Wo bleiben wir? Wann ist es zu viel? Oder habe ich einen Extremfall?

Scotch96
Beiträge: 16
Registriert: 29. Apr 2024, 18:30

Re: Wo bleiben wir? Wann ist es zu viel? Oder habe ich einen Extremfall?

Beitrag von Scotch96 »

Hallo SonneundDunkelheit,

bei meiner Frau geht im Kopf überhaupt nichts mehr.
Es sind nur noch ganz wenige Punkte um die sich die Gedanken ständig drehen.
Die extrem hohe Anspannung die du beschrieben hast, ist bei ihr wahrscheinlich genauso.
Vermutlich sind es so eine Art Schlagwörter die sie ständig beschäftigen.
Vorher war es die Klinik, jetzt ist es eben das Pflegeheim.
Dazu noch "Ich bin verrückt geworden" und "Ich will sterben".
Mehr geht im Moment nicht.
Natürlich will sie weder in eine Klinik noch ins Pflegeheim, aber es geht ihr eben alles ständig im Kopf herum.

Ich bin gerade erst am Anfang mich damit zu beschäftigen was alternative Möglichkeiten wären.
Bis jetzt hatte ich immer gedacht, die ganze Sch... muss doch endlich irgendwann vorbeigehen.
Aber natürlich muss ich jetzt nach Plan B schauen.

In unserer Beziehung waren wir abgesehen von den Krankheitsphasen bis jetzt beide eigentlich ganz glücklich, da wir ziemlich auf derselben Wellenlänge sind.
Die guten Seiten überwiegen auf alle Fälle wesentlich die negativen, von denen nichts dabei ist, mit dem man nicht leben könnte.
Klar hat jeder so seine Macke aber im Grunde sind wir beide ziemlich unkomplizierte Typen.
Wir sind seit 27 Jahren zusammen, davon 25 verheiratet.
Das möchte ich natürlich nicht wegen dieser Erkrankung aufgeben, welche meine Frau sich ja auch nicht rausgesucht hat.
Klar, seit 14 Monaten liegt das natürlich komplett auf Eis, wenn man nicht mal miteinander sprechen kann.

Meine Frau ist eigentlich nicht verschlossen, zumindest wir beiden können den ganzen Tag miteinander quatschen und finden immer noch ein Thema.
Jetzt natürlich nicht mehr.

Ich weiß nicht wie es bei dir ist, verläuft deine Krankheit phasenweise?
Bei meiner Frau ging die erste schwere Krankheitsphase ein gutes Jahr und danach war sie rein äußerlich vollkommen regeneriert.
Die letzten Jahre wurde sie zunehmend negativer von ihrer Stimmung und vom Antrieb.
Aber alles völlig im Rahmen und nicht krankhaft.

Dann ging alles extrem schnell.
Vom ersten Vorwarnzeichen bis zum totalen Wahnsinn hatten wir gerade einmal drei Tage an denen wir noch kurz miteinander sprechen konnten, danach ging der Vorhang zu.
Beim letzten Mal hat diese Phase ein Vierteljahr gedauert.
Ich vermute als Auslöser eine Entzündung im Hirn/Neurocovid, da meine Frau 14 Tage vorher an Covid erkrankt war.
Aber was soll's, das Wissen würde trotzdem nicht weiterhelfen.

Ganz ehrlich, an eine Psychotherapie für mich habe ich bis jetzt noch nicht ernsthaft gedacht.
Es hat mich auch sehr abgeschreckt, als ich 2017 einen Platz für meine Frau gesucht habe, dass die Psychotherapeuten zwar ein Erstgespräch in den nächsten Monaten angeboten haben, aber ein Therapieplatz über ein Jahr Wartezeit bedeutet hätte.
Das bringt einem nichts wenn man akut ein Problem hat.
Ich kann mich doch nicht schon ein ein Jahr bevor mir der Stöpsel rausfliegt für eine Therapie anmelden.

Auch wenn das jetzt blöd klingt, allein die Anmeldung im Forum und die Rückmeldung und Unterstützung von Euch allen ist vielleicht im Moment das Beste was mir passieren kann.

Liebe Grüße
Scotch
Zuletzt geändert von Scotch96 am 9. Mai 2024, 06:05, insgesamt 1-mal geändert.
DieNeue
Beiträge: 5392
Registriert: 16. Mai 2016, 22:12

Re: Wo bleiben wir? Wann ist es zu viel? Oder habe ich einen Extremfall?

Beitrag von DieNeue »

Hallo Scotch,

ja, die Wartezeiten sind echt ewiglang. Aber irgendwie ist ein Jahr dann manchmal doch schneller rum, als man schaut. Als Übergang bis zur eigentlichen Therapie werden oft regelmäßige stützende Gespräche beim Sozialpsychiatrischen Dienst genutzt. Die kennen sich dort auch mit den ganzen Hilfsmöglichkeiten für psychisch Erkrankte und deren Angehörige aus, also auch z.B. mit der Tagesstätte u.ä. Ich würde mich da auf jeden Fall mal melden und beraten lassen, und mich nicht nur durchs Internet informieren. Vielleicht kennen die auch andere Klienten mit ähnlichen Problemen und können Kontakte herstellen?

Schön, dass das Forum für dich so eine Hilfe ist.

Liebe Grüße,
DieNeue
SonneundDunkenheit
Beiträge: 707
Registriert: 25. Jul 2021, 09:24

Re: Wo bleiben wir? Wann ist es zu viel? Oder habe ich einen Extremfall?

Beitrag von SonneundDunkenheit »

Hallo Scotch,

wir dürfen in diesem Jahr auch silberne Hochzeit feiern. Ich bin sehr dankbar für die Beziehung inklusive unserer drei Kinder auch wenn nicht immer eitler Sonnenschein ist.

Wenn die guten Seiten überwiegen, dann ist doch eine gute Basis vorhanden.

In unserer Beziehung ist die Grundvoraussetzung dass wir beide frei und unabhängig sind. Ich brauche sehr viel Freiraum für mich meine Agiertheit. Das war schon immer so, hat sich aber vor gut 5 Jahren sehr verstärkt.
Seit dem ich nicht mehr arbeiten kann und damit Struktur weggefallen ist, wurde es noch einmal krasser.
Mittlerweile nehmen wir jeden Tag wie er kommt. Ich kann meine Agiertheit ja zum Teil auch in "sinnvolle" Sachen umwandeln: lange Radtouren, Wanderungen..... Natur ist mein Anker. Mein Mann kann sich entscheiden mitzukommen oder nicht.... kommt er mit, weiß er dass das Tempo hoch sein wird, die Kaffeepause kurz.

Als ich noch arbeitsfähig war, hat mir die Agiertheit geholfen. Ich war voller Tatendrang, habe die Zeit völlig vergessen, vieles gleichzeitig gemacht....

Ja, es kann dauern bis man einen passenden Psychotherapeuten findet, aber wenn man nicht anfängt zu suchen, gibt es eben keine Hilfe aus dieser Richtung.

Ich hatte sehr viel Glück und Hilfe vom Hausarzt. Könnte binnen weniger Wochen eine Therapie starten und mittlerweile sehr viel über mich erfahren. Es hilft mir ein klein wenig in der Selbststeuerung und vor allem in meiner Bewertung mir und anderen Gegenüber.

Müsste man eine Entzündung im Hirn nicht in einem bildgebenden Verfahren sehen und gegebenenfalls behandeln können?

Wünsche euch einen sonnigen Feiertag.
Scotch96
Beiträge: 16
Registriert: 29. Apr 2024, 18:30

Re: Wo bleiben wir? Wann ist es zu viel? Oder habe ich einen Extremfall?

Beitrag von Scotch96 »

Hallo DieNeue,

ob ich eine Therapie brauche oder nicht kann ich noch nicht mal richtig einschätzen.
Eigentlich bin ich ja nicht krank (hoffe ich), sondern einfach mit der Situation überfordert.
Wenn es meiner Frau plötzlich besser gehen würde, wären meine Probleme warscheinlich schlagartig weg.
Von daher hast du schon recht, ich sollte mir Unterstützung beim Sozialpsychiatrischen Dienst holen.

Ach ja, und ich sollte auch noch deinen Hinweis von neulich umsetzen, und die Sache mal noch drüben, bei "Umgang mit der Krankheit" einstellen.
Ich würde mir als selbst Betroffener, je nachdem wie es mir geht, nicht unbedingt auch noch die Probleme der Angehörigen durchlesen, da hast du recht.

Liebe Grüße
Scotch
Scotch96
Beiträge: 16
Registriert: 29. Apr 2024, 18:30

Re: Wo bleiben wir? Wann ist es zu viel? Oder habe ich einen Extremfall?

Beitrag von Scotch96 »

Hallo SonneundDunkelheit,

also das mit meiner Theorie von der Entzündung im Hirn habe ich wahrscheinlich ein bisschen falsch ausgedrückt.
Das wäre dann eher eine Enzephalitis und das meine ich eigentlich nicht.

Aber es ist bekannt, dass nach einer Covid Erkrankung entzündliche Prozesse im Hirn bereits überwundene Krankheiten wieder aufflammen lassen, bzw. demenzartige Erscheinungen sowie Psychosen auslösen können.
Auch Depressionen können reaktiviert werden.
Diese Prozesse werden unter dem Begriff Neuro-Covid zusammengefasst.

Die entzündlichen Prozesse können sehr schnell wieder abklingen und sind dann auch in bildgebenden Verfahren nicht mehr zu sehen, aber das Problem dass sie ausgelöst haben ist dann eben da und besteht fort.

Wie gesagt, das ist nur meine Vermutung, weil es eben in direktem zeitlichen Zusammenhang mit der erneuten Erkrankung steht und es ansonsten keine Vorwarnzeichen gab.
Zwei bis drei Wochen nach Beginn einer Coviderkrankung ist scheinbar ein typischer Zeitraum in dem auch das Nervensystem angegriffen wird.

Bei meiner Frau war die Agitiertheit übrigens nach der letzten Krankheitsphase komplett weg.
Sie musste also nicht so wie du lernen damit umzugehen.
Ich finde es beeindruckend, wie Betroffene es schaffen sich irgendwie mit der Krankheit zu arrangieren.
Aber was bleibt auch anderes übrig?
Es muss ja irgendwie weitergehen auch mit der Erkrankung.

Ob eine Psychotherapie irgendwann mal in Frage kommt kann ich nicht sagen.
Während der akuten Krankheitsphase würde es vermutlich eh nicht funktionieren, da sie gar nicht aufnahmefähig ist.
Auch damals hat man in der Klinik diesen Ansatz gar nicht weiter verfolgt, weil es einfach nicht möglich war.

Ich hoffe ihr habt oder hattet einen schönen Feiertag

Liebe Grüße
Scotch
SonneundDunkenheit
Beiträge: 707
Registriert: 25. Jul 2021, 09:24

Re: Wo bleiben wir? Wann ist es zu viel? Oder habe ich einen Extremfall?

Beitrag von SonneundDunkenheit »

Hallo Scotch,

mein Mann ist weggefahren mit Studienfreunden. Das machen sie jedes Jahr zum Männertag. Ich gönne es ihnen...bin nicht so der Partytyp.

Ich habe den Bewegungsdrang zum Wohnungsputz genutzt.... ich habe soooo viel geschafft und bin stolz darauf. Putzen gehört jetzt nicht gerade zu meinen bevorzugten Tätigkeiten.

Demenzartige Erscheinungen sind mir sehr vertraut und ich dachte vor ein paar Jahren tatsächlich eine zu entwickeln. Ich war darauf hin einige Jahre trotz meines jungen Alters in einer Demenzambulanz in Behandlung. (Beobachtung). Mittlerweile ist klar, dass es kein entzündlicher Prozess ist, sondern Gedächtnis und Konzentration auf Grund der psychiatrischen Diagnosen sehr stark beeinträchtigt sind. Das waren auch die Gründe für den Ausstieg aus der Arbeitswelt. Wenn Dinge dauerhaft da sind, dann hat man die Wahl zwischen Akzeptanz oder Verdrängung. Ich habe mich für ersteres entschieden.... ist einfacher als ständig dagegen anzukämpfen.

Meine Familie ist mit mir an den Symptomen der Erkrankungen mit gewachsen. Anfangs haben sie auch gehofft, dass ich wieder die "Alte" werde, aber das wird so nicht mehr passieren also besteht unsere Aufgabe im Arrangieren... klappt mal besser mal weniger.

Deiner Frau wünsche ich Besserung oder Einsicht sollte diese nicht kommen. Dir wünsche ich viel Kraft und Zuversicht.

Liebe Grüße
Scotch96
Beiträge: 16
Registriert: 29. Apr 2024, 18:30

Re: Wo bleiben wir? Wann ist es zu viel? Oder habe ich einen Extremfall?

Beitrag von Scotch96 »

Hallo SonneundDunkelheit,

schön dass du es schaffst den Bewegungsdrang positiv einzusetzen.

Das mit der gefühlten Demenz bzw. Pseudodemenz ist bei meiner Frau genauso.
In den schlimmen Phasen geht wirklich gar nichts mehr und sie glaubt überhaupt nicht mehr denken zu können.
Seit 2017 ist sie dadurch auch nicht mehr arbeitsfähig.

Dass ihr einen Weg gefunden habt mit der Erkrankung umzugehen macht mir Mut.
Wir müssen sehen was nach der aktuellen Phase übrig bleibt, wenn sie denn endlich mal endet.

Euch auch alles Gute, vielen Dank für die Rückmeldungen
und liebe Grüße
Scotch
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