Zwischen Machtlosigkeit & Selbstzweifel

Antworten
DeCiBella
Beiträge: 60
Registriert: 1. Jan 2023, 17:12

Zwischen Machtlosigkeit & Selbstzweifel

Beitrag von DeCiBella »

[Editiert um die länge des Textes zu reduzieren und das Lesen dadurch einfacher zu machen]

Hallo zusammen,

auf der Suche nach Hilfe und Antworten bin ich auf dieses Forum gestoßen. Gerne würde ich einfach mal loswerden, was mich beschäftigt und das Ganze bei Menschen, welche meine Situation verstehen.
Ich warne Euch vor, es wird ein langer Text.

Während ich auf die Bestätigung für das Aktivieren des Accounts gewartet habe, habe ich mir Eure Posts durchgelesen und habe vor allen von Euch so viel Respekt.

Jetzt zu unserer Geschichte.
Mein Freund und ich kennen uns seit ca 5,5 Jahren. 2,5 Jahre davon sind wir ein Paar. Ich habe Ihn als smarten, witzigen und Lebensfrohen Menschen kennen- und lieben gelernt. Ich wusste, er hatte in seinem Leben ein paar dunkle Momente, die für unsere jetzige Situation wichtig sind, welche er damals aber, so schien es, sehr gut überwunden hatte.

Ich zog nach einem Jahr mit meinem Freund zusammen.
Unser Leben war glücklich und schön.
Mein Freund wurde auf Arbeit sehr eingespannt, es wurde immer schwieriger und er bekam immer mehr Arbeit aufgedrückt.
Er wurde immer ausgelaugter und jeden Morgen, wenn wir zur Arbeit mussten, bekam er Magenprobleme, übergab sich und fühlte sich schlecht.
Eines Abends, ich war gerade dabei das Essen zuzubereiten, stand er einfach auf und stellte sich weinend in den dunklen Flur. Er stand über eine Stunde einfach nur da, starrte eine geschlossene Tür an und gab keine Regung von sich. An dem Tag beschlossen wir, dass er erstmal zuhause bleiben würde. Wir dachten, er wäre auf Grund der vielen Arbeit überarbeitet, hätte vielleicht ein Burnout. Wir suchten Ihm, nachdem er lange zuhause war, eine neue Arbeit. Bei dieser hatte er weniger Arbeitsstunden und dazu auch noch mehr Geld. Das Arbeitspensum war weit unter dem, welches er bisher gewohnt war und er erzählte jeden Tag glücklich davon, wie gut ihm das alles tat.

Der Tag, der alles zum Einstürzen gebracht hat, war ein Feiertag im letzten Jahr.

Ein Anruf seines Vaters, welcher ein manipulativer, egoistischer und arroganter Mensch ist, hat meinen Freund in ein Loch fallen lassen. Bei diesem telefonat wurde gedroht, manipuliert und erpresst.

Ab diesem Tag, war er nicht mehr ansprechbar, war nicht mehr arbeitsfähig, aß nicht mehr. Wochenlang. Ich versuchte an ihn ranzukommen. Nichts gelang mir. Ich redete über Einweisung, er wollte nicht von zuhause weg. Ich drängte Ihn dazu, bei seinem Arzt wenigstens eine Überweisung für den Psychologischen Dienst zu besorgen. Das sah er nach Wochen ein und wir suchten einen Psychologen.
Wir fanden einen und mein Freund bekam, zum Glück und durch Bekanntschaften, relativ schnell einen Termin. Seit letztem Jahr, ist er jetzt mit einer schweren Depression diagnostiziert und nimmt Antidepressiva.
Er sollte mit einer leichten Dosis anfangen, diese aber nach einer Eingewöhnungszeit erhöhen soll. Die Nebenwirkungen hielten sich an sich in Grenzen. Er war aber unglaublich Müde, hat Nachts 16-18 Stunden geschlafen und sobald er wach war, hat er sich wieder hingelegt. Dementsprechend habe ich alles übernommen. Ich war arbeiten, bis zu 12 Stunden am Tag. War danach einkaufen, bin nach Hause gekommen, habe mich um unseren Hund gekümmert. Habe mich ums Essen gekümmert und um den Haushalt. Außerdem um meinen Freund. Langsam bin ich ausgelaugt. Die Nebenwirkungen sind mittlerweile besser, aber er ist noch immer nicht stabil. Die Dosis wurde nicht erhöht, weil die Nebenwirkungen, wie die Müdigkeit, sonst nur noch schlimmer werden würden.
Er kann auch noch immer nicht arbeiten.
Ich wollte stark sein, habe ihm alles abgenommen und war und bin für ihn da.
An Tagen, an denen er wieder in sein Loch fällt, fühle ich mich Machtlos. Alles war wir erreicht und aufgebaut haben fällt dann wieder zusammen.
Es tut mir so weh zu sehen, wie er kämpft aber immer noch auf der Stelle tritt. Er möchte so gerne wieder der Alte sein, sagt es auch selbst. Er versteht nicht, wieso er nach so langer Zeit nicht stark genug ist, aus diesem Loch zu kommen.
An solchen Tagen weine ich viel, immer dann, wenn er nicht mit mir in einem Raum ist. Ich genehmige mir einen kurzen aber sehr heftigen Ausbruch. Teilweise sitze ich dabei auf den kalten Fliesen im Bad oder lehne mich an irgendeine Wand und weine. Wenn ich fertig bin, wische ich mir die Tränen vom Gesicht und funktioniere wieder.
Ich versuche ihm immer beizustehen, rede gut zu und sage ihm, dass ich stolz auf das bin, was er bis jetzt geschafft hat. Das es nicht seine Schuld ist, dass er sich so fühlt. Ich versuche ihm klarzumachen, dass er ein wundervoller Mensch und Partner ist.
Gleichzeitig quälen mich aber auch Selbstzweifel.

- Warum schaffe ich es nicht, ihn aufzubauen?
- Warum guckt er mich nicht mehr so an wie früher.
- Wieso berührt er mich nicht mehr wie früher.
- Ist er den ganzen Tag wieder so drauf gewesen oder liegt seine Stimmung an mir?
- Will er mich nicht mehr?
- Findet er mich nicht mehr schön?
- Liebt er mich nicht mehr?
- Wäre er besser ohne mich dran?

Ich weiß theoretisch, dass sich alle diese Fragen mit seinem Krankheitsbild erklären lassen, doch lassen sie mich nicht los.

Ich danke Euch, dass Ihr bis hierher gelesen habt, auch wenn es eher ein Roman geworden ist. Ich hoffe auf Eure Erfahrungsberichte und auf Eurer Feedback.
Zuletzt geändert von DeCiBella am 5. Jan 2023, 07:54, insgesamt 1-mal geändert.
"Depressionen sind geschickt. Ist man gesund, kann man sich nicht mehr daran erinnern, wie es war, krank zu sein. Und ist man krank, kann man sich nicht vorstellen, je wieder gesund zu werden."
Clown
Beiträge: 4325
Registriert: 8. Nov 2004, 18:22
Kontaktdaten:

Re: Zwischen Machtlosigkeit & Selbstzweifel

Beitrag von Clown »

Hallo DeCiBella,

erst mal willkommen im Forum. Tut mir leid, dass es dir gerade schlecht geht. Aber du wirst sehen, es gibt Weiterentwicklung --- nämlich auf alle Fälle bei dir selbst.
Deinen Text habe ich nur überflogen, er war mir zu lang.
Zu deinen Fragen am Schluss habe ich ein paar Gedanken:
Warum schaffe ich es nicht, ihn aufzubauen?

Weil er krank ist und du bist nicht Gott. Oder wenigstens eine Therapeutin.
Warum guckt er mich nicht mehr so an wie früher. Wieso berührt er mich nicht mehr wie früher.
Weil er krank ist, denke ich mal.
Will er mich nicht mehr? Wäre er besser ohne mich dran?
Hast du ihn mal gefragt, wie er das empfindet? Willst du ihn denn noch? Wärst du ohne ihn besser dran?

Hier schreiben viele Angehörige, wie sie mit ihrer Situation umgehen, vielleicht hast du schon einiges gelesen. Immer wieder kommt der Hinweis, dass eine Angehörige besonders gut für sich selbst sorgen sollte, das ist das wichtigste.

Alles Gute für dich,
Clown
DeCiBella
Beiträge: 60
Registriert: 1. Jan 2023, 17:12

Re: Zwischen Machtlosigkeit & Selbstzweifel

Beitrag von DeCiBella »

Hallo Clown,

erstmal Danke für deinen Beitrag. Das du nicht alles gelesen hast, kann ich mir vorstellen. Ich habe mich selbst über die Länge des Textes erschrocken, nachdem ich diesen gepostet habe. Beim Tippen kam es mit nicht so lang vor.

Das er krank ist, weiß ich und habe ich auch so in meinem Text geschrieben. Ich weiß, dass sich vieles mit seiner Krankheit erklären lässt, meine Gedanken schweifen trotzdem in diese Richtung ab. Ich wollte tatsächlich dafür auch keine wirklichen Antworten. Ich bin mir durchaus bewusst, dass mir hier niemand Antworten geben kann. Vielmehr ist mir der Austausch wichtig, zu hören, dass es anderen ähnlich geht und / oder ob sich das mit der Zeit ins positive geändert hat.

Ich möchte unbedingt weiterhin mit ihm zusammen sein, ich liebe ihn wirklich sehr und zeige und sage es ihm regelmäßig.

Angesprochen habe ich meine Selbstzweifel noch nicht, ich möchte in den Gesprächen, welche wir an guten Tagen führen, nichts ansprechen, was ihn eventuell wieder überfordern könnte. Ich denke, eine solche Unterhaltung könnte in der jetzigen Phase zu anstrengend sein und das braucht er gerade nicht.

Vielen Dank für deine Antwort

LG DeCiBella
"Depressionen sind geschickt. Ist man gesund, kann man sich nicht mehr daran erinnern, wie es war, krank zu sein. Und ist man krank, kann man sich nicht vorstellen, je wieder gesund zu werden."
MSH
Beiträge: 26
Registriert: 29. Dez 2022, 09:13

Re: Zwischen Machtlosigkeit & Selbstzweifel

Beitrag von MSH »

Hi, ich hatte selber schwere Depressionen und wäre vielleicht nicht mehr hier, hätte es es nicht Hilfe in letzter Not gegeben. Klinik!!! Dein Freund kann gerade nicht anders! Die Seele ist so tief verletzt, auch wenn er es will, es geht nicht. Wenn du Ihn wirklich liebst, müsst ihr das jetzt gemeinsam durchstehen. Du wirst das alles oftmals nicht verstehen können, aber es wird auch wieder aufwärtsgehen. Du kannst jetzt nur da sein und ihn wirklich verstehen, sein Umfeld wird es nicht können. Reden hilft, einfach nur da sein.
Von allen Seelen, die ich jemals traf, ist die seine die menschlichste
Drache
Beiträge: 5
Registriert: 4. Feb 2023, 22:03

Re: Zwischen Machtlosigkeit & Selbstzweifel

Beitrag von Drache »

Hallo DeCiBella. Ich habe deinen Beitrag gelesen, und bei mir haben gleich die Alarmglocken geschellt. Ich kann gut nachvollziehen dass Du deinen Partner nicht noch mehr belasten möchtest. Aber ich sehe auch, dass Du dich selbst schon darauf zubewegst krank zu werden. Du schaffst das unmöglich allein. Er braucht so schnell wie möglich professionelle Hilfe. Und Du solltest nicht weiterhin dein eigenes Befinden vor Ihm verschweigen sondern offen mit ihm darüber reden. Sag ihm, dass Du ihn gern weiterhin unterstützen wirst-vorrausgesetzt er sucht sich eine Therapie oder geht notfalls auch in eine Klinik. Warte nicht erst, bis entweder deine Kraft ganz zuende ist oder ihr Euch vor lauter Verzweiflung nur noch anschreit.Denn das wird unweigerlich kommen.Niemand hält eine solche Belastung auf Dauer aus. Das ist dann Aufopferung und keine Rücksicht mehr.
Vielleicht ist ihm gar nicht bewusst, unter welchem Druck Du schon jetzt stehst.
Wenn Du selbst zusammen brichst ist keinem von Euch beiden geholfen.
Es ist kein Zeichen von geistiger Gesundheit, an eine zutiefst gestörte Gesellschaft angepasst zu sein
Schlumpffine
Beiträge: 373
Registriert: 3. Mai 2020, 18:29

Re: Zwischen Machtlosigkeit & Selbstzweifel

Beitrag von Schlumpffine »

Hallo DeCiBella,
ich kann sehr vieles in dem post von Dir nachvollziehen.
Es ist sehr wichtig, das du hinter deinem Freund stehst, achte dabei aber auch auf Dich. Mein dringender Rat: Suche dir eine Angehörigengruppe in Deiner Nähe. Ohne Hilfe wirst Du es nicht schaffen.
Bitte, tausche Dich hier im Forum aus.
Du benörtigst DRINGEND weitere Informationen, um mit deiner Situation umgehen zu können.
Hilfe zu suchen ist keine Schande!!!!!!!
LG Schlumpffine
Auch der weiteste Weg beginnt mit einem ersten Schritt. Konfuzius
Worte haben die Macht zu zerstören und zu heilen. Wenn Worte sowohl wahr als auch freundlich sind, können sie unsere Welt verändern. “~ Buddha
DeCiBella
Beiträge: 60
Registriert: 1. Jan 2023, 17:12

Re: Zwischen Machtlosigkeit & Selbstzweifel

Beitrag von DeCiBella »

Hallo Schlumpfine,

danke für deine Nachricht.
Ich habe tatsächlich schon nach einer Gruppe geschaut, leider ist die nächste über 1,5 Std (pro Fahrt) entfernt. Was bedeutet, dass ich nach meinem 10 Std Vollzeitjob, noch über 4 Stunden unterwegs sein müsste. Das kriege ich leider echt nicht gewuppt.

Umso glücklicher bin ich, diese Seite entdeckt zu haben.
"Depressionen sind geschickt. Ist man gesund, kann man sich nicht mehr daran erinnern, wie es war, krank zu sein. Und ist man krank, kann man sich nicht vorstellen, je wieder gesund zu werden."
DeCiBella
Beiträge: 60
Registriert: 1. Jan 2023, 17:12

Re: Zwischen Machtlosigkeit & Selbstzweifel

Beitrag von DeCiBella »

Drache hat geschrieben:Hallo DeCiBella. Ich habe deinen Beitrag gelesen, und bei mir haben gleich die Alarmglocken geschellt. Ich kann gut nachvollziehen dass Du deinen Partner nicht noch mehr belasten möchtest. Aber ich sehe auch, dass Du dich selbst schon darauf zubewegst krank zu werden. Du schaffst das unmöglich allein. Er braucht so schnell wie möglich professionelle Hilfe. Und Du solltest nicht weiterhin dein eigenes Befinden vor Ihm verschweigen sondern offen mit ihm darüber reden. Sag ihm, dass Du ihn gern weiterhin unterstützen wirst-vorrausgesetzt er sucht sich eine Therapie oder geht notfalls auch in eine Klinik. Warte nicht erst, bis entweder deine Kraft ganz zuende ist oder ihr Euch vor lauter Verzweiflung nur noch anschreit.Denn das wird unweigerlich kommen.Niemand hält eine solche Belastung auf Dauer aus. Das ist dann Aufopferung und keine Rücksicht mehr.
Vielleicht ist ihm gar nicht bewusst, unter welchem Druck Du schon jetzt stehst.
Wenn Du selbst zusammen brichst ist keinem von Euch beiden geholfen.

Hallo Drache,

Danke für deine Nachricht.
Mein Freund ist in Therapie, leider weniger als es sein müsste, was tatsächlich etwas damit zutun hat, dass es viel zu wenig Therapieplätze gibt. Genauso ist er auch auf Antidepressiva eingestellt und nimmt diese auch regelmäßig.

Ich habe zwischenzeitig auch mit ihm darüber gesprochen, er war dankbar dafür, dass ich es ausgesprochen habe. Er hat natürlich bemerkt, wie sehr mich das alles fertig gemacht hat, er hat aber einfach keine Kraft gehabt, darauf einzugehen. Er hat einfach zu viel mit sich selbst zutun aber er wird darauf achten.
Das Ganze funktioniert mal besser und mal schlechter. Ich kann nur hoffen, dass seine Therapie langsam anschlägt und es langsam besser wird.
"Depressionen sind geschickt. Ist man gesund, kann man sich nicht mehr daran erinnern, wie es war, krank zu sein. Und ist man krank, kann man sich nicht vorstellen, je wieder gesund zu werden."
Antworten