Psychotherapie - kann das mit mir überhaupt funktionieren?!

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Ephemera
Beiträge: 82
Registriert: 10. Jan 2022, 19:31

Psychotherapie - kann das mit mir überhaupt funktionieren?!

Beitrag von Ephemera »

Hallo Ihr.

Ich habe da ein Problem.
Ich werde auch versuchen, das nächste Woche bei meiner Therapeutin anzusprechen - aber vielleicht hat noch jemand eine hilfreiche Meinung/Sicht dazu.

Vorweg: ich bin seit 2 Jahren in meiner ersten ambulanten Therapie. Es ist eine Verhaltenstherapie mit schematherapeutischen Elementen. Sie wurde schon zwei mal verlängert, wir gehen auf das Ende der 80 Stunden zu.

Ich mag meine Therapeutin sehr gerne und halte sie für sehr kompetent. Sie ist aufmerksam, einfühlsam und ich habe schon viel gelernt.

Mein Problem ist meine extreme Gehemmtheit, Angst und Scham, die ich auch in der Therapie nicht ablegen kann.
Ich habe beständig das Gefühl mehr zu verschweigen als zu besprechen. Dinge zu beschönigen. Gedanken und Gefühle zu verbergen. Meist gar nicht bewusst, sondern weil automatisiert Vermeidung einsetzt und mich alles in mir zurückhalten lässt.
Es ist bei ihr besser als bei jedem anderen Menschen. Aber trotzdem bin ich nicht vollständig und ungefiltert „ich“, wenn ich bei ihr bin. Da ist immer noch Fassade. Nicht weinen wollen. Traurigkeit und Verletzlichkeit nicht zeigen. Nicht sprechen können.
Und ich habe das Gefühl: ich kann das einfach nicht. Werde es nie können.

Ich bin schon immer nur dann wirklich ich wenn ich schreiben kann. Wenn ich es nicht schaffen muss, Dinge laut auszusprechen. Da ist eine so große Barriere in mir. Ich komme nicht durch. Bin in mir gefangen. Schreiben ist so viel leichter. Da bin ich frei. Da kann alles „raus“.

Kennt das jemand, auch nach so vielen Stunden mit einer Person, die einen wirklich sympathisch ist?
Kann sich das noch ändern?
Kann diese Mauer überwunden werden, die eine echte, umfassende Offenheit verhindert?

Hatte schonmal jemand eine schriftliche Therapie? Gibt es das?
Ja, das wäre auch irgendwie Vermeidung - aber würde vielleicht trotzdem erstmal helfen näher an den Kern zu kommen?

Neben rezidivierender Depression habe ich auch eine ängstlich-vermeidende bzw. selbstunsichere Persönlichkeitsstörung, die sicher der Grund für dieses Dilemma ist.
Lore
Beiträge: 102
Registriert: 17. Apr 2023, 20:20

Re: Psychotherapie - kann das mit mir überhaupt funktionieren?!

Beitrag von Lore »

Hallo,
hast du schon mal versucht, deiner Therapeutin im Vorfeld einer Stunde zu schreiben, so dass das als Anlass für das Gespräch wird?
Vielleicht ist das hilfreich.
LG
Lore
Ephemera
Beiträge: 82
Registriert: 10. Jan 2022, 19:31

Re: Psychotherapie - kann das mit mir überhaupt funktionieren?!

Beitrag von Ephemera »

Liebe Lore,

danke für Deine Antwort.
Es läuft ja ohnehin viel schriftlich, zB. die ABC-Methode oder auch die Dokumentation von Verhaltensexperimenten usw.
Das kann ich dann in der Stunde vorlesen und wir sprechen noch darüber.

Schwierig ist es bei akuteren oder emotionalen Themen. Da habe ich auch schon mal geschrieben und es ihr gegeben. Aber: dann soll ja natürlich doch wieder darüber gesprochen werden… und dann geht es nicht weiter weil mir das nicht gelingt.
Ich müsste manches komplett im schriftlichen klären können… also auch Nachfragen oder Anregungen zum Thema wieder schriftlich beantworten können…
So bleibe ich immer an der Oberfläche. Denn in die Tiefe sprechen geht leider nicht… da fährt eine Schutzmauer hoch.

Und dann mache ich mir darüber Vorwürfe und schäme mich dafür und dann geht gar nichts mehr. Ich werde manchmal regelrecht stumm und es fällt mir sehr schwer, überhaupt noch ein Wort zu sagen.
SonneundDunkenheit
Beiträge: 702
Registriert: 25. Jul 2021, 09:24

Re: Psychotherapie - kann das mit mir überhaupt funktionieren?!

Beitrag von SonneundDunkenheit »

Hallo Ephemera,

ich habe gerade meine erste Therapie TP) "beendet" (Stabiliesungsstunden gibt es zum Glück noch) und ähnlich wie du konnte ich mich im direkten Gespräch oftmals nicht komplett öffnen (Scham, Angst, Unsicherheit ...). Meine Therapeutin hat das ziemlich schnell durchschaut und als ich ihr stabil genug erschien mir angeboten, auszuprobieren, ob es besser geht, wenn ich liege und sie so nicht direkt Gegenüber habe. Anfangs war es gewöhnungsbedürftig, aber da ich die Position in jeder Stunde selbst bestimmen und auch innerhalb der Stunde wechseln durfte, war es dann ziemlich schnell ein gutes Mittel.
Ich bin im schriftlichen Ausdruck auch viel weniger vermeidend (sehr ehrlich zu mir selbst) als im direkten Gespräch und deshalb bekomme ich oft die Aufgabe mich mit Thema XY nochmals nach der Stunde schriftlich auseinander zu setzen. Ich entscheide, ob ich ihr meinen Text vor der Folgestunde per Mail zukommen lasse (dann gibt es kein zurück), ob ich den Text in der Stunde laut vorlese (oder die Therapeutin bitte, es tun) oder ob ich das Ergebnis für mich behalten möchte ( was auch okay ist). Ich habe auch lange gedacht, ich kann über dieses oder jenes nicht reden, kann keine Gefühle zeigen, obwohl mir die Therapeutin sehr zugewandt (aber auch konsequent und fordernd) ist und ich hingegen oft misstrauisch und hinterfragend. Nach 3,5 Jahren Therapie gibt es noch immer Dinge, die ich für mich behalte... ich bin noch nicht so weit.

In den Stunden kommt vieles hoch, was meinen Kopf "platzen" lässt, dann sortiere ich, wäge ich ab was ich davon preisgeben und entweder bin ich gedanklich weit weg oder ziemlich impulsiv. Nach den Stunden kommen meist noch unzählige Gedanken zum Thema hoch. Wenn mich ein Thema so gar nicht loslässt, dann ordne ich meine Gedanken indem ich es schriftlich festhalte und wenn es mir elementar für die Therapie erscheint, sende ich mein schriftlich Fixiertes an die Therapeutin und wir greifen es zu Beginn der nächsten Stunde noch einmal auf.

Setz dich nicht unter Druck. Das macht es nicht besser. Vielleicht könnt ihr ja auch vereinbaren, für dich wichtige Dinge zunächst schriftlich festzuhalten. Als Rückschritt würde ich es nicht bewerten. Jeder Mensch ist anders in den Möglichkeiten sich auszudrücken und es ist gut, wenn ein Therapeut sein Gegenüber dort abholt, wo dieser gerade steht. Was nützen die vielen Stunden, wenn sie "nur" an der Oberfläche kratzen.

Liebe Grüße von SonneundDunkelheit
Meridian
Beiträge: 512
Registriert: 15. Dez 2019, 11:05

Re: Psychotherapie - kann das mit mir überhaupt funktionieren?!

Beitrag von Meridian »

Hallo Ephemera,

ich denke, dass deine Schutzmauer einen guten Grund hat und du hast eine Möglichkeit gefunden, deine Gefühle auszudrücken, auch das ist positiv und und kann in der Therapie genutzt werden.
Es braucht ganz viel Vertrauen und Mut, sich zu öffnen und über Dinge zu sprechen, die man vielleicht nie zu vor einem anderen Menschen erzählt hat.
Ich glaube, dass Sympathie nicht ausreicht.
Was ich brauchte, war das Gefühl, dass ich alles sagen kann , was in mir vorgeht und mein Gegenüber das versteht und damit umgehen kann.
Dieses Gefühl hatte ich bei meinem Therapeuten und trotzdem habe ich vermieden und es gab bei bestimmten Themen einen großen Widerstand, was mir oft gar nicht bewusst war bzw. mir erst während der Therapie so langsam bewusst wurde.
All das hat aber einen Grund und der Therapeut hat diese Schutzmauer respektiert. Manchmal dachte ich sogar, so kommen wir nicht weiter, aber im Nachhinein wurde mir klar, er hat mir das Tempo überlassen und hat mich nur dann mit der Vermeidung konfrontiert, wenn er davon überzeugt war, dass ich so weit bin darüber zu sprechen.
Wenn du selbst an dir zweifelst und denkst, dass Therapie bei dir nicht funktioniert, so ist das zwar verständlich und viele Kennen diese Gedanken sicherlich auch. Aber du machst die Therapie ja nicht alleine, und es ist auch die Aufgabe deiner Therapeutin, das zu erkennen und mit dir zusammen
zu bearbeiten.

LG; Meridian
Libellule
Beiträge: 13
Registriert: 15. Okt 2021, 19:13

Re: Psychotherapie - kann das mit mir überhaupt funktionieren?!

Beitrag von Libellule »

Ephemera hat geschrieben: 22. Aug 2023, 18:00
Kennt das jemand, auch nach so vielen Stunden mit einer Person, die einen wirklich sympathisch ist?
Kann sich das noch ändern?
Kann diese Mauer überwunden werden, die eine echte, umfassende Offenheit verhindert?
Hallo Ephemera,
... zu diesen drei Fragen: Ja, ja und ja!
Ich habe ganz ähnliche Erfahrungen gemacht und möchte dich ermutigen, nicht aufzugeben. Es ist frustrierend, aber so eine Therapie kann einfach lange dauern, viel Zeit brauchen. Auch ich habe neben Depressionen eine ängstl.-vermeidende PS. In meiner ersten Therapie wurde diese allerdings noch nicht diagnostiziert, was sicher auch daran lag, was ich alles nicht angesprochen habe. Diese erste Therapie hat zwei Jahre gedauert und hatte außer Stabilisierung und Entlastung durch die Gespräche wenig Effekt. Nach mehreren Jahren Pause bin ich vor fünf Jahren zu meiner jetztigen Therapeutin (Verhaltens- und Schematherapeutin) gekommen. Auch bei ihr hat es lange gedauert, bis ich wirklich offen mit ihr sprechen konnte, obwohl sie mir sehr sympathisch ist und ich sie auch für sehr kompetent halte. Aber mittlerweile geht das und ich kann inzwischen dem baldigen Ende der Therapie recht gelassen entgegen sehen. Sie hatte bei mir nach den 80 Stunden einen Antrag auf Verlängerung auf 100 Stunden gestellt, der auch genehmigt wurde. Vielleicht gibt es diese Möglichkeit für dich auch?
Ich wünsche dir alles Gute,
viele Grüße
Libellule
Ephemera
Beiträge: 82
Registriert: 10. Jan 2022, 19:31

Re: Psychotherapie - kann das mit mir überhaupt funktionieren?!

Beitrag von Ephemera »

Ganz ganz vielen lieben Dank für Eure Antworten.

Die mir zum einen zeigen, dass ich mich nicht nur besonders dumm anstelle sondern das Sprechen auch anderen schwerfällt und zum anderen zeigen, dass es sich lohnt durchzuhalten und es immer weiter und immer wieder zu versuchen.

Eine weitere Verlängerung ist wohl sehr unwahrscheinlich. Ich werde es trotzdem bei der Beihilfe versuchen „durch“ zu bekommen. Falls die nicht mehr zahlen wollen, würde ich als Selbstzahlerin (dann aus Kostengründen im zweiwöchigen Rhythmus) weitermachen.
Denn weitermachen muss ich. Und will ich (sagt zumindest der gesunde Erwachsene in mir).

Am Dienstag machen wir eine Doppelstunde, weil sie Zeit dafür hat und ich aktuell etwas schleudere was alles angeht…
Und vielleicht gehen wir eine Zeit der Sitzung spazieren, um zu sehen, ob ich dann weniger gehemmt und befangen bin als in einer gegenübersitzenden Gesprächssituation. Sie sagte sie habe das noch nie so gemacht, wäre aber gerne bereit es auszuprobieren.
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