Ich möchte die Krankheit verstehen

Senif
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Re: Ich möchte die Krankheit verstehen

Beitrag von Senif »

Warum sollte jemand anders deine Ursachen der fehlenden Freude hinterfragen ? Ein Arzt wird schon fragen, wenn es sich um eine psychische Erkrankung handelt. Aber so oder so ist und bleibt das die Aufgabe des Betroffenen.
Maxegon
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Re: Ich möchte die Krankheit verstehen

Beitrag von Maxegon »

Senif hat geschrieben: 26. Dez 2023, 15:59 deine Ursachen der fehlenden Freude hinterfragen ?
Hallo Senif,

vielleicht fiel es dir bisher nicht auf, doch es geht nicht um meine Ursache.
:hello:
Senif
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Re: Ich möchte die Krankheit verstehen

Beitrag von Senif »

Deshalb schreibst du von diesem ominösen "man" .... den es nicht gibt. Und suchst auch selbst ganz gern bei anderen, als bei Dir selbst.
Mein Bruder
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Re: Ich möchte die Krankheit verstehen

Beitrag von Mein Bruder »

Hallo Maxegon,
freue mich direkt, wieder von Dir zu lesen.
Aber so ganz folgen kann ich Dir irgendwie nicht:
Auf den Grund gehen könnte man doch mit Hilfe von Therapeut*innen. Hast Du das schon versucht? (Mal abgesehen davon, dass es zu wenige gibt und man ewig auf freie Plätze wartet. Noch dazu muss ja dann auch die Chemie stimmen...)
Mein Bruder
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Re: Ich möchte die Krankheit verstehen

Beitrag von Mein Bruder »

Ich wünschte, mein Bruder hätte das psychotherapeutische Angebot in der Entzugsklinik angenommen. Aber aufgrund seiner Selbstständigkeit und Existenzangst hat er nach der Entgiftung wieder einen Auftrag angenommen. Leider konnte er nicht lange weiterbeschäftigt werden, weil er wieder mit dem Trinken anfing.
Da kann ich mir auch vorstellen, dass er Angst hatte vor der Therapie. Angst vor dem, was zutage gefördert worden wäre.
Senif
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Re: Ich möchte die Krankheit verstehen

Beitrag von Senif »

Ja, Therapie kann helfen, wenn der Klient bereit ist, sich selbst zu hinterfragen und auf die unangenehmen Punkte zu schauen.
Möglich, dass er Angst hatte oder es ihm zu viel war.
Vielleicht hatte er auch den Ernst der Lage nicht erkannt - das alles weiß man nicht. Und die eigenen Ursachen, hätte er nur selbst herausfinden können. Niemand anders kann/konnte in ihn hineinschauen.
Es ist bitter, gerade wenn man zusehen muss, dass ein geliebter Mensch immer mehr abbaut bis zum bitteren Ende. Aber retten kann sich jeder nur selbst. Der Therapeut leitet nur an, und begleitet auf dem Weg - gehen muss ihn jeder selbst.
Mein Bruder
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Re: Ich möchte die Krankheit verstehen

Beitrag von Mein Bruder »

Ja, das stimmt wohl.
Ich einer Gesundheitssendung ging es mal sehr ausführlich um Psychotherapien. Und die Fachfrau hat dort aufgeklärt, dass man nur erzählt, was man erzählen will.
Es sei denn, jemand ist bereit für tiefenpsychologische Aufarbeitung. Aber selbst dann kann ja nicht in den Kopf hineingeschaut werden.
Mein Bruder
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Re: Ich möchte die Krankheit verstehen

Beitrag von Mein Bruder »

Ich hatte Kontakt bis fast zuletzt zu meinem Bruder. Schlug ihm so Vieles vor.
Und wenn man dann später im Entlassungsbericht der letzten Klinik liest, dass die Therapeut*innen dasselbe, wortwörtlich geschrieben wie ich es gesagt habe, empfahlen, ist es nochmal umso schlimmer, das alles mitzuerleben.
Mein Bruder
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Re: Ich möchte die Krankheit verstehen

Beitrag von Mein Bruder »

Fragen Therapeutinnen nicht ziemlich zu Beginn, was das Schlimmste sein könnte, was zutage kommen könnte?
Ach na ja, es bringt mir alles auch meinen lieben Bruder nicht wieder.

Weiter oben fragte ich dauernd, warum er sich auf Psychotherapie nicht einlassen konnte. Und ich glaube, ich weiß es jetzt: wirklich Angst. Das war schlimmer auszuhalten für ihn, als die ausweglose Situation, in der er sich befand. Und er war durch den vielen Alkohol ja auch nicht mehr fähig, irgendwas zu erkennen.
Das war so furchtbar und ich glaube, ich habe damit noch eine Weile zu tun.
DieNeue
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Re: Ich möchte die Krankheit verstehen

Beitrag von DieNeue »

Hallo Mein Bruder,

Existenzangst kann ein großer Faktor sein, eine Therapie nicht zu machen oder sich zumindest nicht auf seine Gesundheit zu konzentrieren. Ich war während eines Krankheitssemesters in der Klinik. Dort war es allerdings überhaupt nicht gut und mein Zustand hat sich sehr verschlechtert. Eigentlich hätte ich die Klinik wechseln sollen, aber ich hatte nur noch dieses eine Semester, das ich beurlaubt werden konnte und die Finanzierung des Studiums hätte ich auch neu regeln müssen zu meinen Ungunsten. Eine neue Klinik zu finden hätte Zeit gebraucht, die ich nicht hatte, und ich hätte mein Studium aufs Spiel gesetzt und das wollte ich nicht. Also blieb ich und war hinterher mindestens genauso fertig wie vorher. Mein Studium musste ich dann abbrechen. Hätte ich diese ganzen Existenzsorgen nicht gehabt, sondern einfach Zeit gehabt und die Gewissheit, ich kann hinterher wieder einfach weitermachen, ohne Ämter und Zeitdruck im Nacken sitzen zu haben, hätte ich manches vielleicht anders entschieden.

"Fragen Therapeutinnen nicht ziemlich zu Beginn, was das Schlimmste sein könnte, was zutage kommen könnte?"
Eigentlich nicht, zumindest wurde das bei mir nie so gemacht. Der Patient entscheidet, was er erzählt. Würde der Therapeut so anfangen, würde er mit der Tür ins Haus fallen. Bei traumatisierten Menschen könnte er so das Trauma wieder hochholen. Außerdem basiert eine therapeutische Beziehung auf Vertrauen, was aber ja nicht von heute auf morgen da ist, sondern sich erst aufbauen muss. Erst wenn man Vertrauen hat, geht es ans Eingemachte. Man erzählt ja nicht einem wildfremden Menschen einfach Dinge, die so schlimm für einen sind, dass man sie womöglich über Jahre in sich begraben hat.

"Und wenn man dann später im Entlassungsbericht der letzten Klinik liest, dass die Therapeut*innen dasselbe, wortwörtlich geschrieben wie ich es gesagt habe, empfahlen, ist es nochmal umso schlimmer, das alles mitzuerleben."
Das heißt aber auch, dass du alles gegeben hast, was du konntest und du ihm keinen Schrott erzählt hast. Es wäre viel schlimmer, wenn du ihm das Gegenteil geraten hättest und er dem gefolgt wäre. Du hast dein Bestes getan und das war gut.

Liebe Grüße,
DieNeue
Maxegon
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Re: Ich möchte die Krankheit verstehen

Beitrag von Maxegon »

Angst ist wohl der größte Motivator bzw. Demotivator.

Wie verliert man also diese Angst?
Warum hat man schon Angst, sich überhaupt damit zu beschäftigen?

Angst vor der Angst, macht schon Angst.

Wenn ich mich (oder man :mrgreen: ) mit der Angst beschäftige, verliert sie ihre Schrecken, vielleicht bleibt Respekt übrig oder Achtung, aus der dann Vorsicht erwächst.

Bin ich mir unsicher, fehlt es mir an Selbstbewusstein, versuche ich es zu kaschieren, Alkohol ist da ein gutes Mittel, anfänglich, für den Moment.
Doch auf Dauer merkt man, dass man immer schlechter funktioniert (wenn man noch nicht total verblödet ist), dieses wiederum, verunsichert noch mehr - macht Angst.

Warum beschäftig man sich also nicht mit der Angst, wir scheinen doch intelligente Wesen zu sein?.
Mein Bruder
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Re: Ich möchte die Krankheit verstehen

Beitrag von Mein Bruder »

Ja, das ist eine gute Frage, Maxegon. Wahrscheinlich eine sehr entscheidende. Und deswegen war er auch immer unruhig. Fällt mir jetzt im Nachhinein noch auf.
Existenzangst und keine Zeit für eine Psychotherapie. Ich bin mir sicher, er hätte gerettet werden können.

Und auch Du, DieNeue, hattest ja Zeitdruck. Das ist natürlich kontraproduktiv. Vielen Dank für Deine Schilderungen und ich hoffe, es geht Dir jetzt gut. Und auch danke, dass Du mein Handeln ihm gegenüber für richtig befunden hast. Das tut gut. Ich hatte auch überlegt, mich vorübergehend zu seiner Betreuungsperson machen zu lassen und ihm wieder auf die Beine zu helfen. Vom Justizministerium habe ich mir Broschüren schicken lassen, wie man das anstellt. Wer Fremdes sollte es jedenfalls nicht sein.

Ich stelle es mir, ehrlich gesagt, auch sehr schwer vor, sich fremden Menschen, die man ja nicht unbedingt als Ärzte ansieht (fälschlicherweise) so zu öffnen.
Und wenn sich dann auch noch rausstellt, dass es nichts werden wird, wie bei Dir, DieNeue - schrecklich. Alles schon sehr kräftezehrend und dann noch absehbar ohne Erfolg und mit Studiumabbruch - hart. Ich hoffe, wie gesagt, es kamen dann bessere Zeiten für Dich und damit auch Ruhe.

Maxegon, das meinte ich jedes Mal: woran liegt es, dass sich manche Menschen dem psychisch Krankmachenden stellen können und manche eben nicht? Das rauszufinden, gelänge ja einer Psychotherapeutin vielleicht, aber dazu muss man natürlich einen Termin machen. Es ist ein Teufelskreis...
Maxegon
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Re: Ich möchte die Krankheit verstehen

Beitrag von Maxegon »

Allein das Wort "psychisch krank" macht schon Angst, oder Alkoholiker.

"Geh' doch mal zu Arzt und lass dir helfen" ... alles gut gemeint, doch erreicht man oft das Gegenteil damit.

Und das macht noch mehr Angst.
Mein Bruder
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Re: Ich möchte die Krankheit verstehen

Beitrag von Mein Bruder »

Nee, da habe ich was durcheinandergebracht:
Gefragt, was Schlimmes passieren kann, wird man von Therapeutinnen, glaube ich, bei Angststörungen. Z.B. vor Menschenansammlungen. Ist ja was anderes, als wenn man keine Zuwendung in der Kindheit bekam z.B.
Mein Bruder
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Re: Ich möchte die Krankheit verstehen

Beitrag von Mein Bruder »

Ja, aber das er Alkoholiker war, wusste er.
Stimmt, die Einsicht haben auch längst nicht alle, die es sind.
Maxegon
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Re: Ich möchte die Krankheit verstehen

Beitrag von Maxegon »

Die Ursache einer Angst ist immer individuell, doch los wird man sie nur, wenn man sich damit beschäftigt, egal ob Angst vor'm Versagen, der Dunkelheit oder Spinnen.

Jeder Alkoholiker weiß, dass er einer ist, ebenso wie man weiß, was einen ängstigt.
Es sich selbst einzugestehen ist schwierig und je mehr Druck von aussen kommt, desto schwieriger wird es.

Viele, an Depressionen leidende, gehen auch erst zum Arzt, wenn nichts mehr geht.
Maxegon
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Re: Ich möchte die Krankheit verstehen

Beitrag von Maxegon »

Angst muss mehr akzeptiert werden, von jedem Einzelnen, von sich selbst.
Selbstverständlich muss man bei sich beginnen, es lernen und sich langsam vortasten.
Maxegon
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Re: Ich möchte die Krankheit verstehen

Beitrag von Maxegon »

Oft fragte ich meinen Vater, ob er aufhören wolle zu trinken.
Als er es dann irgendwann verneinte, hörte ich auch auf ihn überreden zu wollen.
Mein Bruder
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Re: Ich möchte die Krankheit verstehen

Beitrag von Mein Bruder »

Ich glaube, das unterscheidet sich:
Viele, die es sind, streiten ab, alkoholkrank zu sein.
Wobei Angst vor Spinnen z.B. immer selber erkannt wird.
Sozialphobie ist wieder anders, meine ich.
Meine Tochter hatte als Kleinkind Panikattacken bei Familienfeiern. Zu viele Leute. Ich habe das nicht erkannt. Sie immer versucht abzulenken und zu trösten, was meistens auch klappte.
Vor wenigen Jahren hat sie eine Verhaltenstherapie erfolgreich beendet und sie ist wie ausgewechselt.
War die ganze Zeit bis dahin, also ca. Mitte 20, aufregend mit ihr. Im Nachhinein weiß ich bescheid, auch weil sie mir ihre Diagnose gut erklärte. Und zum Glück habe ich mich bemüht um sie, als sie klein war. Heute steht ein Bild von mir und ihr in einem Rahmen bei ihr im Wohnzimmer...

Dieses muss auch mal aus der Tabuzone raus: dass es ein Makel ist, wenn man sich zu einem Psychotherapeuten begibt.
Mein Bruder
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Re: Ich möchte die Krankheit verstehen

Beitrag von Mein Bruder »

Ja, Maxegon, dann hatte er sich deutlich entschieden.
Da hast Du ja auch was durch.
Maxegon
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Re: Ich möchte die Krankheit verstehen

Beitrag von Maxegon »

Kinder können sehr selten bestimmen, was sie änstigt und es wird für sie zum Alltag, das nehmen sie mit ins Erwachsenenleben, da hilft ein aufmerksamer Mensch sicherlich sehr, es zu erkennen, gern auch ein Psychologe.
Doch das braucht Zeit und viel Aufmerksamkeit, auch Empathie.

Meine Oma war so eine, wohl der beste "Psychologe" der Welt, meiner Welt.

Diese Aufmerksamkeit/Empathie wohnt uns allen inne, von Kindesbeinen an, mit der Zeit geht sie bei vielen verloren.
Treffen wir empathische Menschen fühlen wir uns oft von ihnen angezogen und lernen wiederum, es ebenfalls zu sein.
Von "garstigen Menschen" färbt oft die Garstigkeit ab.
Mein Bruder
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Re: Ich möchte die Krankheit verstehen

Beitrag von Mein Bruder »

Ja, genau.
Alles schön gesagt von Dir.
Garstige Menschen lassen wir einfach links liegen und uns bloß nicht von denen einfärben. Lieber von den Guten. Dann kann man auch was davon weitergeben.
Maxegon
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Re: Ich möchte die Krankheit verstehen

Beitrag von Maxegon »

Mein Bruder hat geschrieben: 27. Dez 2023, 00:30 Dieses muss auch mal aus der Tabuzone raus: dass es ein Makel ist,
Wir, jeder Einzelne, kann nur diese Tabuzone brechen, dass Angst ein Teil von uns ist/sein kann, dass man darüber sprechen kann, sie überwinden kann, dass es auch manchmal weh tut ...

Ich muss jetzt in die Heia! :hello:
Mein Bruder
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Re: Ich möchte die Krankheit verstehen

Beitrag von Mein Bruder »

An mir soll's nicht liegen - ich gehe da gern voran, mache ich ja auch schon eine Weile.
Maxegon
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Re: Ich möchte die Krankheit verstehen

Beitrag von Maxegon »

Mein Bruder hat geschrieben: 27. Dez 2023, 01:17 An mir soll's nicht liegen -
Na dann hoffe ich, dass du ganz viele Menschen damit infizieren kannst. :D
Viel Zuhören, Aufmerksamkeit schenken kann da ein gutes Mittel sein.
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