißverstehen, sich dumm stellen), war ich doch irgendwie erleichtert und erlaube mir seitdem auch mehr Fehler.
Liebe Grüße!
orangezimt

oh,shit ...daneben, fehler gemacht ... - ich denke dann immer an diesen ganz weisen Ausspruch von meinem ex-freund:

"keiner ist perfekt - und im umkehrschluß heißt das: es gibt auch nicht den perfekten volltrottel."

also, nicht verzagen bei fehlern, auch wenn sie einem wirklich total dämlich erscheinen

Auch ne mögliche Reaktion: "Wie, ich hab das falsch gemacht? Müssen wir korrigieren - hab ich doch schon wieder unsere Arbeitsplätze gerettet" ich nehm sie immer mit Humor und ein bißchen Selbstironie.

"Mist, hab ich 's nicht hingekriegt, noch das Gebäude mit einzureißen ! ISt wohl nicht mein tag heute..."

Hallo,

wenn ich einen Fehler, der Folgen nach sich zieht, z.B. im Büro mache, kann ich das manchmal durchaus eingestehen und wieder geradebiegen, soweit möglich.

Aber je schlechter es mir insgesamt geht, desto eher habe ich das Gefühl, durch einen Fehler jegliche Rechte verspielt zu haben. Z.B. habe ich irgendwas verdaddelt oder nicht rechtzeitig fertig, es wird kurz gerügt, und ich traue mich den Rest des Tages nicht mehr Piep zu sagen oder gar einen Kaffe zu trinken. Ich muß es ausbügeln, mir meine Daseinsberechtigung erst wieder erarbeiten. Auch kleinere Fehler sind mir oberpeinlich, sogar hier im Forum kann ich kein Posting mit Fehlern stehenlassen, muß ich alles sofort korrigieren. Und genauso streng bin ich leider mit anderen.

Irgendwie fange ich immer an zu bewerten, und es fällt mir schwer, die Person von ihrer Tätigkeit zu trennen. Es ist doch ein Unterschied, ob man jemandem sagt: Das hast du vielleicht etwas ungeschickt angefangen" oder "du bist ungeschickt".

Na ja, ich habe mich von klein auf durch meine Leistung definiert, ich war gut in der Schule, selbstverständlich habe ich studiert, obwohl ich vielleicht in einem anderen Beruf viel zufriedener gewesen wäre, aber meine Familie hat mir ihre Ansprüche sehr wirkungsvoll eingetrichtert.

Ich könnte Romane zu diesem Thema schreiben, aber das erspare ich euch lieber. Jedenfalls hat das ganze sicher sehr viel mit der Depression zu tun.

Wer einen Fehler gemacht hat, ist dadurch kein schlechterer Mensch!!!! Das sollte ich mir mal übers Bett hängen.

viele Grüße
Annette