Frage zu Psychopharmaka bzw. weiterer Vorgehensweise

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wanderer0815
Beiträge: 4
Registriert: 20. Dez 2019, 15:22

Frage zu Psychopharmaka bzw. weiterer Vorgehensweise

Beitrag von wanderer0815 »

Hallo an Euch
Ich bin ein Mann in den 60ern und schlage mich schon seit längerem mit einer mittelgradigen Depression herum. Auf Anraten eines Neurologen habe ich vor mehreren Jahren mit der Einnahme von Psychopharmaka begonnen, zu diesem Zeitpunkt war ein Psychotherapeut für mich auch nicht verfügbar. Ich habe es über einige Zeit erfolglos mit folgenden Medikamenten versucht:
Citalopram/Escitalopram/Amitryptilin/Nortryptilin.
Bei nahezu allen dieser Mittel hatte ich das starke Gefühl, absolut gedämpft und irgendwie nicht ich selber zu sein. Die absoluten Tiefpunkte waren zwar weggebügelt, allerdings zu den Preis des wegschneidens der wenigen positiven Spitzen, irgendwie war ich permanent eingelullt in einem absolut gleichartigen Gefühl, hat sich nicht sooo toll angefühlt. Das zuletzt eingenommene Mittel war Nortryptilin, dort waren die zuvor beschriebenen Gefühle nicht so stark ausgeprägt, allerdings habe ich mit diesem Mittel 4 Kilo zugenommen, verbunden mit einem permanenten Völlegefühl. Ich habe mehrfach von Studien gelesen, das neuerdings die Wirkung von Antidepressiva wissenschaftlich schon eher doch angezweifelt wird, man hat dort Vergleichsstudien von Menschen, die Psychopharmaka einnehmen mit anderen, denen Placebos verabreicht wurden, durchgeführt und kam zu einem für die Hersteller von Psychopharmaka eher ernüchternden Ergebnis. Nichtsdestotrotz gibt es Menschen denen sie nachweislich helfen, obwohl es sich keiner so richtig wissenschaftlich erklären kann.
Nun ist es so, dass ich aus den vorgenannten Gründen und um die Nebenwirkungen zu reduzieren, diese Medikamente ausgeschlichen habe und momentan ohne Antidepressiva lebe. Auch habe ich in einer ca. zwei Jahre andauernden Psychotherapie mit meiner Therapeutin herausarbeiten können, dass es für meine Depressionen zum einen erbliche Gründe ( meine Mutter ist auch stark depressiv) und zum anderem eine zunehmende Entfremdung von meiner Frau ( wir haben früher sehr viele gemeinsame Interessen gehabt und Unternehmungen durchgeführt, die ihr jetzt leider keinen Spaß mehr bereiten--mir aber schon.) Die Tatsache, dass sie vor kurzem eine Erbschaft vom Tod ihres Vaters auf ein Konto eingezahlt hat und mir dazu jeglichen Zugriff gesperrt hat, hat mich momentan zusätzlich zu meinen ohnehin schon bestehenden Depressionen noch zusätzlich in eine ziemlich tiefe Krise gestürzt.
Auch kann ich mich durch die im Trennungsfall zusammenaddierten und dann durch 2 geteilten Rentenpunkte nicht von ihr trennen, da ich dann alleine eine ziemlich dürftige Rente habe, wärend sie ( sie arbeitete die Hauptzeit ihres Lebens nur halbtags) sich über die andere Hälfte plus die Erbschaft freuen darf. So ist nun mal das Recht im Scheidungsfall in unserem schönen Land, da kann man wahrscheinlich nichts machen. Es gibt leider in unserer Familie das Beispiel meines Vaters, der es durch einen völlig überzogenen Lebensstil fertiggebracht hat, den Erlös aus dem Verkauf des Hauses seiner jetzigen Frau binnen weniger Jahre durchzubringen und nun mit einer eher dürftigen Rente sein Dasein fristen muss. Es ist mir zwar schleierhaft, weswegen mir meine Frau das selbe unterstellt, aber es ist nun mal so . Für mich stellt es auf jeden Fall einen riesengroßen Vertrauensbruch dar, mit dem ich erstmal klarkommen muss.
Auch rechtlich ist es so , dass man in einer Zugewinngemeinschaft keinerlei Anspruch auf den Erbbetrag des Partners hat , da habe ich mich schon eingehend informiert . Mit dieser ganzen Vorgeschichte erscheint es mir schon ziemlich zweifelhaft, ob alleine die Einnahme von Psychopharmaka an meinem generellen Grundbefinden maßgebliches ändert. Leider nähert sich auch meine Psychotherapie nun leider bald ihrem Ende, ich habe noch acht Sitzungen, dann ist wahrscheinlich erst einmal Ende mit der Bewilligung weiterer Sitzungen seitens meiner gesetzlichen Krankenkasse.
Irgendwie weiß ich momentan nicht so richtig weiter, auch der in anderthalb Jahren bevorstehende Eintritt ins Rentnerdasein bereitet mir starke Kopfzerbrechen. Zum einen habe ich meinen Job im Außendienst eines Serviceunternehmens immer sehr gerne gemacht, zum anderen wird es finanziell eher um einiges schlechter werden, aller Vorsorge zum Trotz.
Ich bin momentan am überlegen, ob ich noch mal zu einem Psychiater gehen sollte, um es noch einmal mit Psychopharmaka zu versuchen, vielleicht bekomme ich Kraft dieser chemischen Einwirkung auf meine Synapsen eine andere Sichtweise auf die Dinge . So meinte es zumindest meine Psychotherapeutin, glauben kann ich es irgendwie nicht so richtig, außerdem stehe ich nach wie vor diesen Medikamenten skeptisch gegenüber. Ich habe mir einfach mal meinen ganzen Frust von der Seele geschrieben, mich würde mal eure Sichtweise zu der geschilderten Problematik interessieren. Viele Grüße an Euch
Bibutz
Beiträge: 82
Registriert: 17. Okt 2023, 13:03

Re: Frage zu Psychopharmaka bzw. weiterer Vorgehensweise

Beitrag von Bibutz »

Hallo Wanderer0815,

Deine Skepsis gegenüber ADs kann ich sehr gut nachvollziehen. Würde ich heute unter keinen Umständen mehr nehmen. Sie haben mir mehr Probleme geschaffen als gelöst wurden. Ich hatte beim ersten Mal Escitalopram und ein paar Jahre später Venlafaxin. Ich hatte selbst auch ständig das Gefühl nicht ich selbst zu sein und mein Urteilsvermögen, besonders Menschen gegenüber, nicht mehr richtig funktionierte. Als würde irgendwo in mir drin eine Alarmglocke angehen wollen, aber die „Watte“ vermittelte: alles nicht so schlimm. Doch leider war es schlimm! Und es hat mich viel gekostet mich aus der Situation wieder zu befreien. Zudem habe ich mit Venlafaxin solch üblen Krämpfe bekommen, dass mir sogar die Schneidezähne gerissen sind.
Ich habe das Buch „Der Welt nicht mehr Verbunden“ von Johann Hari gelesen. Da geht es genau um diese Frage: Wie wirksam sind Antidepressiva? Und er schreibt über diese Studien mit angaben der Quellen, die man auch selbst auch nachschlagen kann. Fand ich sehr aufschlussreich und hat auch für mich viele AHA- Erkenntnisse gebracht, die mir besser weitergeholfen haben.
Aber ich kann natürlich nur für mich sprechen.

Das Verhältnis zu deiner Frau tut mir sehr leid. Hast du vielleicht die Möglichkeit dich mit ihr vielleicht mal auszusprechen? Herauszufinden warum das Vertrauen weg ist? Oder ob ihr vielleicht neue Gemeinsame Interessen finden könnt?

Wenn dir deine Arbeit solchen Spaß macht, kannst du die dann als Rentner vielleicht ein wenig nebenher weiter machen? Ich arbeite in der Logistik. Es kommen auch einige LKW- Fahrer, die bereits Rentner sind. Wenn ich die frage, warum sie nicht einfach ihre Rente genießen, sagen die meistens: Es ist ihnen zu langweilig und sie vermissen das Unterwegs sein, auf neue Menschen treffen. Darum machen sie in kleinem Umfang weiter…

Ich wünsche die alles gute und eine gute Lösung.

LG Bibutz
GuntherBandel
Beiträge: 21
Registriert: 29. Dez 2020, 13:07

Re: Frage zu Psychopharmaka bzw. weiterer Vorgehensweise

Beitrag von GuntherBandel »

Guten Tag,

die Skepsis ADs gegenüber kann ich sehr gut nachvollziehen. Ich nehme derzeit 225 mg Venlafaxin und habe auch oft den Eindruck, nicht ich selbst zu sein, sondern gedämpft und mit sehr abgeflachtem Gefühlsempfinden. Da ich jetzt inzwischen schon seit Ende 2020 fast durchgehend AD nehme, kann ich momentan garnicht mehr richtig einschätzen, wie es ohne AD wäre. Es könnte ja auch sein, dass ich dann noch weniger Antrieb hätte z.B. oder von den Gefühlen her dann zu sehr übermannt werden würde.
Mein Ziel ist auf jeden Fall, mittelfristig wieder ohne AD oder zumindest mit einer geringeren Dosis auszukommen.
Bezüglich Ehe: Meine Erkrankung belastet meine Ehe sehr. Wir sprachen auch schon öfter über Trennung, haben es aber nie durchgezogen.
Ich selbst bin in Psychotherapie seit letztem Sommer und wir sind auch schon länger bei einer paartherapeutischen Beratung.
Ich kann momentan noch nicht einschätzen, wo die Reise hingeht, aber eine gewisse Entfremdung stelle ich bei uns auch fest.

LG G.
Franzi_2
Beiträge: 14
Registriert: 8. Jan 2024, 22:21

Re: Frage zu Psychopharmaka bzw. weiterer Vorgehensweise

Beitrag von Franzi_2 »

Lieber Wanderer,
ich bin weiblich, 34 und in einer ganz anderen Lebensphase.

Ich kann deine Skepsis zu ADs ebenfalls sehr nachvollziehen, wollte ich doch auch nie welche nehmen. In einem sehr verzweifelten Moment habe ich dann auf Anraten meiner Hausärztin spontan mit Escitalopram angefangen. Nach der ersten Tablette den Beipackzettel gelesen und die Abwärtsspirale begann. Ich hatte praktisch nur Nebenwirkungen. Heftige Hoffnungslosigkeit, gar keinen Antrieb mehr, suizidale Gedanken und und und
Ich konnte dann innerhalb weniger Monate in eine Klinik. Dort wurde ich direkt auf Duloxetin umgestellt. Ich habe es ohne zu hinterfragen angenommen und bereits nach 2-3 Tagen ging es mir spürbar besser. Den Beipackzettel habe ich erst nach dem Klinikaufenthalt gelesen, als ich das Medikament schon gut 2 Monate regelmäßig eingenommen habe.

Ich glaube sehr an den Placebo-Effekt 😅 Mir ist es tatsächlich eigentlich egal, ob es das Medikament oder der Placebo ist, hauptsache es hilft mir wieder klar zu kommen.

Es gibt auch Unterschiede in der wirkweise. In der Klinik wurde mir erklärt, dass das Duloxetin auf 2 Wegen wirkt und Escitalopram nur auf einem. Blabla war mir damals (und heute) alles egal. Aber vlt kannst du dich dahingehend beim Psychiater nochmals beraten lassen?
Ich habe übrigens nicht das Gefühl, dass ich abgestumpfter bin, sondern eher das Gegenteil. Ich fühle viel intensiver. Die Männer in meiner Selbsthilfegruppe erzählen aber auch von den Wattegefühlen und der eher Abgestumpftheit. Vlt ist es auch eine geschlechtsspezifische Geschichte?!

Zu deiner Ehe. Beim Lesen habe ich auch zuerst an eine Paartherapie gedacht. Deine Frau hat sicherlich auch Ängste und Sorgen, die sie sich nicht traut vor die auszusprechen. Vlt sieht sie da Parallelen zu deinem Vater, die du nicht wahrnimmst und will euch beide schützen? Vlt interpretiert sie aber zu viel rein und projeziert deinen Vater auf dich. Das kann man nur durch darüber sprechen lösen. Manche schaffen das auch ohne Moderator, aber ich denke mit ist es einfacher sachlich zu bleiben.

Hast du deine Frau mal gefragt, wie ihre jetzigen Interessen sind? Findest du da nix, dass du mal mit ihr zusammen machen könntest? Vlt ist es gar nicht so schlimm/ langweilig sonst was, wie du denkst.
Ergo
Beiträge: 56
Registriert: 13. Apr 2024, 12:04

Re: Frage zu Psychopharmaka bzw. weiterer Vorgehensweise

Beitrag von Ergo »

Hallo wanderer0815,
ich würde mir von Psychopharmaka keine annähernd heilenden Effekte erwarten.
Was Deine Lebenssituation betrifft, da muss ich an meine Mutter und ihre Mutter, also Oma, denken.
Die haben beide Asthma bekommen, als sie so in der Klemme steckten wie Du.
Viel Glück trotzdem
Ergo
Franzi_2
Beiträge: 14
Registriert: 8. Jan 2024, 22:21

Re: Frage zu Psychopharmaka bzw. weiterer Vorgehensweise

Beitrag von Franzi_2 »

Das ist natürlich ein guter Hinweis von Ergo.
Die ADs machen dich nicht gesund. Sie helfen meiner Meinung nach höchstens, die Symptome zu verbessern, so dass du effektiver in deiner Therapiearbeit sein kannst.
Ergo
Beiträge: 56
Registriert: 13. Apr 2024, 12:04

Re: Frage zu Psychopharmaka bzw. weiterer Vorgehensweise

Beitrag von Ergo »

Ich bin kein Experte, was die Therapie mit Drogen betrifft.
Auf der Reha waren recht viele auf Psychopharmaka gesetzt.
Eigentlich sagten alle, dass es ihnen nicht besser geht
als früher ohne Psychopharmaka. Aber heute geht es ihnen
zusätzlich schlechter, wenn sie keine nehmen.
Bibutz
Beiträge: 82
Registriert: 17. Okt 2023, 13:03

Re: Frage zu Psychopharmaka bzw. weiterer Vorgehensweise

Beitrag von Bibutz »

Franzi_2 hat geschrieben: 18. Apr 2024, 14:28 Die Männer in meiner Selbsthilfegruppe erzählen aber auch von den Wattegefühlen und der eher Abgestumpftheit. Vlt ist es auch eine geschlechtsspezifische Geschichte?!
Ich bin weiblich und kann mich „deinen“ Männern nur anschließen. Also wohl nicht Geschlechtsspezifisch…
Maxegon
Beiträge: 2430
Registriert: 25. Mai 2021, 11:33

Re: Frage zu Psychopharmaka bzw. weiterer Vorgehensweise

Beitrag von Maxegon »

Hallo wanderer0815,

ich kann nur empfehlen:
https://youtu.be/BN_K-DU35dk?si=I6ajLopA96D8ycwP

Eine Sendung vom WDR.

Drogen können unsere Wahrnehmungen verändern, das ist nicht nur bei Psychopharmaka so, unsere Probleme, Ängste, Sorgen vertreiben sie aber in den seltensten Fällen.
Nebenwirkungen haben wohl alle Drogen, jeder Körper kommt mehr oder weniger mit diesen "Fremdstoffen" zurecht.
Suggestion, Glaube (daran glauben) spielt eine enorme Rolle ... wie oft habe ich Kindern etwas erzählt (was für einen Erwachsenen völliger Quatsch war) und es ging ihnen besser, z.Bsp. trösten oder den Schmerz wegpusten o.ä. - das kennen wir alle.

Mag sein, dass Psychpharmaka vielen Menschen bisher geholfen haben.
Man kann weder den Beweis noch das Gegenteil nachweisen.
Alle Studien stützen sich auf Aussagen, also auf individuelle Wahrnehmungen bzw. auf deren Interpretationen.
Was da exakt (!) im Körper vor sich geht, bleibt Annahme, eine (!) Möglichkeit.

Z.Bsp. bei Alkohol oder Marihuana, aber auch beim Sex, wissen wir ziemlich genau, was da für zusätzliche Botenstoffe ausgeschüttet werden können, aber nicht müssen, auch diese wirken oft tagesform- und dosisabhängig.

Auch beim Ärgern oder (sich) Freuen haben wir eine Ahnung, nur führt es selten zu einer Betäubung bestimmter Rezeptoren.

Manchen hilft eine Begegnung mit einem Schamanen, der Glaube an einen gütigen Gott oder einfach nur Verliebtsein = letztendlich alles Biochemie.

Die Angst vorm Alter kann ich (60) sehr gut nachvollziehen.
Lebt man in einer angenehmen Gemeinschaft = viele "positive" Botenstoffe, das ist aber in jedem Alter so, nur dass mit zunehmendem Alter die Möglichkeiten, Variablen nicht gerade zunehmen, oft auch die Gesundheit.

Wenn es in deiner Partnerschaft etwas kriselt, ist das verständlich - beide Seiten!
Unser Rentenpunktesystem ist so gerecht wie möglich.
Auch ist niemand verpflichtet, etwas von seinem Erbe oder Lottogewinn abzugeben, wenn er keinen Anteil daran hat, "nur" weil man zufällig Tisch und Bett teilt.

Da kann jeder seine Meinung haben, es bleibt aber eine Meinung, sicherlich kann man da ewig darüber diskutieren.

Zurück zu Antidepressiva/Psyhopharmaka: ganz entscheidend scheint zu sein, die Einstellung zu diesen Präparaten.
Manch' einer erträgt all die Nebenwirkungen oder bemerkt sie (erst) gar nicht, in der Hoffnung auf Besserung, verändert dann sein Verhalten, auch seine Sicht auf viele Dinge und somit seine "Biochemie".

Wenn psychoaktive Substanzen Mittel zum Zweck sind und es funktioniert, sind sie wohl hilfreich.

Einige können es bewusst, ohne ... Andere benötigen diese Stütze.

Heiligt da der Zweck die Mittel oder das Ergebnis?
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