Die Katze, die sich in den Schwanz beißt

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chris65
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Die Katze, die sich in den Schwanz beißt

Beitrag von chris65 »

Hallo zusammen,

ich bin neu hier und weiß eigentlich recht wenig zum Thema, außer daß ich wohl persönlich davon betroffen bin. Das ist mir zwar nicht neu, hab's aber bislang meist irgendwie weggeschoben und mit mir selbst ausgemacht.

Heute bin ich an einem Punkt, wo ich eine depressive Phase erlebe, wie seit langem nicht mehr. Ich frage mich nun, ob die widrigen äußeren Einflüsse meine Depressionen auslösen oder meine zuweilen depressive Haltung besagte widrige Umstände auslöst.

Die Situation: Bis vor 3 Jahren hatte ich meinen Traumjob, stressig aber bis zu einem bestimmten Zeitpunkt genau das, was ich machen wollte. Irgendwann kam ich jedoch an einen Punkt, wo ich - ohne Lohnausgleich - bei regelmäßig 20 Überstunden pro Woche angekommen war. Als ich diesbezüglich ein Gespräch mit meinem Chef gesucht habe, hat er dies mit einer falschen Beschuldigung mir gegenüber abgewürgt. Die Kollegen in meiner Abteilung haben sich - wider besseres Wissen - komplett rausgehalten. Ich hab's als Hängenlassen empfunden, jedoch meinem Boss gegenüber auf Klärung der Anschuldigung gedrängt - vergeblich. In dieser Situation ist meine Welt zusammengebrochen, ich hab mich nach all dem Einsatz nur noch verraten gefühlt, habe nicht mehr geschlafen und bin mit Magenschmerzen zur Arbeit gegangen. Weiteres Drängen auf Klärung verlief ergebnislos. Mir ist der Kragen geplatzt und ich bin planlos nach Irland verschwunden, ohne irgendjemanden ins Vertrauen zu ziehen. Auf dem Weg dorthin konnte ich mit jedem Meter, der von Deutschland wegführte freier atmen. In Irland wurde mir bewußt, daß mein Verschwinden wohl bei meinen Freunden und meiner Familie einigen Aufruhr verursacht haben mußte und hab mich deshalb per E-Mail bei ein paar Leuten gemeldet. Glückliche Umstände machten es möglich, daß ich noch für ein paar Tage bei der Familie eines irischen Freundes unterkommen konnte, bevor ich den schweren Rückweg nach Deutschland angehen konnte.

Zwischenzeitlich hatte mein Chef mehrmals täglich bei meinen Eltern angerufen, voll des Lobes über mich und scheinbar besorgt. Mein allererstes Gespräch nach meiner Rückkehr fand dann auch mit ihm statt. Er schien sehr verständnisvoll - nur als Grund meines Verschwindens ließ er die vorangegangen Vorkommnisse nicht gelten. Wir verblieben so, daß ich zunächst mal zum Arzt gehen sollte und er sicherte mir zu, daß ich meinen Job weiterhin hätte. 2 Tage später erhielt ich eine fristlose Kündigung.

Nach einem Telefonat mit ihm und auf Anraten des Arbeitsamts ging die Sache vors Arbeitsgericht, das mir Recht gab. Allerdings war aufgrund des zerrütteten Verhälnisses eine Weiterbeschäftigung nicht durchzusetzen. Im Recht und trotzdem arbeitslos!

Dann kam der berühmte 11. September und in meiner Branche (Werbung/Touristik) war bis auf Weiteres gar nichts mehr zu machen.

Etliche Bewerbungen ergaben nur Absagen, der ständige Kampf mit dem Arbeitsamt, nur um zu bekommen, was einem zusteht - die Situation war nicht geeignet, um sich psychisch im Gleichgewicht zu fühlen.

Irgendwann hab ich dann einen Nebenjob als Bürokraft und Küchenhilfe im Restaurant eines Freundes angenommen (in Abstimmung mit dem Arbeitsamt), was nach einer mehrjährigen Tätigkeit als Marketing Assistant in einem großen Reiseunternehmen wahrlich nicht die Erfüllung war, jedoch immer noch besser als nichts zu tun.

Eines Tages erhielt ich einen Anruf von meinem Ex-Chef mit der Bitte um ein Treffen.
Er entschuldigte sich bei mir für besagte Anschuldigung und fragte mich, ob ich bereit wäre, wieder für ihn zu arbeiten, was ich bejahte. Letztlich scheiterte diese Wiederbeschäftigung am Widerstand einer Kollegin, die seinerzeit auch einen privateren Kontakt zu mir suchte, als ich bereit gewesen wäre ihn einzugehen. Peng! Hoffnungen gemacht und Niederlage erlitten!

Anfang 2003 kam dann ein erneuter Anruf von ihm, wieder mit der Bitte um ein Treffen, diesmal in meiner Heimatstadt in einem Lokal meiner Wahl. Diesmal kam er in Begleitung meiner einstigen Abteilungsleiterin, zu der ich ein sehr gutes Verhältnis hatte und die zum Zeitpunkt der Vorkommnisse auf einer mehrwöchigen Messereise im Ausland war, also von allem nichts persönlich mitbekommen hatte. Abermals fragte er mich, ob ich wieder für ihn arbeiten würde, abermals bejahte ich. Und wieder scheiterte es an besagter Ex-Kollegin. Da war wieder eine scheinbar gute Perspektive, die in einer Niederlage endete.

Zu diesem Zeitpunkt zog ich gerade aus wirtschaftlichen Gründen in eine deutlich günstigere Wohnung. Die gerade gemachte schlechte Erfahrung und das fremde Umfeld ließen mich wieder in einer Depression versinken. Ich bin nicht aus dem Haus gegangen, hab nur das Notwendigste in meiner Wohnung ausgepackt und aufgebaut, hab die Tage irgendwie vorm Fernseher oder PC verbracht, abends im Restaurant gekocht und dann nachts meist lange wachgelegen, weil das Grübeln nicht aufhören wollte. Die Ummeldung beim Einwohnermeldeamt hab ich darüber auch unterlassen, so lange bis ich mich dort garnicht mehr erst hingetraut habe, bin also bis heute nicht umgemeldet.

Der wirtschaftliche Abstieg hatte zur Folge, daß ich nicht mehr in der Lage war, meine Stromrechnung zu zahlen, weshalb ich seit Juni diesen Jahres ohne Strom lebe. Das läßt sich ganz gut regeln, wenn man von Hand wäscht, sich naß rasiert etc. Nur wenn die Tage kürzer werden, ist es halt oft dunkel und still, was zur Folge hat, daß ich mich in dieser Wohnung zunehmend unwohler fühle.

Meine Vermieterin weiß, daß mein Strom gesperrt ist. Mit ihr kam ich egentlich bislang recht gut aus, wenn man davon absieht, daß sie ständig mit irgendwelchen paranoiden Geschichten anruft. Einmal erzählt sie mir, jemand hätte im Keller einen Benzinkanister abgestellt und wolle das Haus anzünden, dann erzählt sie, daß eine ehemalige Mieterin noch Zutritt zum Haus hätte und ich darauf achten solle, ob die dort auftaucht(daraufhin haben wir das Haustürschloss ausgetauscht), alle paar Wochen macht sie einen Termin zur Hausbesichtigung mit einem potentiellen Hauskäufer, erscheint aber stets allein und erzählt krudes Zeugs.

Akut sieht es so aus, daß sie mich und meinen Nachbarn wegen Energiediebstahls angezeigt hat! Jemand hätte im Hauptsicherungskasten Steckdosen installiert. Klar, ich beziehe keinen Strom und installiere deswegen Steckdosen! Jedenfalls muß ich in dieser Sache morgen zur Polizei. Nicht die Anschuldigung beunruhigt mich, sondern die Tatsache, daß ich seinerzeit den Hintern nicht hochbekommen habe, mich umzumelden.

Meine augenblickliche Lage wird auch dadurch nicht besser, daß ich seit ca. 3 Monaten mit einer Frau zusammen bin, die offenbar unter dem "Borderline-Persönlichkeits-Syndrom" leidet. Leider merkt man sowas erst, wenn man sich bereits verliebt hat. Ich hatte vor einiger Zeit bereits eine sechsjährige Beziehung zu einer Frau, die in ihrer Kindheit einen sexuellen Mißbrauch erlebt hat. An den Auswrikungen dieses Mißbrauchs auf unsere Beziehung ist diese letztendlich gescheitert.

Seit Juni diesen Jahres habe ich wieder eine Vollzeitbeschäftigung in der neugegründeten Eventagentur eines Freundes für wenig mehr Geld als zu arbeitslosen Zeiten. Wegen wirtschaftlicher Erfolglosigkeit geht auch dieser Job gerade den Bach runter. Zudem hat der Steuerberater mich fälschlicherweise bereits zum Ende Oktober abgemeldet, weshalb ich gerade auch noch meinen Krankenversicherungsschutz verliere. Und nächste Woche stehe ich wieder beim Arbeitsamt. Wenn ich dann tagsüber keine Beschäftigung habe, weiß ich nicht, wohin ich soll. Meine Wohnung ist kein zu Hause, draußen ist es kalt und düster, meinen Freunden will ich nicht auf die Nerven gehen.

Niederlagen, Niederlagen, Niederlagen!

Ich weiß nicht mehr, wie ich all das handhaben soll. Vieles, was zu regeln ist kostet soviel Energie, die ich nicht mehr habe, wenn ich depressiv bin. Vieles macht mich depressiv, weil ich es nicht regeln kann. Wie eine Katze, die sich in den Schwanz beißt.

chris65
häslein
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Registriert: 26. Okt 2004, 19:02

Re: Die Katze, die sich in den Schwanz beißt

Beitrag von häslein »

Hallo Chris,

deine berufliche Geschichte ist mir nichts Neues. Ich habe dies in ähnlicher Form 2 x durchgemacht, und habe zum 2. Male bei einer Firma wieder angefangen, die mir 1 Jahr zuvor gekündigt hatte. Aus eigener Erfahrung kann ich dir sagen: Hake es am Besten hab, denn das wird nicht besser werden. Das Arbeitsverhältnis scheint ja ohnehin nicht das Beste gewesen zu sein, wie du schreibst.

Deine Arbeitslosigkeit und die mittlerweile wirtschaftlichen Umstände sind natürlich ohne Frage eine große Belastung. Ich kann dir nur raten, erledige erst mal die akute Sache, d.h. mach eine nachträgliche Meldung beim Einwohnermeldeamt. Das kostet zwar etwas Überwindung und einen Satz rote Ohren , und du wirst auch eine kleine Strafgebühr zahlen müssen, aber dann ist erst mal dieser Druck weg. Du kannst ja auf eine Erkrankung hinweisen. Mir ist das auch mal passiert, es war reine Bequemlichkeit, und irgendwann hab ich es vergessen. Aber man kann es wieder ins Lot bringen.

Außerdem würde ich mir an deiner Stelle einen Termin entweder beim Hausarzt nehmen, oder direkt bei einem Psychotherapeuten/Psychiater, damit du die Chance bekommst, eine Therapie zu machen. Du mußt einfach raus aus dieser isolierten Situation. Mit einem objektiv urteilenden Menschen sprechen, um die eigene wahrgenomme Schieflage wieder ins rechte Licht zu rücken.
Und du bekommst so sicher wieder mehr Motivation, deine berufliche Angelegenheit mit mehr Optimismus anzugehen.

Suchst du denn immer noch die Anstellung oder könntest du dir auch vorstellen, selbständig zu arbeiten? Das wäre doch auch noch eine Option, und manchmal lernt man dadurch, neue Kontakte zu knüpfen, es ergeben sich evtl. neue Chancen.

Ich kann dir leider auch keine Patentlösung anbieten, außer dem wirklich aus eigener Erfahrung gut gemeinten Rat, den Berg vor einem erst mal in kleinen Stücken, aber dafür Schritt für Schritt abzutragen. Aber suche dir Unterstützung dazu.

Wenn du magst, kannst du ja hier weiter berichten, es hat immer jemand ein offenens Ohr.

Viele Grüße, Martina.
chris65
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Registriert: 1. Dez 2004, 10:56

Re: Die Katze, die sich in den Schwanz beißt

Beitrag von chris65 »

"Suchst du denn immer noch die Anstellung oder könntest du dir auch vorstellen, selbständig zu arbeiten? Das wäre doch auch noch eine Option, und manchmal lernt man dadurch, neue Kontakte zu knüpfen, es ergeben sich evtl. neue Chancen."

Ich bevorzuge eindeutig eine Anstellung. Das Thema "Selbstständigkeit" hab ich vor ca. einem Jahr abgehakt. Nch einem absolvierten Existenzgründer-Seminar hab ich die Erfolgschancen für mein Konzept kritisch geprüft und es daraufhin gelassen. Nach längerer Arbeitslosigkeit feht mir für solch einen Schritt auch eindeutig der finanzielle Background.

Mangelnde Kontakte sind auch nicht mein Problem. U. a. bin ich ehrenamtlich im THW tätig, seit Sommer diesen Jahres in der Funktion des Ausbildungsbeauftragten. Wenn man mich arbeiten lässt, bin ich auch sehr gut, in dem was ich tue. Ich habe stets auch meine persönliche Befriedigung aus meinem jeweiligen Job gezogen. Nur wenn halt kein Job da ist....

Mein derezitiger Job geht - wie bereits beschrieben - auch gerade wieder den Bach runter. Diesmal war's im Veranstaltungssektor und der einigermaßen verregnete Sommer hat uns in die Situation gebracht, heute wirtschaftlich mit dem Rücken an der Wand zu stehen. Ich habe für unser großes Open Air Festival im vergangenen Sommer gearbeitet wie ein Ochse. Wegen des Wetters kamen dann lediglich 25 % der erwarteten Besucher! Ich bin so blöd, sowas persönlich zu nehmen! Ist so, kann ich nicht ändern. Dann kamm eine weitere Veranstanltung mit ähnlichem "Erfolg" und das scheint uns nun den Hals zu brechen. Naja, auch nur eine weitere Niederlage in einer langen Reihe von Niederlagen.

Der erwähnte Termin bei der Polizei am vergangenen Donnerstag ist übrigens ganz erfreulich gelaufen. Ich hatte den Eindruck, denen ist die ganze Angelegenheit ebenso lästig wie mir. Die fehlende Ummeldung war auch kein Thema. Ich werde trotzdem kurzfristig zum Einwohnermeldeamt "beichten" gehen.

Gruß, Chris
häslein
Beiträge: 84
Registriert: 26. Okt 2004, 19:02

Re: Die Katze, die sich in den Schwanz beißt

Beitrag von häslein »

Hallo Chris,

erfreulich, dass das Behördenproblem auf dem Weg der Lösung ist; gut gemacht!

Ich finde es auch gut, dass du deine Prioritäten, was deinen Job betrifft, so eindeutig festlegen kannst. Bei mir war das lange Zeit ein Entscheidungskampf, den ich am Ende genau gegenteilig gelöst habe; ich habe mich für die Selbständigkeit entschieden, obwohl mein finanz. Background alles andere als gut war, um nicht zu sagen, weniger als Null... Dabei darf man jedoch nicht vergessen, dass jedes davon Vor- und Nachteile hat, lediglich die eigenen Bedürfnisse zählen.

Eine persönliche Niederlage ist es doch nicht, wenn die Veranstaltung nicht so lief, wie geplant! Wie du richtig schreibst, sind viele Faktoren mitverursachend, und in dieser Branche ist das mit Sicherheit hoch risikobehaftet. Da ich in einer ähnlichen Branche arbeite, kann ich das gut nachempfinden. Neue, hoffnungsvolle Kontakte stellen sich als Seifenblasen heraus, alte Verbindungen brechen weg... die Qualität der Arbeit ist leider nicht immer ein Garant für anhaltende Beschäftigung.

Eine persönliche Befriedigung aus der Arbeit zu schöpfen, ist gut, birgt aber die Gefahr, etwas zu verlieren, wenn die Arbeit weg ist. Es ist schwer, ich weiss dies aus eigener Erfahrung, aber evtl. solltest du da auf den Zug aufspringen, genau an dieser Einstellung etwas zu ändern. Du bist nicht nur gut, wenn du gute Arbeit ablieferst...!

Mir scheint aber, dass du sehr vielseitig und flexibel bist. Das solltest du als deine Stärke ansehen, die es dir möglich macht, auch in einem anderen Sektor Fuß fassen zu können.

Hast du darüber nachgedacht, ob es dir etwas bringen könnte, bei einem Therapeuten Hilfe zu holen, oder hat es dich erschreckt? Es ist manchmal nicht einfach, jemandem einen rat zu geben, den man nur aus ein paar Zeilen zu erkennen versucht. Wenn dir also mal etwas als Faux Pas vorkommt, nicht persönlich nehmen...

Chris, würde mich freuen, wieder von dir zu lesen, ich wünsche dir viel Kraft und eine gute Woche.
Viele Grüße, Martina.
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