Depression durch Krankheit

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Franzi2345
Beiträge: 1
Registriert: 2. Jul 2024, 21:10

Depression durch Krankheit

Beitrag von Franzi2345 »

Hallo zusammen,
ich bitte euch um eure Einschätzung:
Bei meinem Papa ist vor 13 Jahren Chorea Huntington diagnostiziert worden.
Ca. seit 3 Jahren (vermute ich, an Hand der physischen/psychischen Krankheitserscheinungen) ist die Krankheit ausgebrochen.
Seit Anfang des Jahres ist mein Papa hochgradig depressiv.
Dies äußert sich in teilweise komplett apathischem Verhalten, massive Ängste, komplette Freudlosigkeit und einer ständigen gedrückten sogar weinerlichen Stimmung. Das ist mittlerweile nicht mehr nur phasenweise sondern 24/7 gegeben. Hinzu kommen Schlafstörungen und kaum noch Aufmerksamkeit im Gespräch. Größere Menschengruppen können nicht mehr aufgesucht werden etc.. Mir fehlt eine bessere Umschreibung aber ich habe das Gefühl seit nunmehr über einem halben Jahr mit einem 3jährigen Kind zu tun zu haben.
Mir ist bewusst, dass hinsichtlich der Erkrankung Chorea Huntington nicht einzugrenzen ist ob die Depression im Zuge der Erkrankung oder eben auf Grund der Erkrankung (Zukunftsängste, Angst vor dem Sterben etc.) eingetreten ist.
Mein Papa lässt sich zwar seit einiger Zeit helfen (ich glaube aber eher um uns Angehörige ruhig zu stellen), die ärztlichen Hilfen schlagen aber nicht an (Tagesklinik, Psychotherapie). Das wurde sogar von den Ärzten selbst bestätigt. Grund dessen ist, dass mein Papa die Krankheit nicht akzeptiert bzw. sich damit auch nicht auseinander setzen will. Zusätzlich kommt Alkoholkonsum zu den verschriebenen Antidepressiva.
Ein befreundeter Psychologe gab mir den Rat, dass mein Papa vermutlich „noch tiefer sinken muss“ um schlussendlich selbst zum Entschluss zu kommen sich selbst helfen zu müssen, im Sinne von, dass er sich selbst um Hilfe bemüht.
Ich hatte nun die Idee, dass ich ihm insofern „helfe“, dass ich über ein Tonbandgerät mehrere Kassetten bespiele, die er sich immer wieder anhören kann, in der Hoffnung, dass meine Stimme mit dem gesprochenen Wort ihn zumindest dazu bewegt, einzusehen, dass er die ihm noch verbleibende Zeit (auf Grund Erfahrung aus der Verwandtschaft vermutlich noch ca. 3 Jahre) mit dem, meiner Meinung/der Meinung aller weiteren Angehörigen/als auch der Meinung der Ärzte, fehlenden Engagement zur Selbsthilfe/Hilfe von Außen, vergeudet. Ich weise hier extra noch darauf hin, dass ich die Tonbandaufnahmen NICHT als „Verständnis“ für ihn und seine Situation gestalten möchte, sondern eher als Weckruf
Ich habe mir hier viele Beiträge durch gelesen, die eher alle in die Richtung Unterstützung gehen ... ich wollte eure Meinung dazu wissen, ob es Erfahrungen damit gibt, wenn man als Angehöriger eher die Unterstützung entzieht.
Vielen Dank
AlexandreCharles
Beiträge: 61
Registriert: 17. Jun 2024, 06:11
Wohnort: Emmendingen

Re: Depression durch Krankheit

Beitrag von AlexandreCharles »

Hallo Franzi2345,
Es tut mir Leid von Deinem Vater und der damit sehr wahrscheinlich einhergehenden Belastung der Angehörigen zu lesen.
Speziell mit dieser Erkrankung habe ich keine persönlichen Erfahrungen. Ich arbeite zwar in der mobilen Pflege, aber da ist das Thema Demenz dominierend.
Soweit ich weiß ist bei Chorea Huntington die Zerstörung des Gehirns aber genauso vorhanden. Das hat sicherlich gravierende Folgen, auch für die emotionale Wahrnehmung. Und wie Du richtig schreibst: die Ängste sind auch nicht zu vernachlässigen, wie noch vieles mehr.
Deine Auffassungsgabe möchte ich lobend erwähnen, nicht immer setzen sich Angehörige so intensiv mit Krankheiten auseinander - das muss man ja auch erst einmal können.
Nun aber zum Thema Unterstützung. Ich möchte nichts falsches schreiben, es ist sehr heikel und ganz schnell werden Dinge falsch verstanden weil falsch interpretiert. Ich schreibe also NUR meine persönliche Meinung auf, die keinerlei Anspruch auf Richtigkeit hat. Ich vermute fast Du weißt es, aber ich wollte es noch einmal hervorheben.

Dein Vater hat womöglich große Schwierigkeiten sein Schicksal anzunehmen. Wie Du ja schreibst: er will es eventuell nicht akzeptieren, sich nicht damit auseinandersetzen. Und ganz ehrlich: ich finde er darf das machen wie er möchte. Den Alkoholkonsum fände ich jetzt unglücklich, aber auch da gilt zunächst den Patienten anzunehmen wie er ist. Menschen haben nun Mal Stärken und Schwächen.

Zitat: "Ein befreundeter Psychologe gab mir den Rat, dass mein Papa vermutlich „noch tiefer sinken muss“ um schlussendlich selbst zum Entschluss zu kommen sich selbst helfen zu müssen, im Sinne von, dass er sich selbst um Hilfe bemüht."
Und an diesem Punkt bin ich äußerst skeptisch. Grundsätzlich befürworte ich den Ansatz. Aber hier sehe ich die Ausnahme von der Regel: Depressionen sind insoweit gefährlich das man immer die Möglichkeit eines Suizids im Auge behalten sollte. Leider habe ich diesbezüglich einige Erfahrungen sammeln müssen (auch ganz persönliche).
Ich hätte Angst, durch Entzug von Unterstützung die Sehnsucht nach einem vorzeitigen Ende zu fördern. Und ich kann mir nicht vorstellen das dies gewollt sein könnte.
Depressionen sind emotional, sehr kompliziert und absolut individuell im Detail: ich bin davon betroffen und kenne durch diverse Klinikaufenthalte viele weitere Betroffene. Und das Thema rational zu erklären ist unglaublich schwer, ich empfinde es manchmal als unmöglich. Dann unterhalte ich mich immer sehr gerne mit anderen Erkrankten - da ist ein völlig anderes Verständnis für meine Probleme, selbst Ärzte und Therapeuten können das Gespräch mit Menschen die mein Schicksal teilen nicht ersetzen.
Habt ihr Unterstützung durch einen lokalen, mobilen Hospizdienst? Das wäre meine Empfehlung. Ich habe selber bereits Kurse zum Thema Begleitung besucht und möchte noch an weiteren Seminaren teilnehmen, um dann selber ehrenamtlich Unterstützung anbieten zu können. Die Situation Deines Vaters ist aussichtslos, und manchmal (oder sogar oft) kommen Menschen damit sehr schlecht zurecht. Was okay ist, ich möchte (noch) nicht wissen wie es mir damit gehen würde.
Für mich wäre klar: Unterstützung ist der Weg meiner Wahl. Zuneigung signalisieren, das kommt immer an, auch bei Demenzkranken erreicht man über positive Emotionen viel, was kognitiv gar nicht mehr möglich ist.
Ich verstehe deine Motivation: Du möchtest etwas tun, nicht hilflos zusehen. Der "Weckruf" lässt mich dies vermuten. Und so wichtig es ist auf Angehörige einzugehen, so steht für mich doch immer der Erkrankte im Fokus. Seine Bedürfnisse sollten wahrgenommen werden. Wenn er keine Auseinandersetzung mit dem Thema wünscht werde ich nichts daran ändern können. Meine Frage: Was hat dein Vater davon wenn Du ihn "zu seinem Glück zwingst"?
Es ist sein Leben, es ist seine Krankheit und es ist sein Umgang damit. Wäre eine Genesung möglich hätte ich anders geschrieben, aber die Konsequenz steht hier fest und kann nicht verändert werden.

Vielleicht möchtest Du dich mit meinen Ausführungen auseinandersetzen, vielleicht bist Du jetzt aber auch total sauer auf mich. Alles ist in Ordnung. Wie gesagt: eigentlich habe ich keine Ahnung - ich bin nicht dein Vater, und ich bin nicht du. Ich wollte nur Möglichkeiten aufzeigen, die ich durch meine persönlichen Erfahrungen, meine Arbeit und meine Ehrenämter gesammelt habe. Vielleicht ist ja irgendwas dabei, mit dem du etwas anfangen kannst.

Ich wünsche Dir enorm viel Kraft für die weitere Begleitung deines Vaters. Und vergiss bitte nicht, an deine eigene mentale Gesundheit zu denken und deine Batterien ab und zu wieder aufzuladen. Du bist es dir schuldig, jeder hat ein Recht auf körperliche und seelische Unversehrtheit., soweit es möglich ist.

Und jetzt genug von mir. Ich drücke Dich virtuell ganz fest und hoffe, ihr findet einen Weg mit eurem Schicksal umzugehen.
Liebe Grüße Alex
Ich bin zu alt um jung zu sterben.
Neda
Beiträge: 7
Registriert: 25. Dez 2020, 21:13
Wohnort: Frankfurt

Re: Depression durch Krankheit

Beitrag von Neda »

Ich finde es gut, dass du dir Gedanken darüber machst, wie du deinem Papa helfen kannst, auch wenn das bedeuten könnte, schwierige Entscheidungen zu treffen. Dein Vorschlag mit den Tonbandaufnahmen zeigt, wie sehr du versuchst, ihn zu erreichen.
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