Vorstellung/ Chron. Depression

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Salyx
Beiträge: 16
Registriert: 14. Jul 2021, 10:05

Vorstellung/ Chron. Depression

Beitrag von Salyx »

Hallo zusammen :hello: ,

Mein Name ist Nicole, ich bin 44 Jahre als und lebe im schönen Hamburg. Ich bin schon seit Mitte 2021 hier angemeldet, finde aber erst jetzt wieder hierher, um zu schreiben. Gerade ist es hier sehr regnerisch und grau in grau, und so sieht es auch mal wieder in meinem Inneren aus. Ich verzweifle und resigniere momentan wieder sehr, weil ich gefühlt nicht aus meinem Tief heraus komme.

Ich hole ein wenig weiter aus und freue mich über jeden, der mir seine/ ihre Aufmerksamkeit schenkt!

Mit Depression bzw. depressiven Phasen hatte ich wohl schon seit meiner Kindheit zu tun. Ich hatte eine cholerische und vermutlich selbst psychisch labile Mutter, die mich körperlich und psychisch verletzt hat, bis ich mit 20 Jahren die Kraft hatte, auszuziehen. Mein Vater war das genaue Gegenteil, eher still, aber emotional sehr distanziert und oft nicht da, weil er sich in seine Arbeit vergraben hat. Das verhältnis zu ihm war gut, aber er war mir leider nie eine Hilfe gegen die Mißhandlungen meiner Mutter. In meiner Kindheit und Jugend ist also sehr viel unschönes passiert. Aber wie das so ist, damals habe ich gedacht, das sei halt so normal.

Erst mit 25 Jahren, nach einer Ausbildung zur Zahntechnikerin, während meines Studiums (ich wollte Berufsschullehrerin werden), habe ich eine erste Kurzzeittherapie gemacht. Ich hatte das Gefühl, dass ich immer wieder in ein Loch falle, immer wieder mit teils massiven Ängsten zu tun hatte und auch immer wieder problematische Beziehungen einging. Und ich wusste nicht, wie ich das ändern sollte. Diese erste Therapie half mir initial zu erkennen und anzunehmen, dass in meiner Familie einiges nicht so gut gelaufen ist. Weitere therapeutische Hilfe habe ich dann aber erstmal nicht in Anspruch genommen. Ich fokussierte mich voll auf mein Studium, gab dort 200% (ja zuviel!), trotz massiver Prüfungsanst und größerer privater Beziehungsprobleme schaffte ich einen super Abschluss im Ersten Staatsexamen. Zwar mit zwei Nervenzusammenbrüchen, aber immerhin.

Ich zog 2009 nach Hamburg zu meinem damaligen Freund. Die Beziehung würde ich heute als hoch toxisch bezeichnen. Ich ging in eine emotionale und finanzielle Abhängigkeit zu jemanden, der mir nicht gut tat. Als das Referendariat dann begann, lief ich wohl schon mehr oder weniger auf Reserve. Und dann erzählten meine Eltern mir im Alter von 32 Jahren, dass ich adoptiert worden bin... 5 Monate später kam dann ein erneuter Zusammenbruch, den ich nicht mehr selber auffangen konnte. Aus "Ach, ein paar Wochen Ruhe und dann geht das wieder" wurden Antidepressiva und mehrere Wochen Aufenthalt in der Depressionsstation. Dort kam dann auch die Vermutung, dass es mehr als Depression ist und ich mal in Richtung Persönlichkeitsstörung schauen sollte.

Es folgten 7 Wochen Tagesklinik, in denen bei mir eine Borderline-Störung festgestellt wurde. Ausgang dieses Aufenthalts war leider ein Selbstmordversuch. Nach 2 Wochen auf der Krisenintervention abe ich mich radikal von meiner Beziehung getrennt. Ich bin direkt aus dem Krankenhaus zu einer Freundin gezogen. Wohnungslos konnte ich die Tagesklinik nicht weiter fortführen. Mit Hilfe meiner Freunde habe ich eine ambulante Therapie gefunden und dann eine berufliche Reha gemacht. Ich habe nach Vorne geschaut, immer nach Vorne. Ich habe an mir gearbeitet, mir einen tollen Freundeskreis aufgebaut und eine Umschulung begonnen. Zwar in einem Bereich, in dem ich nicht arbeiten wollte, aber Hauptsache wieder ins "normale Leben". Dann habe ich auch den Kontakt zu meinen Eltern abgebrochen, da diese nicht gesprächsbereit waren (Therapeuten, die nur Familien zerstören, schlechte Freunde, die mir alles nur einreden...). Meine Mutter versuchte weiterhin, sich massiv in mein Leben einzumischen.

Wieder 200% geben bei der Umschulung, ich wurde danach übernommen. Aber es war keine Zeit mehr für Therapie. Immer nach vorne schauen, nicht zurück. Und niemals aufgeben. Verhalten ändern, sich meinen Ängsten stellen, gerade auch im Beruf. Das war wie ein Mantra, das mich auch lange lange hochgehalten hat. Aber ich wurde immer öfter krank, neben der Psyche kamen auch immer wieder Bandscheibenvorfälle und Rückenbeschwerden dazu. Einmal wechselte ich 2018 noch den Arbeitgeber in der Hoffnung, dass weniger Arbeitsweg mir Entlastung bringen würde. Die Stelle war auf ein Jahr befristet, aber ich habe schnell Aussicht auf eine unbefristete Stelle bekommen.

2019 schließlich war es dann wieder so weit, ich habe zu lange "keine Zeit" gehabt und "nach vorne geschaut", dass ich dabei zuschauen konnte, wie ich in die nächste schwere Depression reinschlidderte. Wieder Komplett-Zusammenbruch, Medikamente, 9 Wochen Depressionsstation. Es fühlte sich wie ein komplettes Versagen an, wieder an dem Punkt zu sein, an dem ich vor 10 Jahren schonmal war und an dem ich nie wieder sein wollte!

Ich entschied mich dafür, den befristeten Arbeitsvertrag auslaufen zu lassen. Ich befand mich in einem Zustand absoluter Hoffnungslosigkeit und hatte mit massiver Antriebslosigkeit und Erschöpfung zu kämpfen. Ich musste etwas ändern, in jeder beruflichen Situation bin ich an meine Grenzen gekommen.

Es musste also an mir liegen. Ich wollte etwas ändern, mir Hilfe suchen, um das wieder zu schaffen. Darauf folgten zwei Tagesklinik-Aufenthalte. Nach über einem Jahr Suche fand ich auch eine ambulante Therapiestelle. Eine analytische tiefenpsychologische Therapie, die ich seit Anfang 2021 dreimal in der Woche besuche. Dazu das Antidepressivum Venlafaxin und psychiatrische Betreuung. Dazu kamen immer mehr psychosomatische bzw. körperliche Beschwerden, unter anderem wieder ein Bandscheibenvorfall. Und die starke Erschöpfung/ Antriebslosigkeit hat sich trotz Bewegung, Sport und verschiedener zusätzlicher Medikamente (z.B. Elontril zusätzlich zu Venlafaxin) nicht verbessert.

Ich wollte, wie damals, einfach nochmal eine berufliche Reha machen, um etwas zu finden, dass beruflich für mich passt. Der Antrag wurde auch bewilligt, aber die Agentur für Arbeit ,die nach dem Ablauf des Krankengeldes übernahm, forderte mich dann auf, vorher eine Medizinische Reha über die Deutsche Rentenversicherung zu machen. Diese war Ende letzten Jahres. Ich habe versucht, die Reha dafür zu nutzen, um wieder auf die Beine zu kommen. Aber selbst das war zu viel für mich, ich war nach 3 Wochen so fertig, dass ich die Empfehlung für eine volle Erwerbsminderungsrente erhalten habe. Ärzte und Therapeuten sprachen mit mir, dass es erstmal wichtig sei, dass ich Druck raus nehme und für mich sorge. Dann vielleicht ein Ehrenamt übernehme und von da aus schaue, was beruflich geht.

Das ist der Stand jetzt:

Ich habe gemerkt, dass es nicht so ging, wie ich es mir erhofft hatte. Dass ich einen anderen Weg gehen muss. So weit, so gut. Nur habe ich den Eindruck, dass ich auf der Stelle trete. Ich bin jetzt seit 3 Jahren krank geschrieben.
Ich habe den Antrag auf Erwerbsminderungsrente gestellt, als Zwischenlösung Bürgergeld, da die Bearbeitung so lange dauert. Ich mache weiter meine Therapie. Ich nehme meine Medikamente. Ich versuche, mich so oft es geht, zu bewegen, fahre Rad, mache Yoga, gehe viel zu Fuß. Ich versuche, mich gesund zu ernähren, ich treffe mich mit Freunden. Ich habe Hobbys wie Malen oder Modellieren, die ich mache.

Ich kämpfe gegen negative Gedanken an, versuche, mich mit negativen Glaubenssätzen auseinanderzusetzen. Ich versuche, mich nicht zu überfordern, aber auch nicht nichts zu tun. Ich versuche permanent, dieses massive Gefühl von Erschöpfung zu überwinden, um irgendwie am Leben teilnehmen und meinen Alltag gestalten zu können zu können. Nichts kommt an von den positiven Dingen, da ist keine Motivation oder Energie, von der ich Kraft holen könnte.
Etwas, das vor Jahren noch nicht so war und was ich absolut nicht begreife ist mein Unvermögen, mein Verhalten einfach zu ändern. Früher ging das, ich musste einfach nur wollen. Heute geht es nicht mehr.

Es geht mir immer mal für eine kurze Phase etwas besser, dann rutsche ich gefühlt wieder in ein großes Loch. Ich fühle mich wie Sisyphos, der immer wieder Steine nach oben rollt, die dann wieder runterrollen. Ich frage mich, warum es mir nach Jahren nicht besser geht, was ich noch machen kann. Ich soll mich da nicht zu stark unter Druck setzen, das brauche halt seine Zeit. Das ist die Antwort meiner Therapeutin und auch meiner Psychiaterin. Ich denke, zum Teil haben sie damit auch Recht. Aber das hilft mir nicht, wenn ich immer weniger Geld zum Leben habe, wenn ich mir wie eine versagerin vorkomme, weil ich meine Situation nicht ändere, wenn sich diese vollkommene Sinnlosigkeit einstellt, was ich denn mit meinem Leben noch machen kann, wenn ich es nichtmal hinbekomme, morgens aufzustehen und den Tag durchzuhalten. :roll:

Das ist jetzt sehr viel Text, aber es tut gut, das auch mal einfach runterzuschreiben. Ich wünsche mir hier sicher nicht DIE Lösung, ich weiß, dass es die nicht gibt. Aber vielleicht doch die eine oder andere Anregung, Erfahrung oder Idee von euch.


Lieben Dank, dass ihr euch die Zeit zum Lesen genommen habt!
SuziQ+1
Beiträge: 6
Registriert: 19. Jan 2023, 21:58

Re: Vorstellung/ Chron. Depression

Beitrag von SuziQ+1 »

Liebe Salyx,

das Leben ist schwer! Dieses ewige auf und ab, sich immer wieder zu motivieren, Gesund zu werden, einen Alltag zu haben, Freude zu empfinden, das ist schwer. Seit so vielen Jahren kämpfe ich,mit Therapie und Medikamenten aber nichts hilft. Ich finde es schön wie prägnant Du deine Gefühlslage erörterst und Du immer versuchst positiv zu sein. Mir geht es oft genauso wie Dir. Nur was machen wir damit? Meine Therapeutin spricht oft von einer guten Fee, vielleicht kommt sie auch zu uns??
Pass auf Dich auf.
Empathie58
Beiträge: 266
Registriert: 23. Okt 2017, 21:48

Re: Vorstellung/ Chron. Depression

Beitrag von Empathie58 »

Hallo Nicole,

herzlich willkommen (zurück) im Forum! Danke, dass Du so offen Deine Empfindungen mitgeteilt hast, auch und gerade die Dinge, die bei Dir im Moment leider nicht so gut laufen. Viele Menschen verstecken sich hinter einer Fassade und wollen (oder können) nicht zugeben, dass sie, wie alle Menschen, ihre "Schattenseiten" haben. Wer die zeigt, wie Du es ehrlich getan hast, hat schon ein wichtiges Stück des Weges geschafft. Du wirkst auf mich sehr klar und reflektiert. Herzlichen Glückwunsch und meine Anerkennung dazu! :hello:

Hier im Forum wirst Du im Idealfall keine Rat"schläge" einstecken müssen, sondern Resonanz finden. Menschen, die Dich so schätzen, wie Du bist, die Dir "erlauben", authentisch zu sein, ohne dass Du Angst vor Unverständnis oder gar Ablehnung haben musst.

In diesem Sinne wünsche ich Dir von Herzen einen bereichernden Austausch und sende Dir liebe Grüße aus dem noch höheren Norden in meine Geburtsstadt
Empathie58 :)
Salyx
Beiträge: 16
Registriert: 14. Jul 2021, 10:05

Re: Vorstellung/ Chron. Depression

Beitrag von Salyx »

Vielen lieben Dank an eure offenen Worte, es tut wirklic gut, sich ohne Angst öffnen und Klartext screiben zu können!
Wilmandrea
Beiträge: 3
Registriert: 26. Okt 2022, 04:30

Re: Vorstellung/ Chron. Depression

Beitrag von Wilmandrea »

Hallo zusammen.
Das zu lesen tut gut.
Ich bin jetzt 58 und lerne immer noch dazu oder auch nicht.
Ich Kämpfe, stehe auf, Kämpfe stehe auf....
Aber eigentlich möchte ich nur noch liegenbleiben.
Ich dachte es liegt an mir aber hier lese ich daß es geht es auch anderen so. Das tut mir heute gut.Ich weiß das ich nicht alleine solche Probleme habe. Ich Kämpfe also weiter und Falle und Kämpfe. Auch wenn es mir schwerfällt.
LG
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