Überforderung im Familienalltag

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Happydad
Beiträge: 3
Registriert: 5. Mär 2024, 10:30

Überforderung im Familienalltag

Beitrag von Happydad »

Liebe Forumsmitglieder,

vorab sorry für den langen Text! Ich bin neu hier und suche zunächst einmal nach einer Möglichkeit mich mitzuteilen.

Meine Frau leidet seit Jahrzehnten unter wiederkehrenden, mehr oder weniger funktionalen, Depressionen. Wir haben einen pflegebedürftigen Sohn im Kindergartenalter und haben es dennoch geschafft, meiner Frau einen Aufenthalt in einer Tagesklinik zu ermöglichen, indem wir beide 2 Monate von der Arbeit frei genommen haben. Das ist nun fast 2 Jahre her. Seither arbeiten wir beide in Teilzeit und ich übernehme den Großteil an Haushalt & Ernährung, Einkäufen, Therapien, Tagesplanung, Freizeitgestaltung, Kontakten zu Freunden, Urlaubsplanung, Finanzielles, Reparaturen, Organisation von externer Unterstützung etc. Wenn ich mal einen Tag frei habe, kümmere ich mich um Liegengebliebenes. Für unseren Sohn bin ich sehr gerne die wichtigste Bezugsperson und er fordert und bekommt sehr viel Aufmerksamkeit von mir. Nachts wechselt er in mein Bett und morgens stehen wir beide gemeinsam auf.

Nun ist es leider so: Ich kann nicht mehr :-( Habe mich selbst eine Zeit lang in psychotherapeutische Behandlung begeben und es war die Rede von einem Erschöpfungssyndrom, aber das ist weiter offenbar keine behandlungsbedürftige "Erkrankung."

Ich fühle mich immer sehr müde, habe diverse körperliche Symptome, kann mir aber nie mal einen Tag frei nehmen oder auch nur zum Sport gehen. Alle 2-3 Monate schaffe ich es mal, mich für ein paar Stunden mit alten Freunden zu treffen, aber das war es (bis auf wenige Ausnahmen). Wenn ich Urlaub von meiner recht stressigen Arbeit habe wie heute und etwas nur für mich machen möchte, kommt immer etwas dazwischen.

Heute geht es meiner Frau psychisch so schlecht, dass sie sich krank gemeldet hat. Während unser Sohn in der KiTa ist, kümmere ich mich also darum, dass meine Frau eine AU-Bescheinigung bekommt und irgendwie in den Tag starten kann. Ich habe gerade heute nicht das Gefühl, dass ich sie alleine lassen kann. Denn heute Morgen war meine vielleicht übertriebene Reaktion auf ihr abweisendes Verhalten der Auslöser für einen heftigen Streit, was wiederum den psychischen Zusammenbruch bei ihr ausgelöst hat. Am Nachmittag, wo meine Frau üblicherweise frei hat, werde ich nun vollauf mit Pflege und Betreuung unseres Sohnes beschäftigt sein.

Ich mache alles gerne für meine Familie und empfinde es auch als erfüllend, für sie da zu sein. Aber irgendwie sehe ich selbst immer weniger einen Ausweg. Meine Frau empfinde ich als dauerhaft sehr zurückweisend mir gegenüber. Wir streiten immer öfter sehr heftig und sie sagt mir dann, dass ich alles nur noch schlimmer mache. Ich sage ihr oft, dass mir die Beziehung wichtig ist, und ich wünsche mir seit Langem irgendein deutliches Zeichen, dass dies auf Gegenseitigkeit beruht. Leider fehlt ihr dafür die Kraft.

Es tut mir furchtbar leid, dass ich zunehmend um mich selbst und meine Bedürfnisse kreise, während meine Frau ja diejenige ist, der es sehr schlecht geht. Über die Jahre bin ich vielleicht zu sehr abgestumpft. Jedes Mal, wenn es meiner Frau psychisch schlechter zu gehen scheint, gibt es in meinem Kopf nur noch To-Do-Listen und das Gefühl der Überforderung macht sich breit. Mitleid bzw. das Bedürfnis, zu helfen, treten immer mehr in den Hintergrund.

Ich bin mir auch immer unsicherer, wie ich ihrer Erkrankung begegnen soll. Anerkennen und unterstützen kann man ein paar Monate, vielleicht auch Jahre. Aber ich kann doch nicht für den Rest unseres Lebens alles daran setzen, dass sie sich nicht überfordert fühlt, wenn ich dabei selbst dauerhaft überfordert bin...

Sicher gibt es in diesem Forum Viele mit ähnlichen Erfahrungen. Sicher sind diese Themen hier auch schon sehr oft diskutiert worden. Hoffentlich langweile ich Euch also nicht damit. Danke fürs Lesen und ich würde mich freuen, von euch zu hören!

Viele Grüße
Undjetzt
Beiträge: 229
Registriert: 15. Feb 2024, 11:13

Re: Überforderung im Familienalltag

Beitrag von Undjetzt »

Also erst einmal alles Gute und Liebe dir und deiner Familie. Dann meinen größten Respekt, dass du das alles so meisterst.

Ich bin erst seit kurzem in einer Situation, in der ich der Partner einer Person bin, die sich emotional komplett von mir zurückgezogen hat und es war für mich in den letzten Wochen mehrmals die blanke Hölle.
Hast du die Möglichkeit, dass irgendein Verwandter oder sehr guter Freund mal übernimmt, so dass du dich einfach mal rausziehen kannst? Das kannst du auf Dauer nicht durchhalten. Erschöpfung ist da nur logisch und normal.
Ein paar Tage am Stück Reha, Urlaub, Auszeit ...vielleicht mit deinem Kind, aber ohne deine Frau.

Ist sie denn derzeit in Behandlung, oder wird sie nur krankgeschrieben, wenn nichts mehr geht?
Nutzer7890
Beiträge: 7
Registriert: 7. Feb 2024, 19:36

Re: Überforderung im Familienalltag

Beitrag von Nutzer7890 »

Hallo Happydad,

eine wirklich ergreifende Geschichte die du da erzählst. Das so lange mitzumachen erfordert unfassbar viele Ressourcen!

Habt ihr denn noch gute Momente zwischendurch?

Mit meiner Partnerin kann ich das nicht mal ansatzweise vergleichen, weder länge noch Intensität. Aber ein paar Sachen kommen mir bekannt vor.
Hast du dich einem Arzt anvertraut? Ihr benötigt sehr wahrscheinlich Hilfe von Aussen und du sowas wie eine Kur oder Therapeutisch Unterstützung als Ventil. Feste Zeiten für Sport wären gut, aber wie von dir beschrieben fast nicht umsetzbar. Du musst auf jeden Fall raus aus dem Alltag damit du deiner Familie wieder eine Hilfe sein kannst.

Ich wünsche dir viel Kraft!
Happydad
Beiträge: 3
Registriert: 5. Mär 2024, 10:30

Re: Überforderung im Familienalltag

Beitrag von Happydad »

Undjetzt hat geschrieben: 5. Mär 2024, 15:36 Also erst einmal alles Gute und Liebe dir und deiner Familie. Dann meinen größten Respekt, dass du das alles so meisterst.

Ich bin erst seit kurzem in einer Situation, in der ich der Partner einer Person bin, die sich emotional komplett von mir zurückgezogen hat und es war für mich in den letzten Wochen mehrmals die blanke Hölle.
Hast du die Möglichkeit, dass irgendein Verwandter oder sehr guter Freund mal übernimmt, so dass du dich einfach mal rausziehen kannst? Das kannst du auf Dauer nicht durchhalten. Erschöpfung ist da nur logisch und normal.
Ein paar Tage am Stück Reha, Urlaub, Auszeit ...vielleicht mit deinem Kind, aber ohne deine Frau.

Ist sie denn derzeit in Behandlung, oder wird sie nur krankgeschrieben, wenn nichts mehr geht?
Vielen Dank für die netten Worte! Ich muss sagen, der Rückzug meiner Frau ist nicht absolut und es gibt gute Momente. Sie hat nun auch wieder damit begonnen, ihre Medikamente zu nehmen und einen neuen Termin beim Psychiater gemacht.

Nach zwei Tagen Ruhe von der Arbeit geht es ihr schon etwas besser. Alles kommt und geht eben in Wellen bei ihr.

Deine Situation klingt ebenfalls ziemlich belastend. Ich hoffe, dass sich bald eine Besserung eibstellt und wünsche Euch alles Gute!

Urlaub, Reha, Auszeit o. Ä. kommen für mich tatsächlich nur mit meinem Sohn in Betracht. Es gab bereits ein paar Versuche in die Richtung (jeweils 1 Woche). Einmal wurde ich mittendrin bettlägerig krank und ein anderes Mal hat es gut geklappt. Wir haben gute Unterstützung aus der Familie. Für unseren Sohn, nicht für meine Frau. Ihre Depression wird von niemandem in unserem Umfeld weiter thematisiert. Schließlich hatte sie ja ihre Behandlung in der Tagesklinik, und wer nicht betroffen ist, meint offenbar schnell, damit sei die Sache dann abgeschlossen.

Viele Grüße und einen schönen Abend!
Undjetzt
Beiträge: 229
Registriert: 15. Feb 2024, 11:13

Re: Überforderung im Familienalltag

Beitrag von Undjetzt »

Hallo Happydad,

Ja, das mit den Angehörigen kenne ich zu gut. Wenn ich auch nur ansatzweise darüber spreche kommen die Standardfloskeln, dass doch jeder mal schlechte Momente/ schlechte Laune hat und sie sich doch mal nicht so haben soll.
In den Beziehungs-Ratgeber-Foren wird relativ schnell dazu geraten sich zu trennen, weil es ja eh nichts bringt. Klar, geht uns ja nicht um unsere geliebten Partner, die kann man ja jederzeit ersetzen.
Ich denke, nur wenige haben überhaupt das Interesse sich um das Thema Gedanken zu machen. Ich musste immer wieder feststellen, wie stigmatisiert das Thema ist. Die Menschen die hier unterwegs sind, Fragen stellen, Antworten suchen, sich austauschen, sind da ganz anderer Natur. Ich will meine Partnerin nicht einfach aufgeben, über 8 Jahre Beziehung, die guten wie die schlechten Tage, nicht einfach wegwerfen. Und deswegen ist es auch so hart für uns. Uns geht es um den Menschen "hinter" der Erkrankung. Ich mache das nicht mit, weil ich meine Freundin brauche, ich mache das alles, weil ich sie liebe. Und das ist bei dir sicher nicht anders, das lese ich heraus.

Meinst du, du kannst das Verständnis in deinem Umfeld, dir zuliebe wecken? Wer einen unterstützt, für einen da ist, der muss doch auch verstehen wollen, warum du das alles machst und auch dafür Verständnis aufbringen können.

Du solltest versuchen Urlaub, freie, schöne Tage weniger zu bündeln, sondern gut, überall wo es möglich ist zu verteilen. Dann geht es ggf. auch mal ohne deinen Sohn (nicht falsch verstehen, du hast ihn sicher gern um dich. Aber eine kurze Zeit ohne, hilft dir deine Batterien aufzuladen).
Happydad
Beiträge: 3
Registriert: 5. Mär 2024, 10:30

Re: Überforderung im Familienalltag

Beitrag von Happydad »

Nutzer7890 hat geschrieben: 5. Mär 2024, 18:01 Hallo Happydad,

eine wirklich ergreifende Geschichte die du da erzählst. Das so lange mitzumachen erfordert unfassbar viele Ressourcen!

Habt ihr denn noch gute Momente zwischendurch?

Mit meiner Partnerin kann ich das nicht mal ansatzweise vergleichen, weder länge noch Intensität. Aber ein paar Sachen kommen mir bekannt vor.
Hast du dich einem Arzt anvertraut? Ihr benötigt sehr wahrscheinlich Hilfe von Aussen und du sowas wie eine Kur oder Therapeutisch Unterstützung als Ventil. Feste Zeiten für Sport wären gut, aber wie von dir beschrieben fast nicht umsetzbar. Du musst auf jeden Fall raus aus dem Alltag damit du deiner Familie wieder eine Hilfe sein kannst.

Ich wünsche dir viel Kraft!
Vielen Dank auch für deine nette Antwort. Es tut gut, so eine Reaktion zu lesen. Sorry, dass ich spät reagiere. Ich habe selten mal ein paar Minuten am Stück Zeit für so etwas.

Ja, wir haben gute Momente. Es fällt mir nur immer schwerer, diese auch zu genießen. Die Gründe: 1. Alles, was ich zu Gunsten eines unbeschwerten Momentes nicht erledige, trifft mich später. Es gibt einfach so wahnsinnig viel zu tun mit einem sehr temperamentvollen Kind mit speziellem Förderbedarf. Es wäre super, wenn wir Vereinbarungen treffen könnten, wer sich dann später um was kümmert, wenn wir jetzt einmal faulenzen oder so. Das ist aber nur bedingt möglich bzw. es scheitert bei der Umsetzung. 2. Ich traue dem "Frieden" nicht. Es kann jederzeit passieren, dass ich etwas Unbedachtes sage, was sie dann auf sich bezieht, und dann fühlt sie sich kritisiert oder unzulänglich, und ihr Gedankenkarussell beginnt sich zu drehen.

Die therapeutische Unterstützung hatte ich. Das war vor allem ein riesiger zusätzlicher Zeitaufwand für mich, und auf Dauer kaum zu stemmen. Die berufliche Auszeit hatte ich ebenfalls. Habe sie genutzt, um unseren Sohn zu betreuen, als meine Frau in der halbstationären Therapie war. Mit einer Kur brauche ich meinem Arbeitgeber jetzt nich "auch noch" ankommen.

lch werde jetzt das mit den festen Zeiten für Sport wieder angehen, um regelmäßig aus dem Familienalltag raus zu kommen. Da müssen Frau und Kind jetzt halt mal durch. Ich will ja nicht faulenzen, aber ich kann auch nicht bis zum Zusammenbruch für alle da sein.

Auch Dir wünsche ich viel Kraft für die Bewältigung Deiner Situation und Dir und Deiner Partnerin alles Gute!
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