Ich möchte mich vorstellen

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Jule2
Beiträge: 4
Registriert: 27. Mär 2023, 12:08

Ich möchte mich vorstellen

Beitrag von Jule2 »

Hallo liebe Alle,

vielen Dank für die Aufnahme.
Ich habe die Tage bis zur Freischaltung genutzt und schon viel gelesen. Danach bin ich zutiefst beeindruckt und berührt und dankbar. Dankbar für die vielen offenen Worte, berührt von Schicksalen, beeindruckt, was der Mensch alles ertragen kann, und wiederum dankbar für Erfahrungen, die geteilt werden, für den unendlich hilfreichen und wertvollen Austausch untereinander.

Dankbar dafür, dass ich "damit" nicht alleine bin und es Menschen gibt, die verstehen, um was es geht. Nicht um einen Dachschaden, nicht um schlechte Laune, um nicht näher zu bezeichnende "emotionale Entgleisungen".

Nein! Es geht um Depressionen. Es geht um eine ernsthafte Erkrankung.

Ich werde 54 Jahre, bin seit 30 Jahren verheiratet, stolze Mutter einer Tochter und eine zum Bersten stolze Oma.

Meine Arbeit habe ich bis zum letzten Arbeitgeberwechsel immer geliebt, übe meinen Beruf, in dem es viel Termin- und Fristendruck gibt, seit nahezu 38 Jahren aus. Viele Jahre Vollzeit, dann kind- und familiengerecht in Teilzeit und die letzten 11 Jahre wieder Vollzeit. Ich mag mich selber nie beschreiben, aber man sagt mir ein hohes Mass an Verantwortungs- und Pflichtbewusstsein und in diesem Zusammenhang hohe Nehmerqualität nach. Das war auch in unserer Ehe sehr hilfreich.

Geht nicht - gibt es nicht. Dass es das doch gibt, habe ich Ende 2019 erfahren müssen. Nach langer extremer Arbeitsüberlastung, zudem Pflege der dementen Schwiegermutter (bis fast zum Schluss in unmittelbarer Nachbarschaft zu Hause), krebskrankem Schwiegervater und auch beide eigenen Elternteile krebskrank, bin ich geradeaus in ein leichtes Burnout geschliddert. Ich war fast 5 Monate arbeitsunfähig und hätte in Reha gesollt. 

Jedoch lag meine SchwieMu dann Anfang 2020 im Sterben und es kam Corona. Also habe ich nach einer Wiedereingliederung weiter funktioniert...irgendwie.

Neues Jahr, neue Gedanken über eine Reha gepflegt, jedoch verstarb dann im Frühjahr 2021 mein SchwieVa. Auch meinem Vater ging es phasenweise sehr schlecht. So fährst du wieder nicht in Reha. Wieder weiterfunktionieren. Immer schlechter, immer zäher, immer schwerfälliger. Ich kann nicht richtig schlafen, mich nicht mehr konzentrieren und habe in meinem ganzen Leben nicht so viel geweint wie in dieser Zeit. Ende 2021 hing dann prompt wieder das Schild "out of order" an meinem Hemd. Wieder einige Wochen au, jetzt mit der Diagnose Erschöpfungsdepression, Anpassungsstörungen pp. Meine Tinnitussis treiben mich in den Wahnsinn. Ich will Ruhe und finde sie nicht. Dennoch habe ich es geschafft, mit dem Rauchen aufzuhören, kann aber gar nicht stolz auf mich sein. Finde den Fehler für mich. Hatte nicht mal Lust, mir was Schönes zur Belohnung zu kaufen.

Die Hochzeit meiner eigenen Tochter mit Watte um den und im Kopf erlebt und nichts, aber auch gaaaar nichts daran ändern können. In den Schlaf geweint und weinend wach geworden.

Auch das Jahr 2022 beginnt im "Kampf" mit meinem mächtigsten Endgegner überhaupt: mit mir selber! Aber eigentlich weiss ich es ja längst - ich kann nicht mehr. Es geht nichts mehr. Ich MUSS in Reha, ich brauche Hilfe.

Ich gestehe es mir endlich ein und zu und sage es ernsthaft, klar und laut: Hilfe, bitte. Ich kann nicht mehr.
Mein Hausarzt rennt, hilft mir und unterstützt mich. Antrag gestellt, Reha im Handumdrehen für 5 Wochen genehmigt erhalten. Wunschklinik eingetauscht - fertig.

Dabei hätte ich als dann frisch gebackene Zwillingsoma wieder eine Ausrede parat gehabt. Aber SO sollten die beiden mich nicht kennen lernen und auch für meine Tochter wollte ich das nicht.

Die folgenden Wochen bin ich dann weiter zur Arbeit gekrabbelt, bis ich quasi mit letzter Kraft im Juni 2022 in die Tür der Klinik reingefallen bin. Offen für alles habe ich dort alles annehmen, aufnehmen und mitmachen können.  Es hat mir einfach  so unendlich gut getan. Fünf Wochen und die Verlängerung auf 6 Wochen wurde mir gleich zu Beginn angeboten und genehmigt.

Dann habe ich mich mit Corona infiziert, musste in der 5. Woche nach Hause. Das hat mich tief bestürzt und runtergerissen. Hatte mich doch gerade zu öffnen und entspannen gelernt, fühlte mich aber noch nicht fertig. Wollte noch nicht gehen... Das Elend hat mich zu Hause auch schnell wieder eingeholt, überholt und heisst inzwischen rezidivierende Depression, mittelgradig. Und ich stürze gefühlt weiter ab. Ist das schon eine neue Episode? War die alte überhaupt vorbei? Wer schaut mich da morgens im Spiegel an?  Lange Suche nach einer Therapie. Einen Platz gefunden, aber glücklich bin ich dort nicht. Viele Stunden fallen aus, ich komme nicht voran. Nette Frau, aber nett alleine reicht manchmal nicht.

Tiefgreifende Entscheidungen trifft man in dieser Zeit nicht. Das weiss ich. Sonst wäre ich getrennt und hätte einen neuen Job - nur keine Kraft dafür.  Ich kann mir ja nichts mehr merken, schon mittags habe ich keine Konzentration mehr. Warum gehe ich arbeiten? Wenn auch inzwischen verkürzt, weil mir die Struktur besser tut und ich mir zu Hause selber auf den Zeiger gehe. Weil ich dann unter Umständen mittags noch so sitze wie ich mich morgens geparkt habe und im Endergebnis stocksauer über mich selber und die sinnlos verdaddelte Zeit bin....

Mit mir selber habe ich schon immer die wenigste Geduld gehabt. Du musst, du musst, du musst.  Mach doch voran. Habe aber keine Lust und Kraft mehr, mich ständig zu rechtfertigen - nein, ich bin doch nicht fertig geworden, nein, das muss ich noch machen, nein, das schaffe ich leider nicht mehr. Ich kann es halt einfach nicht mehr.

Ich habe für meine Enkelkinder je eine grosse Decke und viele Overalls mit passenden Strümpfen und Mützen gestrickt. Meine Tochter und mein Schwiegersohn haben sich sehr gefreut. Die Babys haben auch alles angehabt, die Decken werden noch immer genutzt. Mir gefiel es am Ende alles nicht mehr.
In der Reha habe ich für die zwei Schutzengel aus Specksteinen gemacht und war so unendlich stolz auf mich. Kaum zu Hause haben sie mir nicht mehr gefallen, ich fand sie gar albern und peinlich. Sie liegen noch immer in der Schublade. Die Kinder werden bald ein Jahr alt....ich verstehe das einfach nicht.

Wer mich bis hier hin ausgehalten und gelesen hat, dem danke ich von Herzen und wünsche insgesamt eine gute erholsame Nacht.
Empathie58
Beiträge: 266
Registriert: 23. Okt 2017, 21:48

Re: Ich möchte mich vorstellen

Beitrag von Empathie58 »

Hallo Jule2,

herzlich willkommen im Forum und vielen Dank für Deine berührenden Worte im Rahmen Deiner Vorstellung.

Ich wünsche Dir einen bereichernden Austausch und sende Dir liebe Grüße
Empathie58
Deheteleef
Beiträge: 581
Registriert: 7. Nov 2022, 17:01

Re: Ich möchte mich vorstellen

Beitrag von Deheteleef »

:hello: Welcome Jule! :D
Vier fünfmal vervierfacht macht mehr als fünf viermal verfünffacht. :shock:
Jule2
Beiträge: 4
Registriert: 27. Mär 2023, 12:08

Re: Ich möchte mich vorstellen

Beitrag von Jule2 »

Vielen Dank, dass Ihr mich gleich so herzlich willkommen geheissen habt :hello:

@ Winfried
Als ich angefangen hatte zu schreiben, wollte mir nichts einfallen. Als ich fertig war, war es ein "Buch". Das war mir dann schon fast peinlich. Ich wollte mich doch nur vorstellen, hätte aber auch nichts weglassen wollen. Auch darauf bezog sich mein Dank :D Nichts ist selbstverständlich.

Die Wechseljahre kenn ich. Hierauf und auf meine Schilddrüse wurde anfangs alles geschoben. Das wäre wahrscheinlich auch heute noch so. Hätte der nette schon ältere Neurologen damals im KH nicht einfach angemerkt: "Vor mir sitzt eine Frau, die schon lange nur noch funktioniert. Aber das funktioniert nicht mehr." Ich habe im Stand hemmungslos zu weinen begonnen. Er hatte mich eiskalt erwischt, dieser wildfremde Mensch. Und es war so richtig.

Meine Therapeutin versucht seit Oktober 2022, eine Verhaltenstherapie aufzuziehen. Es zieht sich terminlich leider wie Kaugummi. Der letzte Termin war am 07.02., der nächste wird am 18.04. sein. Sie ist sehr nett und fühlt mit mir. Das kann ich erkennen. Aber die Zeitspannen sind der Wahnsinn.

Vielen Dank noch für deinen Buchtipp. Das schau ich mir mal an.


Ich wünsche allseits einen schönen Abend.
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