ich weiß langsam nicht mehr weiter. Deswegen muss ich mir mal meine derzeitige Verzweifllung von der Seele schreiben. Seit 1999 kämpfe ich mit dem Thema Depression; mehr oder weniger gut händelbar, bis auf wenige Ausreißer. Jedoch werden die auftretenden Episoden zunehmend schlimmer.
Vier Jahre! Seit nunmehr vier Jahren umklammert mich nun mittlerweile dieses Depressions-Monster erneut wieder und verleidet mir alles. Und es scheint für mich kein Entkommen zu geben. Es beginnt immer wieder alles von vorn. Ich drehe mich im Kreis. Die letzte akute Phase begann im Frühjahr 2020 mit der Diagnosestellung: schwere depressive Episode, begleitet von allem Zipp und Zapp wie Angst- und Panikstörung, Disthymie und vielen psychosomatischen Schmerzzuständen im ganzen Körper. Ich gehe zu Ärzten (soweit dies noch möglich ist ) und habe das Gefühl, mit meinen Beschwerden mittlerweile nicht mehr ernst genommen zu werden. Nun gesellt sich noch ein entzückender Bandscheibenvorfall in der HWS dazu, der meinen ganzen linken Arm außer Gefecht setzt. Entweder taub oder reißende Schmerzen (Zervikobrachialgie) und ich kann teilweise meine Finger nicht mehr bewegen. Aussage des Arztes: "die Position des Bandscheibenvorfalls passt aber nicht zu den von Ihnen genannten Lähmungserscheinungen. Gehen Sie damit mal zu einem Schmerztherapeuten." Haha, lustig! Stellt eine Überweisung mit Dringlichkeitscode aus, damit er mich vom Hof hat. In ganz Hamburg kriegt man keinen Termin bei einem Schmerztherapeuten und die Rufnummer der KV 116 117 ist hier in Hamburg offensichtlich nicht besetzt. Ich gebe auf.
Aber zurück zum Thema:
Im September 22 habe ich wieder angefangen zu arbeiten, noch in völlig instabilem Zustand. Aber ich wollte es nicht unversucht lassen; ich will ja arbeiten. Der Gedanke, mich beim Arbeitsamt melden zu müssen, war für mich nicht erträglich, aber mein Krankengeldanspruch lief damals aus.
Vielleicht war das ein Fehler, zu früh, ich weiß es gerade nicht.
12 hinter mir liegende Horror-Monate auf der Arbeit haben mir nun mehr als deutlich gemacht, was ich alles nicht kann. Ich merke ganz deutlich, dass ich anders bin als meine Kollegen. Ich denke auch ganz anders als die. Das kann ich gut wahrnehmen. Mal etwas im Detail, was mir an mir auffällt:
- Gestörte Konzentrationsfähigkeit: ich schaffe es nicht, den Fokus zu behalten und mal dauerhaft an einer Sache zu bleiben. Nach max. 10 Minuten ist eigentlich Ende. Ich kann mich auch 10 Minuten auf's Bett legen und mich vom Fernseher berieseln lassen (der Handlung folge ich eh nicht). Aber nach 10 Minuten kommt ein Impuls, der mich zwingt wieder aufzustehen und (da ich mit mir sonst nichts anfangen kann) gehe ich in meiner Not nach draußen eine Zigarette rauchen.
- In täglich stattfindenden Teams-Runden merke ich, dass ich der dortigen Diskussion gar nicht folgen kann. Stattdessen mache ich dann während der Sitzung etwas anderes, z. B. meine Mails checken. Im Nachgang weiß ich dann natürlich nicht, was besprochen wurde.
- Reduzierte Aufmerksamkeit: alles lenkt mich ab. alles. Selbst das Ticken einer Uhr an der Wand oder ein telefonierender Kollege. Deswegen suche ich mir - soweit möglich - ein Büro, in dem sonst keiner sitzt.
- Niedriges Selbstwertgefühl: meine Wahrnehmung derzeit ist: meine Kollegen können ziemlich alles, ich dagegen kann nichts (dabei weiß ich eigentlich, dass ich viel kann; ich bewege mich auf einer ganz anderen Detail-Ebene).
- Prokratination ist mein zweiter Vorname: ich nutze - in wirklich extremer Ausprägung - jede Gelegenheit, Dinge nicht angehen zu müssen und schiebe auf bis zum letzten Drücker. Meist gehe ich in meiner Not lieber eine Zigarette rauchen oder einen Kaffee holen. Und selbst dann fällt mir noch was anderes ein, was ich tun könnte, damit ich nicht anfangen muss.
- Ich kann keine Entscheidungen treffen. Beispielsweise bestelle ich Dinge im Internet und das Paket liegt dann wochenlang da, bis ich entschieden habe, ob ich es behalte oder zurückschicke. Und bis dahin ändert sich meine Meinung nahezu täglich.
- Meine Kraft/Energie reicht nicht für einen Tag. Ich kann mich um 6 nur noch tot in's Bett legen und schaffe eigentlich sonst nichts mehr. Tägliche Routinen (Spülmaschine ausräumen) widern mich an.
- Dementsprechend sieht es auch im Haus aus: Chaos, Unordnung wo ich hinblicke, Und ich schaffe es nicht, das anzugehen. Dieser Zustand vermittelt mir selbst noch mehr das Gefühl der eigenen Inkompetenz. Die Situation im Haus ist mir selbst extrem peinlich. Ich nehme es wahr, aber ich kann es nicht ändern. Ich mag niemanden mehr rein lassen. Ich weiß aber, dass im November der Schornsteinfeger kommt und in jeden Raum will wegen der Feuermelder. Das erzeugt bei mir Druck.
- Ich bin perfektionistisch und möchte immer das Beste leisten. Hoher Anspruch an ich selbst... und ich versage gerade völlig damit.
- Sensibilität: ich nehme viele Dinge wahr, die andere gar nicht registrieren.
- Ich zeige ein ausgeprägtes Rückzugsverhalten. Menschen sind mir zu viel, Nähe kann ich auch nicht ertragen.
So, Punkt an dieser Stelle.
Wenn ich mir das nun alles in Gänze so betrachte, dann entsteht bei mir im Kopf gerade eine Vermutung: sind das nicht alles konkrete Symptome von AD(H)S? Warum hat das noch niemand gecheckt? Mein Leidensweg besteht schon so lange. Womöglich sind Depression und Angst-/Panikstörung nur begleitende Komorbitäten einer ADHS-Symptomatik?
Die Ärztin im Krankenhaus hat mir als weitergehende ambulante Therapie „tiefenpsychologisch“ empfohlen. Nach 60 Sitzungen habe ich diese Therapie nun beendet. Sie bringt mich nicht mehr weiter. Ich denke, ich wäre in einer kognitiven Verhaltenstherapie besser aufgehoben gewesen. Da hätte man solche Verhaltensauffälligkeiten angehen können. Es war der falsche Weg - wieder einmal. Und meine Worte wurden ignoriert.
Im Gesamtüberblick würde alles so gut zu ADHS zusammenpassen und es würde auch endlich einen Sinn ergeben.
Nun kenne ich mich mit den Themen Depression und Angst gut aus, aber nicht mit ADHS. Haltest ihr den Gedanken für abwegig? Gibt es hier Betroffene, die mir etwas mehr dazu sagen können? Ich habe in meinem Leben schon so viele Antidepressiva "gefressen", da käme es nun auf einen Versuch mit Ritalin nicht an.
Liebe Grüße an Euch! Haltet durch!