Abgrenzen, aber wie?

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Häschen76
Beiträge: 32
Registriert: 24. Mär 2018, 17:15

Abgrenzen, aber wie?

Beitrag von Häschen76 »

Hallo zusammen,

ich wieder. Ich (30) habe seit Jahren hier nichts mehr geschrieben, mir hat die Energie gefehlt. Inzwischen geht es mir deutlich besser, im Moment. Gerade war ich auf einer ambulanten Reha, welche sehr gut getan hat. So viel zu mir, inzwischen bin ich aber leider nicht mehr "nur" Betroffene sondern auch Angehörige. Aber von Anfang an. 2018 wurden bei mir Depressionen diagnostiziert, das zweite Mal, ich war mit 15 schon mal Depressiv. Dazu kam dann eine Posttraumatische Belastungsstörung und Soziophobie, zusätzlich habe ich noch eine nicht tödliche Bluterkrankung. Seit ca 1 Jahr bin ich nun wieder Arbeitsunfähig, davor nur Teilzeit arbeitsfähig.
Daher hat mir mein Vater (heute 59) angeboten zu ihm zu ziehen. In eine eigene Wohnung,über ihm.
Das war auch okay soweit, vor so ca 2 jahren begann es aber dass es meinem Vater psychisch immer schlechter ging. Erst hatte er eine Zeit in der er fast nur geweint hat. Inzwischen ist er hauptsächlich wütend. Er ignoriert und verdrängt auch gerne die Tatsache dass ich ebenfalls krank bin.
Er arbeitet noch Vollzeit und macht nebenbei alles mögliche für alles und jeden. Hier ein Garten renovieren, da ein Dach neu decken... Permanent soll ich dann helfen oder sonstige Dinge für ihn erledigen. Wenn ich dann versuche zu erklären warum etwas nicht geht, ist er so halb sauer und fragt dann halt ein paar Tage nicht mehr, dann gehts von vorne los.
Ständig sagt er mir dann, dass ihm alles zu viel wird, er isst nichts mehr (erklärt mir dann wie viel er wieder abgenommen hat...) Und wie beschissen sein Job ist, dass er zu viel Stress hat. Aber immer wenn ich was vorschlage kommt sowas wie ich würde das nicht verstehen, bei mir wäre das ja ganz was anderes. Ich sage Therapie wäre gut, er sagt keine Zeit, ich sage lass dich Krankschreiben, er sagt geht nicht (seine Haus-Ärztin sagt das aber auch schon seit einem Jahr), ich sage früher in Pension, er sagt Nein. Wir drehen uns im Kreis und ich kann das nicht mehr.
Er erzählt alles auch immer Angehörigen, Nachbarn, Freunden, meinem Freund... Alle kommen dann zu mir und sagen ich soll auf ihn schauen. Aber wie? Meine Therapeutin meinte ich muss mich davon abgrenzen lernen, er ist erwachsen und ich weiß das ja auch, aber es beschäftigt mich schon und ich mache mir Sorgen.
Heute meinte er, er würde jetzt ne Patientenverfügung machen, die ich dann unterschreiben soll, denn mit seinen nur noch 70kg, müsse er ja nicht mehr viel wollen wenn mal was wäre.
Nebenbei hat er aber eine Partnerin vor der er immer tut als wäre alles super und als hätte nur Probleme mit dem Schlafen.

Er bekommt von ihr auch immer wieder Schlaftabletten, ich habe ihm schon erklärt wie gefährlich das ist etc, aber das geht zum einen Ohr rein und zum anderen raus.

Ich hoffe der Text war nicht zu lang, vielleicht kann mir ja jemand einen Tipp geben.

Liebe Grüße
Muschelsammlerin
Beiträge: 200
Registriert: 18. Dez 2016, 18:34

Re: Abgrenzen, aber wie?

Beitrag von Muschelsammlerin »

Ausziehen? Das ist eine sehr belastende Situation, die Du eigentlich nur etwas abmildern kannst, indem Du einen räumlichen Abstand zu ihm schaffst.
Reden hilft ja wohl nicht und dass er Dir auch noch ständig Aufgaben "aufdrückt" die zu viel für Dich sind, ist ein zusätzlicher Grund, sich ein entfernteres Zuhause zu suchen.
Etwas "Besseres" will mir zu dieser Situation nicht einfallen.
Sorgen kann man sich machen, aber es nützt niemandem. Dich machen sie fertig und Deinem Vater helfen sie gar nicht. Es ist schwer, aber ich denke, Du musst die "Verantwortung" abgeben....Dein Vater ist für sein Wohlergehen selbst zuständig. Außerdem gibt es ja anscheinend auch eine Partnerin, die sich etwas kümmern könnte.
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Liebe Grüße von der Muschelsammlerin
FrequentFlyer
Beiträge: 293
Registriert: 23. Dez 2017, 02:20

Re: Abgrenzen, aber wie?

Beitrag von FrequentFlyer »

Hallo Häschen76!

Der Tipp deiner Therapeutin dich abzugrenzen ist.... einfach daher gesagt aber schon richtig.
Beim lesen bin ich darüber gestolpert. Das ist ja der absolut richtige Tipp, den wir uns hier als Angehörige immer wieder geben. Aber nie reden wir darüber wie wir das eigentlich schaffen. Vielleicht mal ein Thema um mit deiner Therapeutin zu besprechen. Gerade innerhalb einer Familie, oder wenn man räumlich sehr eng beieinander ist, scheint mir Abgrenzen fast unmöglich aufgrund der Abhängigkeiten des Alltags.

Mir selbst ist eine „Abgrenzung“ zu meiner Freundin erst so einigermaßen gelungen, als ich mir klar gemacht habe, wer eigentlich unter Depressionen leidet und was meine Rolle dabei ist. Meine Freundin ist ja aufgrund ihrer Depressionen nicht irgendwie unmündig, wie ein kleines Kind etwa. Es klappt halt mit Beziehung nicht und Entscheidungen werden schon auch von den Depressionen geprägt... aber sie sind, solange sie nicht suizidal sind, ungefährlich und in sich nachvollziehbar und logisch. Für dich heißt dies, Zurückhaltung zu üben. Wenn er sein Leben so führen will, dann soll er es. Mit allen Konsequenzen. Die sind in seinem Verantwortungsbereich angesiedelt und nicht in deinem. Ein starker Raucher dem die Beinamputation droht oder einem Alkoholiker würde man auch nicht anders behandeln. Okay, man würde auch an sie ran reden... aber die Abgrenzung wäre genau die gleiche: Ich kann dir beiseite stehen wenn du mit der Sucht aufhörst, aber wenn du weiter machst, machst du halt weiter.
Und was mir auch wirklich geholfen hat, ist mir darüber klar zu werden welche Rolle ich habe. Gegenüber meiner Freundin bin ich Freund, Partner, Händchenhalter, Urlaubsbegleitung, Liebhaber, Kummerkasten, Pausenclown, wach Rüttler... alles solche Dinge. Aber eines bin ich nicht: Therapeut oder Therapiehelfer. Darauf hätte ich auch keinen Bock, wenn mich mein Partner als „Therapiefall“ sehen würde – also kann ich diese Rolle nicht sein.
Du bist Tochter.... und aus der Erfahrung mit meinem älteren 23 jährigen Sohn kann ich nur sagen... du bist Tochter ;-) Niemals würde ich es zulassen, dass sich meine Söhne um mich kümmern. Die Rollen sind genau umgekehrt. Und wenn ich an meinen Vater denke, der an Parkinson erkrankt ist... auch da sind auch die Rollen verteilt und nur mit viel Humor zu ertragen: Versuch mal mit einem 84 Jährigen Ingenieur mit Parkinson ein elektrisches Garagentor als Sohn einzubauen. Ich bin ja nur Pilot und hab dann noch was kaufmännisches studiert... Er ist mein Vater und ich bin genau so als Vater und wollte nie so sein. Aber das sind unsere Rollen gegenüber der anderen Generation.

LG
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