Unverständnis bei Außenstehenden

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hansen09
Beiträge: 4
Registriert: 3. Nov 2023, 22:15

Unverständnis bei Außenstehenden

Beitrag von hansen09 »

Hallo zusammen,

mich interessieren eure Erfahrungen damit, wie Außenstehende auf die Depressionen eurer Angehörigen reagieren. In meinem Fall ist die betroffene Person meine minderjährige Tochter. Für mich ist die Situation eh schon schwierig, auch was das Verständnis betrifft, habe aber glaube ich inzwischen einen ganz guten Weg gefunden - zumindest für den Moment. Allerdings wird man von außen bombardiert mit Fragen, Erwartungen, Meinungen und Ratschlägen, die ich zunehmend schwierig zu handeln empfinde. Z.B. die Schule: Mittelstufenleiterin:“ Sie soll sich mal entspannen… was ist denn jetzt mit den Noten und der Versetzung?! Wir hatten uns ja auf vier Stunden Unterricht pro Tag geeinigt, aber nicht mal das klappt… sie müsste doch ein Medikament nehmen/in die Klinik/… da müssen Sie sich als Eltern doch mal durchsetzen…“ der Onkel:“Ich sach ma so, ich bin ja nur Laie, aber warum kann sie 2 Wochen am Stück nicht in die Schule gehen?!“ die Oma:“ Ja aber sie ist doch so intelligent - sie weiß doch, dass es ihr mit dem Medikament besser ging? Gab es jetzt nicht auch Zeugnisse? Was ist denn mit der Versetzung?“ wenn man versucht zu erklären, dass es erstmal nicht um schulische Leistungen geht, sondern um Therapiefortschritt, kommt dann :“Ja das wird dann ja dauern - mit einer Therapiestunde pro Woche…“ völliges Unverständnis, dass man eine 14-jährige - obwohl sie minderjährig ist - weder zu Tabletten noch zu klinischen Aufenthalten zwingen kann… bin gerade so wütend, weil ich hier täglich alles gebe, alles versuche bestmöglich zu handhaben, um dann vom nächsten Umfeld solche Kommentare einzustecken. Und dann „Aber wenn wir irgendwie helfen können…“
Ich weiß, dass Außenstehende ähnlich hilflos sind wie ich selbst und man ihnen keinen Vorwurf machen kann (?!), aber ich bin gerade wirklich wütend 😡
Wie sind eure Erfahrungen mit der Reaktion auf diese „nicht sichtbare“ Erkrankung?
Liebe Grüße an alle
DieNeue
Beiträge: 5336
Registriert: 16. Mai 2016, 22:12

Re: Unverständnis bei Außenstehenden

Beitrag von DieNeue »

Hallo Hansen09,

ich kenne das zwar nicht aus derselben Perspektive wie du, sondern bin selbst von Depressionen betroffen, habe aber auch ähnliches erlebt. Grade weil sie es alle ja nur gut meinen, ist es so schwierig damit umzugehen. Kann gut verstehen, dass dich das wütend macht.
Mich nervt es auch, wenn die halbe Verwandtschaft meint, mitreden zu müssen und rumzurätseln, was man machen könnte und warum es immer noch nicht besser ist und ob man nicht dieses und jenes und warum die Ärzte nicht usw. Bei einer 14-Jährigen verstehe ich das auch noch eher, dass sich die Leute Sorgen machen, und als Oma etc. will man sich natürlich auch kümmern. Aber selbst ich als Erwachsene bekomme öfters ungefragt Ratschläge, obwohl ich mit der Situation eigentlich ganz gut umgehen kann.

Ich befürchte, manchmal helfen da eher klare Ansagen.
Ich finde, man darf (je nach Gesprächspartner) auch ruhig mal zeigen, dass einen etwas wütend macht. Sonst merken die anderen auch nicht, wo Schluss ist und machen immer weiter. Man kann schon sagen, dass man sich der Problematik bewusst ist und man sein Bestes tut, sich aber nicht ständig rechtfertigen möchte (und auch nicht muss) und dass man grade andere Sorgen hat, als auch noch ständig die Fragen anderer zu beantworten. (Wenn man das vielleicht noch etwas netter verpackt ;))
Die Eltern von einem Mädchen aus meinem weiteren Umfeld, das einen schweren Autounfall hatte und auf Intensiv lag, haben damals darum gebeten, dass sie keiner anruft und nachfragt, weil sie als Eltern die vielen Nachfragen zu sehr anstrengen. Sie haben gesagt, sie würden sich von selber melden und dann gesammelt an alle die Infos weitergeben.

Bei Verwandtschaft, die sich wirklich kümmern wollen, kann man auch mal praktische Aufgaben abgeben. Mein Opa und meine Tante haben mich z.B. regelmäßig in die Tagesklinik gefahren. (Auch wenn mein Opa nicht verstanden hat, was ich eigentlich habe.)
Bei den Lehrern würde ich sagen, dass es immer noch der Arzt entscheidet, was für sie am besten ist. Punkt. (Und wenn der Arzt sagt, man darf sie nicht zwingen, dann ist das so.)
Wenn andere Leute einem ständig reingackern und gleichzeitig helfen wollen, kann man auch sagen, dass sie einem helfen würden, wenn sie nicht so viel nachfragen würden. ;) Irgendwie sollte es ja auch verständlich sein, dass wenn man eh schon viel um die Ohren hat, man nicht ständig jedem Rede und Antwort stehen kann und will.

Ich habe bei bestimmten Themen irgendwann gemerkt, dass die Leute es einfach nicht verstehen und ich mich immer wieder rechtfertigen und erklären musste. Ich habe dann beschlossen, über diese Themen grundsätzlich nicht mehr zu diskutieren. Ich habe das dann auch so gesagt "Bei mir ist das nicht so und ich diskutiere da nicht mehr drüber." Wenn dann nochmal angefangen wurde "Aber...", hab ich gesagt "Nein, sorry, bei mir ist das anders und ich diskutiere da nicht mehr drüber". Das wurde dann im Normalfall akzeptiert und ich hatte wieder Ruhe.
Wenn jemand fragt, warum sie dieses und jenes denn nicht kann, würde ich sagen, dass das bei dieser Krankheit so ist. Wenn dann wieder kommt "Aber warum..." würde ich wieder sagen "Das ist bei der Krankheit halt so... und ich diskutiere da jetzt nicht mehr drüber." Wenn kommt "Aber andere Leute mit Depressionen können doch auch...", würde ich sagen "Sie ist aber nicht andere Leute, bei ihr wirkt sich die Krankheit so aus. Punkt. Und ich diskutiere da nicht weiter." Wichtig ist, sich nicht zu Rechtfertigungen hinreißen lassen, sondern immer wieder zu sagen, man diskutiert da nicht mehr drüber. Irgendwann sollte auch der Letzte verstanden haben, dass er so nicht weiterkommt.

Das sind jetzt nur Überlegungen und ich finde es auch sehr schwer, andere Leute zu bremsen. Aber ich kann dich auf jeden Fall verstehen und möchte dir sagen, dass deine Gefühle und Gedanken total okay sind.

Liebe Grüße,
DieNeue
Freiwasser
Beiträge: 39
Registriert: 16. Jan 2024, 12:26

Re: Unverständnis bei Außenstehenden

Beitrag von Freiwasser »

Hallo :-)

Deine Situation ist sehr schwer. Dein Kind ist sehr krank, das ist schlimm für jede Mutter.
Ich habe einen Fall in meinem Umfeld, gleiches Alter, Depressionen und Schuldistanz. Ich versuche, so gut ich kann, für sie da zu sein und halte mich mit ungefragten Einschätzungen zurück. Die Eltern sind auch oft mit dem Unverständnis ihres Umfelds konfrontiert. Dem mit klaren Ansagen Grenzen zu setzen ist wichtig, ist aber aus meiner Sicht nur eine Seite der Medaille. Denn Jugendliche sind Teil eines Systems Familie, und Feedback von außen kann hilfreich sein, um sichtbar zu machen, was man selbst als Teil des Systems nicht wahrnehmen kann. Du kannst immer noch entscheiden, wen Du für eine Feedback für qualifiziert hältst und wem Du auch einfach nicht zuhören willst. Aber vielleicht kann etwas Deiner Tochter helfen, das Du nicht kennst, nicht siehst oder auch nicht leicht akzeptieren kannst. Also, wenn Du kannst, bleibe bei aller sinnvollen Abgrenzung auch ein Stück weit offen.

Ganz herzlich gute Besserung für Deine Tochter!

Freiwasser
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