Vorstellung und Biografieversuch
Verfasst: 18. Jun 2024, 20:08
Hallo miteinander,
(Edit: das ist sehr lang geworden und vermutlich selbstmitleidig. Aber ehrlich, das ist wichtig für mich. Danke falls irgendwer das liest)
Mir wurde der Tipp gegeben, mal meine Biografie aufzuschreiben um da endlich mal ein bisschen Ordnung in mein Chaos zu bringen. Ich hab schon sehr, sehr oft angefangen, aber ich verlaufe mich dabei irgendwie immer in Details und werde sehr emotional. Nun will ich es trotzdemnochmal versuchen.
Ich bin 38, Single und bin seit März mit Burnoutverdacht krankgeschrieben worden (arbeite in der ambulanten Sozialosychiatrie) Diagnose nun ist eine Schwere Depression, rezidivierend. Bin zur Zeit in der TK. Wer ich bin wusste ich eigentlich noch nie.
Ich bin mit 3 Jahren zusammen mit meinem jüngeren Bruder in ein Kinderheim gekommen, weil unsere Alkoholabhängige Mutter vernachlässigend aufgefallen war. Sie selbst war psychisch krank, Borderline und Schizophrenie sowie mehrmals Psychosen. Selbst aus unguten familiären Verhältnissen, Gewalterfahrung etc. Sie erzählte später, dass sie nie vergäße wie ich geweint hätte und dass mir im Heim die Haare ausgefallen seien.
Ich bin das Resultat eines Onenightstands auf der Discotoilette, sprich Vater unbekannt. Er war Schwarz, so bin ich es also auch, mein kleiner Bruder ist der Sohn eines anderen und blond/ blauäugig.
Meine Pflegefamilie hat ihn ausgesucht, weil sie ein Baby wollten und ein Kind, das ihnen ähnlich sah um dem Gerede der Leute zu entgehen. Das hat meine Pflegemutter mir von Anfang an so erzählt, auch dass sie nie Mädchen wollte, weil die dumme Gänse seien. Sie hatte bereits zwei Söhne und wünschte sich einen dritten. Unser zuständiger Sozialarbeiter wollte uns Kinder aber nicht trennen und überredete meine Eltern, uns beide zu nehmen.
Meine leibliche Mutter brach zwei Entzüge ab und erschien nicht zu den Gerichtsterminen, so dass das Gericht für die Pflegefamilie entschied. Da war ich etwa 4, fast 5.
Ich hatte Angst vor meiner PM und ihren kühlen, blauen Augen und ich litt (und leide) sehr darunter, dass sie mir immer sagte, dass sie mich eigentlich nicht gewollt hatte. Was sie mir über meine ersten Lebensjahre erzählte war immer sehr kühl, beinah vorwurfsvoll. Z.B., dass andere Familien mich gewollt hatten, aber nur weil sie mich als "Schokomädchen" so niedlich fanden und mich verhätscheln wollten, so wie meine LM mich verhätschelt, meinen kleinen Bruder aber vernachlässigt hätte. Dass meine Mutter gar keine richtige Mutter sei und ich mir einbilde, sie würde mich lieben. Dass ich manchmal tagelang nicht sprach und steif wurde wie ein Brett, wenn man mich anfassen wollte. Ich erinnere mich, wie sie mich packte. Einmal stellte sie mich in Unterhose vor die Haustür und sagte, ich solle doch zu meiner Mutter gehen aber nur mit dem, was mir gehöre. Da war ich 5. Ich habe auch oft gekotzt, meist wenn wir alle zusammen waren, beim Essen. Nachdem sie mich unter die kalte Dusche gestellt hatte passierte das nicht wieder.
Meine LM hatte mich immer bei meinem zweiten Namen genannt (habe einen Doppelnamen), den fand meine PM aber scheußlich, so dass der nie wieder genannt wurde und auch ich selbst lehnte ihn viele Jahre ab. Wenn andere Erwachsene mich in anlächelten und mir über den Kopf streichelten sagte sie ärgerlich, ich solle mir nicht einbilden etwas Besonderes zu sein. Ich hab irgendwie nie verstanden was sie in mir sieht.
Ich erinnere mich mit dem ganzen Körper an diese Steifheit, das nicht-mehr-reden-können und diese Angst und Einsamkeit, manchmal passiert das noch heute wenn ich mich emotional sehr überfordert fühle.
Meine LM jedenfalls kam unzuverlässig zu Besuch, bis ich etwa 6 war. Danach zogen wir um und ich sah sie nie wieder. Das letzte Mal hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt, aber das macht all das hier zu lang.
Ich war gut in der Schule und beliebt bei den Lehrern. Zuhause wurde ich oft "Schleimerin" genannt. Dass ich anderen erzählen würde, wie schlecht ich es hätte, aber sowas habe ich nie gesagt (bis ich über 30 war) Ich war immer gut integriert und habe gern gemalt und gelesen. Mein kleiner Bruder wurde schwierig, jähzornig und irgendwas war immer los bei ihm. Er bekam früh die Diagnose ADHS. Plötzlich war er das kleine A-Kind und ich die Brave die so schön malt.
Ich habe mich ihm gegenüber schon als Kind schuldig und verantwortlich gegenüber gefühlt. Ich weiß aus Erzählungen meiner LM, dass ich ihn oft tröstete als wir noch bei ihr lebten, weil sie nicht da war oder betrunken. Meist passte ihre Schwester auf uns auf.
Ich schämte mich aber auch, dass meine Mutter ihn abgelehnt und mich verhätschelt hatte. Ich glaubte das ganz einfach, und ich fühlte mich in seiner Schuld. Der Arme, vernachlässigte und verlassene Junge. Er schlief bei meinen Eltern im Bett und meine PM kümmerte sich intensiv um ihn. Ich habe mir damals schon immer, wenn ich Eifersucht verspürte, gesagt, dass er es braucht, es viel nötiger hatte als ich. Ich hab mich immer schuldig gefühlt für meine LM. Weil ich sie liebte, sehr und sie immer vermisste, obwohl sie so ein furchtbarer und "asozialer" Mensch war.
Ich habe ihn immer gedeckt und dafür oft Schläge einkassiert wenn er erwischt wurde. Irgendwie wurde auch immer davon ausgegangen dass wir zusammen unter einer Decke steckten (was oft auch so war, bzw meine Versuche ihn abzuhalten wirkten nicht und ich verpetzte ihn nicht- einmal tat ich das und da bekam er so einen Hinternvoll, dass ich das nicht mehr wollte) Als wir älter wurden und mir seine Unartigkeiten zu krass, sagte er mir oft dass ich zu ihm halten müsse als seine "echte Schwester". Noch später warf er mir oft Verrat vor, wenn ich seine kriminellen Neigungen veruteilte. Nicht nur einmal griff er mich mit einer Schere an, so dass ich ihn festhielt und so lange auf ihn einredete, bis er sich beruhigte. Ich habe mich nie getraut meinen Eltern was zu sagen. Ich hatte Angst vor der Strafe und davor, dass wir wieder ins Heim müssen.
Mein PV hat uns oft damit gedroht, sowieso war er erniedrigend. Er hat uns nie geschlagen, aber klein gemacht und uns gesagt, dass wir nichts sind, nichts haben ohne sie. Dass wir wieder ins Heim müssen und dann ganz allein sind. Er stellte sich auf meine Füße, so dass es wehtat und kam mit seinem Gesicht ganz nah heran und flüsterte dann diese Drohungen. Ich hatte Angst, aber ich war auch unendlich zornig. Manchmal habe ich das Gefühl, dieser Hass ist irgendwie in mir eingefroren.
Meine PM sagte mir immer, ich sei wie meine PM. Blauäugig, dumm, naiv, weltfremd, faul. Und dass mit 18 alles vorbei sei, weil dann die Abmachung mit dem Amt nicht mehr gültig wäre. Ich hab das echt geglaubt...total. Ich hatte so Angst davor erwachsen zu werden...und dann völlig allein zu sein...
Ich hab so früh schon versucht zu verstehen, was sie in mir sieht, mit diesem kalten Blick, so verurteilend "du kannst mir gar nichts vormachen." Sie sagte mir oft, sie kenne mich besser als ich mich selbst. Ich hab immer gedacht, in mir sei irgendetwas Schlechtest, das ich nicht sehen kann aber alle anderen.
In meiner Kindheit gab es schöne Dinge. Ich war zu Geburtstagen eingeladen, es gab Familienfeiern, Urlaube. Es hat uns nie an irgendwas gefehlt und ich habe auch ein paar gute Werte vermittelt bekommen.
Aber wenn ich an meine Kindheit und Jugend denke, dann ist da nur Traurigkeit und Einsamkeit. Immer lächeln. Immer brav sein. Ganz viel reden aber nichts sagen.
Ich hatte mich immer weggeträumt. Ich war Saskia, blond und blauäugig, ohne Familie. Bis ich 14 war habe ich mein Leben parallel als sie geträumt. Ich war gar nicht richtig da, unsichtbar. Das wollte ich auch sein.
Seit ich 12 war hat mein PV mich immer wieder wie zufällig angefasst. Ich hab mich nichtmal mehr getraut an ihm vorbeizugehen und mir doch immer wieder eingeredet, dass das gar nicht passiert sei. Mit 19 habe ich mich selbst gezwungen, nicht abzudriften. Er fuhr mich in meine erste eigene Wohnung und als er mich zum Abschied umarmte, streichelte er so eindeutig meine Brüste, dass ich fassungslos darüber war, dass ich mich nicht geirrt hatte! Dass ich mir selber einfach so lange nicht geglaubt hatte...ich schlug ihm die Tür vor der Nase zu und hoffte, sie hätte sie ihm gebrochen. Danach passierte das nie wieder.
Mit 15 lernte ich meine LM kennen. Ich hatte das schon lange gewollt und mich irgendwann getraut zu fragen. Meine PM gab mir dann Briefe, die sie über die Jahre erhalten hatte. Meine LM hatte noch einen Sohn bekommen, ich hatte noch einen kleinen Bruder. Sie machte sich in dem Brief Sorgen, wie ich das aufnehmen würde. Nun war er schon 9 als ich von ihm erfuhr und von den Briefen, in denen sie mich sehen wollte und mich vermisste. Meine PM hatte sie aus Schutz mir gegenüber verwahrt, weil es immer so aufwühlend für mich gewesen war und sie wollte, dass ich endlich in der Familie ankommen konnte.
Ich entwickelte in den nächsten Jahren sehr viel Verständnis für meine PE und eine Wut auf meine LM. Das Treffen mit ihr war natürlich desillusionierend. Keine Mütterlichkeit. Nicht der Hafen, nicht die Geborgenheit. Nüchterne Wahrheiten, die ich nicht ertragen konnte.
Von da an war alles auf den Kopf gestellt, höchst ambivalent und dieses Chaos habe ich eigentlich nie sortieren können für mich.Sogar wenn ich jetzt darüber schreibe fühlt es sich an, als schriebe ich über jemand Fremdes.
Ich habe mich plötzlich dafür geschämt, dass ich alles falsch verstanden hatte, WIRKLICH! Dass meine PM immer recht gehabt hatte, ich mir alles nur zurechtgeträumt hatte und es die Liebe an die ich mich zu erinnern glaubte, nie gegeben hatte. Dass ich undankbar war und es allen schwer gemacht hatte. Dass es kein Wunder war, dass sie mich blauäugig genannt hatte und dass ich all das verdient hatte. Ich weiß gar nicht, woher das kam, und warum in dieser Wucht. Plötzlich war die Welt so fremd. Ich hatte mich immer irgendwie abgeschottet, aber nun war alles unwirklich und ich verstand einfach gar nichts mehr. Ich sähe die Welt nicht, wie sie sei sagte meine PM und nun wusste ich, dass es stimmte.
Zu der Zeit fühlte ich mich im wahrsten Sinne mutterseelenallein. Ich hätte nicht gewusst, wie ich irgendwas in Worte fassen sollte und auch nicht, wem erzählen? Ich weiß das ja heute nicht...
Ich wurde schechter in der Schule und konnte nicht aufs Gym wechseln und fing an zu kiffen und nur noch zuhause im Zimmer rumzuhängen, vorm PC. Mein Zimmer sah aus...ich hab noch Fotos davon, ein heilloses Chaos (heute weiß ich, außen wie innen) Dann diese Angst vor dem 18 Geburtstag...ich war in dieser Zeit wie weggetreten einfach. Hab Praktikum gemacht, den Abschluss, einen Job...vor meinem Auszug bin ich jeden Morgen heulend aufgewacht, habe mich zusammengerissen, auf der Fahrt zur Arbeit Musik gehört und versucht, alles hinzukriegen. Wie im Fieber. Als ich dann allein wohnte war meine Wohnung schnell vermüllt, so dass niemand mehr zu Besuch kommen konnte. In dieser Zeit wollte ich sehr oft sterben und hätte nicht ein Wort über mein Innenleben sagen können.
Wenn ich es mal versuchte sagten die Leute:" da hast du aber Glück gehabt dass du eine tolle Pflegefamilie bekommen hast." Und ich sagte ja und schalt und schalt mich innerlich für jeden aufkommenden schlechten Gedanken. Undankbar. Undankbar. Undankbar.
Ich hab meine Ausbildung abgeschlossen und war immer zuverlässig und engagiert bei der Arbeit. Damals fing das glaube ich schon an, dieses maskieren. Glaube kaum, dass irgendwer mir irgendwas angemerkt hat. Die Leute fanden mich nett. Bescheiden. Demütig. Freundlich. Zuvorkommend. Fröhlich sogar. Aber außerhalb der Arbeit traute ich mich nicht aus dem Haus vor Scham.
Nach der Ausbildung, Anfang 20, zog ich in eine kleine Stadt wegen eines Jobangebotes. Ich hörte auf zu kiffen und glaubte, ich hätte all meinen Shit verarbeitet. In dieser Stadt war ich zum ersten Mal nicht die einzige Schwarze und fühlte mich wie befreit. Keine Diskrimierungen und Beleidigungen mehr, im Gegenteil oft sogar eine besondere Offenheit. Ich war im Job geschätzt und fühlte mich kompetent. Ich hatte tolle Kolleginnen mit denen ich mich verstand und fühlte mich sehr erleichtert. Zum ersten Mal fühlte ich mich gut mit mir. Zwei Jahre in denen ich selbstbewusster wurde. Das war eine schöne Zeit.
Ich lernte meinen damaligen Freund kennen, wir zogen zusammen nach Hamburg, bauten einen tollen Freundeskreis zusammen auf. 6 Jahre waren wir zusammen und hatten viele schöne Momente zusammen. Ihm wollte ich mich anvertrauen, ein ruhiger Mann, bei dem ich mich sicher fühlte. Meine Familie mochte ihn, er sie aber nicht. Er kam bald auch nicht mehr mit auf Familientreffen. Meine Versuche, ihm etwas von meinem Erleben zu erzählen wies er als "olle Kamellen" zurück. Eine lange Zeit nahm ich das für mich an und war froh, dem Ganzen keine Bedeutung geben zu müssen. Aber irgendwann holte es mich ein.
Stumpfe Freudlosigkeit und Traurigkeit. Er war so überfordert von meinen Tränen, ich auch. Ich wollte gerne eine Familie mit ihm gründen, aber da kam so viel hoch...weil ich mich schämte gestand ich mir nicht zu, mir Hilfe zu suchen. Ich habe uns beide wohl damit überfordert und er verstand mich ebensowenig wie ich mich. Irgendwann entfremdeten wir uns, irgendwann trennten wir uns. Ich konnte ihm nicht verständlich machen, weshalb mich manches so tief erschütterte, fühlte mich zunehmend seltsam, gestört...
Ich hatte meine LM zufällig wiedergetroffen, ich arbeitete in dem Stadtteil in dem ich geboren worden war und sie noch immer lebte. In der Zeit erzählte sie mir viel aus ihrem Leben und ich konnte mich innerlich mit ihr aussöhnen. Ich lernte auch meine Tante, ihre Schwester kennen, die auf uns aufgepasst hatte. Sie stand als Kundin vor mir, ich hatte sie noch nie gesehen und auch kein Foto von ihr - überhaupt wusste ich erst seit wenigen Monaten von meiner LM, dass es sie gab und welche Rolle sie gespielt hatte. Aber als ich der fremden Frau in die Augen sah wusste ich sofort, sie gehört zu mir. Als sie meinen Nachnamen hörte zitterte sie und sprach mich mit meinem zweiten Namen an. Diese Liebe in ihrem Blick, diese Wärme...das hat mich so umgehauen...so hatte mich noch nie jemand angesehen.
Sie gab mir ihre Nummer und ich wagte es über ein Jahr nicht, mich bei ihr zu melden. Diesen Blick zu ertragen...dieses Wissen zu ertragen dass sie dagewesen war, immer...diese Liebe zu spüren, die einfach da war, mein Herz tat so weh!
Einmal traf ich sie, es war wie im Traum. Sie war so eine warme und liebe Person, aber ich hatte Angst sie und ihre Familie näher kennenzulernen, weil alles wieder zu kippen drohte. Dass da doch jemand war der mich geliebt hatte...das so vieles nicht stimmte, womit ich groß geworden war...ich habe sie nie besucht. Ein paar Monate später starb sie an Krebs. Glaube das ist das Einzige, was ich bereue. Dass ich zuviel Schiss hatte vor dieser Wahrheit, dieser Seite der Medaille.
Nach der Trennung von meinem Freund entwickelte ich so einige Symptome, wurde lange krank und brach dann bei der Arbeit zusammen. Kurz krank, wieder arbeiten, wieder krank. Ich suchte mir einen Therapeuten mit dem Ziel, Licht in dieses unbeleuchtete Chaos in mir zu bringen, aber wir arbeiteten dann eigentlich die vergangene Beziehung auf und nach knapp einem Jahr ging es mir besser. Ich kündigte meinen Job und begann eine Ausbildung zur Erzieherin, arbeitete dual mit Erwachsenen mit Behinderung.
Die Kenntnisse aus der Ausbildung haben mir eine neue Perspektive auf meine Biografie ermöglicht, mit der wir uns ja sehr auseinandersetzen mussten. Ich habe den damaligen Freund meiner LM kennengelernt, der all die Jahre ein Fotoalbum für mich aufbewahrt hatte. Zum ersten Mal Fotos meiner ersten 3 Lebensjahre...dieses fremde, strahlende Kind...so niedlich, verletzlich. Und schon wieder: konnte ich ihn nicht nochmal treffen. Es fühlte sich an, als ob meine Wirklichkeit zerbrach, schon wieder.
Über all die Jahre so viel in mir angesammelte verwirrte Gefühle...es fühlt sich jedes Mal an wie ein reißender Fluß in dem ich durcheinandergewirbelt werde, defragmentiere...und mich danach wieder zusammenpuzzeln muss...so anstrengend. Ich weiß dann nicht mehr, wer ich bin. Was wahr ist. Das ist das schlimmste Gefühl...einfach gar kein Halt mehr. Da ist so viel Wut und Traurigkeit in mir, und die richten sich mal hier, mal dorthin, aber niemals Klarheit, niemals Sicherheit.
Ich fühle mich so tief im Stich gelassen, so ungeliebt. Ich hab so lange danach gesucht, was in mir ist dass ich das verdient habe, was ich schreckliches gemacht habe. Wie ich ein besserer, ein guter Mensch sein kann und diesen Makel loszuwerden. Ich fühle mich beschämt und würdelos. Als ich die Fotos von mir sah konnte ich gar nicht verstehen, wieso denn niemand dieses kleine Mädchen in den Arm genommen und gekuschelt hat, ihm gesagt hat dass es sicher ist und alles wieder gut wird. Ich fühle mich übersehen und allein gelassen.
Vom Kopf her allein kann ich mir so viel erklären und verstehe es auch. Ich habe seit meinen 30ern so viel dazugelernt und auch soviel Stärke dazugewonnen, aber wenn irgendwas an dieser Wunde kratzt, versteift sich mein ganzer Körper und ich falle in dieses Loch, in dem es nur Fragezeichen gibt und nichts, an dem ich mich festhalten kann.
Ich hab mich in den letzten Jahren so angestrengt, diesem Abgrund fernzubleiben, und wenn ich doch mal irgendwas loswerden wollte, z.B. in den Therapien, dann hält mich Scham ab. Ich habe Angst vor einem Urteil. Anderen ist Schlimmeres widerfahren. Dein Leben ist doch gut. Wieso dramatisierst du so? Denk mal positiver. Sei mal dankbar. Sieh es mal von der guten Seite. Sieh, was du gewonnen hast. Reiß dich zusammen und stell dich nicht so an.
Aber in Wahrheit bin ich nicht dankbar für das alles. In guten Phasen ziehe ich viel Stärke daraus. In schlechten erstickt es mich. Und ich ertrage diese Ambivalenz nicht mehr. Meine Beziehungen halten nicht lang. Ich werde keine eigene Familie mehr gründen können (Operation vor 2 Jahren) Ich habe Zeit verschwendet, weil ich das Gefühl habe, wenn ich zu all dem in mir stehe dann zerbricht meine Welt wie sie bisher war. Und wer bin ich dann? Bin ich eine Lüge? War ich jemals echt?
Meine PM sagt heute in sehr kaltem Ton zu mir: " ich würd es nie wieder machen!" Ich kann sie verstehen, aber ich wünsche mir immernoch dass sie sagt: ..." aber es ist schön, dass es dich gibt." Aber ich weiß, dass sie mich nie geliebt hat.
(Edit: das ist sehr lang geworden und vermutlich selbstmitleidig. Aber ehrlich, das ist wichtig für mich. Danke falls irgendwer das liest)
Mir wurde der Tipp gegeben, mal meine Biografie aufzuschreiben um da endlich mal ein bisschen Ordnung in mein Chaos zu bringen. Ich hab schon sehr, sehr oft angefangen, aber ich verlaufe mich dabei irgendwie immer in Details und werde sehr emotional. Nun will ich es trotzdemnochmal versuchen.
Ich bin 38, Single und bin seit März mit Burnoutverdacht krankgeschrieben worden (arbeite in der ambulanten Sozialosychiatrie) Diagnose nun ist eine Schwere Depression, rezidivierend. Bin zur Zeit in der TK. Wer ich bin wusste ich eigentlich noch nie.
Ich bin mit 3 Jahren zusammen mit meinem jüngeren Bruder in ein Kinderheim gekommen, weil unsere Alkoholabhängige Mutter vernachlässigend aufgefallen war. Sie selbst war psychisch krank, Borderline und Schizophrenie sowie mehrmals Psychosen. Selbst aus unguten familiären Verhältnissen, Gewalterfahrung etc. Sie erzählte später, dass sie nie vergäße wie ich geweint hätte und dass mir im Heim die Haare ausgefallen seien.
Ich bin das Resultat eines Onenightstands auf der Discotoilette, sprich Vater unbekannt. Er war Schwarz, so bin ich es also auch, mein kleiner Bruder ist der Sohn eines anderen und blond/ blauäugig.
Meine Pflegefamilie hat ihn ausgesucht, weil sie ein Baby wollten und ein Kind, das ihnen ähnlich sah um dem Gerede der Leute zu entgehen. Das hat meine Pflegemutter mir von Anfang an so erzählt, auch dass sie nie Mädchen wollte, weil die dumme Gänse seien. Sie hatte bereits zwei Söhne und wünschte sich einen dritten. Unser zuständiger Sozialarbeiter wollte uns Kinder aber nicht trennen und überredete meine Eltern, uns beide zu nehmen.
Meine leibliche Mutter brach zwei Entzüge ab und erschien nicht zu den Gerichtsterminen, so dass das Gericht für die Pflegefamilie entschied. Da war ich etwa 4, fast 5.
Ich hatte Angst vor meiner PM und ihren kühlen, blauen Augen und ich litt (und leide) sehr darunter, dass sie mir immer sagte, dass sie mich eigentlich nicht gewollt hatte. Was sie mir über meine ersten Lebensjahre erzählte war immer sehr kühl, beinah vorwurfsvoll. Z.B., dass andere Familien mich gewollt hatten, aber nur weil sie mich als "Schokomädchen" so niedlich fanden und mich verhätscheln wollten, so wie meine LM mich verhätschelt, meinen kleinen Bruder aber vernachlässigt hätte. Dass meine Mutter gar keine richtige Mutter sei und ich mir einbilde, sie würde mich lieben. Dass ich manchmal tagelang nicht sprach und steif wurde wie ein Brett, wenn man mich anfassen wollte. Ich erinnere mich, wie sie mich packte. Einmal stellte sie mich in Unterhose vor die Haustür und sagte, ich solle doch zu meiner Mutter gehen aber nur mit dem, was mir gehöre. Da war ich 5. Ich habe auch oft gekotzt, meist wenn wir alle zusammen waren, beim Essen. Nachdem sie mich unter die kalte Dusche gestellt hatte passierte das nicht wieder.
Meine LM hatte mich immer bei meinem zweiten Namen genannt (habe einen Doppelnamen), den fand meine PM aber scheußlich, so dass der nie wieder genannt wurde und auch ich selbst lehnte ihn viele Jahre ab. Wenn andere Erwachsene mich in anlächelten und mir über den Kopf streichelten sagte sie ärgerlich, ich solle mir nicht einbilden etwas Besonderes zu sein. Ich hab irgendwie nie verstanden was sie in mir sieht.
Ich erinnere mich mit dem ganzen Körper an diese Steifheit, das nicht-mehr-reden-können und diese Angst und Einsamkeit, manchmal passiert das noch heute wenn ich mich emotional sehr überfordert fühle.
Meine LM jedenfalls kam unzuverlässig zu Besuch, bis ich etwa 6 war. Danach zogen wir um und ich sah sie nie wieder. Das letzte Mal hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt, aber das macht all das hier zu lang.
Ich war gut in der Schule und beliebt bei den Lehrern. Zuhause wurde ich oft "Schleimerin" genannt. Dass ich anderen erzählen würde, wie schlecht ich es hätte, aber sowas habe ich nie gesagt (bis ich über 30 war) Ich war immer gut integriert und habe gern gemalt und gelesen. Mein kleiner Bruder wurde schwierig, jähzornig und irgendwas war immer los bei ihm. Er bekam früh die Diagnose ADHS. Plötzlich war er das kleine A-Kind und ich die Brave die so schön malt.
Ich habe mich ihm gegenüber schon als Kind schuldig und verantwortlich gegenüber gefühlt. Ich weiß aus Erzählungen meiner LM, dass ich ihn oft tröstete als wir noch bei ihr lebten, weil sie nicht da war oder betrunken. Meist passte ihre Schwester auf uns auf.
Ich schämte mich aber auch, dass meine Mutter ihn abgelehnt und mich verhätschelt hatte. Ich glaubte das ganz einfach, und ich fühlte mich in seiner Schuld. Der Arme, vernachlässigte und verlassene Junge. Er schlief bei meinen Eltern im Bett und meine PM kümmerte sich intensiv um ihn. Ich habe mir damals schon immer, wenn ich Eifersucht verspürte, gesagt, dass er es braucht, es viel nötiger hatte als ich. Ich hab mich immer schuldig gefühlt für meine LM. Weil ich sie liebte, sehr und sie immer vermisste, obwohl sie so ein furchtbarer und "asozialer" Mensch war.
Ich habe ihn immer gedeckt und dafür oft Schläge einkassiert wenn er erwischt wurde. Irgendwie wurde auch immer davon ausgegangen dass wir zusammen unter einer Decke steckten (was oft auch so war, bzw meine Versuche ihn abzuhalten wirkten nicht und ich verpetzte ihn nicht- einmal tat ich das und da bekam er so einen Hinternvoll, dass ich das nicht mehr wollte) Als wir älter wurden und mir seine Unartigkeiten zu krass, sagte er mir oft dass ich zu ihm halten müsse als seine "echte Schwester". Noch später warf er mir oft Verrat vor, wenn ich seine kriminellen Neigungen veruteilte. Nicht nur einmal griff er mich mit einer Schere an, so dass ich ihn festhielt und so lange auf ihn einredete, bis er sich beruhigte. Ich habe mich nie getraut meinen Eltern was zu sagen. Ich hatte Angst vor der Strafe und davor, dass wir wieder ins Heim müssen.
Mein PV hat uns oft damit gedroht, sowieso war er erniedrigend. Er hat uns nie geschlagen, aber klein gemacht und uns gesagt, dass wir nichts sind, nichts haben ohne sie. Dass wir wieder ins Heim müssen und dann ganz allein sind. Er stellte sich auf meine Füße, so dass es wehtat und kam mit seinem Gesicht ganz nah heran und flüsterte dann diese Drohungen. Ich hatte Angst, aber ich war auch unendlich zornig. Manchmal habe ich das Gefühl, dieser Hass ist irgendwie in mir eingefroren.
Meine PM sagte mir immer, ich sei wie meine PM. Blauäugig, dumm, naiv, weltfremd, faul. Und dass mit 18 alles vorbei sei, weil dann die Abmachung mit dem Amt nicht mehr gültig wäre. Ich hab das echt geglaubt...total. Ich hatte so Angst davor erwachsen zu werden...und dann völlig allein zu sein...
Ich hab so früh schon versucht zu verstehen, was sie in mir sieht, mit diesem kalten Blick, so verurteilend "du kannst mir gar nichts vormachen." Sie sagte mir oft, sie kenne mich besser als ich mich selbst. Ich hab immer gedacht, in mir sei irgendetwas Schlechtest, das ich nicht sehen kann aber alle anderen.
In meiner Kindheit gab es schöne Dinge. Ich war zu Geburtstagen eingeladen, es gab Familienfeiern, Urlaube. Es hat uns nie an irgendwas gefehlt und ich habe auch ein paar gute Werte vermittelt bekommen.
Aber wenn ich an meine Kindheit und Jugend denke, dann ist da nur Traurigkeit und Einsamkeit. Immer lächeln. Immer brav sein. Ganz viel reden aber nichts sagen.
Ich hatte mich immer weggeträumt. Ich war Saskia, blond und blauäugig, ohne Familie. Bis ich 14 war habe ich mein Leben parallel als sie geträumt. Ich war gar nicht richtig da, unsichtbar. Das wollte ich auch sein.
Seit ich 12 war hat mein PV mich immer wieder wie zufällig angefasst. Ich hab mich nichtmal mehr getraut an ihm vorbeizugehen und mir doch immer wieder eingeredet, dass das gar nicht passiert sei. Mit 19 habe ich mich selbst gezwungen, nicht abzudriften. Er fuhr mich in meine erste eigene Wohnung und als er mich zum Abschied umarmte, streichelte er so eindeutig meine Brüste, dass ich fassungslos darüber war, dass ich mich nicht geirrt hatte! Dass ich mir selber einfach so lange nicht geglaubt hatte...ich schlug ihm die Tür vor der Nase zu und hoffte, sie hätte sie ihm gebrochen. Danach passierte das nie wieder.
Mit 15 lernte ich meine LM kennen. Ich hatte das schon lange gewollt und mich irgendwann getraut zu fragen. Meine PM gab mir dann Briefe, die sie über die Jahre erhalten hatte. Meine LM hatte noch einen Sohn bekommen, ich hatte noch einen kleinen Bruder. Sie machte sich in dem Brief Sorgen, wie ich das aufnehmen würde. Nun war er schon 9 als ich von ihm erfuhr und von den Briefen, in denen sie mich sehen wollte und mich vermisste. Meine PM hatte sie aus Schutz mir gegenüber verwahrt, weil es immer so aufwühlend für mich gewesen war und sie wollte, dass ich endlich in der Familie ankommen konnte.
Ich entwickelte in den nächsten Jahren sehr viel Verständnis für meine PE und eine Wut auf meine LM. Das Treffen mit ihr war natürlich desillusionierend. Keine Mütterlichkeit. Nicht der Hafen, nicht die Geborgenheit. Nüchterne Wahrheiten, die ich nicht ertragen konnte.
Von da an war alles auf den Kopf gestellt, höchst ambivalent und dieses Chaos habe ich eigentlich nie sortieren können für mich.Sogar wenn ich jetzt darüber schreibe fühlt es sich an, als schriebe ich über jemand Fremdes.
Ich habe mich plötzlich dafür geschämt, dass ich alles falsch verstanden hatte, WIRKLICH! Dass meine PM immer recht gehabt hatte, ich mir alles nur zurechtgeträumt hatte und es die Liebe an die ich mich zu erinnern glaubte, nie gegeben hatte. Dass ich undankbar war und es allen schwer gemacht hatte. Dass es kein Wunder war, dass sie mich blauäugig genannt hatte und dass ich all das verdient hatte. Ich weiß gar nicht, woher das kam, und warum in dieser Wucht. Plötzlich war die Welt so fremd. Ich hatte mich immer irgendwie abgeschottet, aber nun war alles unwirklich und ich verstand einfach gar nichts mehr. Ich sähe die Welt nicht, wie sie sei sagte meine PM und nun wusste ich, dass es stimmte.
Zu der Zeit fühlte ich mich im wahrsten Sinne mutterseelenallein. Ich hätte nicht gewusst, wie ich irgendwas in Worte fassen sollte und auch nicht, wem erzählen? Ich weiß das ja heute nicht...
Ich wurde schechter in der Schule und konnte nicht aufs Gym wechseln und fing an zu kiffen und nur noch zuhause im Zimmer rumzuhängen, vorm PC. Mein Zimmer sah aus...ich hab noch Fotos davon, ein heilloses Chaos (heute weiß ich, außen wie innen) Dann diese Angst vor dem 18 Geburtstag...ich war in dieser Zeit wie weggetreten einfach. Hab Praktikum gemacht, den Abschluss, einen Job...vor meinem Auszug bin ich jeden Morgen heulend aufgewacht, habe mich zusammengerissen, auf der Fahrt zur Arbeit Musik gehört und versucht, alles hinzukriegen. Wie im Fieber. Als ich dann allein wohnte war meine Wohnung schnell vermüllt, so dass niemand mehr zu Besuch kommen konnte. In dieser Zeit wollte ich sehr oft sterben und hätte nicht ein Wort über mein Innenleben sagen können.
Wenn ich es mal versuchte sagten die Leute:" da hast du aber Glück gehabt dass du eine tolle Pflegefamilie bekommen hast." Und ich sagte ja und schalt und schalt mich innerlich für jeden aufkommenden schlechten Gedanken. Undankbar. Undankbar. Undankbar.
Ich hab meine Ausbildung abgeschlossen und war immer zuverlässig und engagiert bei der Arbeit. Damals fing das glaube ich schon an, dieses maskieren. Glaube kaum, dass irgendwer mir irgendwas angemerkt hat. Die Leute fanden mich nett. Bescheiden. Demütig. Freundlich. Zuvorkommend. Fröhlich sogar. Aber außerhalb der Arbeit traute ich mich nicht aus dem Haus vor Scham.
Nach der Ausbildung, Anfang 20, zog ich in eine kleine Stadt wegen eines Jobangebotes. Ich hörte auf zu kiffen und glaubte, ich hätte all meinen Shit verarbeitet. In dieser Stadt war ich zum ersten Mal nicht die einzige Schwarze und fühlte mich wie befreit. Keine Diskrimierungen und Beleidigungen mehr, im Gegenteil oft sogar eine besondere Offenheit. Ich war im Job geschätzt und fühlte mich kompetent. Ich hatte tolle Kolleginnen mit denen ich mich verstand und fühlte mich sehr erleichtert. Zum ersten Mal fühlte ich mich gut mit mir. Zwei Jahre in denen ich selbstbewusster wurde. Das war eine schöne Zeit.
Ich lernte meinen damaligen Freund kennen, wir zogen zusammen nach Hamburg, bauten einen tollen Freundeskreis zusammen auf. 6 Jahre waren wir zusammen und hatten viele schöne Momente zusammen. Ihm wollte ich mich anvertrauen, ein ruhiger Mann, bei dem ich mich sicher fühlte. Meine Familie mochte ihn, er sie aber nicht. Er kam bald auch nicht mehr mit auf Familientreffen. Meine Versuche, ihm etwas von meinem Erleben zu erzählen wies er als "olle Kamellen" zurück. Eine lange Zeit nahm ich das für mich an und war froh, dem Ganzen keine Bedeutung geben zu müssen. Aber irgendwann holte es mich ein.
Stumpfe Freudlosigkeit und Traurigkeit. Er war so überfordert von meinen Tränen, ich auch. Ich wollte gerne eine Familie mit ihm gründen, aber da kam so viel hoch...weil ich mich schämte gestand ich mir nicht zu, mir Hilfe zu suchen. Ich habe uns beide wohl damit überfordert und er verstand mich ebensowenig wie ich mich. Irgendwann entfremdeten wir uns, irgendwann trennten wir uns. Ich konnte ihm nicht verständlich machen, weshalb mich manches so tief erschütterte, fühlte mich zunehmend seltsam, gestört...
Ich hatte meine LM zufällig wiedergetroffen, ich arbeitete in dem Stadtteil in dem ich geboren worden war und sie noch immer lebte. In der Zeit erzählte sie mir viel aus ihrem Leben und ich konnte mich innerlich mit ihr aussöhnen. Ich lernte auch meine Tante, ihre Schwester kennen, die auf uns aufgepasst hatte. Sie stand als Kundin vor mir, ich hatte sie noch nie gesehen und auch kein Foto von ihr - überhaupt wusste ich erst seit wenigen Monaten von meiner LM, dass es sie gab und welche Rolle sie gespielt hatte. Aber als ich der fremden Frau in die Augen sah wusste ich sofort, sie gehört zu mir. Als sie meinen Nachnamen hörte zitterte sie und sprach mich mit meinem zweiten Namen an. Diese Liebe in ihrem Blick, diese Wärme...das hat mich so umgehauen...so hatte mich noch nie jemand angesehen.
Sie gab mir ihre Nummer und ich wagte es über ein Jahr nicht, mich bei ihr zu melden. Diesen Blick zu ertragen...dieses Wissen zu ertragen dass sie dagewesen war, immer...diese Liebe zu spüren, die einfach da war, mein Herz tat so weh!
Einmal traf ich sie, es war wie im Traum. Sie war so eine warme und liebe Person, aber ich hatte Angst sie und ihre Familie näher kennenzulernen, weil alles wieder zu kippen drohte. Dass da doch jemand war der mich geliebt hatte...das so vieles nicht stimmte, womit ich groß geworden war...ich habe sie nie besucht. Ein paar Monate später starb sie an Krebs. Glaube das ist das Einzige, was ich bereue. Dass ich zuviel Schiss hatte vor dieser Wahrheit, dieser Seite der Medaille.
Nach der Trennung von meinem Freund entwickelte ich so einige Symptome, wurde lange krank und brach dann bei der Arbeit zusammen. Kurz krank, wieder arbeiten, wieder krank. Ich suchte mir einen Therapeuten mit dem Ziel, Licht in dieses unbeleuchtete Chaos in mir zu bringen, aber wir arbeiteten dann eigentlich die vergangene Beziehung auf und nach knapp einem Jahr ging es mir besser. Ich kündigte meinen Job und begann eine Ausbildung zur Erzieherin, arbeitete dual mit Erwachsenen mit Behinderung.
Die Kenntnisse aus der Ausbildung haben mir eine neue Perspektive auf meine Biografie ermöglicht, mit der wir uns ja sehr auseinandersetzen mussten. Ich habe den damaligen Freund meiner LM kennengelernt, der all die Jahre ein Fotoalbum für mich aufbewahrt hatte. Zum ersten Mal Fotos meiner ersten 3 Lebensjahre...dieses fremde, strahlende Kind...so niedlich, verletzlich. Und schon wieder: konnte ich ihn nicht nochmal treffen. Es fühlte sich an, als ob meine Wirklichkeit zerbrach, schon wieder.
Über all die Jahre so viel in mir angesammelte verwirrte Gefühle...es fühlt sich jedes Mal an wie ein reißender Fluß in dem ich durcheinandergewirbelt werde, defragmentiere...und mich danach wieder zusammenpuzzeln muss...so anstrengend. Ich weiß dann nicht mehr, wer ich bin. Was wahr ist. Das ist das schlimmste Gefühl...einfach gar kein Halt mehr. Da ist so viel Wut und Traurigkeit in mir, und die richten sich mal hier, mal dorthin, aber niemals Klarheit, niemals Sicherheit.
Ich fühle mich so tief im Stich gelassen, so ungeliebt. Ich hab so lange danach gesucht, was in mir ist dass ich das verdient habe, was ich schreckliches gemacht habe. Wie ich ein besserer, ein guter Mensch sein kann und diesen Makel loszuwerden. Ich fühle mich beschämt und würdelos. Als ich die Fotos von mir sah konnte ich gar nicht verstehen, wieso denn niemand dieses kleine Mädchen in den Arm genommen und gekuschelt hat, ihm gesagt hat dass es sicher ist und alles wieder gut wird. Ich fühle mich übersehen und allein gelassen.
Vom Kopf her allein kann ich mir so viel erklären und verstehe es auch. Ich habe seit meinen 30ern so viel dazugelernt und auch soviel Stärke dazugewonnen, aber wenn irgendwas an dieser Wunde kratzt, versteift sich mein ganzer Körper und ich falle in dieses Loch, in dem es nur Fragezeichen gibt und nichts, an dem ich mich festhalten kann.
Ich hab mich in den letzten Jahren so angestrengt, diesem Abgrund fernzubleiben, und wenn ich doch mal irgendwas loswerden wollte, z.B. in den Therapien, dann hält mich Scham ab. Ich habe Angst vor einem Urteil. Anderen ist Schlimmeres widerfahren. Dein Leben ist doch gut. Wieso dramatisierst du so? Denk mal positiver. Sei mal dankbar. Sieh es mal von der guten Seite. Sieh, was du gewonnen hast. Reiß dich zusammen und stell dich nicht so an.
Aber in Wahrheit bin ich nicht dankbar für das alles. In guten Phasen ziehe ich viel Stärke daraus. In schlechten erstickt es mich. Und ich ertrage diese Ambivalenz nicht mehr. Meine Beziehungen halten nicht lang. Ich werde keine eigene Familie mehr gründen können (Operation vor 2 Jahren) Ich habe Zeit verschwendet, weil ich das Gefühl habe, wenn ich zu all dem in mir stehe dann zerbricht meine Welt wie sie bisher war. Und wer bin ich dann? Bin ich eine Lüge? War ich jemals echt?
Meine PM sagt heute in sehr kaltem Ton zu mir: " ich würd es nie wieder machen!" Ich kann sie verstehen, aber ich wünsche mir immernoch dass sie sagt: ..." aber es ist schön, dass es dich gibt." Aber ich weiß, dass sie mich nie geliebt hat.