Überforderung und Entscheidungen

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Pimpinelle
Beiträge: 4
Registriert: 28. Mär 2024, 08:31

Überforderung und Entscheidungen

Beitrag von Pimpinelle »

Hallo liebe alle,

ich bin neu hier bzw. habe mich vor einer Weile anmeldet, aber noch nicht geschrieben. Jetzt versuche ich es einmal, Austausch kann so hilfreich sein.
Ich habe vor knapp zwei Monaten die Diagnose wiederkehrende Depression, schwere Phase bekommen, das ist allerdings nicht meine erste Erfahrung damit und ich habe im Hintergrund auch noch eine weitere psychische Problematik, mit der ich mich schon jahrelang in Therapien auseinandergesetzt habe.
Im letzten Jahr hat es in meinem Leben viele Veränderungen gegeben, welche mich sehr viel Kraft gekostet haben und die mich sehr an alle Grenzen gebracht haben. Job, Umzug, Familie,... Ich habe trotzdem versucht durchzuhalten und immer weiterzumachen, denn solche Hürden muss man ja auch angehen bzw. das Leben neu anpassen. Die Diagnose Anpassungsstörung hatte ich auch schon einmal und war auch in der psychosomatischen Reha, das ist allerdings schon einige Jahre her. Ich denke, zumal sowieso belastet, ist das mit der Anforderung der Anpassung letztes Jahr dann auch wieder ins Unermessliche gewachsen für mich.
Mir ist klar, dass das Thema Überforderung hier wahrscheinlich ein häufiges ist. Ich weiß gerade nicht, wie ich aus der Schleife wieder herauskommen soll. Ich treffe gerade wichtige Entscheidungen unter Druck und versuche zu funktionieren, aber es ist so schwer und es ist auch schon schief gegangen, d.h. unglückliche Entscheidungen dabei entstanden. Aber ohne Entscheidungen geht es ja auch nicht. Und sie können ja auch den Weg aus dem ganzen Druck herausebnen, weil man Sachen geregelt bekommt. Mich hat das gerade aber eher wieder völlig zurückgeworfen durch Fehler. Trotzdem muss man ja weitermachen. Und immer weiter den Alltag und Entscheidungen konfrontieren. Ich bin völlig überfordert, andauernd. Einen neuen Therapieplatz finde ich gerade nicht. Und mir fehlt soviel Kraft. Ich kann aber auch nicht alles hinwerfen, vor allem den Job nicht, denn wie soll es dann weitergehen.
Wie seid Ihr erfahrungsgemäß aus solchen gefühlten Endlosschleifen wieder hinausgekommen? Wie habt Ihr das mit Entscheidungen gehandhabt?

Danke und herzlichen Gruß!
P.
Senif
Beiträge: 1158
Registriert: 23. Jul 2023, 21:42

Re: Überforderung und Entscheidungen

Beitrag von Senif »

Hallo Pimpinelle,

willkommen im Forum. Ja, Austausch kann sehr hilfreich sein. Nimmst du denn Medikamente, wenn du eine schwere Episode hast ?
Ich war in meinen schweren Episoden nicht mehr in der Lage überhaupt Entscheidungen zu treffen.
Kannst du dir bei jeder Entscheidung die ansteht, Unterstützung holen ? In dem du z.B. fragst, was andere tun würden und warum etc.... Schwerwiegende Entscheidungen soll man in einer Episode sowieso nicht treffen.
Was den Job angeht: Bist du krank geschrieben ? Den Job würde ich erstmal nicht hinwerfen, es sei denn du wirst gemobbt oder dergleichen. Da lieber erstmal krank schreiben lassen und damit Druck rausnehmen.
Was mir manchmal hilft, die Dinge nach Prioritäten einzuteilen, damit ich erstmal weiß, was das Dringendste ist und das andere lass ich dann erstmal beiseite.

Ich erinnere mich noch an einen Tag, an dem ich im Supermarkt stand und mich nicht entscheiden konnte, welche Produkte ich nehmen sollte. Es war furchtbar. Ich war nicht mehr lebensfähig. Als erstes empfand ich hilfreich, die Medikamente, die ich nach langem suchen bekam und die anschlugen. Und dann die Therapie. Es ging nur sehr sehr langsam Aufwärts. Gut ist es, wenn man die Geduld aufbringt und sich nicht selbst fertig macht, wenn was nicht so läuft.

Heute versuche ich mir das Leben so einfach wie möglich zu machen. Ich mache z.B. neben den Routine Sachen, die jeden Tag anfallen nur eine weitere Sache am Tag. Damit fahre ich ganz gut. Allerdings stecke ich gerade nicht in einer Episode.

LG Senif :hello:
Mayana
Beiträge: 268
Registriert: 11. Jun 2023, 01:16

Re: Überforderung und Entscheidungen

Beitrag von Mayana »

Hallo Pimpinelle,

Ich kann teilweise auch gar nicht selber entscheiden, so dass ich zum Beispiel, wenn ich entscheiden muss was ich esse, derart überfordert bin und überhaupt nichts esse. Wo es geht, hole ich mir von meinem Umfeld Hilfe und Rat. Und ich versuche, meine Aufgaben in Häppchen über die Woche zu verteilen, damit der Druck etwas rausgenommen wird.
Pimpinelle
Beiträge: 4
Registriert: 28. Mär 2024, 08:31

Re: Überforderung und Entscheidungen

Beitrag von Pimpinelle »

Guten Morgen,

vielen Dank für eure Antworten; eure Erfahrungen zu lesen entlastet mich ein bisschen. Dann bin es ja nicht nur ich, die mit Entscheidungen nicht zurechtkommt.
Senif, zu deinen Fragen - nein, Medikamente nehme ich nicht. Ich war in einer psychiatrischen Praxis als "Ausnahme" einmal zwischengeschoben und habe dort die Diagnose bekommen, da aber keine Neupatienten aufgenommen werden, wurde ich wegen Medikamenten an die HA-Praxis verwiesen. Dort war ich dann auch, aber die HÄ möchte das nicht übernehmen, was ich auch verstehe. Ich hatte bis letztes Jahr verschiedene Medikamente, jetzt fehlt mir der Arzt/die Ärztin dazu. Mir wurde gesagt, ich könnte es mal in einer psychiatrischen Ambulanz versuchen, aber "nur" Medikamente will ich ja auch nicht, ich möchte schon Gesprächstherapie.
Bei der Diagnose wurde mir empfohlen, weiter zur Arbeit zu gehen, um beschäftigt zu sein und abgelenkt. Manchmal klappt das, oft zieht mich das mehr runter. Und die Erschöpfung kommt natürlich hinzu. Ich schaue nebenher immer nach anderen Jobs, die bei mir eventuell mehr Ruhe reinbringen würden, aber auch das überfordert mich nach mehrfachen Anläufen sehr. Und dann habe ich schlechtes Gewissen, wenn ich nicht weiterkomme damit, weil ich ja auch aus der Situation nicht rauskomme.
Prioritäten sind da eine gute Frage. Ich weiß gar nicht, was Prio ist. Durchhalten, so ganz allgemein.
Mayana, so ein bisschen versuche ich das mit dem Rat aus dem Umfeld, manchmal hilft das auch, manchmal stehe ich aber auch allein da. Entscheidungen kann einem eben auch keiner abnehmen und alle haben eigene Baustellen. Dann fühle ich mich wieder wie eine Versagerin, weil ich mein Leben nicht im Griff habe, und versuche, irgendwie Handlungen zu entscheiden. Ja, und das macht natürlich Druck. Und Fehler. Wenn ich etwas verschiebe, habe ich immer das Gefühl, der Druck wird nur noch größer. Es gibt Sachen, die schaffe ich aber auch einfach nicht.

Ich bin ziemlich ratlos, aber wahrscheinlich auch sehr pessimistisch. Manchmal vergesse ich, dass das ja auch mit der Depression zusammenhängt und dass das nun einmal eine Erkrankung ist. Und dann komme ich wieder darauf, dass man doch eigentlich positiv und stark sein muss. Klassisch halt der Selbstanspruch.

Schön, dass es dieses Forum gibt, wo man vielleicht mehr ähnliche Erfahrungen findet als so im Alltag!

Viele Grüße,
P.
GuntherBandel
Beiträge: 18
Registriert: 29. Dez 2020, 13:07

Re: Überforderung und Entscheidungen

Beitrag von GuntherBandel »

Hallo Pimpinelle,

mir geht es ähnlich wie Dir. Einerseits versuche ich zu funktionieren, was soweit momentan auch klappt, andererseits hadere ich damit, warum ich so einiges nicht positiver sehen kann. Ich nehme Medikamente und bin in Psychotherapie, aber da durch muss ich selbst.
Zum Thema Erkrankung geht mir grad einiges durch den Kopf: Welcher Teil ist die Erkrankung? Was sind nur äußere Einflüsse sowie Einflüsse aus der Kindheit, die nicht unbedingt krankhaft sind, sondern anerzogen und Folgen aus der Prägung. Das sind so die Themen, womit ich mich gerade in der Psychotherapie beschäftige und eher langsam vorankomme.

Viele Grüße.

G.
Mayana
Beiträge: 268
Registriert: 11. Jun 2023, 01:16

Re: Überforderung und Entscheidungen

Beitrag von Mayana »

Hallo Pimpinelle,

Dass „man“ positiv und stark sein muss, ist auch nur eine Anforderung sich selbst gegenüber- es ist auch mal ok, nicht stark zu sein, es satt zu haben krank zu sein, die Erwartungen Erwartungen sein zu lassen. Sonst kommt man garnicht mehr zur Ruhe, weil man eventuell Dinge nicht schafft und sich deswegen selbst fertig macht.
Ich schaffe auch eine ganze Reihe an Dingen nicht, die ich eigentlich schaffen möchte. Manches kann liegen bleiben, aber ich habe auch schon so manche Frist versäumt, was dann im Nachhinein gerade gebogen werden musste, also da bist du definitiv nicht alleine.
Suchende2
Beiträge: 1207
Registriert: 29. Sep 2020, 08:05

Re: Überforderung und Entscheidungen

Beitrag von Suchende2 »

Hallo Pimpinelle,

zu Deiner Frage: "Wie habt Ihr das mit Entscheidungen gehandhabt?" habe ich es wie folgt versucht.
Entscheidungen, die wiederkehren habe ich, wie in der Vergangenheit entschieden.
Beispiel: Brot X habe ich vor der Depression am häufigsten gegessen. Wenn ich Brot brauchte und nicht wußte, welches, dann wurde Brot X gekauft.
Oder ich habe mir in den besseren Phasen die Entscheidungshilfen zurechtgelegt.
Beispiel: Was esse ich heute? Einen Plan haben, an den man sich halten kann, wenn man mit der Entscheidung überfordert ist. Montag Frosta, Dienstag Tomatensuppe aus dem Glas, Mittwoch Nudeln mit Pesto, ...

Wichtige Entscheidungen habe ich vermieden entscheiden zu müssen.

Wer von meiner Depression wusste und nicht bereit war mir einen Geburtstagswunsch zu nennen, hat Blumen oder Pralinen erhalten.
Bei Blumen ist der Vorteil, ich muß mich nicht entscheiden. Wir haben eine tolle Floristin. Der nenne ich Alter, Anlaß und Preis, sie stellt noch 1 Rückfrage und dann bindet sie wunderbare Sträuße. Da ich wußte, sie bindet einen sehr schönen Strauß, egal wie ich die Rückfrage beantworte, ging es mit der Beantwortung.

Und das wichtigste, ich habe akzeptiert, daß ich zur Zeit Entscheidungsschwierigkeiten habe. Ich habe mich (meistens) nicht dafür verurteilt. Ich habe für notwendige Entscheidungen mir Zeit genommen, aber auch die Zeit um zur Entscheidung zu kommen begrenzt. Ich habe mir versucht klar zu machen, daß die meisten Entscheidungen im nachhinein noch verändert werden können.

Wenn es Dir besser geht, wird es auch wieder besser mit den Entscheidungen.

Alles Gute,
Suchende
Pimpinelle
Beiträge: 4
Registriert: 28. Mär 2024, 08:31

Re: Überforderung und Entscheidungen

Beitrag von Pimpinelle »

Hallo und guten Morgen,

vielen Dank für eure geteilten Erfahrungen und Tipps!

Gunther, ja das "Funktionieren" ist wirklich so eine Sache... wenn ich dann gefühlt und trotz Versuch eher nur fehlerhaft funktioniere, gerate ich immer in die Selbstvorwürfe hinein. Da ist deine Frage schon interessant, wie wurde uns das anerzogen oder wie wurden wir so geprägt. Ich habe mir da schon Gedanken über die familiären Hintergründe gemacht, auch in Therapie damals. Und ja, ich kann mir da Sachen erklären und habe dann auch gemerkt, dass mich das irgendwie hilflos und wütend sein lässt, dass mir das so vorgelebt wurde. Jetzt versuche ich gerade zu verstehen, dass ich Menschen nicht ändern kann und dass - in dem bestimmten Fall - das gutgelaunte Funktionieren + der Einstellung, "alles ist gut, wenn man es nur will" eben auch von der Person eine Überlebensstrategie ist. Ich habe mich dadurch aber immer dem Druck des "stark und positiv"-Seins ausgesetzt gefühlt.

Und ja, Mayana, genau das passiert mir dann, dass ich mich selber fertigmache, wenn ich das nicht hinkriege. Ich muss das noch lernen, Erwartungen loszulassen. Mir wurde tatsächlich schon im Arbeitsumfeld gesagt, "oder sind das nur deine eigene Erwartungen oder was du glaubst, was hier von dir erwartet wird, und in Wirklichkeit ist das gar nicht so?" Das hat mich verblüfft. Schwierig, dieses Gefühl der Minderwertigkeit und wie das auch die Handlungsfähigkeit beeinflusst. Und ja, da ich gerade eher glaube nur zu versagen, habe ich auch schon gedacht, hey, vielleicht ist das jetzt echt ein Glück, dass ich mir endlich mal den Luxus erlauben kann, das alles nicht zu können und nicht zu schaffen und nicht Leistung zu erbringen und das hinzunehmen und trotzdem ok mit mir zu sein. Aber da weiß ich selbst nicht, ob das eher destruktive oder hilfreiche Gedanken sind. Und ok mit mir zu sein, nun ja, sowieso ein weiter Weg.

Suchende, danke für die Tipps. Ja, ich glaube schon, dass einen solche Strategien durch den Alltag bringen können. Ich habe diese Woche schon ein Geschenk auf Rat einer dritten Person gekauft, obwohl ich gar nicht überzeugt war, aber der Druck schon wieder so groß war. Da habe ich einfach dem Rat gefolgt, weil ich irgendwas machen musste. Und dann muss man es auch mal gut sein lassen. Ich weiß nicht. Da war die Zeit für die Entscheidung begrenzt und es konnte keine großen Folgen haben. Dann gibt es natürlich wichtige Entscheidungen, wo das sehr schwer ist mit der begrenzten Zeit.

Ja, ich hoffe, dass das wieder wird. Mir fällt das Auf und Ab der etwas besseren Tage und der totalen Blockaden so schwer. Gefühlt fahre ich immer wieder enorme Energien (die gar nicht richtig vorhanden sind) auf, um zu funktionieren, und dann geht es wieder bergab und ich muss schon wieder Energien zusammenkratzen und irgendwie durchhalten, um aus dem Loch zu kommen und - zu funktionieren, irgendwie. Mühsam!

Liebe Grüße,
P.
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