Ich möchte die Krankheit verstehen

Mein Bruder
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Re: Ich möchte die Krankheit verstehen

Beitrag von Mein Bruder »

Aber die Methoden der Schulmedizin werden doch auch weiterentwickelt. Also ich gehe davon aus, dass die Therapeut*innen Weiterbildungsangebote annehmen (müssen).
Und ja, es gibt so Menschen, die haben - ohne studiert zu haben - besondere Fähigkeiten. Vielleicht, weil sie nicht so vielen Reizen ausgesetzt sind, die "einfacher" Lebenden...
Maxegon
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Re: Ich möchte die Krankheit verstehen

Beitrag von Maxegon »

Mein Bruder hat geschrieben: 21. Dez 2023, 15:27 Aber die Methoden der Schulmedizin werden doch auch weiterentwickelt.
Ja.
Doch wird leider zu oft auf neue "Technologien" gesetzt und das alte Wissen/Erfahrungen ignoriert.

Viele Eltern schicken ihre Kinder zur Therapie, geben ihnen Medikamente, obwohl es offensichtlich ist, dass ihnen Aufmerksamkeit und Zuneigung fehlt.

Lies' dir doch mal die vielen Publikationen durch, höre Podcast's, YouTube-Videos:
... Selbstwirksamkeit, Selbstrefektion, das innere Kind, Achtsamkeit, Selbstgenügsamkeit etc.pp. ...

Wer soll das denn alles verstehen? In der Theorie - alles wunderbar.
Doch in der Praxis?

Erwachsenen geht es doch genau so: mangelnde Aufmerksamkeit und Zuneigung.

Da kann man noch so viel Selbst-dingsdabumsda üben und achtsam sein - ändert das was?

Der Mensch braucht persönliche Kontakte.
Mehr Praxis und weniger Theorie.
Mein Bruder
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Re: Ich möchte die Krankheit verstehen

Beitrag von Mein Bruder »

Zuwendung, Sensibilität, kein Egoismus - usw. usf. und das von Geburt des eigenen Kindes an geben können. Hört sich so leicht an, aber na ja. Wenn es einem bewusst ist, ist das ja schon mal die halbe Miete. Aber ich glaube doch, dass Therapeut*innen auch hilfreich sein können, wenn man selber nicht weiter kommt und einem auch das bewusst ist.
Maxegon
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Re: Ich möchte die Krankheit verstehen

Beitrag von Maxegon »

Mein Bruder hat geschrieben: 21. Dez 2023, 16:57 Aber ich glaube doch, dass Therapeut*innen auch hilfreich sein können, wenn man selber nicht weiter kommt und einem auch das bewusst ist.
Unbedingt.

Doch sollte man sich (mal wieder) in Erinnerung rufen, was sehr wichtig ist.
Gerade zu Weihnachten bemerken viele, was einen fehlt.
Das es eben nicht nur ausreicht, es warm zu haben und satt zu sein.

Warum bekommen denn so viele feuchte Augen, beim rührenden Weihnachtsfilm?
Genau da merken sie doch, was einem wirklich fehlt.

Ein bisschen Zuneigung, es muss ja nicht gleich Liebe sein. :roll:
Mein Bruder
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Re: Ich möchte die Krankheit verstehen

Beitrag von Mein Bruder »

Genau.
Und diese Werbespots mit einsamen alten Menschen, ne?
Die Bundesregierung will sich ja bald um Einsamkeit kümmern, also um das Problem. Wenn ich das richtig verstanden habe... In GB gibt es direkt schon ein Gesetz?
Maxegon
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Re: Ich möchte die Krankheit verstehen

Beitrag von Maxegon »

Werbespots? Kenne ich nicht.
Schade um das Geld!

Die Bundesregierung will sich kümmern? :lol:
So wie um die Bildung, Kita-Plätze oder die Integration?

Bitte, bleiben wir doch in der Realität.

Du, ich, jeder Einzelne kann sich doch nur um sein persönliches Umfeld kümmern. Erstmal.

Und ohne Bewusstsein und Bildung wird's auch mit der Integration jedes Einzelnen nicht klappen, damit meine ich nicht die "Zugereisten".

Einen Säufer bekommen ich nicht trocken mit "markigen" Spüchen, wie "you never walk alone", einen Rentner nicht zweisamer und Schüler nicht selbsbewusster.
Also, bitte, vergiss mal schnell die Politik.
:hello:
Mein Bruder
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Re: Ich möchte die Krankheit verstehen

Beitrag von Mein Bruder »

Ja, stimmt - die Politiker versagen auf ganzer Linie.

Aber zum Optimismus gibt es ja keine Alternative, hat mal jemand gesagt. Und das stimmt auch wieder. Fällt mir auch nicht mehr so leicht hin und wieder.. .

Es scheint, es gibt zu wenige Anlaufstellen für einsame Menschen, zu wenige Sozialarbeiter*innen in den Schulen usw.

Um die Menschen im eigenen Umfeld sich zu kümmern ist sehr wichtig und für Dich ja vielleicht und mich auf jeden Fall selbstverständlich. Auch wenn man keinen Erfolg hat manchmal...
Maxegon
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Re: Ich möchte die Krankheit verstehen

Beitrag von Maxegon »

Hallo K.,

wir versagen auf der ganzen Linie, jeder Einzelne.
Wir erwarten immer Hilfe, anstatt sich selbst zu helfen.

Wenn ich zu viel saufe, muss ich aufhören, wenn es mir nicht gefällt oder ich bemerke, dass es mir immer schlechter geht.
Das weiß ich doch, vorausgesetzt ich bin (noch) nicht völlig verblödet.

Alle rufen immer nach Hilfe, andere sollen helfen, dabei kann man selbst so viel tun.
Haben wir das alle vergessen??

Wenn in der Familie katastophale Verhältnisse herrschen, wird's auch kein Sozialarbeiter (allein) richten können.

Wenn ich an mangelnden sozialen Kontakten leide, muss ich was tun.
Bei alten, kranken Menschen ist das natürlich etwas anderes, gerade wenn das Umfeld langsam wegstirbt.

Doch so ist die Realität.
Oft habe ich den Eindruck, wir (Menschen) sind zu verwöhnt, erwarten zu viel .... von Anderen, andere sollen es tun ... für uns. Das wird mittlerweile als normal angesehen, sogar erwartet.

Bin ich allein im Dschungel oder in der Wüste, hilft mir auch niemand. Auch in den Slums in Kalkutta oder Pretoria wird es sehr schwierig.

Doch wir, hier im wohlhabenden Deutschland, haben so viele Möglichkeiten, so viele Hilfsangebote - warum nutzen wir diese nicht?

Sind wir zu degeneriert? Ist es selbstverständlich geworden, das andere zuständig sind?
Nur nicht wir, weil wir es nicht können, es verlernt oder nie gelernt haben?

Wie haben es die Menschen im Mittelalter gemacht?

Ich will nicht politisch werden, da läuft sicher vieles sehr suboptimal, doch ich kann doch nur etwas aus dem machen, was mir zur Verfügung steht.
Trotz mangelndem Optimismus oder gerade wegen ihm.
Mein Bruder
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Re: Ich möchte die Krankheit verstehen

Beitrag von Mein Bruder »

Hallo Maxegon,

also zum Glück versagen auch nicht alle.
Du z.B. nicht, weil Du erkannt hast, dass der viele Alkohol nicht gut tut.
Ich bin auch keine Versagerin - ganz im Gegenteil.
Ich habe immer Ideen, wie man Probleme lösen könnte. Meistens gelingt es mir und man dankt es mir auch, wenn es nicht nur mich betrifft.

Ich habe keine Ahnung, warum das bei meinem Bruder z.B. überhaupt nicht geklappt hat. Immer wieder frage ich mich das, aber eigentlich kann ich auch aufhören damit. Er hat Therapien nach der Entgiftung abgebrochen. Und wir waren verzweifelt.

Es gibt doch viele Menschen, die allein aus einer schlimmen Situation nicht rauskommen. Und es sind auf keinen Fall alle verweichlicht. Könnten uns Psychologen*innen vielleicht erklären...
Aber die, die Du beschrieben hast, gibt es auch genügend.

War niemand Deiner Angehörigen besorgt, als Du getrunken hast? Vielleicht hast Du das sogar gesehen und dann warst Du besorgt und es war auch ein Grund, aufzuhören. Schöner Gedanke...
Maxegon
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Re: Ich möchte die Krankheit verstehen

Beitrag von Maxegon »

Mein Bruder hat geschrieben: 22. Dez 2023, 14:47 War niemand Deiner Angehörigen besorgt, als Du getrunken hast? Vielleicht hast Du das sogar gesehen und dann warst Du besorgt und es war auch ein Grund, aufzuhören.
Genau das Gegenteil war der Fall, je mehr ich kritisiert wurde, desto mehr trotzte ich, ignorierte und soff erst recht. Das war bei meinem Vater so, der erst mit seinem Tod aufhörte und ich fürchte, bei sehr vielen ist es ähnich.

Niemand mag es bevormundet zu werden.
Ein schlechtes Gewissen muss aus einem selbst herauswachsen, mit "List und Tücke" kann man diese Aha-Effekte von aussen sicherlich hervorrufen, ohne dass der Betroffene es merkt. :mrgreen:

Geschickte Erwachsene (Eltern, besonders Großeltern) "verführen" ihre Kinder mit diesen Aha-Effekten, in dem sie sie glauben lassen, die Kinder wären selbst auf diesen Gedanken gekommen.
Maxegon
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Re: Ich möchte die Krankheit verstehen

Beitrag von Maxegon »

Mein Bruder hat geschrieben: 22. Dez 2023, 14:47
Ich habe keine Ahnung, warum das bei meinem Bruder z.B. überhaupt nicht geklappt hat. Immer wieder frage ich mich das, aber eigentlich kann ich auch aufhören damit. Er hat Therapien nach der Entgiftung abgebrochen. Und wir waren verzweifelt.
Ich "fürchte" das es so ist:

Wenn ein Säufer keinen Grund hat, um aufzuhören, wird er es auch nicht tun.

-> alles ist Kacke, sinnlos, man ist verloren, nie wird sich etwas ändern, man ist allein, keiner mag mich, das hat doch so sowieso alles keinen Zweck!

= warum sollte ein Mensch mit dieser Einstellung/Meinung etwas ändern wollen/sollen?

Wie kann ich so einen Menschen bewegen, Kraft zu schöpfen, Selbstbewusstsein aufzubauen?

Mit Vorhaltungen und klugen Ratschlägen sicher nicht.

Ich muss ihn überlisten, locken, mit etwas was ihm wichtig ist. Er selbst muss das Ziel bestimmen können, freiwillig.

Im Dauersuff wie bei meinem Vater und vielleicht auch bei deinem Bruder, sicherlich ein Unterfangen.
Mein Bruder
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Re: Ich möchte die Krankheit verstehen

Beitrag von Mein Bruder »

Mein Bruder hat sich garantiert geschämt. Und Aufhören ging nicht.

Ich habe ihm keine Vorhaltungen gemacht und ihn auch nicht beschimpft.
Lösungsansätze gab es. Fand er sogar was davon gut. Aber er war dann zu schwach und vorher haben wir vieles nicht gewusst, weil er so weit weg war.
Erst als er voriges Jahr im November in unserer Nähe betrunken einen Autounfall hatte und wir ihn bei der Polizei abgeholt haben, bekamen wir mit, was Sache war.
Das war dann definitiv der Anfang vom Ende.
Ein halbes Jahr vor seinem Tod sah es nochmal so aus, als würde es wieder bergauf gehen, aber er ging ja wieder zurück (400km), was man nicht machen soll.
Mein Bruder
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Re: Ich möchte die Krankheit verstehen

Beitrag von Mein Bruder »

Er hatte Existenzangst (war selbstständiger Koch, ein sehr guter). Als es ihm noch gut ging, hatte er gute Aufträge und war sehr angesehen, weil er was drauf hatte. Aber das hat anscheinend nicht gereicht, sein Selbstbewusstsein zu stärken.
Und er sprach oft von Einsamkeit.
In seinem Ort gab es eine Tafel. Da schlug ich ihm vor, zu helfen. Er täte Gutes und wäre unter Menschen, für eine Weile wenigstens.
Aber Depressionen machen schwach und unfähig, sich "aufzuraffen", oder?
Maxegon
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Re: Ich möchte die Krankheit verstehen

Beitrag von Maxegon »

Wenn es gelingt, die Einsamkeit zu verhindern bzw. die Gemeinsamkeit zu fördern, werden auch die Depressionen abnehmen.

Niemand säuft doch (dauerhaft), weil er zu viel unter Menschen ist und sich wohlfühlt.
Deshalb wird auch keiner depressiv/ niedergeschlagen.

Warum betäubt man sich so gern bzw. wird traurig, niedergeschlagen?
Mein Bruder
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Re: Ich möchte die Krankheit verstehen

Beitrag von Mein Bruder »

Das ist die Frage.
Maxegon
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Re: Ich möchte die Krankheit verstehen

Beitrag von Maxegon »

Maxegon hat geschrieben: 22. Dez 2023, 16:34 Wenn es gelingt, die Einsamkeit zu verhindern bzw. die Gemeinsamkeit zu fördern, werden auch die Depressionen abnehmen.
Und das ist die Antwort. :mrgreen:
Mein Bruder
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Re: Ich möchte die Krankheit verstehen

Beitrag von Mein Bruder »

Ja und warum es nicht gelingt, ist doch die Frage.
Jemand weiß, was das Dilemma ist, aber kann beim besten Willen nichts dagegen unternehmen.
Maxegon
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Re: Ich möchte die Krankheit verstehen

Beitrag von Maxegon »

Mein Bruder hat geschrieben: 22. Dez 2023, 22:57 Jemand weiß, was das Dilemma ist, aber kann beim besten Willen nichts dagegen unternehmen.
Der Alkohol ist ja ""nur die Wirkung", der Betäubungsversuch.
Woher rührt der Schmerz, die Perspektivlosigkeit, die nie zum Ziel führende Sinnsuche, die man dann mittels Alk. mehr oder weniger erfolgreich betäubt, immer wieder, bis zur Bewusstlosigkeit.
Ähnlich einem Schmerzmittel, welches erfolgreich das Unwohlsein lindert, doch an der Ursache, den Grund des Unwohlseins nichts ändert.

Bei deinem Bruder kannst du/ich nur raten, annehmen, in dem du versuchst, die vielen kleinen Puzzleteile zusammenzubringen. Die Puzzleteile seines Lebens ...

Versuchst zu verstehen, wie dein Bruder eventuell fühlte, was ihn bedrückte.

Mein Vater, ehem. erfolgreicher Kinderfilmregiesseur, trank schon immer gern, bei Party's, das entspannte, machte locker, erweiterte das Bewusstsein, auch zu Hause an seiner Schreibmachine (Arbeit) war der Alkohol ein willkommenes Motivationsmittel, er suggerierte Pause, Entspannung, sich was gutes tun oder einfach nur abschalten und einschlafen.
Mit der Zeit gewöhnte sich der Körper an den Alkohol und es bedurfte immer größere Mengen, der Entspannungseffekt wich der Betäubung, der "Erlösung" all seiner Sorgen.
Er war süchtig, irgendwann verlangte auch der Körper nach der Droge, denn Unwohlsein, körperliches, stellte sich ein, sank der Alkoholpegel.
Der Kopf war irgendwann sowieso dauerbenebelt (betäubt).
So ähnlich war es wohl auch bei mir, eine Zeit lang.
Man selbst spielt das Thema herunter, weil ... es kann ja nicht sein.

Beim kleinsten Unwohlsein, egal welcher Art, wurde getrunken, denn das half.

Viele fragen sicherlich, warum saufen nicht alle, die Probleme haben, weil sie stärker sind, mehr ertragen können, es ihnen bewusst ist, dass Alk. nur alles viel schlimmer macht, auf Dauer oder weil Alkohol bei ihnen eben keine Glückshormone ausschüttet?

Bestimmt von allem ein bisschen.

Genau so kann man auch fragen, warum werden nicht alle depressiv, weil ... (s.o.)?

Warum haut es einige Menschen so dermaßen um, wenn der Job weg ist, der Partner sich trennt oder eine liebe Person wegstribt?

Je einsamer man ist, je dünner das soziale Umfeld ist, desto verletzlicher ist man - so meine Erklärung/Erfahrung.

Was gibt mir Kraft bei schmerzlichen Erlebnissen?
Die Einsamkeit mit Sicherheit nicht.

Was hilft dir in schwierigen Situationen?
Hatte das dein Bruder?
Mein Bruder
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Re: Ich möchte die Krankheit verstehen

Beitrag von Mein Bruder »

Guten Tag Maxegon,

ich weiß gar nicht viel über meinen Bruder. Er wollte nicht so sehr engen Familienkontakt. Was bestimmt auch seine Gründe hatte...
Seine Tochter hatte eine Zeit lang viel mehr Kontakt zu ihm,worüber ich mich sehr freute. Weihnachten oder zu Geburtstagen kam er manchmal zu uns. Schob aber auch oft Arbeit vor. Telefonisch hatten wir Kontakt. Immer wieder, die Pausen waren nicht so lang.
Seit 2017 (nach den zehn trockenen Jahren) ging es bergab. Existenzangst, Einsamkeit - das sagte meine Nichte. Und da sie selbst suchtkrank ist, hat sie sich zurückziehen müssen von ihm.

Um meine Kinder hatte ich auch Angst. Mein Mann ist ja seit 1988 trocken, was eine absolute Ausnahme ist. Seit '89 sind wir zusammen und er hatte keinen Rückfall.
Ich hatte also Angst, dass die Kinder auch alkoholkrank werden könnten. Aber dann sagte mir mal jemand, sie bekämen ja vorgelebt, wie man Probleme löst.

Ich wusste schon ziemlich zeitig, was ich anders machen würde in der Erziehung meiner Kinder. Wir hatten das Thema schon: Zuwendung, Sich-enfalten-können, Respekt, aber keine Angst haben, alles richtig in Ruhe klären, Meinung sagen dürfen usw.
Ich habe mich also von meinen Eltern ein Stück freigemacht, mein Mann nicht sich von seinen. (Seine Mutter war Grundschullehrerin, hatte in seiner Klasse mal Vertretung und ohrfeigte ihn vor versammelter Mannschaft. Da weiß man ja Bescheid...)
Aber er hat mir mal gedankt, dass ich das alles so gemacht habe mit den Kindern. Er hätte manches Mal anders reagiert, hat er gesagt. Das zu erkennen und auch zu sagen, war eine große Leistung von ihm. Angesichts der Erziehung...

Unsere Kinder sind um die 30 und glücklich. Privat wie beruflich.

Und dann sehe ich mich so um und denke, was ist bloß los. Und je näher mir die Menschen stehen und ich bekomme mit, dass mein Bruder zugrunde geht oder sich die Tochter unserer Freunde vor vielen Jahren lossagte von ihren Eltern (was ich voraussagte, leider), will ich alle schütteln und bin verzweifelt und muss zusehen. So viele haben sich um meinen Bruder bemüht...

Aber was ihn betrifft, so kommen mir auch all die schrecklichen Erlebnisse aus dem letzten Jahr in den Sinn und ich bin froh, dass das vorbei ist. Er ist erlöst und wir auch, aber bis das alles leichter wird, dauert es noch. Und das ist auch in Ordnung so.

Ich danke Dir.
Meine Tochter hat sich gefreut, dass ich nicht alles mit mir ausmache, sondern dass ich mich in diesem Forum angemeldet habe.

Ich hoffe, Du bist nicht allein und ich wünsche Dir Frohe Weihnachten und ein Neues Jahr mit viel Gesundheit und Glück.

Viele Grüße
K.
Maxegon
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Re: Ich möchte die Krankheit verstehen

Beitrag von Maxegon »

Hallo K. ,

um nicht oder nicht wieder süchtig zu werden, ist ein stabiles privates Umfeld ein enormer Vorteil.
Verständnis, Menschen mit den man reden kann, ihnen vertrauen, hilft unheimlich, ein gutes Selbstvertrauen aufzubauen und zu halten.
Ich nehme mal an, bei Depressionen ist es ähnlich.

Bei meinen Vater war die Angst bestimmt größer als das Selbstvertrauen, so cholerisch wie er war.
Der Suff machte ihn "stark und sicher", bis sich alle von ihm abwendeten, dann blieb nur noch der Suff.

Auch ich war erleichtert, als er starb, das Elend hatte ein Ende. Das klingt zwar hart, doch für mich war der Säufer unerträglich.

Na ja ...

Danke, der Nachfrage :mrgreen: , ich bin zwar allein, doch nicht einsam.
Weihnachten verlor schon vor Jahrzehnten seinen Zauber für mich und damit schwanden auch jegliche Erwartungen.
Menschen, tolle Beziehungen waren immer mein "Weihnachten", egal zu welcher Jahreszeit.

:hello:
Mein Bruder
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Re: Ich möchte die Krankheit verstehen

Beitrag von Mein Bruder »

Hallo Maxegon,
ich bin auch allein. Besuche aber meine Eltern. Und wir holen das nach, wenn alle wieder da sind, frei haben.
So ein Weihnachts-Fan bin ich auch nicht. Als die Kinder klein waren, war es schön.

Ja, ich denke auch, Alkohol war für ihn Ersatz für so Vieles. Aber es waren ja Menschen da, die sich um ihn bemühten. Ja, leider nicht in der Nähe und ständig. Dann gab es kein Zurück mehr.

Ich mag Menschen sehr. Lerne gern neue kennen. Aber sind auch viele wirklich verkorkst. Und merken's natürlich nicht...

Dir wünsche ich noch schöne Tage, wie Du sie magst.

Liebe Grüße
K.
Maxegon
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Re: Ich möchte die Krankheit verstehen

Beitrag von Maxegon »

Mein Bruder hat geschrieben: 25. Dez 2023, 01:40 Aber es waren ja Menschen da, die sich um ihn bemühten.
Wenn man selbst nicht will, können sich alle bemühen wie sie wollen.

Ich bin mir nicht sicher ob Menschen mag, einige wenige mochte und schätzte ich.
Doch mit zunehmenden Alter, fällt es mir schwerer die nötige Toleranz aufzubringen.
Gleichaltige, ähnlich verrückte, wie mich, werden immer rahrer.
Verkorkst ist ein treffendes Wort.
Bin ich nun verkorkst oder sind es die anderen?

Erschreckend viele beharren nur noch auf ihre Meinung, ihre Ansicht und lassen sich selten für Neues oder Anderes begeistern, mir scheint, sie haben Furcht davor und verharren lieber in ihrer scheinbar sicheren Welt.

Ist das der Fluch des Alterns oder bin ich zu anspruchsvoll?
Mein Bruder
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Re: Ich möchte die Krankheit verstehen

Beitrag von Mein Bruder »

"Wenn man selbst nicht will, können sich alle bemühen wie sie wollen": Ja, das stimmt. Dauerte lange bei mir, das zu akzeptieren. Ob ich's jemals verstehe... Aber ich muss ja auch mal zur Ruhe kommen bzw. mich auch anderem widmen..

Ich muss kurz mal überlegen: wird man mit zunehmendem Alter nicht toleranter und gelassener? Ich glaube, ich ja.

Zum Glück gibt es auch viele tolle Menschen, find' ich jedenfalls. Wär' auch schlimm, wenn nicht.

Ich muss erst schlafen, merke ich gerade und wünsche Dir deshalb auch eine
Gute Nacht.

Liebe Grüße
K.
Mein Bruder
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Re: Ich möchte die Krankheit verstehen

Beitrag von Mein Bruder »

Guten "Morgen" Maxegon,

vorhin beim Aufwachen war mein erster Gedanke wieder: WARUM wollte er sich nicht helfen lassen? Irgendwann bekomme ich das noch erklärt...

Ich fahre im Umgang mit anderen (und auch früher in der Kindererziehung) immer sehr gut mit Kompromissen. Ich komme auch gar nicht klar mit Verbohrten, Besserwissern, Arroganten usw. Aber hinter solchen Eigenschaften stecken ja auch oft Unsicherheit und fehlendes Selbstwertgefühl. Andere klein machen und sich damit aufwerten. Macht mein Vater leider mit meiner Mutter. Und meine Tochter sagt, das ist in dem Alter verbreitet. Sie hat mit Menschen zu tun und kann das also sehen. Ursache: Vernachlässigung in der Kindheit höchstwahrscheinlich. Was das für Auswirkungen hat!!! Deshalb bin ich so froh, dass ich mich davon freigemacht habe. Dass ich dazu in der Lage war, wofür ich ja nichts kann.

Ja, das Leben will gelebt werden. Aber das ist auch nicht so einfach, wie man immer wieder feststellen muss. Mir scheint aber, Reduzierung hilft wirklich. Entrümpeln, genau überlegen, was braucht man. Also materiell und zwischenmenschlich. Alles entfernen, was einem nicht gut tut. Davon gibt's zuviel.

Aber der Kopf muss immer zu tun haben. Es gibt so viele Leute, die stehengeblieben sind. Mehr Wert auf Äußerlichkeiten legen als auf das, was sie tun und sagen. Das hasse ich. Heißt ja nicht, dass alle lodderig rumlaufen sollen, aber das ist wirklich oft verschoben. Was da für Verletzungen entstehen. So hat meine Schwiegermutter mal meine Tochter auf's Übelste niedergemacht. Alle anderen haben ihr danach die Leviten gelesen und die hat sich nicht mal entschuldigt. Aber schlank sollen möglichst alle sein! Das meine ich...

Hoffe, Du hast Solche nicht in Deiner Nähe...

Liebe Grüße
K.
Maxegon
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Re: Ich möchte die Krankheit verstehen

Beitrag von Maxegon »

Moin, moin Frau K. , :hello:
WARUM wollte er sich nicht helfen lassen?
Keine Ahnung, vielleicht hatte er einfach keinen Bock mehr.

Leider orientieren wir uns zu oft an Anderen, machen ihren Maßstab zu unserem, denn wir wollen ja gefallen, anerkannt werden.

Funktioniert das nicht, wird sich oft betäubt oder man wird krank.

Ich suchte auch immer Annerkennung vom Vater, das Gegenteil bekam ich, immer (!).
Das tat weh. Erst als ich den Kontakt völlig abbrach, machte es mir immer weniger aus, das dauerte Jahre.

Manchmal hilft nur, das absolute Vermeiden, sonst gerät man immer wieder in diesen Strudel.

Verbohrte Alte ... es ist oft eine Hilflosigkeit, ein Nichtkönnen von Schwäche zeigen.
Viele ändert man auch nicht mehr, entweder akzeptiert man es, auch wenn's weh tut oder hält sich fern.
Manchmal bemerken diese "garstigen Menschen", dass sie etwas verkehrt manchen, doch sollte man sich nicht darauf verlassen.
Es gibt kein Rezept.

In meiner "alkoholischen Eskapade" zog ich leider von der großen, abwechslungsreichen Stadt mit so viel Möglichkeiten, in ein sehr kleines Dorf, weitab vom Schuss, wo man nicht mal seinen toten Hund über den Zaun hängen würde.
Als ich dann nüchtern war/wurde, bemerkte ich mein Dilemma.
Na ja ... das war wohl mein letzter und größter Fehler - ohne Lottogewinn oder gute Fee, wird sich daran auch nichts ändern, doch ich will nicht jammern.
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