Sport und Bewegung - Allheilmittel bei Depressionen

[Philomena]

Hallo zusammen,

ich möchte mal ein Thema aufgreifen, das mich zusehends ärgert! Ich leide schon seit Jahren unter Depressionen, nehme Medikamente. Zwischendrin auch Therapie bzw. Aufenthalte in psychosomatischen Kliniken. Viele gute Ansätze konnte ich mitnehmen. Jedoch stelle ich immer wieder fest, dass bei schwersten Depressionsschüben (Übelkeit, extreme Schwäche etc.) mein Psychotherapeut immer hervorhebt, wie gut doch Bewegung und Sport hilft. Ich möchte anmerken, dass ich, wenn irgendwie möglich, raus gehe, Yoga mache usw.
Wenn es mir aber extrem schlecht geht dann habe ich die Erfahrung gemacht, dass ich nach ein paar Metern umkehren muss und einfach nicht mehr kann.
Ich fühle mich deshalb manchmal ziemlich schlecht und als "Faulpelz", wenn ich momentan eben nicht raus gehen kann und in der Wohnung bleibe. Manchmal habe ich das Gefühl, dass sich so manche Therapeuten gar nicht in den kranken Menschen einfühlen können. Jeder Mensch ist eben anders, was für einen passt, muss für den anderen nicht gut sein. Welche Erfahrungen habt Ihr?

Liebe Grüße Philomena

[Gartenkobold]

Hi Philomena,

letztes Jahr hatte ich das erste Mal Corona und hatte sehr lange Lungenprobleme. Wenn ich einen Spaziergang machen wollte bin ich zum nächsten Bushäuschen gelaufen und musste mit dem Bus zurück fahren weil ich keine Puste mehr hatte. Die Dame vom IFD meinte Sport wäre ja so gut und ich solle mal ordentliche loslegen - ähm ja wie denn? Ging ein halbes Jahr nicht. Derzeit habe ich was am Fuß und muss mich operieren lassen. Mein Therapeut meinte ich würde ja so große Fortschritte durch den vielen Sport - hallo ich kann seit 4 Wochen nicht gehen. Nix mit Sport.

Generell hilft mir Sport schon bei der Depression, regelmäßig. Als ich Ausdauerlaufwettkämpfe gelaufen bin, ging es mir psychisch richtig gut. Das Training hat besser gewirkt als Medikamente. Aber dafür braucht es eine gewisse körperliche und psychische Fitness.

Als es mich psychisch sehr schlecht ging, konnte ich nicht laufen und bei Migräne, Corona und Fußproblemen auch nicht. Ne da bleibe ich daheim auf der Couch mit Decke und Co. Was denken die sich. Sport ist das Placebo für das Helfersystem. Sie denken der Betroffene macht Sport und oh wunder es geht ihm besser, auch wenn er keinen Sport macht.
Mittlerweile um eine entsprechende Antwort nicht mehr verlegen.
Meiner Meinung sollte man sich nicht vorschreiben lassen was einem gut tut und ob es mir besser geht, dass kann nur ich entscheiden.

LG Gartenkobold

[Philomena]

Hallo Gartenkobold,
recht vielen Dank für deine schnelle Antwort. Ich sehe es auch so wie du. Jetzt fühle ich mich nicht mehr so allein mit dieser Erfahrung.

Noch einen schönen Abend wünscht Dir
Philomena

[DieNeue]

Hallo Philomena,

du hast eine pn von mir.

Liebe Grüße,
DieNeue

[Senif]

Hallo,

warum muss denn bei dem anderen was ankommen ? Einfach selbst entscheiden, was einem gut tut und fertig.

LG Senif

[Philomena]

Hallo Senif,
eigentlich hast du ja Recht, aber ich fühle mich oft ein bisschen unter Druck gesetzt und nicht ernst genommen. So ähnlich wie: "Bewegen Sie sich einfach mehr und treiben sie Sport, dann ist auch die Depri weg"! So ähnlich wenigstens.
Aber gut, letztlich muss jeder für sich entscheiden;

LG Philomena

[Philomena]

Hallo Die Neue

ganz lieben Dank! Habe die PN gelesen. Ich bin auch gerne im Garten aktiv und auch im Haushalt heißt es oft Treppen steigen. Ich denke fast, ich mache mir diesen Druck selber und soll doch mehr auf meinen Körper hören.

Danke und liebe Grüße Philomena

[Senif]

Hallo Philomena,

ja, es wird immer Menschen geben, die anderer Meinung sind. Die anders empfinden, die andere Erfahrungen haben. Kein Mensch versteht alle Menschen. Und nicht jeder, der mit Sport um die Ecke kommt, hat kein Verständnis.
Dennoch ist glaub ich das wichtigste, dass man für sich selbst entscheidet, was gut ist und was nicht. Das ist unsere Freiheit und Eigenverantwortung. Deshalb sind die anderen aber keine Unmenschen. Ich glaube, dass Beharren darauf, der andere möge doch bitte .... ist eine Sackgasse. Für einen ganz persönlich. Traut euch das "Verständnis-haben-wollen" mal über Bord zu werfen, und euren eigenen Weg zu gehen. Aus meiner Erfahrung ist das eine sehr befreiende und eigenverantwortliche Einstellung

LG Senif

[Suchende2]

Hallo Philomena,

ich habe Sport in der schweren Episode angefangen und hatte keinen Effekt.
Das habe ich mit meiner Therapeutin besprochen und sie hat mir erklärt, daß es manchmal tatsächlich so ist (vor allem in der schweren Episode).
Das hat mir den Druck genommen. Sport habe ich weitergemacht, auf meine Psyche hat er bis heute keinen Einfluß, nur auf meinen Körper.

Ich habe damals versucht, egal wie es mir ging, 1 x täglich spazieren zu gehen. Bzw. mich draußen zu bewegen. Das war an Therapietagen oder wenn ich Termine hatte zum Beispiel, daß ich 1 Bushaltestelle gegangen bin, an anderen Tagen bin ich spazieren gegangen.

Versuche in Bewegung zu bleiben (Dein Körper wird es Dir danken), aber mache Dir keinen Druck. Wichtig ist, daß Du raus kommst, wie weit ist erst einmal egal.

Alles Gute,
Suchende

[Philomena]

Hallo zusammen,
Eure Kommentare haben mir sehr geholfen, vielen Dank! Ja, ich versuche in Bewegung zu bleiben, jetzt ohne Druck oder schlechtes Gewissen.
Nochmals, vielen vielen Dank und alles Gute für Euch!

Philomena

[Senif]

Hallo Philomena,

freue mich über deinen Beitrag. Ja, das schlechte Gewissen und den Druck brauchen wir nicht. Wir können sie außen vor lassen

LG Senif

[Chozen]

Hallo Philomena,

Mir persönlich hilft Sport sehr gut. Insbesondere Ausdauersport. Ich gehe z.B. sehr gerne Schwimmen. In der Regel 2–3 die Woche für min. 45–60 Min. Ein "Allheilmittel" ist es nicht, aber eine gute Komponente von Vielen. Yoga, cool! Das habe ich z.B. noch nie ausprobiert, aber schon viel Gutes von gehört.

Du hast natürlich vollkommen recht mit dem, was du sagst. Jeder Mensch ist eben anders und manchmal geht es eben nicht. Es dann zu erzwingen hilft in der Regel auch nicht.

Beste Grüße.

[AussieGirl83]

Ich bin generell eher ein Sportmuffel. Als ich vor zwei Wochen verzweifelt beim Hausarzt saß, meinte er such, ich soll raus gehen, mich bewegen. Weniger für echten Sport als um meinen Körper zu spüren, die frische Luft um mich zu haben. Also bin ich brav los gelaufen. Und muss sagen dass es mir extrem gut tut. Ich habe ein normales Geh-Tempo, also nicht wahnsinnig schnell, aber laufe momentan viele viele Kilometer und jeder davon tut mir gut. Auch damit ich abends besser einschlafen kann. Natürlich grübelt man auch viel dabei aber oft merke ich dann nach ein paar Minuten dass dir Gedanken langsam verschwinden, mein Kopf freier wird.
Ist also bei mir in der aktuell Phase fast das einzige was hilft.

[Winterkind04]

Hallo,

ja, mir hilft auch spazieren gehen - wenn du in der Nähe irgendwo Zugang zu einem Wald hast, kann ich dir das auch empfehlen. Oder zu einem Fluss oder See. Ich probiere mich dann immer auf die Naturgeräusche zu konzentrieren.

Mache einmal die Woche Yoga - aber ganz langsam und gemütlich. Achtsamkeits -Yoga.

Und, was halt auch was ist - mache ich manchmal mich draußen wenn es wieder wettermässig geht einfach auf ner Bank setzen und probieren zu lesen oder traumreise hören. Habe einmal ums Eck einen ganz kleinen Park.

Im Sommer gehe ich auch gerne schwimmen.

Aber mit ausdauersport kann ich nichts anfangen. In der Reha hatten wir auch regelmäßig „Muckibude“ ich habe es gehasst

[lt.cable]

Ahoi, Philomena!

Ich denke, niemand möchte dich mit Sport und Bewegung ärgern. Beides ist bei uns in der Akutklinik ein zentraler Bestandteil jeder Woche für die Patienten. Nach den eigenen Möglichkeiten und persönlich darf man das natürlich auch grundsätzlich kritisch sehen (oder spätestens draußen explizit ablehnen). Gleichzeitig ist die mögliche positive Wirkung auf Psyche und (körperliches) Wohlbefinden wohl recht anerkannt wie auch ganz gut belegt.

Ein Wundermittel sind Sport und Bewegung nicht, eher ein Baustein im Gesamtkonzept. Ohne Garantie, manchmal vielleicht (zunächst) ohne unmittelbar spürbare Auswirkung, doch letztlich auf die eine oder andere Weise hilfreich und durchaus wohltuend. Lass dich nicht entmutigen oder stressen! Alltagssport wie Aktivitäten im Haushalt und bei der Hausarbeit zählt doch auch. Manche Dinge dort sind bereits ein gutes Training, wenn sie regelmäßig anfallen und von dir erledigt werden.

Es grüßt

lt.cable

[Chozen]

Ein Wundermittel sind Sport und Bewegung nicht, eher ein Baustein im Gesamtkonzept. Ohne Garantie, manchmal vielleicht (zunächst) ohne unmittelbar spürbare Auswirkung, doch letztlich auf die eine oder andere Weise hilfreich und durchaus wohltuend. Lass dich nicht entmutigen oder stressen! Alltagssport wie Aktivitäten im Haushalt und bei der Hausarbeit zählt doch auch. Manche Dinge dort sind bereits ein gutes Training, wenn sie regelmäßig anfallen und von dir erledigt werden.
lt.cable

Dem kann ich mich nur anschließen. Jede Aktivität zählt!

[heimway]

Hallo Philomena,
in schlechten Phasen kann ich mich auch kaum bewegen. Dann ist an Bewegung oder gar Sport überhaupt nicht zu denken. Ich akzeptiere es dann einfach und mache auch nichts. Generell ist es bei mir so, dass Sport gut wirkt. Aber in schlechten Phasen geht es eben nicht.

Ich denke auch, dass Therapeuten vieles nur aus der Theorie kennen. Erst diese Woche habe ich die Psychiaterin gefragt, ob sie auch schon mal Depressionen hatte und nachvollziehen kann, wie sich das anfühlt. Das hat die sehr verärgert. Warum sollte jemand, der mein Problem nur aus der Theorie kennt, meinen, mir zu sagen, was ich in schwersten Schüben kann oder nicht kann. Das weiß ich selbst am besten. Man sollte ruhig mutig sein und sich nicht entmündigen lassen.

Sei milde mit dir. Dein Körper braucht wohl einfach viel Ruhe , wenn er danach verlangt. Jim Carrey hat es formuliert: "When you are depressed it means that your body needs a deep rest" Da ist für mich jedenfalls was dran.

Gute Besserung dir weiterhin

[Wilhelm_59]

Hallo Philomena.
Generell ist es doch wie bei allen anderen Dingen im Leben. Der eine schwört auf Fisch, den anderen jagd man damit auf den Baum!

Die daraus resultierende Ableitung kann nur bedeuten, das jeder das für sich finden sollte, was zu ihm paßt und am besten hilft. Du mußt es mögen und wollen. Dieses MUSS, Sport hilf immer, kann stimmen, muss aber nicht stimmen! Die Frage ist nur wobei könnte es helfen? Letztlich hast du dir doch die Frage schon selbst beantwortet. Für dich ist es zur Zeit nichts!

Das Sport positive Auswirkungen auf Körper und Seele ausübt, möchte keiner abstreiten. Du wirst dich ja wahrscheinlich schon bewegen, aber eben nicht gerne im Powermodus oder wie im Training. Und wenn es gerade bei dir nicht paßt, dann solltest du dich nicht verrückt machen lassen, sondern dir was anderes suchen. Etwas was du gerne machen möchtest, von dem du denkst es hilft dir! Könnte ja auch lesen oder malen sein?

Ich habe es in Teilen auch so erlebt, das mir jeder erzählt das Sport die Möglichkeit sei, die Symptome zu lindern und sich besser zu fühlen. Und der Umkehrschluss nun zu denken, das wenn man mal kein Sport treibt, sei das Schlechteste, halte ich für ein wenig überzogen und auch wenig zielführend.
Wer es mag und wem es hilft sollte es tun, aber nicht für eine generelle Kritik für alle anderen verwenden, die es nicht tun .
Denn was anderen geholfen hat, muß nicht zwangsläufig auch dir helfen. Zumindest ist diese Herleitung genauso falsch wie ihr Umkehrschluss!

Ich sitze gleich wieder in der Sonne und genieße den sonnigen Tag im Müßiggang. Es macht Spaß und ich fühle mich mal ganz gut dabei und habe kein schlechtes Gewissen, es ohne Sport zu tun.

LG
Wilhelm

[Landalas]

Als ich in der tiefen Phase meiner Depression war, konnte ich kaum 100 m weit laufen ohne anhalten und schwer atmen zu müssen. Da war NICHTS zu wollen!

In der Klinik habe ich dann eine alte Idee von mir wieder aufgegriffen und habe einen etwa 2,20 m langen Holzstab um mich herum gewirbelt. Das war mehr als genug Sport für den Anfang.
Im Zusammenhang mit den Therapien und den vielen, tollen Gesprächen mit meinem Mitpatienten wurde auch die Fähigkeit mich zu bewegen langsam (!) besser.
Nach einiger Zeit konnte ich die 2 km in den nahegelegenen Ort ohne Anhalten in einem Rutsch bewältigen. Fragt nicht nach der Zeit, aber ich bin angekommen.

Früher habe ich viel Sport gemacht. Im Jahr 15-20.000 km Fahrrad gefahren, Basketball gespielt und noch viel früher habe ich sogar mal Leistungsschwimmen gemacht.
Während der immer schlimmer werdenden Depression, hat mir Sport immer weniger Spaß gemacht. Ja, manchmal hat mir der bloße Gedanke an Sport schon fast Schmerzen verursacht.

Jetzt wo es mir, was die Depressionen betrifft, wieder besser geht, macht mir Bewegung auch wieder mehr Spaß. Von einem Marathon bin ich noch genau so weit entfernt, wie der lang ist, aber ich mache schon wieder kleine Wanderungen in der Ebene und mittlerweile auch schon im "Hügelland". Meinen Traum wieder in den Alpen bergwandern zu gehen werde ich wohl erst im nächsten Jahr umsetzen können, aber es ein schon viel realistischer Traum geworden.

Aber manchmal, wenn mich die "pöhsen, schwarzen Monster" wieder mal zwischen haben, dann ist auch mit Sport Pause. Das ist halt so. Doch mittlerweile schaffe ich es sie immer schneller und nachhaltiger zurück zu drängen und dann ist wieder Zeti, Kraft und Lust für (moderaten) Sport.
Alles zu seiner Zeit.
Mein Psychiater sagte vor gut einem Jahr: "Sie müssen akzeptieren, dass Sie schwer krank sind!" Und niemand würde im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte von einem Schwerkranken erwarten, dass er ein paar Runden um den Block joggt.

Ja, Bewegung hilft die "pöhsen, schwarzen Monster" zu vertreiben. Aber wenn sie alle gemeinsam auf dem Brustkorb sitzend ein Picknick machen, dann ist halt keine Luft mehr für Sport da. Die gehen ja auch wieder und dann, dann ist auch wieder Luft und Energie für Sport!

[Ollibert]

Liebe Philomena,

ich finde, dass Du alles richtig machst und keineswegs ein Faulpelz bist!

Wenn Du erlaubst, erzähle ich aber kurz meine eigene Geschichte zum Thema Sport und Bewegung. Mir hat ein kleines Vehikel, das unten vor der Haustür steht, wahrscheinlich das Leben gerettet. Es ist das winzige Lastenrad meiner Frau. Damit hat sie Noten und Musikinstrumente herumkutschiert.

Als sie vor knapp drei Jahren ohne das kleinste Warnzeichen direkt vor meinen Augen (und leider auch denen meines Sohnes) starb, fiel ich in einen endlosen Abgrund. Sie war die Liebe meines Lebens, wir kannten uns seit der Schule und waren 38 Jahre zusammen. Aber wie das so ist, wenn man über Nacht zum Alleinerziehenden wird – es muss trotzdem weitergehen, immer weiter, und es gibt wahnsinnig viel zu tun.

Für alle meine Erledigungen nahm ich dieses kleine Rad, das plötzlich so verloren vor dem Haus stand. Und bald merkte ich, dass es mit guttut, damit herumzufahren. Anfangs war ich dreimal am Tag auf dem Friedhof und einmal am Klinikum, weil ich das alles nicht in den Kopf bekam und dauerhaft unter Schock stand. Manchmal musste ich so arg heulen, dass ich fast in den Graben gefahren wäre. Am Wochenende fuhr ich raus an unsere schönen Seen oder an der Isar entlang. Hauptsache fahren, immer weiter. So sind fast 20.000 km in zwei Jahren zustande gekommen, nur auf diesem kleinen Rad.

Irgendwann stieg ich wieder auf mein normales Rad um und zog mit dem D-Ticket und der Bimmelbahn weitere Kreise, erkundete wunderschöne Gegenden und schaffte es, dabei Kraft und neuen Lebensmut zu tanken. Heute muss ich sagen, dass meine Räder und die viele Bewegung die Steighilfe waren, um wieder herauszukommen aus diesem furchtbaren Abgrund.

Tatsächlich habe ich auch schon darüber nachgedacht, hier in München so eine Art Radel-Selbsthilfegruppe zu gründen, aber das steht auf einem anderen Blatt …

Viele liebe Grüße

Ollibert