Auf der Schwelle...

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Wolfpain
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Registriert: 18. Mai 2023, 20:23

Auf der Schwelle...

Beitrag von Wolfpain »

Guten Tag zusammen,

Ich bin 32 Jahre alt und lebe immer noch bei meinen Eltern. Durch mein Stottern und die damit verbundene Scheu und Angst vor sozialen Kontakten
machten es mir zu Schulzeiten besonders schwer, bis ich mich irgendwann komplett zurückgezogen habe.
Meine mittlere Reife habe ich zwar auf der Abendschule nachgeholt, allerdings habe ich bis heute keine Ausbildung absolviert oder eine Arbeit länger
als 6 Monate gehabt. Mein Lebenslauf sieht entsprechend aus.

Meine Eltern haben sicherlich eine große Mitschuld, besonders mein Vater, allerdings tun sie mir beide eigentlich nur noch leid und ich möchte ihnen
am liebsten vergeben. Immerhin lassen sie mich hier mietfrei leben, ich muss kaum bis gar nix im Haushalt tun und ich sitze eigentlich
nur den ganzen Tag in meinem Zimmer und spiele Videospiele, um die Schmerzen und schlimmen Gedanken zu betäuben, die ich
seit ich ein Teenager war habe.

Ich habe immer wieder, mehr halbherzig oder "gehetzt", versucht, Hilfe zu finden. Sei es von Ärzten, Therapeuten, Psychologen oder sogar von
Zeitungen und anderen Medien, wie Fernsehsendern.

Ja, ich habe Suizidgedanken. Ja, ich hatte vor, es zu beenden. Zweimal. Allerdings habe ich über das Internet auch Menschen kennengelernt, die mir
sehr am Herzen liegen, und andersrum. Diesen Menschen, und ehrlichgesagt auch meiner Familie, meinen Selbstmord anzutun stelle ich mir
schmerzhafter vor als alles andere. Fast alle dieser Menschen leiden, und ich will ihnen so gut ich kann helfen. Aber ich kann kaum mir selbst helfen.

Als mein PC den Geist aufgegeben hat wollte ich versuchen, ihn zu reparieren. Meine Eltern schenkten mir dann zum Geburtstag einen
neuen, da mein Vater dachte, dass die Reparatur nichts bringt. Sündhaft teuer, zwar auf Raten aber trotzdem. Da wurde mir erst so richtig bewusst
das ich Geld koste, und zwar viel. Daher wartete ich auch 10 Tage mit Zahnschmerzen verbracht, die letzten 2 Tage mit sehr großen Schmerzen.
Erst, als ich mich meinen Eltern bezüglich meinen Schmerzen geöffnet habe, habe ich Schmerzmittel genommen und war gestern das erste Mal
bei einem Zahnarzt nach langer Zeit und nicht vorhandener Mundhygiene, oder regelmäßiger Allgemeinhygiene im Generellen.

Jetzt sitze ich hier und habe eine Horrorvorstellung nach der anderen, wie der Termin heute aussehen wird.
Ich weiß, der Zahnarzt ist nett und vorsichtig, aber ich habe trotzdem einfach durch die Kombination von Zahnschmerzen, Depressionen, sozialer
Angst, Stottern und allem, was mir so passiert ist, Angst.
Angst, dass ich den "leichten Weg" nehme und später nur noch mehr Schmerzen habe.
Angst, dass die Behandlung schmerzhaft wird. Angst vor allem.
Ich will keine Angst mehr haben. Ich will keine Schmerzen mehr haben, weder in meinen Zähnen noch wegen anderer Beschwerden, die ich
hinnehme. Ich will niemandem auf der Tasche liegen, auch nicht meinen Eltern. Meine Versicherung zahlt wohl alles, was mit Zahnarzt zu tun hat
aber trotzdem gefällt mir der Gedanke nicht. Aber ich kann das nicht durchstehen, nicht alleine.

Meine Hoffnung ist für den Augenblick, dass der Arzt seine Sache gut macht und ich bald beschwerdefrei bin, zumindest was die Zähne angeht.
Aber was danach? Was, wenn ich wieder in alte Denkmuster zurückfalle?

Ich weiß, das ist alles sehr viel auf einmal, obwohl es noch lange nicht alles ist, allerdings habe ich schon fast jede Option ausgeschöpft.
Die 116-117 half mir btw. auch nicht.
Es tut mir Leid, so einen langen Text geschrieben zu haben, aber ich brauche einfach irgendeinen Weg oder Anhalspunkt...oder einfach ein Ventil, um
gut 20 Jahre Frust und Schmerz anzufangen abzubauen; falls das überhaupt noch möglich ist. Ich versuche, sooft es geht hier vorbeizuschauen und
etwaige Fragen zu beantworten. Bis dahin.

Alles Gute euch allen!

P.S.: Dark Souls: "Don't you dare go hollow, my friend."
Suchende2
Beiträge: 1197
Registriert: 29. Sep 2020, 08:05

Re: Auf der Schwelle...

Beitrag von Suchende2 »

Hallo Wolfpain,

herzlich willkommen im Forum.
Ich hoffe, Dein Termin heute war erträglich!

Du schreibst "ch habe immer wieder, mehr halbherzig oder "gehetzt", versucht, Hilfe zu finden. " Mit dieser Einsicht hast Du schon den ersten Schritt getan. Jetzt musst Du "nur noch" entscheiden mit ganzem Herzen und in Ruhe Dir Hilfe zu suchen.
Was brauchst Du, worauf kannst Du Dich (von ganzem Herzen) einlassen?

Ist ein Aufenthalt stationär in einer Akutklinik (psychosomatik) für Dich denkbar?
Ist ein Aufenthalt in einer Tagesklinik für Dich denkbar?
Hast Du einen Psychiater? Dieser könnte mit Dir zusammen schauen, was unterstützt Dich zur Zeit am Besten, was benötigst Du jetzt? Die können zum Beispiel auch Hilfe bei der Alltagsbewältigung verschreiben. Und wenn Du möchtest, könntet Ihr auch schauen, ob es Medikamente gibt, die Dich unterstützen.
Schaue, welche Therapieform für Dich die passende ist und mache Dich dann auf die Suche nach einem passendenTherapeuten.

Alles Gute,
Suchende
Marco15487
Beiträge: 64
Registriert: 4. Feb 2012, 21:37

Re: Auf der Schwelle...

Beitrag von Marco15487 »

Da bist du nicht alleine mit dem Stottern, ich stottere ebenfalls. Ab der Pubertät war ich relativ beschwerdefrei, bis ein Rückfall mit 20 J. dann alles veränderte. Ich bin 46 J. und plage mich seitdem damit rum. Dein Leidensweg diesbezüglich gleicht meinem. Ich zog mich auch zurück, mit Arbeiten klappt es seitdem auch nicht mehr, da sich bei mir eine Sozialphobie einstellte, neben Depressionen. Ich hab auch schon vieles durch: Logopäden, Psychotherapeuten, Psychiater, Antidepressiva, Reha. Die Suizidgedanken kenne ich auch, das fing schon damals an, nur war es nicht ausgeprägt wie es später der Fall war. Momentan gehts mir eigentlich eher schlecht als recht. Bin zwar in Psychotherapie, aber irgendwie komme ich nicht aus dem Tief raus. Stehe jetzt auf der Warteliste bei einem Psychiater wegen eines neuen Medikaments, da mein jetziges eigentlich die Wirkung nicht mehr bringt die es bringen sollte.
Clown
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Re: Auf der Schwelle...

Beitrag von Clown »

Hallo,

wegen des Stotterns:

Meine Feldenkrais-Lehrerin hat seit ihrer Kindheit gestottert. Dann machte sie die 4-jährige Ausbildung zur Feldenkrais-Lehrerin. Bei dieser Arbeit leitet man in Gruppenstunden an, wie die Teilnehmer*innen sich bewegen sollen -- man setzt also viel Sprache ein.

Zu Beginn der Ausbildung konnte sie sich nicht vorstellen das zu schaffen. Nach 4 Jahren intensiver Feldenkrais-Arbeit spricht sie nun zu 99% flüssig.

Durch die Feldenkrais-Methode entstehen neue Vernetzungen im Gehirn/Nervensystem.

https://www.feldenkrais.de

Alles Gute,

Clown
Wolfpain
Beiträge: 6
Registriert: 18. Mai 2023, 20:23

Re: Auf der Schwelle...

Beitrag von Wolfpain »

Erstmal vielen lieben Dank für die Antworten! Ich versuche, es Punkt für Punkt durchzugehen:

Suchende2:

Danke, der Termin war sehr kurz, da ich in eine Klinik überwiesen wurde, um Zähne ziehen zu lassen. Allerdings ist der nächste Termin erst Mitte Juni.
Aktuell fühle ich mich sogar relativ gut, das muss an dem Schmerzmittel liegen, das der Arzt mir gegeben hat.
Ich glaube was ich wirklich brauche ist etwas, wovon ich überzeugt bin, dass es mir helfen wird und was ich als Grundlage für weitere Hilfen
nutzen kann.
Akutklinik, Tagesklinik, Psychiater etc. würde ich evtl. sogar in Anspruch nehmen, allerdings würden meine Eltern das natürlich dann auch mit-
kriegen und besonders mein Vater wäre "not amused", um es mal so auszudrücken. Die wissen nichts von meiner Depression.
Ich hatte allerdings mal eine Zeit lang eine Psychologin über das Österreichische "Instahelp", die ich allerdings irgendwann nicht mehr bezahlen konnte.
Versicherung hätte das nicht übernommen, da im Ausland, und ich habe halt kein Geld.

Marco15487:
Das tut mir sehr Leid zu hören! Ich habe eine Online-Sprachtherapie in den USA gemacht. American Institute of Stuttering, die mir sogar ein Stipendium
gegeben haben, welches die Kosten pro Sitzung von 180 US-Dollar auf 20 reduziert hat. Ist aber halt natürlich auf englisch.
Alternativ: Wäre das, was Clown gepostet hat, etwas für dich? Ich habe es mir bisher nicht angesehen, da ich erst antworten wollte. Alles Gute dir!
Ich drücke fest beide Daumen!

Clown:

Danke für den Tipp, ich werde gleich mal einen Blick drauf werfen.
Überdosis
Beiträge: 251
Registriert: 25. Nov 2021, 23:01

Re: Auf der Schwelle...

Beitrag von Überdosis »

Hallo Wolfpain,

mich bestürzt dein Beitrag irgendwie total.
Wenn es zu persönlich ist, brauchst du nicht zu antworten, aber einen richtig guten Draht zu deinen Eltern hast du nicht oder?
Ich meine das nur, weil du um Schmerzmittel fragen musstest und du es auch erst tatest, als es gar nicht mehr ging.
Mit dem Stotter Problem wird dir wohl auch nicht geholfen und eigentlich müssten sie doch mitbekommen, dass du depressiv bist oder nicht?
Wenn ich Kinder hätte und die verkriechen sich nur in ihrem Zimmer, würde ich mir als Mutter Gedanken machen, auch, wenn ich merken würde, dass das Stotter Problem schwierig bleibt und sich das Kind zurück zieht.... :(

Warst du denn mal beim Logopäden damit?
Hab selbst Schwierigkeiten mit meiner Stimme und war deswegen auch mal beim Logopäden. Der konnte mir das so toll erklären, dass ich nun auch ohne dessen Hilfe meine Stimme problemlos wieder fit, stark und klar bekommen kann, wenn sie wieder schwach wird, weil ich weiß welche Übungen bei meiner helfen.

Ich würde dir raten unbedingt am Ball zu bleiben.
Sollte eure Versicherung im Ausland das nicht zahlen, würde ich dir echt Raten deine Eltern um Hilfe zu bitten, schließlich hätten sie sich eigentlich kümmern müssen als du noch klein warst und sie merkten, dass du stotterst.
Oder du suchst dir einen Nebenjob, wo du nicht viel reden musst.
Bin auch z.B. arg still und hasse Kundenkontakt, weil ich im reden nicht gut bin.
Gehe nebenher Treppenhäuser putzen, weil ich mit meinen Kosten auch nicht zurecht kam und es finanziell nicht hin haute.
Jedenfalls hab ich beim putzen meine ruhe und muss höchstens mal "Hallo" oder "gehen sie ruhig durch" sagen, wenn sich jemand scheut durch bereits geputzten Boden/Stufen zu latschen.
Keine Ahnung was so eine Therapie bei euch kostet, aber es kann doch auch nicht sein, dass du ohne Hilfe bleibst, weil deine Eltern nicht zahlen wollen. :(

So wie sich das für mich liest rührt deine Depression eher durch den Sozialen Rückzug wegen des Stotterns her oder?
Würde daher am Stottern anknüpfen.


Liebe Grüße
Überdosis
Beiträge: 251
Registriert: 25. Nov 2021, 23:01

Re: Auf der Schwelle...

Beitrag von Überdosis »

Gibt es denn dort, wo Wolfpain lebt, denn sowas wie harzt 4?
Da sie schrieb, dass sowas wie Psychologen von ihrer Krankenkasse nicht übernommen wird und sie wegen fehlender Arbeitsmöglichkeit, aufgrund ihrer Erkrankungen nicht von Zuhause weg kann, dachte ich irgendwie, dass es das bei ihr vielleicht gar nicht gibt, schließlich übernimmt die Krankenkasse hier in Deutschland doch auch Therapien von Psychologen?🤔

Als ich nach der Ausbildung nicht gleich nen Job gefunden hatte und ich etwas brauchte um mich um Alg 1 zu kümmern, erhielt ich auch Post von der Krankenkasse, dass ich dann zum Selbstzahler werden müsste, da das eben Pflicht ist Krankenversichert zu sein.

Wenn es bei dir das aber gibt mit dem Arbeitsamt und du somit Anrecht auch auf eine kleine eigene Wohnung hättest, schließe ich mich ganz Brigitte an.
Vergiss den Rat mit dem Mini-Job dann komplett, ich dachte nur irgendwie, dass es das vielleicht bei dir gar nicht gibt mit dem Amt, weil die Krankenkassen bei euch irgendwie auch anders zu "ticken" scheinen als unsere Krankenkassen hier.


Liebe Grüße
Susan
Wolfpain
Beiträge: 6
Registriert: 18. Mai 2023, 20:23

Re: Auf der Schwelle...

Beitrag von Wolfpain »

Erneut vielen Dank für eure Nachrichten.

Es tut mir sehr leid, wenn mein Beitrag euch bestürzt oder irgendwie negativ beeinflusst. Nein, mein Draht zu meinen Eltern ist wirklich nicht
der beste, obwohl sie mir schon helfen, wenn die Schmerzen zu groß sind. Allerdings, wie Überdosis schon festgestellt hat, fällt es mir schwer, meine
Schmerzen oder Fehler vor meinen Eltern zuzugeben.

Ich hatte eine Sprachtherapie online in den USA, die mir auch sehr geholfen hat, mein Stottern besser zu verstehen. Mein Therapeut hilft mir sogar
heute noch, obwohl die Therapie erstmal ausgesetzt ist, da wir quasi nichts mehr zu besprechen haben im Augenblick. Logisch, wenn ich hier nie
rauskomme und daher immer nur mit denselben Menschen spreche, kann ich auch keine "neuen" Situationen erleben, über die man sprechen könnte.

Natürlich könnte ich die Therapie jederzeit wieder aufnehmen, allerdings würde das im Moment wenig helfen. Auch weil wir schnell gemerkt haben,
dass mein Stottern nicht unbedingt mein Hauptproblem ist, sondern eher alles andere. Wie meine Depressionen, meine Familie etc.

Logopädie habe ich als Kleinkind gemacht, allerdings fand ich das damals nicht so prickelnd und seitdem nicht mehr wirklich drüber nachgedacht.
Stottern ist, zumindest meine Sichtweise, mehr psychologisch. Logopädie hat mehr mit wem "wie sage ich etwas" zu tun, obwohl es Kindern
sicher helfen kann, das will ich gar nicht bestreiten.

Meine Eltern brachten mich, als ich ein Kind war, zur Logopädie, aber wie gesagt, fand ich eher langweilig. Damals hatte ich Feuern unterm Hintern
und konnte keine 5 Minuten ruhig sitzenbleiben. Ich musste mich einfach bewegen. Viel mehr als "stell dich nicht so an" oder "da musst du jetzt durch"
bekam ich auch nicht, wenn es mir als Kind oder Teenager schlecht ging aufgrund von Nervosität oder Angst vor der Schule. Stottern usw halt.

Ein Nebenjob, bei dem man nicht viel reden muss, wäre schon nicht schlecht. Ich habe nie Hartz 4, oder Bürgergeld, bezogen. Schlimme Geschichten
von Bekannten und die Abneigung meines Vaters gegenüber Hartz 4 haben mich davor scheuen lassen. Einmal war ich drauf und dran es zu beantragen
und meine Mutter half mir sogar beim Ausfüllen der Formulare, allerdings wurde ich dann auf dem Handy angerufen (Telefonieren als Stotterer ist Höchststrafe) während wir gerade einkaufen waren und ich musste einen Grund angeben, weshalb ich bisher kein Bürgergeld bezogen habe. Ich habe "Depressionen" angegeben, ohne dass es meine Mutter mitbekam, aber das war schon extrem unangenehm und schwierig. Habe den Antrag danach
wieder storniert.

Eigene Wohnung wäre natürlich super, um die eigenen (psychischen Wunden) heilen zu lassen über Zeit. Aber ohne Bürgergeld oder Arbeit, die genug
einbringt, wird das bei den Preisen heutzutage natürlich extrem schwer.
Abgesehen davon war ich mal in der leerstehenden Wohnung meiner Schwester, da mein Vater ausgetickt ist und ich einfach wegwollte. Als ich da
war fühlte ich mich, obwohl ich alleine war, irgendwie entblößt. Ich war nervös und unruhig wie nie, hatte kein Geld, es war kein Essen oder Trinken
da und ich habe dann doch meine Mutter gefragt, ob sie mich abholen kann...

Versicherungen würden sicherlich auch psychologische Therapien oder gar Klinikaufenthalte übernehmen, allerdings würden meine Eltern das
dann natürlich mitkriegen und...nicht gut. Die Sprachtherapie in den USA zu bezahlen war das eine, die wissen ja, dass ich stottere. Aber sowas wie
Depressionen oder soziale Ängste bei mir zu akzeptieren wäre bei denen einfach nicht drin. Deshalb versuche ich, andere Wege zu finden.
Verwirrend, ich weiß. Ich bitte um Verzeihung.
Überdosis
Beiträge: 251
Registriert: 25. Nov 2021, 23:01

Re: Auf der Schwelle...

Beitrag von Überdosis »

Du musst dich nicht entschuldigen. Kann deine Gedankengänge gut nachvollziehen.

Ich würde dir aber dennoch raten den Antrag beim Amt zu stellen und sei es nur für deine Krankenversicherung.
Hab ja schon erzählt, dass ich das nach der Schulzeit auch gemacht hatte. Bin da halt auch noch nicht ausgezogen, obwohl ich zu der Zeit theoretisch auch anspruch auf eine eigene Wohnung gehabt hätte, sondern hatte das in aller erster Linie halt wegen der Krankenversicherung gemacht und auch um etwas Geld für mich zu haben, damit ich, wenn ich mir was kaufen wollte, nicht immer meine Eltern fragen musste.
Das steht auch dir zu, völlig Krankenversichert zu sein und etwas Geld für dich zu haben.
Hab Mut und mach das.

Sehe das Amt einfach als Hilfe an, denn sie können dir in so verdammt vielem Helfen:

- Krankenversichert = Therapien sind möglich

- Etwas Geld für dich = z.B. Schmerzmittel könntest du, ohne deine Eltern fragen zu müssen, kaufen und nehmen wann immer du Bedarf hast.

- Eine eigene Wohnung, wenn du bereit zu bist

- Sie können dir helfen den passenden Beruf und Ausbildungsplatz zu finden oder vielleicht einen noch höheren Abschluss mit Studium zu machen. Beraten können Sie dich, was geht und was nicht geht und welche Wege dir möglich sind mit deinen Erkrankungen.

- Sie können dir durch Kurse beibringen wie Bewerbungen und Lebensläufe heute richtig geschrieben werden und wie ein gutes Bewerbungsgespräch abläuft.

Du bist noch so jung, dir stehen noch alle Türen offen.
Nutze die Hilfe, die sie dir ermöglichen können. Dafür brauchst du dich auch nicht schämen.

Zu der eigenen Wohnung:
Ich kann verstehen, dass das eine riesige Herausforderung ist, aber es bedeutet auch Freiheit.
Wegen Möbel brauchst du nicht mal alles neu kaufen, bei EBay Kleinanzeigen werden so oft noch gutes gebrauchtes sehr Preiswert, oft sogar kostenlos, abgegeben.
Und mit den Lebensmitteln, das pendelt sich ein.
Großer Vorteil ist halt bei der auch, dass deine Eltern nichts mehr von dir so intensiv mitbekommen.
Alles an Post geht zu dir, auch die Post der Krankenversicherung und wenn du es nicht möchtest, erfahren deine Eltern auch gar nichts von deinen Arztbesuchen oder Therapien.
Ärzte, Therapeuten, Arzthelfer, Krankenpfleger und auch die Krankenkassen müssen sich an die Ärztliche Schweigepflicht halten.
Selbst wenn deine Eltern wo anrufen und Auskunft zu dir verlangen würden, dürfen sie, ohne deine Einwilligung, nichts preis geben. Das verbietet die Schweigepflicht.

Selbst wenn du noch weiterhin daheim bleibst, wenn sie es lassen deine Post zu öffnen, sollten sie eigentlich gar nichts mitbekommen, dass du ne Therapie machst und selbst wenn: setz dich durch und bleib dabei.
Es ist dein Leben, nur du alleine kannst entscheiden was gut für dich ist. Niemand sonst, auch nicht die eigenen Eltern.


Liebe Grüße
Susan
Wolfpain
Beiträge: 6
Registriert: 18. Mai 2023, 20:23

Re: Auf der Schwelle...

Beitrag von Wolfpain »

Danke dir für deine ausführliche Nachricht!
Ich werde mich auf jeden Fall nochmal richtig informieren, was das Amt und Bürgergeld etc. betrifft. Ich denke, dass ich da immer noch ein paar
teils sehr falsche Eindrücke von habe. Erfahrungsberichte von Bekannten/Freunden einmal ausgenommen, da ich denen durchaus vertraue.
Kann ich ja auch gut jetzt machen, da ich eh noch auf den nächsten Zahnarztbesuch warte, welcher hoffentlich früher als geplant stattfinden wird.

Ich hoffe aktuell einfach, dass ich mich auch weiterhin dazu bringen kann, den nächsten Schritt auch tatsächlich anzugehen, und nicht auf halber
Strecke wieder zu meinen alten Gewohnheiten zurück zu kehren.
Wie z.B. eben nicht zu einem Termin zu gehen, sei es Arzt, Amt oder whatever. 2 Arztbesuche sind erledigt; wobei der zweite sich "abgekürzt"
anfühlt, allerdings war das die Entscheidung des Arztes, nicht meine.
Lavendel64
Beiträge: 541
Registriert: 27. Dez 2017, 14:44

Re: Auf der Schwelle...

Beitrag von Lavendel64 »

Hallo,
ich bin Mutter von zwei erwachsenen Töchtern (etwas jünger als Du), die ebenfalls beide bei uns zu Hause wohnen. Generell ist das nicht einfach - man muss als Eltern akzeptieren können, dass erwachsene selbständig handelnde und denkende Menschen mit uns in einer Gemeinschaft leben und keine Kinder. Die Kinder müssen dagegen akzeptieren, dass das Leben nicht umsonst ist, auch nicht unter dem Dach der Eltern. Mit gegenseitigem Respekt kann das funktionieren - da kann man eben nur noch Ratschläge geben, ob die befolgt werden , geht mich nichts mehr an. Das ist ein Entwicklungsprozess. Allerdings scheinen Deine Eltern eine andere Einstellung zu haben - dann kann ein Zusammenleben natürlich extrem konfliktreich sein.

Mit dem Bürgergeld haben wir andere Erfahrungen gemacht - die Mitarbeiter des Jobcenters sind nett und bemühen sich wirklich, zu unterstützen. Voraussetzung: man möchte arbeiten, hält die Termine ein und bleibt in Verbindung, so weit das krankheitsbedingt möglich ist. Sicher ist das vom jeweiligen Mitarbeiter abhängig. Es kursieren viele frustrierende Posts im Internet - man sollte sich ein eigenes Bild machen und es einfach versuchen. Es gruselt mich bei dem GEdanken, dass Du ohne Krankenversicherung und Rentenvorsorge durch das Leben gehst. Das ist nicht nur eine vermeidbare Abhängigkeit von den Eltern, sondern schlicht ein Risiko. Was, wenn mal eine Operation ansteht?

Mit der Krankenversicherung under Unterstützung der Therapie wird dem Jobcenter nachher eh vorgegeben, in welchem Umfang Du arbeitsfähig bist. es wäre z.b auch ein Aufenthalt in der Tagesklinik möglich, bei dem Du aus dem häuslichen Umfeld mal rauskommst.

Ich finde es bedenklich, dass Ihr unter einem DAch lebt, Du Dich aber nicht traust, über Deine Gefühle/Depressionen zu reden. Das muss Dich ja unter Druck setzen - einerseits abhängig vom Goodwill der Eltern und andererseits mit dem Wunsch, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Ich kann verstehen, dass Dir das Elternhaus Sicherheit bietet und momentan ein Alleinsein Angst macht. Schau nach Alternativen ... WG?

Aber alles beginnt mit dem ersten Schritt, such Dir Hilfe.

LG Lavendel
***Wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen ***
Wolfpain
Beiträge: 6
Registriert: 18. Mai 2023, 20:23

Re: Auf der Schwelle...

Beitrag von Wolfpain »

Vielen Dank für deine Antwort!
Erstmal drücke ich dir/euch die Daumen. Dann, technisch gesehen, bin ich zumindest Krankenversichert, eben über meine Eltern. Rentenvorsorge
hingegen...das ist was anderes.
Und ja, leben kostet Geld, das ist mir inzwischen durchaus bewusst. Aber ich verstehe, warum du es erwähnt hast.

Meine aktuelle Theorie bezüglich des Alleinseins ist, dass ich beim letzten Mal alleine aus dem Grund Panik bekommen habe, da ich kein Geld hatte.
Natürlich ist es möglich, dass ich auch mit genügend Geld sowas durchmache, allerdings erscheint es mir doch relativ unwahrscheinlich.

Eine WG schließe ich dagegen komplett aus. Wenn ich ausziehe dann in eine Wohnung nur für mich, um wirklich einen Ort zu haben um abschalten
zu können. Um mich sicher zu fühlen und nicht befürchten zu müssen, dass jemand ungefragt einfach reinplatzt. Ja, man kann solche Dinge mit
Mitbewohnern natürlich besprechen, allerdings wäre das dennoch nichts für mich.

Hilfe suche ich schon sehr lange, das Amt wäre eventuell eine Option.
Marco15487
Beiträge: 64
Registriert: 4. Feb 2012, 21:37

Re: Auf der Schwelle...

Beitrag von Marco15487 »

Bürgergeld zu beantragen hat aber auch den Nachteil, dass man dann in Arbeit gebracht werden soll, sprich: man bekommt Stellenangebote zugeschickt und steht somit unter Druck. Die Maßnahmen von den Jobcentern dienen in erster Linie nur dem Grund, mal kurzfristig die Leute aus der Arbeitslosenstatistik rauszukriegen. Bewerbungstrainings und was es nicht alles gibt, waren in meinen Augen schon immer sinnlos. Jeder normale Mensch weiß wie man seinen Lebenslauf oder eine Berwerbung schreibt. Um sich den Druck mit den Stellenangeboten zu nehmen, wäre es sinnvoll sich einen Termin beim Medizinischen oder Psychologischen Dienst geben zu lassen, wenn man denn Bürgergeld beantragt und bewilligt bekommen hat. Die fordern dann von den Ärzten die Akten an und begutachten einen und entscheiden ob man voll, zum Teil oder gar nicht arbeitsfähig ist. Ich muss aber auch sagen, dass ich die Erfahrung machen musste, dass auf den Ämtern teilweise der eine nicht weiß was der andere macht. So wurde ich nach eine Begutachtung für eingeschränkt arbeitsfähig angesehen: kein überregionales Arbeiten, keine Überstunden, kein Publikumsverkehr usw. und bekam trotzdem von anderer Stelle in dem Amt Zeitarbeitsstellenangebote zugeschickt mit Montagearbeiten.
Lavendel64
Beiträge: 541
Registriert: 27. Dez 2017, 14:44

Re: Auf der Schwelle...

Beitrag von Lavendel64 »

Hallo, das muss aber nicht zwangsläufig so ablaufen. Man weiß leider nie, an wen man gerät, es ist aber auch möglich, dass gemeinsam geschaut wird, was möglich und denkbar ist. Durch die Änderung Anfang des Jahres ist der Druck, die Leute in Arbeit zu bekommen, nicht mehr so stark. Qualifikation geht vor, d.h. Umschulungsmaßnahmen, Möglichkeiten der Integration in den Arbeitsmarkt werden gemeinsam ausgelotet. Natürlich muss das langfristige Ziel sein, jemanden in Arbeit zu bekommen - denn das Bürgergeld sind ja unser aller Steuergelder.

Das mit der WG kann ich völlig verstehen, Rückzugsmöglichkeiten sind wichtig und letztlich muss man in vielen Bereichen Kompromisse eingehen. Für mich wäre es ideal gewesen, da ich das Alleinsein schlecht aushalten kann (wenn es mir schlecht geht).

Nach Deinen Schilderungen wäre - ohne Deine Situation genau zu kennen - vielleicht mal eine Klinikambulanz eine Idee. Dort sind Psychologen/Therapeuten/Ärzte, die Deine Situation und Dich anschauen, Du bekommst eine Diagnose und es werden Möglichkeiten besprochen, Dir zu helfen. (Diese Ambulanzen gibt es in Kliniken mit psychiatrischer Abteilung). Die Wartezeiten können dort auch länger sein, aber die Zeit ist auch irgendwann vorbei, wenn man das erstmal in Angriff genommen hat. Evtl brauchst Du eine Überweisung vom Hausarzt. Aber wenn Du über Deine Eltern versichert bist, hast Du ja normalerweise eine eigene Karte.

LG Lavendel
***Wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen ***
Wolfpain
Beiträge: 6
Registriert: 18. Mai 2023, 20:23

Re: Auf der Schwelle...

Beitrag von Wolfpain »

Ich muss mir das mit dem Bürgergeld und dem psychologischen Dienst sowie der Klinikambulanz mal genauer anschauen.
Ich danke euch allen für eure Hilfe, aktuell weiß ich nicht, was ich sonst noch sagen soll. Es tat gut, endlich mal eine andere Sichtweise zu erhalten
sowie neue Optionen.
Ich wünsche euch alles Gute und, falls gewünscht, poste ich hier Updates, sobald sich etwas ergeben sollte.
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