Alles umsonst?

Philosophin
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Alles umsonst?

Beitrag von Philosophin »

Hallo zusammen,

nach langer Abwesenheit melde ich mich mal wieder im Forum… Fast zwei Jahre Pflegeausbildung liegen nun hinter mir. Ich habe es geschafft, nach langer depressionsbedingter Schul- und Arbeitsunfähigkeit wieder in ein „normales Leben“ zu starten.
Aktuell muss ich allerdings gestehen, erneut am Ende meiner Kräfte zu sein. Innerlich leer, traurig und umgeben von einer dichten Nebelwand. Der Schichtdienst laugt mich aus und erlaubt keinen gesunden Schlafrhythmus. Auf Station bin ich dem Mobbing durch examinierte Pflegekräfte ausgesetzt. Zu Beginn meiner Ausbildung habe ich noch versucht, mich dagegen zu wehren. Mittlerweile habe ich verstanden, dass das der „normale“ Umgang mit Auszubildenden ist und sich auf nahezu jeder Station wiederholt.

Meine Noten sind super und ich bekomme viel Lob von Freunden und meiner Familie, die wissen, welchen Weg ich zurückgelegt habe. Jeder einzelne Tag ist ein Kampf.

Leider sind sowohl meine Familie als auch meine Freunde weit weg. Ich habe nie Anschluss in meiner neuen Heimat gefunden, auch nicht in meiner Ausbildung. Mir fehlt nach der Schule/den Diensten auf Station die Kraft, noch etwas mit anderen zu unternehmen oder mir einen Verein zu suchen. Ich brauche alle Energie, um den nächsten Ausbildungstag überstehen zu können und bin oft völlig reizüberflutet, wenn ich nach Hause komme.

Ein Jahr steht mir in der Ausbildung noch bevor. In den vergangenen beiden Jahren habe ich mich an die Hoffnung geklammert, dass danach alles besser wird… aber gerade zweifle ich auch daran. Plötzlich erscheint alles sinnentleert, grau und hoffnungslos. Ich weiß, dass dies die typischen Depressionssymptome sind und doch zweifle ich: was ist, wenn der ganze Kampf umsonst war und ich doch nie glücklich mit meinem Leben werde? Wenn ich für dieses Leben nicht gemacht bin? Die Depression doch nicht loswerde?

Es ist bitter in meinem Arbeitsalltag zu sehen, wie schwer manche Menschen erkranken, wie eingeschränkt sie in ihrem Alltag sind. Dass manche viel zu früh sterben müssen. Und ich verlasse nach dem Dienst die Klinik, und statt mich glücklich zu fühlen, gesund zu sein und nach dem Leben greifen zu können, schotte ich mich von allem ab und frage mich heimlich, wie lange ich wohl noch hier ausharren muss.

Liebe Grüße an alle
Philosophin
Katerle
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Re: Alles umsonst?

Beitrag von Katerle »

Hallo Philosophin,

erst einmal herzlich Willkommen zurück im Forum.
Es ist wirklich nicht einfach, eine Ausbildung in diesem Fachbereich, aber immerhin hast du bis jetzt zwei Jahre geschafft und durchgehalten. Es war bestimmt nicht alles umsonst.
Tut mir leid, dass du Mobbing ausgesetzt bist und dich am Ende deiner Kräfte fühlst usw.
Traurig, dass du niemanden in deiner Nähe hast von deinen Freunden/Familie und auch keinen Anschluss gefunden bis jetzt. Das ist wirklich nicht einfach. Hast du die Möglichkeit, dir eine Threapeutin/Therapeuten in deiner Nähe zu finden? Du könntest dich auch vorrübergehend krank schreiben lassen vom Hausarzt oder zur Überbrückung in eine Tagesklinik gehen?

Weiterhin alles Gute für dich und das du die Hoffnung nicht verlierst.
Such dir unbedingt Hilfe,
Katerle
MissMikse
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Re: Alles umsonst?

Beitrag von MissMikse »

Liebe Philosophin,

hast du dich evtl. mal auf ADHS testen lassen? Ich hab das mal gemacht und war gerade so an der Schwelle zu ADHS. Der Arzt sagte mir damals, seine Tochter hat das auch und bei ihr macht sich das am ehesten bemerkbar, weil sie nach der Uni keine Kraft mehr hat für irgendwas anderes. Einfach weil wegen der "Reizüberflutung" und der nötigen Konzentration diese Flut zu bewältigen schon die ganze Energie drauf ging.
Ich lass dir das einfach mal als Gedanken da.

Schichtdienst ist nicht jedermanns Sache. Mir fällt das auch schwer, wenn meine Arbeitszeiten innerhalb der Woche so stark wechseln, dass ich keinen Rhythmus finde. Zum Glück konnte ich mit dem Arbeitgeber einen Deal machen und seitdem ist es etwas besser. Trotzdem bleibt es nicht aus, dass ich von einem Tag auf den anderen von Frühschicht auf Spätschicht wechsle und mit nur 1 Tag Pause dazwischen wieder auf Frühschicht.
Aber sagen wir mal so: Pflegekräfte werden immer gebraucht. Es besteht also die Chance, dass du nach deiner Ausbildung zu einer anderen Arbeitsstelle wechseln kannst, wo die Schichtzeiten vielleicht zumindest nicht ganz so extrem sind.
Machst du auch Nachtdienst? Falls ja: mein Ex-Therapeut hat bei Depressionen ganz klar von Nachtschichten abgeraten.

Bzgl. Mobbing: hör nicht hin. Wenn du so tolle Noten hast, beweist das, dass du deinen Job beherrschst. Wenn einer was anderes sagt: ignorieren - er/sie hat Unrecht. Und falls das Mobbing dich persönlich betrifft: sch... drauf. Diese Leute kennen dich nicht wirklich, keiner weiß was du bisher durchgemacht hast und es ist schlicht und ergreifend eine Frechheit wenn sie meinen, sie dürften sich ein Urteil über dich erlauben.
Kennst du "Lasse reden" von "Die Ärzte"? Das trifft es ziemlich genau. Die meisten Leute haben nix besseres zu tun als über andere zu lästern, weil sie sich selbst anöden in ihrem Leben und sich dadurch besser fühlen für den Moment, wenn sie andere runter machen können. Die wollen sich vor den anderen nur interessant machen - leider auf deine Kosten.

Soweit mal ein paar Gedanken - dazu ein paar liebe Grüße und eine Umarmung! :hello:
Gartenkobold
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Re: Alles umsonst?

Beitrag von Gartenkobold »

Hallo Philosophin,

soll es nach der Pflegeausbildung das Medizinstudium werden?
Das Studium an sich geht, aber in der Facharztausbildung geht es weiter mit dem Schichtdienst und der hohen Dienstbelastung.
Es gibt ein paar wenige Facharztausbildungen, die ohne Nachtdienste auskommen, aber ob die Dir liegen?

Dienste und keine fester Tagesnachtrythmus schlauchen, kein Wunder, dass es Dir schlecht geht. Könntest Du das letzte Jahr Deiner Ausbildung leidesgereichter gestalten? Z.b. mit einem Attest, welches Dich von Nachdiensten befreit?
https://www.google.com/search?q=dr.+fre ... Kh4IpNu4Lg

LG Gartenkobold
Monserat
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Re: Alles umsonst?

Beitrag von Monserat »

Ach Menno :| schade, dass das grad zwischenmenschlich nicht so gut bei dir auf der Arbeit läuft. Aber das bedeutet üüüüberhaupt nicht, dass deine Anstrengungen umsonst wären ! Du hast schon zwei Jahre gezeigt, dass du lernen kannst und willst - das finde ich wirklich bemerkenswert, gerade in solch einem Beruf !
Es wurde hier schon einiges geschrieben und geraten und auch ich möchte dir Mut machen das letzte Ausbildungsjahr *durchzustehen*. Danach könntest du ja vielleicht zurück zu Freunden und Familie ziehen ? Mit deinem Berufsabschluss bekommst du doch überall eine Anstellung :!:

LG Monserat
Maxegon
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Re: Alles umsonst?

Beitrag von Maxegon »

... neee, nicht alles umsonst, wenn du den Abschluss machst!

Schichtarbeit ist immer doof, belastend, anstengend, kräftezehrend. Fast 10 Jahre hielt ich das durch, vielleicht sind manche für so eine Arbeit geschaffen, ich bin/war es definitiv nicht.
Gerade die Nachtschichten zerrten arg an meinem Gemüt, ich versuchte diese immer irgendwie zu überstehen.
Auch ich kenne so glorreiche Sätze wie "Lehrjahre sind keine Herrenjahre" , "da musste durch" oder "hab' ich mal nicht so ...".
Mit deinen, irgendwann erfolgreichen, Abschluss kannst du eine Menge Tätigkeiten ausüben, ohne Schichtbetrieb.

Was kannst du da alles machen?
Suchende2
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Re: Alles umsonst?

Beitrag von Suchende2 »

Hallo Philosophin,

auch wenn es Dir nicht so vorkommt, hast Du doch auch positives berichtet.
Es tut mir leid, daß es Dir wieder so schlecht geht.
Du hast in den vergangen 2 Jahren vieles geschafft.
Ich weiß wie schwer es ist, unter Mobbing zu arbeiten und dabei immer eine gute / sehr gute Leistung abzuliefern.
Wieviel Kraft (körperlich und psychisch) das kostet, wird Dir erst bewusst, wenn Du aus dem System heraus bist.

Jetzt geht es darum, Dir kurzfristig zu helfen, langfristig zu helfen und die Arbeitssituation zu verbessern.

Hilft Dir eine Krankschreibung?
Was hat Dir letztes Mal geholfen, aus der Depression herauszukommen? Kann es Dir dieses Mal auch helfen?
Hast Du Kontakt zu Deinem Betriebsrat?
Hast Du aktuell einen Therapeuten?
Falls nicht, nimm dringend mit Deinem alten Therapeuten Kontakt auf, damit Du schnell zumindest etwas Hilfe bekommen kannst.
Was für Schichten sind für Dich sehr belastend?
Sprich mit Deinem Betriebsrat, was es braucht, damit Du diese Schichten / Schichtübergänge nicht machen musst?
Sind Überstunden ein Problem?
Dann schaue, ob Du einen GdB bekommst, da bist Du bei Vollzeit je nach Grad vor übermäßigen Überstunden geschützt.

Eine gute Freundin von mir arbeitet auch in der Pflege.
Sie arbeitet keine Nachtschichten und theoretisch (Du weißt wie es in der Pflege dann doch läuft) hauptsächlich vormittags. Wenn Du die Ausbildung geschafft hast, ist dann wesentlich mehr möglich als jetzt.

Alles Gute,
Suchende
Philosophin
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Re: Alles umsonst?

Beitrag von Philosophin »

Hallo an alle,

vielen herzlichen Dank für die zahlreichen Antworten! Mit so einer Resonanz habe ich nicht gerechnet. Da für mich morgen schon wieder ein Frühdienst ansteht, habe ich leider nicht so viel Zeit zu schreiben, möchte mich aber trotzdem kurz zurückmelden.

Krankschreiben lassen kann ich mich leider nicht. Wir haben in der Ausbildung eine 10 Prozent Fehlzeit-Grenze, die ich durch einige Infekte leider schon erreicht habe. Wenn ich die 10 Prozent Fehlzeit überschreite, werde ich evtl. nicht zum Examen zugelassen. Während der Ausbildung gibt es leider auch keine Erleichterungen, wie z.B. ein Verbot von Nachtdiensten. Der Betriebsarzt müsste dieses mit geringer psychischer Belastbarkeit begründen, was mich dann aber automatisch für das Examen disqualifiziert. Ich hatte mal mit ihm darüber gesprochen. Nach der Ausbildung gibt es da mehr Möglichkeiten.

@MissMikse: Ein interessanter Gedanke mit dem AD(H)S. Die Reizüberflutung begleitet mich schon mein ganzes Leben, allerdings passen die anderen ADHS Symptome nicht zu mir. Ich bin ziemlich ordentlich und strukturiert. Ich denke, das widerspricht dieser Erkrankung.

@Bittchen: Ich habe mich ganz besonders gefreut von dir zu lesen. Ich dachte, du wärst hier nicht mehr aktiv. Schön, dass du da bist! Ich mache noch eine Körpertherapie, die mir sehr hilft.

@Gartenkobold: Ja, du hast mich durchschaut. Es soll das Medizinstudium werden nach der Pflegeausbildung. ;) Dafür muss ich aber noch viel an mir und meiner psychischen Belastbarkeit arbeiten.

Liebe Grüße und eine erholsame Nacht allen trotz der Hitze
Philosophin
Philosophin
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Re: Alles umsonst?

Beitrag von Philosophin »

In der Zwischenzeit stand bei mir ein Therapietermin an. Meine Therapeutin hat mir empfohlen, die aktuelle Krise nicht als "Depression" zu werten, sondern als eine schwere Phase, die den Umständen geschuldet ist und auch wieder vorbeigehen wird. Mit dieser Ansicht fühle ich mich wieder etwas handlungsfähiger. Ich finde, dass der Stempel "Depression" direkt eine Ohnmacht mit sich bringt, während die Wertung: "Es ist eine schwere Phase und geht vorüber" mehr Normalität beibehält. Ich habe viel geweint in der Sitzung, was gut getan hat und entlastend war.

Heute habe ich einen freien Tag, bevor es ab morgen wieder in einen langen Arbeitsblock mit Nachtdiensten geht. Ich versuche so gut es geht zu entspannen, habe am Morgen schon Yoga gemacht, den Haushalt erledigt und gelernt. Gleich steht noch eine Runde Sport an.

Liebe Grüße
Philosophin
Wolkenvorhang
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Re: Alles umsonst?

Beitrag von Wolkenvorhang »

Hallo Philosophin,

bin gerade über deinen Strang gestolpert. Da ich auch im Gesundheitswesen als Krankenschwester arbeite kann ich ggf. etwas dazu beitragen wie es dir geht.

Dass du permanent gemobbt wirst finde ich wirklich tragisch. Wie darf ich mir das Mobbing denn vorstellen? Sind das persönliche Anfeindungen und Kränkungen oder ists eher so, dass man als Pflegeschüler einfach etwas schroff angesprochen oder eher ignoriert wird?

Aus meiner Ausbildungszeit kann ich sagen, dass es mir auch mal so ging, aber im Nachhinein betrachtet, weiß ich dass ich damals eigentlich noch deutlich unreifer war als jetzt. Vieles habe ich damals auch als persönliche Kränkung empfunden, was aber lediglich meinem Status der Auzubine geschuldet war. Das soll jetzt auch keinesfalls eine Entschuldigung für die Verhaltensweisen der Krankenschwestern auf deiner Station sein.... ich wollte dir nur die Möglichkeit aufzeigen, dass vieles auch altersabhängig ist und sich die Sichtweisen immer wieder ändern können, umso reifer und älter man wird. Meine Ausbildung ist nun aber auch schon 19 Jahre her....

Lg Wolkenvorhang
:hello: :idea: :ugeek: :?:
Philosophin
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Re: Alles umsonst?

Beitrag von Philosophin »

Hallo Wolkenvorhang,

vielen Dank für deine Nachricht. Ich möchte nicht so detailliert auf das Mobbing eingehen, weil es mich sehr belastet. Es betrifft nicht nur mich, sondern auch andere Auszubildende. Eine Beschwerde von Schülern liegt der Schule bereits vor. Es gab wohl auch ein Gespräch zwischen der Schule und der Station, aber ich kann nicht sagen, dass das etwas gebracht hätte. Die Stationsleitung hat sich neulich sogar über das besagte Gespräch und unsere Lehrer lustig gemacht.
Nicht jede Schicht ist gleich schlimm, aber ganz allgemein wird mir immer wieder Anleitung verwehrt. Ich werde ignoriert, schlecht gemacht, grundlos verbal angegriffen. Uns Auszubildenden wird deutlich vermittelt, dass wir nicht zum Team dazugehören und wir können es nie richtig machen. Leider neige ich dazu, dieses Verhalten auf mich zu beziehen, dabei war noch nie eine Station zuvor unzufrieden mit mir. Ich habe beide Ausbildungsjahre mit 1,0 absolviert und bereits zuvor eine medizinische Ausbildung abgeschlossen.

Egal in welchem Beruf, welches Alter oder welcher Ausbildungsstand vorliegt- es hat für mich nichts mit Reife zutun. Jemanden, der in einer niedrigeren Position ist, abzuwerten und die eigene Macht zu missbrauchen, kann durch kein Argument gerechtfertigt sein.

Ich finde es erschreckend, dass Mobbing gerade in der Pflege so häufig stattfindet. Auch der viel gehörte Satz: "Lehrjahre sind keine Herrenjahre" ist für mich unangebracht. Die Pflege kann es sich nicht erlauben, so mit ihren Auszubildenden umzugehen. Allein in meiner Klasse haben fast 10 Leute die Ausbildung innerhalb eines Jahres abgebrochen. Stationen an unserer Klinik sind geschlossen, weil kein Personal da ist- darunter eine neue, hochmoderne IMC Station, die noch nie in Betrieb genommen werden konnte.

Was noch hinzukommt und mir auf jeder Station begegnet, ist die ständige Abwertung der neuen generalistischen Pflegeausbildung, die ich nun mal absolviere. Ich heiße selbst nicht alles gut daran, aber manche Dinge wurden dadurch auch verbessert. Wir "Generalisten" werden eigentlich täglich von Pflegekräften mit der alten Ausbildung schlecht gemacht- manchmal frage ich mich, ob diese Pflegekräfte sich überhaupt einmal mit unseren Ausbildungsinhalten befasst haben.

Auch ich hätte die Pflegeausbildung schon längst abgebrochen, wenn ich nicht so sehr an meinem Plan festhalten würde, Medizin ohne Abitur zu studieren. Ich kann mir vorstellen, die nächsten Jahre Teilzeit in der Pflege zu arbeiten, aber auf keinen Fall ist das ein Beruf, den ich bis zur Rente ausüben möchte. Ich habe den allerhöchsten Respekt vor den Pflegekräften, die jeden Tag zu jeder Zeit eine volle Station alleine mit einem Schüler schmeißen und an allen Ecken und Enden gleichzeitig kämpfen- aber mir ist klar geworden, dass ich das auf Dauer nicht leisten kann und möchte.

Hast du vielleicht einen Tipp für mich bezüglich der Nachtdienste? Wann gehst du schlafen? Kannst du gut tagsüber schlafen?

Herzliche Grüße
Philosophin
Wolkenvorhang
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Re: Alles umsonst?

Beitrag von Wolkenvorhang »

Hallo Philosophin,

danke für deine ausführlichen Erläuterungen.

So wie ich das hier raus lese, scheint es sich bei den Pflegekräften um ein sehr alt eingesessenes Team zu handeln, was wenig bis gar nicht über den Tellerrand hinaus sieht. Da ja aber nun schon Beschwerden in eurer Schule vorliegen scheint das Problem ja bereits allgemein bekannt zu sein.
Umso mehr solltest du versuchen das alles von dir abzugrenzen. Mit dir als Person hat das rein gar nichts zu tun. Klingt zwar etwas oberflächlich aber wenn ich so auf manche Einsätze in meiner Ausbildung zurück denke kommt mir das auch etwas bekannt vor.

Um ehrlich zu sein bin ich mir nicht sicher, ob die Lösung des Problems wirklich daran liegt dich vom Nachtdienst befreien zu lassen. Vor allem dann nicht wenn du noch vorhast Medizin zu studieren. Eine meiner besten Freundinnen ist Internistin und ich kann dir sagen, das waren vom Grundstudium bis zur Facharztausbildung 8-10 Jahre Knochenarbeit. auch hier hast du teilweise 12h-Schichten. Fängst als AIP (Arzt im Praktikum) auch erstmal "ganz unten" an; und ja du wirst alle Schichten arbeiten müssen.

Ich denke meines Erachtens solltest du psychisch wieder richtig auf die Beine kommen; dann kannst du auch mit einem etwas klareren Blick auf alles blicken und die negativen Wipes der anderen Krankenschwestern werden dich nicht mehr so tangieren. Vielleicht ergeben sich hierbei auch noch ganz andere Möglichkeiten.

Ich persönlich habe den Grund meiner psychischen Erkrankung nie in meiner Arbeit gesehen. Das ist auch so, denn die Veranlagung für Depressionen besteht in mir. Gewisse Dinge können das zwar triggern, aber meine Aufgabe ist es mich dann umso mehr auf mich zu konzentrieren und dann zu sehen ob und wie ich mit gewissen Dingen umgehen kann. Wenn es mir psychisch gut geht kann ich auch 5-6 Nächte am Stück arbeiten.

Ich habe auch die Weiterbildung zur Stationsleitung gemacht und mir ist auch die Generalistik durchaus bekannt. Was ich davon halte?? Gar nichts. Es werden alle Pflegerichtungen kombiniert und noch dazu in 3 Jahre hinein gepresst, so dass in kürzester Zeit möglichst viele Pflegkräfte ausgebildet und ÜBERALL einsatzbereit sein können.
Meiner Meinung nach sollte die Ausbildung zur Krankenschwester eher akademisiert werden und wir somit auch höher qualifiziert sind. So wie in der Schweiz oder den USA.


Ich wünsche dir in jedem Fall erstmal dass du wieder richtig auf die Beine kommst und dann Stück für Stück deinen Weg gehen kannst. Wo auch immer er hinführen mag.

Mit deinem Ehrgeiz wirst du bestimmt dahin kommen wo du hin möchtest.

Liebe Grüße
:hello: :idea: :ugeek: :?:
Philosophin
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Re: Alles umsonst?

Beitrag von Philosophin »

Heute ist ein Tag, an dem ich mich am liebsten krankmelden würde. Die letzten zwei Tage bin ich unerwartet als Sitzwache eingesetzt worden. Es war nur eine examinierte Pflegekraft mit mir auf Station und angeblich keine Sitzwache verfügbar. Ich ärgere mich über mich selbst, diese Aufgabe übernommen zu haben, da sie meinen Ausbildungsstand definitiv überstiegen hat. Selbst eine Ärztin war mit dem Verhalten des Patienten überfordert. Wahrscheinlich erwartet mich gleich der dritte Dienst dieser Art und ich weiß nicht, wie ich mich dagegen wehren kann. Wenn ich sage, dass ich es nicht mache, kann sich die examinierte Pflegekraft nicht mehr um die anderen Patienten kümmern, was die Station ins Chaos stürzen würde. Wenn ich die Sitzwache aber übernehme, wird es vermutlich immer so weitergehen...

Ich habe mal wieder nicht geschlafen und weiß, dass das die Tage sind, die mich in der Freizeit einholen und in depressive Zustände führen. Aktuell ist mein Stresslevel zu hoch- da merke ich die Depression nicht. Das kommt, wenn es wieder ruhiger wird.

Liebe Grüße
Philosophin
Wolkenvorhang
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Re: Alles umsonst?

Beitrag von Wolkenvorhang »

Hallo Philosophin,

es tut mir leid, dass du so stressige Dienste hast. Hattest du Nachtdienst?
Da du von Sitzwache schreibst vermute ich, dass du aktuell im psychiatrischen Bereich eingesetzt bist? Könnte es auch sein, dass dich auch das im allgemeinen triggert?

Also ich beispielsweise arbeite auch in psychiatrischen Bereich, allerdings mit psychisch kranken Straftätern. Ich könnte beispielsweise nicht auf einer psychosomatischen Sitation arbeiten, denn da könnte man mich quasi gleich mit einweisen…das ist nämlich zu nah an meinen Problemen….

Wenn du dich so elend fühlst dann melde dich krank.

Und nochmal: versuche dich psychisch wieder zu stabilisieren, bevor du dir Gedanken um dein Medizinstudium machst…
Geh Schritt für Schritt vor…

Es wird alles auch wieder anders werden…. Versprochen
:hello: :idea: :ugeek: :?:
Philosophin
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Re: Alles umsonst?

Beitrag von Philosophin »

Hallo Wolkenvorhang,

vielen lieben Dank für deine verständnisvollen Worte und allerhöchsten Respekt, dass du mit psychisch kranken Straftätern arbeitest! Da hätte ich ständig Angst, angegriffen zu werden.
Ich bin zurzeit nicht im psychiatrischen Bereich eingesetzt, habe auf Station aber immer mal wieder mit schwer entwicklungsgestörten Kindern und Jugendlichen zutun.
Mein Dienst heute war entgegen der Erwartung wieder ein ganz "normaler" Dienst, keine Sitzwache mehr. Dennoch musste ich mal wieder vielen erniedrigenden und verletzenden Situationen durch examinierte Kollegen standhalten. Ich fühle mich mit jeder Stunde auf dieser Station dümmer, wertloser und unfähiger.

Gerade habe ich versucht, zu reflektieren, was heute gut war und mich aufgemuntert hat:

- vor dem Dienst habe ich Sport gemacht und mich gefreut, dass ich nach mehreren Corona-Infektionen wieder so fit bin wie zuvor.
- in der Klinik habe ich eine MTA Auszubildende wiedergetroffen mit der ich mal auf einer Station eingesetzt war. Wir haben uns beide gefreut, uns kurz wiedergesehen und gesprochen zu haben.
- ich konnte mir nach der Arbeit meine letzte Therapiesitzung in Erinnerung rufen, die in mir das Gefühl ausgelöst hat, wertvoll zu sein, selbst wenn ich einfach nur da bin und nichts leiste.

Zu dem Rat mich psychisch erst wieder zu stabilisieren: ich fühle mich nicht durchgehend instabil. Es sind eher Krisen zwischendurch, die fast ausschließlich durch meine Ausbildung ausgelöst werden. Es würde also nicht besser werden, wenn ich mich krankmelden würde, da ich über kurz oder lang ja zurück in dieses Arbeitsumfeld muss, um meine Ziele zu erreichen.
Meine Depression ist durch eine chronische PTBS entstanden- deshalb muss ich vor allem traumatische Erfahrungen aufarbeiten und meine Selbstregulationsfähigkeit trainieren, um auch die Depression in den Griff zu bekommen. Ich arbeite seit mehreren Jahren intensiv daran und bin mir bewusst, dass ich wahrscheinlich auch noch ein paar Jahre brauchen werde. Zum Glück zeichnet sich aber trotz der Krisen eine Aufwärtsspirale ab. Das Ziel, Medizin zu studieren, ist jetzt noch nicht schaffbar, aber es gibt mir viel Kraft und Motivation, das alles zu überstehen und immer weiterzumachen.

In den vielen Jahren mit Depressionen habe ich die Erfahrung gemacht, dass es sinnvoll ist, die Gefühle zu fühlen, welche die Depression auslöst- aber nicht so sehr auf die Gedanken zu hören, welche die Depression hervorruft.

Liebe Grüße
Philosophin
Philosophin
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Re: Alles umsonst?

Beitrag von Philosophin »

Heute geht es mir wirklich schlecht. Ich weiß gar nicht, ob psychisch oder körperlich. Eigentlich ist es beides. Mein dritter Nachtdienst steht an, ich habe kaum schlafen können, bin übermüdet, zittrig und allgemein schlecht drauf. Fühlt sich ein bisschen nach Jetlag an. Ich habe Angst, die heutige Nacht nicht zu schaffen. Gleichzeitig denke ich an die Patienten, die die letzten Nächte fast durchgehend wach waren, denen es so viel schlechter geht als mir. Die so viel mehr Grund haben als ich, zu verzweifeln und sich niedergeschlagen zu fühlen.

Ich frage mich, ob die Depression nicht eine Art übersteigerte Ich-Fixierung und Beobachtung ist. Natürlich nicht ausschließlich, aber seit ich im Gesundheitswesen arbeite, bin ich für Sachen dankbar über die ich vorher nicht nachgedacht habe. Ich begegne Menschen mit Erkrankungen und Lebenssituationen, die ich selbst nicht aushalten könnte. Erst da fällt mir auf, wie gut es mir eigentlich geht. In der Depression sehen wir oft nur, wem es alles besser geht, was andere tolles haben und erreicht haben.

Manche Schicksale nehme ich mit nach Hause, aber aus allen lerne ich, wie begrenzt und wertvoll unsere Zeit ist. Krisen treffen nicht nur uns "Depressive", sondern gehören zum Leben dazu. Der Umgang damit ist entscheidend und die innere Einstellung.

Liebe Grüße
Philosophin
MissMikse
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Re: Alles umsonst?

Beitrag von MissMikse »

Hallo liebe Philosophin,

es tut mir leid, dass es dir so schlecht geht. Wenn es gar nicht geht, dann meld dich bitte krank. Deine Patienten haben nichts davon, wenn das Personal, das sie betreuen soll, selbst krank ist und dadurch ggf. die Arbeit nicht richtig schafft. Das bringt niemandem etwas.

Ich kenne das Gefühl, wenn man deprimiert ist, dass man dann oft das Gefühl hat oder denkt "keinem geht es so schlecht wie mir" (oder ähnliches). Da hilft es tatsächlich den Blick auf andere Menschen zu lenken, die wesentlich schlechter dran sind und anzufangen, dankbar zu sein für die guten Dinge: ich hab eine Wohnung, ich konnte in einem Bett schlafen, ich hab Kleidung, ich hab Essen usw. Für so viele Menschen sind diese Dinge nur ein Traum oder ein ständiger Kampf darum. Es sind Dinge, die nicht für jeden selbstverständlich sind - und ja, wir hier in Deutschland dürfen dankbar sein für diese Dinge.

Dass du Patienten und Schicksalen begegnest, wo du denkst, das könntest du nicht aushalten - ja, auf den ersten Blick wirkt das oft so. Aber wieviel man tatsächlich in der Lage ist auszuhalten weiß man erst, wenn man sich selbst in dieser oder einer ähnlichen Lage befindet.
Wie oft hab ich schon gedacht: "das schaff ich nicht". Oder: "wenn das jetzt schief läuft werd ich meines Lebens nicht mehr froh, dann ist alles zunichte." Nein, ist es nicht. Manchmal kam es so schlimm wie befürchtet, manchmal sogar noch schlimmer. Und ich konnte es schlussendlich doch aushalten, auch wenn es mich all meine Kraft und Nerven gekostet hat. Und es hat mich stärker gemacht.

Aktuell hab ich gesundheitlich auch sehr zu kämpfen - mal wieder. Schon seit ca. 1 Jahr ein ständiges aufstehen, wieder fallen und direkt danach ins nächste Loch stolpern. Und ja: mein erster Gedanke war auch "Oh Gott, wenn das so ist, das halt ich nicht aus. Das übersteh ich nicht auch noch." Aber der erste Anflug von Panik hat sich etwas gelegt. Und wenn es tatsächlich so schlimm kommen sollte, wie es KÖNNTE (nicht muss!), dann ist es eben so. Aber auch dann weiß ich im Endeffekt, was zu tun ist - und muss es eben tun und aushalten. Alles andere wird sich finden und irgendwie (neu) regeln lassen, wenn es sein muss.
Das ist eine der Erkenntnisse, die ich aus fast 30 Jahren Depression gewonnen habe: wir halten mehr aus als wir denken - und es findet sich immer ein Weg und eine Lösung, auch wenn es manchmal lange dauert.

Alles Liebe und eine gute Schicht wünsch ich Dir!
Senif
Beiträge: 1229
Registriert: 23. Jul 2023, 21:42

Re: Alles umsonst?

Beitrag von Senif »

Hallo Philosophin,
du hast eine PN. :hello:

LG Senif
Philosophin
Beiträge: 375
Registriert: 26. Jan 2015, 12:42

Re: Alles umsonst?

Beitrag von Philosophin »

Danke für deine PN, liebe Senif!

Bitte entschuldigt, dass ich mich noch gar nicht wieder gemeldet habe. Einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben ist verstorben. Ich konnte mich nochmal verabschieden, allerdings unter dem furchtbaren Druck meiner Familie, die mich gezwungen hat, wieder zu verschwinden.

Ich fühle mich wie betäubt. Antriebslos, leer, schockiert über das Verhalten meiner Familie. Sie haben Streit am Sterbebett gesucht... wie kann man so wenig Anstand, Liebe und Mitgefühl haben?!? Mir fehlen die Worte. Ich weiß gerade nicht, wie ich das alles verarbeiten soll und ich aus dieser Erstarrung herauskommen soll.

LG Philosophin
Schweiger
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Registriert: 20. Jul 2023, 11:39

Re: Alles umsonst?

Beitrag von Schweiger »

Hi Philosophin,
das klingt furchtbar.
Und das in Deiner ohnehin schwierigen Situation.
Hoffe Du hast einen lieben Menschen in Deiner Nähe, um darüber zu reden.
Wenn nicht, dann kannst Du Dir Hilfe suchen, z.B. über Telefonseelsorge oder noch besser Präsenzstellen vor Ort.
Schicke Dir liebevolle Gedanken...
Schweiger
Suchende2
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Registriert: 29. Sep 2020, 08:05

Re: Alles umsonst?

Beitrag von Suchende2 »

Hallo Philosophin,

fühle Dich umarmt und gehalten.
Ich hoffe, Du hast in Deiner Umgebung jemanden, mit dem Du Reden kannst, der Dich in Deinem Schmerz und Deiner Erstarrung begleiten kann.

Alles Gute,
Suchende
Senif
Beiträge: 1229
Registriert: 23. Jul 2023, 21:42

Re: Alles umsonst?

Beitrag von Senif »

Hallo Philosophin,

es tut mir sehr leid, dass du gerade so eine schwere Zeit hast. Wenn die Familie derart drauf ist, kann du dich nur von ihnen distanzieren und sie emotional loslassen. Du kannst sie nicht ändern. Ich hoffe auch, du hast jemanden mit dem du deinen Schmerz besprechen kannst. Und liebe Menschen, die dich unterstützen können.
Fühl dich gedrückt.

LG Senif
Philosophin
Beiträge: 375
Registriert: 26. Jan 2015, 12:42

Re: Alles umsonst?

Beitrag von Philosophin »

Vielen herzlichen Dank für eure Anteilnahme! Nun habe ich mich einige Zeit nicht gemeldet. Ich musste wieder in meine Ausbildung starten. Zwei Wochen habe ich durchgehalten, dann kam der Zusammenbruch. Ich kann nicht mehr unterscheiden, was Depression und was normale Trauer ist. Eigentlich ist es das erste Mal, dass mich ein Todesfall so hart trifft. Ich weiß nicht, wie ich mit all den chaotischen Gefühlen umgehen soll und fühle mich meinen eigenen Stimmungen plötzlich ausgeliefert. In einem Moment denke ich, es geht wieder und im nächsten breche ich plötzlich in Tränen aus... In einem Augenblick spüre ich Antrieb etwas zu tun, im nächsten überkommt mich eine bleierne Müdigkeit und nichts geht mehr. Zwischendurch verliere ich mich in Tagträumen, alles könne doch noch einmal so sein wie früher, als sie noch da war...

Was mich am meisten belastet ist das Verhalten meiner Ausbilder und Kollegen. Manchmal kam ein saloppes "Mein Beileid" oder noch schlimmer ein: "Für sie war es sicher besser so. Jetzt muss sie nicht mehr leiden", was irgendwie wie ein: "Sei vernünftig und stell dich nicht so an." klingt. Wie es mir geht hat niemand gefragt. Niemand hat mir angeboten, mal ein paar Minuten an die frische Luft zu gehen, wenn es nicht mehr ging. Wenn ich pflegeleichtere Patienten angenommen habe, musste ich mich dafür rechtfertigen. Der Umgangston war genauso mies wie immer. Keiner hat mir angeboten, ausnahmsweise nur eine 5 Tage Woche zu machen oder vorübergehend auf Schichtwechsel zu verzichten... alles Dinge, die mir geholfen hätten.

Als ich vor wenigen Wochen auf der anderen Seite stand, als Besucherin im Pflegeheim, war keine Pflegekraft da mit der ich ein paar Worte hätte wechseln können, obwohl das wichtig für mich gewesen wäre. Es war niemand da, der mich gefragt hat, ob ich noch Kraft habe oder mal eine Pause brauche.

Selbst mein Hausarzt hat nicht nachgefragt, wie es mir geht. Er wollte nur wissen, wofür ich die Krankmeldung brauche. Ich habe ihm den Grund genannt und nach zwei Minuten war ich wieder draußen aus seinem Sprechzimmer.

Gerade frage ich mich wirklich: In welcher Gesellschaft leben wir eigentlich? Meine Mitmenschen kamen mir noch nie so "verroht" vor, wie in den letzten Wochen. Es erschreckt mich zutiefst. Keiner achtet mehr auf den anderen.

Ich habe fast den Eindruck, dass von mir erwartet wird, "endlich" keine Trauer mehr zu empfinden und wieder zu funktionieren. Aber wie soll das gehen?

Liebe Grüße eine ratlose Philosophin
Katerle
Beiträge: 11259
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Re: Alles umsonst?

Beitrag von Katerle »

Hallo liebe Philosophin,

kann deine Gedanken und Gefühle gut nachempfinden..., wenn du von verroht sprichst... Sowas macht mich ebenfalls sehr traurig und ist wirklich erschreckend...

Wie gehts dir inzwischen? Es ist gut, dass benennen zu können, was dich bedrückt... Aufschreiben kann da auch ganz hilfreich sein, deine Gedanken und Gefühle loszuwerden.

Alles Gute für dich,
Katerle
Nulllinie
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Re: Alles umsonst?

Beitrag von Nulllinie »

Philosophin hat geschrieben: 1. Sep 2023, 21:37 Gerade frage ich mich wirklich: In welcher Gesellschaft leben wir eigentlich? Meine Mitmenschen kamen mir noch nie so "verroht" vor, wie in den letzten Wochen. Es erschreckt mich zutiefst. Keiner achtet mehr auf den anderen.
Hallo Philosophin,

ja, das ist eine sehr berechtigte Frage, die mich auch umtreibt. Ich glaube, "da draußen" in der Gesellschaft will wirklich niemand mehr ernsthaft wissen, wie es dem anderen, der andern wirklich geht. Vielleicht fragen die Mitmenschen gar nicht erst, weil sie Angst vor einer wahren Antwort haben und dann bloßgestellt dastehen, weil sie dann auch keine helfenden Antworten haben oder ein "nur mal da zu sein und die Stille teilen" selber nicht aushalten können?

Ich könnte höchstens drei Personen nennen, denen ich wahrhaftig antworten könnte, dass es mir nicht gut geht. Ansonsten bleibt die Maske auf und es wird gute Miene zu bösem Spiel gespielt. Ist leider so, aber für mich ein Selbstschutz.

Besonders ärgerlich finde ich dieses "Abgespeistwerden" im institutionellen Helferkontext. Ein Arzt ist doch heute gar nicht mehr an seinem kranken Gegenüber interessiert. Hauptsache irgendwelche Pauschalen werden ausgeschöpft und man kann schnell den nächsten "verarzten".

Ich habe deinen Thread gelesen. Mit dem Ziel, Medizin zu studieren, hast Du etwas ganz wunderbares, das Dich antreibt und Dir Kraft gibt. Auch wenn es noch in weiter Ferne liegt und der Alltag stressig und belastend ist, kann Dir Dein langfristiges Ziel immer wieder neue Kraft geben. Halte unbedingt daran fest, auch wenn es an manchen Tagen eher weiter erscheint und Du gerade nicht siehst, wie Du Dein Ziel erreichen kannst.

Die
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