Grad geht´s bergab

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OfficeNinja
Beiträge: 5
Registriert: 19. Mai 2023, 21:08

Grad geht´s bergab

Beitrag von OfficeNinja »

Ich bin Anfang 30, Angstpatient und depressiv. Ich habe weder eine Partnerin noch Kinder, lebe alleine in einem Neubau und habe bis vor zwei Wochen noch versucht, in meinem Job durchzuhalten, was jetzt auch nicht mehr geklappt hat.
Ich musste sogar Dienstberatungen abbrechen, weil ich sofort Panik bekomme mit Leuten in einem Raum, oder in Teilzeit gehen, weil ich es einfach nicht mehr schaffe.
Zudem kann ich nicht mehr in den Urlaub fahren oder mich auf Events wie Geburtstagsfeiern freuen, die in naher Zukunft anstehen. Überall sind Menschen, überall ist Stress. Des Weiteren habe ich aufgehört, zu Ärzten zu gehen, einmal weil ich keine Kraft mehr habe und andererseits aus Angst. Angst, Angst, Angst... Ich sehe derzeit keinen Sinn im Leben (Kinder, Haus, Partner, wichtiger Job...) und bin hoffnungslos und schwach. Vor ein paar Monaten war ich zur Reha und blühte auf wie eine Blume im Frühling. Auch da gab es für mich viel Stress, aber ich war nicht allein, das war schön.
Nun im Herbst ist die Blume aber wieder verblüht und körperliche Symptome nehmen zu. Hauptsymptome sind Muskelschmerzen, Verspannungen, trockene Augen, unangenehmes Pulshören, das Gefühl, als würde Strom durch den Körper gehen, extreme Unruhe und Tinnitus.

Jetzt frage ich mich, wo soll das alles noch hinführen? Wann ist das Tal erreicht und es geht wieder bergauf?
Zwei Fragen habe ich noch: Kennt jemand gute Wohnprojekte, wo man zusammen lebt? Ich hatte mal von einem Demeter-Hof gehört, konnte mich bisher aber nicht aufraffen, dem nachzugehen. Das wäre auch ein 180-Grad-Bruch mit meinem jetzigem Leben, das traue ich mir alleine nicht zu, außerdem wieder viele bzw. alles fremde Menschen.
Menschen, man kann nicht mit ihnen aber auch nicht ohne.
Und Punkt zwei, wer möchte sich austauschen oder auch mal treffen? Ich habe das Gefühl mich nur fallen lassen zu können bei Leuten die meine Situation kennen, vielleicht geht es Dir ja auch so.

Alles Gute euch allen da draußen!
:)
Mountainbiker
Beiträge: 224
Registriert: 19. Sep 2020, 18:15

Re: Grad geht´s bergab

Beitrag von Mountainbiker »

Ich habe das schon mal hier irgendwo geschrieben und schreibe es gern wieder. Mich plagt auch täglich die Angst, wache morgens damit auf und mir ist fast immer leicht übel und ich bin nervös.

Mein Therapeut sagte mir:"Sie haben Angst vor der Angst.

Und ja, er hat recht. Genau so ist es. Mal abgesehen von den körperlichen Symptomen, die ja Signale des Körpers sind und nicht direkt von der Angst ausgelöst werden, was kann dir diese Angst schon tun? Eigentlich doch nichts - oder.

Stell dir vor, du hängst an einem Seil über einem Abgrund und du hast Angst abzustürzen. Dann ist deine Angst berechtigt und es besteht tatsächlich die Möglichkeit abzustürzen, sich schwer zu verletzen oder sogar zu sterben.

Wenn aber Menschen um dich herum sind, hast du Angst (ich kenne diese Angst) aber wovor? Sie tun dir nichts, es besteht keinerlei Gefahr.

Also ist die Angst die Angst davor dass man Angst hat, dass man Angst bekommt wenn man auf Menschen trifft. Und nicht, dass man Angst vor Menschen hat, weil diese einen ja gar nicht bedrohen.

Ich hoffe man versteht, was ich meine
Gruß Mountainbiker
Das Leben ist wie Radfahren. Man fällt nicht, solange man in die Pedale tritt.
DerSteppenwolf
Beiträge: 42
Registriert: 6. Okt 2022, 09:57

Re: Grad geht´s bergab

Beitrag von DerSteppenwolf »

Hallo Ninja,

mir geht es genauso. Mein Leben zieht an mir vorbei, habe so viele Baustellen, aber habe Angst auch nur eine davon anzupacken. Liege seit Tagen nur noch im Bett und lenke mich ab. Die kürzer werdenden Tage tun ihr Übriges dazu. Morgens ist es am Schlimmsten. Hab leider noch keine Idee, wie ich diesmal aus diesem Loch rauskommen soll. Du bist also nicht alleine.

VG
Steppenwolf
Meridian
Beiträge: 512
Registriert: 15. Dez 2019, 11:05

Re: Grad geht´s bergab

Beitrag von Meridian »

Ich kann nicht sagen, ob es möglich ist, da wieder alleine rauszukommen, aber ich weiß, ich hätte das alleine nicht geschafft. Ich brauchte professionelle Hilfe, vor allem wegen der starken Ängste / Panik.
Zu deiner Frage, ob das jetzt so bleibt: Nein, das denke ich nicht, es wird irgendwann besser, aber es ist wichtig, aktiv etwas dafür zu tun, dass es besser wird.
Bist du denn schon in psychotherapeutischer Behandlung und war das eine psychosomatische Reha?
Gut wäre sicher, wenn du eine Gruppe finden könntest mit Menschen, die ähnliche Themen haben. Der Austausch mit anderen kann helfen (vor allem,
wenn du dafür aus dem Haus gehen musst und sie tatsächlich triffst).
Ich habe erlebt, dass Ängste um so stärker werden, je mehr ich mich isoliert habe, das ist irgendwann ein Teufelskreis.
Den ersten Schritt hast du gemacht, indem du hier schreibst.
Ich wünsche di einen hilfreichen Austausch und alles Gute!

LG, Meridian
MaWe
Beiträge: 173
Registriert: 8. Feb 2020, 10:03

Re: Grad geht´s bergab

Beitrag von MaWe »

Hallo OfficeNinja,

nach dem, was du berichtest, könnte ich mir auch vorstellen, dass für dich eine Gruppentherapie oder vielleicht auch eine Selbsthilfegruppe gut sein könnte. Du solltest m.E. auf jeden Fall Therapie machen, denn zumindest die Angstproblematik wird normalerweise nicht ohne Therapie wieder besser.
Jürgen_A
Beiträge: 17
Registriert: 6. Okt 2023, 12:22

Re: Grad geht´s bergab

Beitrag von Jürgen_A »

Hallo OfficeNinja und Grüsse an alle hier. Dieses ist mein erster Beitrag hier, da mich das Thema sofort angesprochen hat. Die von dir angesprochenen Symptome sind im grossen und ganzen auch bei mir feststellbar. Ich bin schon lange depressiv, 60 J. ,männlich und erlebe seit 2019 eine völlig neue Gefühlslage. Angst ist immer da, "Gefühl, als wenn Strom durch den Körper läuft", extreme Unruhe usw. usw.... Meine Diagnosen sind starke Depression mit bipolarer Veranlagung (Bipolar II). Zur Zeit auf Quetiapin 300 mg.
Alles was du beschreibst, ist eventuell das Umschlagen einer Depression in die agitierte Version. Jedenfalls werde ich bei dem nächsten Termin in der Psychiatrie darauf hin untersucht. Auch was du schilderst in Bezug auf die Reha und das du dort glücklich warst, kommt mir sehr bekannt vor aus dem Jahr 2022.
Ich werde versuchen, bald wieder einen Platz stationär zu bekommen. Nach meiner Erfahrung "verändern" sich die Depressionen häufig. Ist ein Problem gelöst, findet der schwarze Hund einen neuen Weg, dich in die Wade zu beißen.
Danke für deinen Beitrag, ich sehe, dass wir nicht allein sind.
LG Jürgen
"Seid gut zu euch selbst, zu denen, die ihr liebt und der Welt, in der wir leben."
Bruce Springsteen, München 2023
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