Wie wird man einsam? Und wie ändert man es?

Max_
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Wie wird man einsam? Und wie ändert man es?

Beitrag von Max_ »

Hallo, liebes Forum,

zum Thema Einsamkeit wurde hier schon viel geschrieben. Viele, die unter Depressionen und Ängsten leiden, kennen sich wohl damit aus.

Ich leide gerade auch darunter, auch wenn es ziemlich unsexy klingt. Es kommt mir vor wie ein Makel und ich versuche, es vor anderen zu verstecken. Wenn ich gesellige Runden sehe, macht es mich traurig und ich vermisse das sehr. Früher war ich in einen großen Freundeskreis eingebettet, aber das hat sich aufgrund von Umzügen, Familiengründungen, meiner Erkrankung, etc. verändert.

Heute will ich die vielleicht simpel klingende Frage stellen, warum Menschen mit depressiver Erkrankung so oft einsam sind bzw. wie sie es werden? Um – im Umkehrschluss – Lösungsansätze zu finden, wie sich das trotz Depressionen wieder ändern lässt? Denn intensive Kontakte und Verbindungen zu lieben Menschen wirken bei mir definitiv antidepressiv.

Hier meine Subjektive:

Ich ziehe mich zurück, weil ich mich zu k.o./erschöpft/niedergeschlagen für Gesellschaft fühle. So werden Verabredungen gecancelt und neue Kontakte vermieden.

Ich sage was ab, wenn ich mich nicht stark genug dafür fühle – oder andersrum: zu schwach, minderwertig, defizitär... z.B. berufliche Veranstaltungen oder Feiern. Generell strengen mich die meisten sozialen Kontakte eh an – auch die schönen.

Ich werde ggf. nicht mehr so oft kontaktiert, weil ich Gesunde runterziehe. Geschätzt, aber gemieden?

Ich bin mittlerweile vielleicht zu sensibel/dünnhäutig für ein »normales« Miteinander? Zu viel Psycho-Talk statt lockerem Small Talk?

Ich kann mich in Gesellschaft von Alles-Dufte-Gesunden-Erfolgreichen-Schönen auch mal schnell defizitär und traurig fühlen, weil mir dadurch meine Krankheit und die damit verbundenen Einschränkungen vor die Nase gehalten werden (manchmal aber auch positiv beflügelnd). Daher habe ich das manchmal vermieden.

Was sind eure Erfahrungen? Und wie lassen sich im Umkehrschluss Möglichkeiten ableiten, Einsamkeit zu überwinden – als Mensch mit Depressionen und Ängsten?

Danke für's Lesen :)

Max
Kenny
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Re: Wie wird man einsam? Und wie ändert man es?

Beitrag von Kenny »

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Zuletzt geändert von Kenny am 25. Feb 2024, 17:16, insgesamt 1-mal geändert.
Katerle
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Re: Wie wird man einsam? Und wie ändert man es?

Beitrag von Katerle »

Hallo Max,

meine Erfahrungen sind die. Und zwar war ich früher viel unter Menschen und hatte auch viele Kontakte, durch meine Erkrankung wurden mir aber die vielen Kontakte zuviel und ich reduzierte sie auf weniger, mir wertvolle Kontakte. Dann versuchte ich auch weiterhin diese Kontakte zu halten, ich aber auch bei einigen feststellte, dass nur was zurückkam, wenn ich den Anfang machte.
Einsam war ich aber wohl schon immer irgendwie, was wohl auch die Ursache in meiner frühen Kindheit ist... Ansonsten war ich aber immer eher ein kontaktfreudiger Mensch und der bin ich auch heute noch, auch wenn meine Erfahrungen mit Menschen nicht immer so rosig waren. Jedenfalls, als wir das Letztemal umzogen, fühlte ich mich immer einsamer, obwohl ich immer rausgegangen war. Bin eher zurückgezogen in meinem Ort. Habe auch nur sehr wenige Kontakte und es sieht so aus, dass ich wieder eine neue Freundin hinzugewonnen habe. Ich hatte Probleme auf andere zuzugehen (aufgrund von schlechten Erfahrungen und daraus resultierenden Ängsten)
Sogar in meiner Beziehung fühlte ich mich einsam, was sich aber in den letzten Jahren sehr gebessert hatte.

Was mir half, weiter rauszugehen und mich einer Gruppe anzuschließen, in der ich nun schon sehr lange bin. Habe aber auch noch zu ein paar Geschwistern Kontakt. Zwischendurch war ich auch mal in einer Sportgruppe.

LG Katerle
Suchende2
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Re: Wie wird man einsam? Und wie ändert man es?

Beitrag von Suchende2 »

Hallo Max,

ich kenne das Problem von beiden Seiten. Zum Glück habe ich es geschafft, den Großteil meiner Freundschaften zu halten.

Zuerst mein Eindruck als Freundin:
Ich habe eine Freundin, die regelmäßig wiederkehrende depressive Episoden hat. In dieser Zeit ist sie immer sehr egoistisch und klammerig. Solange es mir gut ging, konnte ich damit umgehen. Nun sind wir beide zur selben Zeit in einer schlechten Phase. Sie ist ständig über meine Grenzen gegangen und trotz eines Gesprächs darüber ist es weiter geschehen.
Ich habe für mich beschlossen, den Kontakt von meiner Seite aus nicht zu pflegen und weiß noch nicht, wie ich damit umgehe, wenn sie sich wieder meldet. Bei mir ist vor allem eine große Enttäuschung, daß ich IMMER Rücksicht auf Ihre Bedürfnisse genommen habe, aber sie ÜBERHAUPT nicht auf meine Rücksicht nehmen kann. Und das, wo sie am Besten wissen sollte, wie es sich anfühlt.
Nicht jeder Betroffene reagiert so, wie meine Freundin, aber die Gefahr besteht und dessen sollte man sich bewusst sein.

Nun zu mir.
Ich habe bei meinen Freunden schon früh kommuniziert, daß ich eine Depression habe und was ich zur Zeit nicht kann (fällt mir sehr schwer, mich bei meinen Freunden zu melden). Das hat viel Druck aus den Beziehungen genommen.
In der ganz schlechten Phase, als mich emotional nichts erreichte, habe ich bei Telefonaten trotzdem nach deren Familien, Sorgen, Nöte und Erlebnisse gefragt. Ich wollte, daß sie das Gefühl haben, daß ich weiterhin Anteil an deren Leben haben möchte, so wie es in der Gesundheit ist. Das war für mich sehr anstrengend, für meine Freunde war das Gefühl sicherlich hilfreich, daß ich an deren Leben Anteil nehme. Wenn ich mich nicht mehr auf ein Telefonat konzentrieren konnte, habe ich das höflich kommuniziert und das Telefonat beendet. Dann habe ich einer besseren Phase geschaut, ob ich es fortsetzen kann. Das war für mich SEHR anstrengend, hat sich aber aus meiner Sicht gelohnt.
Bei Treffen, vor allem in größeren Gruppen ist bekannt, daß ich mich, wenn es mir zu viel wird, zurückziehe und nicht so lange wie früher bleibe. Ich hatte bisher überall die Möglichkeit und zur Not gibt es immer noch das Klo.
Es funktionierte auch, als ich eine Freundin mit 2 sehr lieben aber auch lebhaften Kindern besuchte. Wir haben uns in die Küche zurückgezogen und sie hat dafür gesorgt, daß die Kinder mich eine Zeit lang in Ruhe liesen.
Wenn ich nach Hause komme, geht allerdings nichts mehr! Inzwischen geht es mir besser und ich erhole mich zu Hause schneller. Darüber freue ich mich sehr, auch wenn es immer noch sehr anstrengend ist.

Drei Freunde haben sich, nachdem ich es erzählt habe, nicht mehr bei mir gemeldet.
Bei dem wichtigsten von diesen 3 habe ich mich, als es mir besser ging, gemeldet.
Dabei erfuhr ich, daß bei ihm gerade viel belastendes war (beruflich und privat). Seitdem haben wir wieder Kontakt. Der fehlende Kontakt lag nicht (nur) an meiner Depression, sondern daran, daß er gleichzeitig sehr stark belastet war und keine Kapazitäten frei hatte.
Ich bin froh, daß ich den Kontakt zu diesem Freund erneut gesucht habe und ich somit erfahren konnte, daß der Kontaktabbruch nichts mit meiner Erkrankung zu tun hatte. Und er jetzt wieder funktioniert.

Bei den anderen 2 Freunden werde ich mich bei einem auf jeden Fall nochmal melden, bei der anderen weiß ich es noch nicht.

Gute Freunde können einen in der schlechten Zeit unterstützen und ich bin sehr dankbar, daß ich meine behalten habe. Ich weiß, ich habe Glück, daß es so ist. Aber es ist neben Glück auch harte Arbeit. Und Offenheit, was habe ich, was bedeutet das, was kann ich zur Zeit, was kann ich nicht zur Zeit, ist auch wichtig. Und dabei schauen, die Freunde nicht zu überlasten! Und auch akzeptieren, wenn ein Freund sagt, tut mir leid, ich kann es zur Zeit nicht. Es viel mir in der schlechten Phase schwer den Themen der Freunde zu folgen, aber ich habe mein bestes gegeben.

Ich wünsche Euch, daß Ihr Wege findet, alte Freundschaften wiederzubeleben oder neue Freundschaften zu finden.

Alles Gute,
Suchende
mime
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Registriert: 6. Sep 2013, 13:28

Re: Wie wird man einsam? Und wie ändert man es?

Beitrag von mime »

Hallo Max76,

leider habe ich keine Antwort auf deine Fragen... Einsamkeit ist, denke ich, weiter verbreitet, als man denkt (auch bei gesunden Menschen, vor allem bei bestimmten Konstellationen, in denen Alter, Wohngegend [Stadt/Land] eine Rolle spielen.

Was die Depression angeht: sie macht einen "dünnhäutiger", eben weil alles so kraftraubend ist. Ich kann es gut nachempfinden, wenn du schreibst, dass selbst schöne Kontakte anstrengend für dich sind.
Andererseits schreibst du ja auch, dass du sie vermisst, weil sie dir u. a. gut tun.

Es ist nicht einfach, da eine Lösung zu finden.

Ich habe auch wenig Kontakte, kann es mir aber erlauben, mir hinterher Zeit einzuräumen, um die Begegnung zu verarbeiten.
Es gab eine Zeit, in der mir es selbst nach positiven Kontakten und Gesprächen überhaupt nicht gut ging (das hatte damals wohl auch mit meinem geringen Selbstwertgefühl zu tun - das hat sich etwas gebessert).

Bei mir hat es angefangen, einige Kontakte (beispielsweise hier im Haus) eher im Smalltakl-Bereich anzugehen. Ganz locker, einfach mal nett einen kleinen Plausch halten. [Das musste ich auch erst ganz spät lernen, klappt aber mittlwerweile ganz gut].

Da ich trotz Depression relativ aufmerksam durch die Gegend laufe, kommt es ab und zu auch mal zu freundlichen Bemerkungen, kurzen Begegnungen im Alltag (im Supermarkt oder in der Bahn). Das ersetzt alles keine tieferen Kontakte, kann aber ein Anfang oder ein Übungsfeld sein (wozu ich sagen muss, dass ich nicht in einer Großstadt wohne, da ist alles nicht so hektisch und so ganz anonym).

Weißt du, defizitär sind wir alle irgendwo, aber das wissen erst mal nur wir (es steht uns ja nicht auf der Stirn geschrieben ;)). Wenn ich weiß, dass ich trotz allen Einschränkungen kein wertloser Mensch bin, kann ich ein bisschen lockerer im Umgang mit anderen werden.

Ich mache mir (auch) oft innerlich Vorhaltungen, weil ich denke, dass ich zu nichts tauge - zu Feiern gehe ich grundsätzlich nicht, weil ich da schnell überfordert bin (bei zu vielen Menschen flüchte ich, weil ich kurz vor einem "Panik-Modus" bin). Gerade kürzlich musste ich ein (nicht berufliches) Seminar abbrechen, weil es mir zuviel wurde. Glücklich bin ich darüber nicht, im Gegenteil, aber ich versuche, es anzunehmen, wie es nunmal ist. Ich habe es versucht mit der Teilnahme, es hat nicht geklappt, schade, Schwamm drüber.

Die wenigen Bekannten von mir wissen, dass ich Schwierigkeiten mit vielen Menschen auf einmal habe. Das, was ich versuche, ist manchmal, mich für eine kurze Zeit bei Einladungen blicken zu lassen. Das bedeutet, ich bleibe nicht länger als eine Stunde - dann habe ich es probiert (und mein Stress hält sich im Rahmen, weil ich ja nicht lange dabei war); ich informiere da vorab die Gastgeber, dass sie es bitte nicht negativ auffassen sollen, wenn ich mich bald wieder zurückziehe. Das nimmt mir den Druck, bleiben zu müssen, und das entlastet mich einerseits sehr, andererseits habe ich die Freiheit, wenn es gut läuft, auch länger zu bleiben.

Im Umgang mit einzelnen Personen als Kontakt, vermeide ich, von mir als Erkrankte zu sprechen bzw. meinen (depressiven) Gedanken groß Raum zu geben. Ich höre eher zu, beteilige mich an den Themen des anderen (und komme hin und wieder auch mal auf mich zu sprechen).

Lockere Kontakte, die dann zu freundschaftlichen wurden, kamen bei mir zum Beispiel im Hobby-Bereich zustande (man ist zu einem bestimmten Zweck zusammen, z. B. um Sport zu machen; da ergeben sich hinterher zwanglos manchmal noch ein paar nette Gespräche).

Was ich damit ausdrücken möchte: versuchen, einen lockereren Umgang mit sich selbst und anderen auszuprobieren und zu bekommen, kann helfen, sich nicht ganz so einsam zu fühlen.

Was die Welt der Schönen-Glücklichen-Erfolgreichen betrifft, kann ich nicht mitreden, doch hinter der Fassade gibt es sicher auch Höhen und Tiefen, Stärken und Schwächen - man spürt nur meistens nichts davon, weil dies niemand gerne preisgibt.

Zusammenfassend würde ich deine letzte Frage so beantworten: Kleine Schritte gehen, versuchen, sich nicht als Feind zu sehen, sondern als ein Mensch, der sich anderen durchaus "zumuten" darf und kann. Manchmal bekommen wir freundliche Rückmeldungen. Das kann unseren depressionsverzerrten Blick und unsere Wahrnehmung behutsam korrigieren. Manchmal ist es gut, wenn wir uns trauen, mal unter Menschen zu gehen. Es muss ja nicht gleich stundenlang sein, es müssen sich nicht gleich tiefschürfende Gesprächsthemen ergeben - vielleicht erwarten wir manchmal auch zuviel von Kontakten.

Ich habe jetzt viel von mir geschrieben, weiß nicht, ob da etwas Sinnvolles für dich dabei ist - es sollte dir nur zeigen: du bist nicht alleine mit deinen Gedanken.

Ist es denn evtl. möglich für dich, alte Kontakte wieder aufleben zu lassen? Manchmal lassen sich brach liegende Freundschaften wiederbeleben. Hast du neben einem Beruf noch etwas Freizeit, die du einsetzten kannst (z. B um ein Hobby zu pflegen oder dich einer Gruppe Gleichgesinnter anzuschließen), oder bist du so eingespannt, dass du deine Zeit zum Ausruhen/Regenerieren brauchst?

Mehr fällt mir jetzt nicht ein, ich denke, dass hier noch einige andere antworten werden.
Alles Gute dir, und: nicht aufgeben, auch wenn es schwierig ist.

Viele Grüße
Mime

P.S. Ich hatte den Beitrag von dir, "Suchende", noch nicht gelesen, da sich die Beiträge überschnitten haben, aber es gibt Parallelen; insofern: wir sitzen alle im (fast) gleichen Boot.
Wir müssen lernen,
die Menschen weniger auf das, was sie tun und unterlassen,
als auf das, was sie erleiden, anzusehen.

(Dietrich Bonhoeffer)
T Ally
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Registriert: 30. Jul 2014, 14:34

Re: Wie wird man einsam? Und wie ändert man es?

Beitrag von T Ally »

Hallo Max,

in den vorigen Beiträgen wurde schon viel geschrieben und ich möchte versuchen, meine Sichtweise oder mein „depressives Denken“ zu ergänzen.
Max76 hat geschrieben: Was sind eure Erfahrungen? Und wie lassen sich im Umkehrschluss Möglichkeiten ableiten, Einsamkeit zu überwinden – als Mensch mit Depressionen und Ängsten?
Ich versuche meine Kontakte ausgewählt aufrecht zu erhalten. Natürlich sind es deutlich weniger geworden. Früher habe ich leistungsbezogen Mannschaftssport betrieben, da waren viele Kontakte und gesellige Zusammenkünfte normal. Mit zunehmendem Alter fiel es mir immer schwerer, so bin ich vor einigen Jahren ausgeschieden und es haben nur die wenigsten Kontakte überlebt. Aber von denen zehre ich noch sehr. Diese wissen auch um mein Befinden, wobei es auch der Mannschaft damals nicht entgangen ist. Dort besteht aber natürlich kein gesteigertes Interesse an mir.

Eine Freundin aus dieser Zeit animiert mich immer wieder, meine Höhle zu verlassen. Es stresst mich zeitweise sehr, denn ich möchte nur Ruhe. Sitze ich aber allein zu Haus (keine eigene Familie, keine Beziehung), dann versinke ich schnell in miesen Einsamkeitsgedanken. Also lerne ich gerade diese Anregungen der Freundin für mich dosiert wahrzunehmen aber auch mich abzugrenzen, wenn es zu viel wird. Ein für mich harter Weg, denn ich darf nicht absagen, ablehnen … sagt mein Kopf.
Gerade findet in der Nähe ein großes Volksfest statt. Ich habe abgelehnt, mit dort hin zu fahren. Zu viele Menschen, viel zu volle Züge, auch durch das Billigticket. Das schaffe ich nicht. Aber ich habe es geschafft, meinen Standpunkt zu vertreten. Auf mich aufzupassen.

Was mich in Gesellschaft auch oft hindert und lähmt ist meine übergroße Scham.
Sobald der Kontakt vorüber ist und ich zur Ruhe komme, gehe ich alles noch einmal durch und suche nach Fehlern, die ich begangen habe: War ich übergriffig? Bin ich wieder jemandem ins Wort gefallen? Habe ich dumme Sachen gesagt? Mich peinlich benommen?
Das ist natürlich auch ein Hemmschuh, mit dem ich neue Kontakte möglichst vermeide.

Gerade hatten wir einige Familienfeste und haben so Verwandte nach der Coronazeit endlich mal wieder gesehen. In den darauf folgenden Nächten habe ich kaum schlafen können, mein Kopf geht nicht aus, kommt nicht zur Ruhe. Ist am Dauerdenken. Und abwerten.
Als Resultat gehe ich Unterhaltungen lieber aus dem Weg. Und Verbindungen in denen ich mich wirklich sicher fühle gibt es aktuell nur wenige.

Meine Eltern sind gerade ein Ruhepol für mich. Dort im Garten kann ich sitzen, lesen, mich unterhalten, wenn mir danach ist. Dabei ist die Grundlage meiner diversen „Störungen“ sicher in der Kindheit gelegt worden. Aber sie wussten es nicht besser. Daher kann ich aktuell gut damit umgehen.
Max76 hat geschrieben: Ich werde ggf. nicht mehr so oft kontaktiert, weil ich Gesunde runterziehe. Geschätzt, aber gemieden?
Das kenne ich und weiß eigentlich auch, dass es depressives Denken ist. Wenn dieser dunkler Filter über den Gedanken weg ist, sollte es hoffentlich anders sein. Und wenn die Bekannten wirklich so denken, dann lass sie. Dann sind sie Dir keine Abhilfe und Stütze. Schönwetter Freunde sind ja ganz nett, aber hilfreich?
Vielleicht traust Du Dich aber auch, mal von Dir aus einen Kontaktversuch zu starten. Dann wirst Du die Reaktion sehen. Und vielleicht kommt ja ein Gespräch zustande.

Ich habe eine Freundin aus der Psychiatrie, die hat mir gesagt, ich dürfe mich immer melden. Sie sagt aber auch klar, wenn es grad nicht geht. Das hat sie mir voraus. Gerade hat sie seit einigen abtragen nicht reagiert und mein Kopf läuft Amok. Ich hätte sie genervt und überfordert … Dem versuche ich bewusste Gedanken entgegen zu setzen, dass in den nächsten Tagen ganz Gewiss wieder ein Kontakt erfolgen wird. Und ich werde einen Versuch starten.
Max76 hat geschrieben: Ich bin mittlerweile vielleicht zu sensibel/dünnhäutig für ein »normales« Miteinander? Zu viel Psycho-Talk statt lockerem Small Talk?
Nun ist die Welt ja gerade kein Thema mit dem sich lockerer Smalltalk starten lässt. Aber vielleicht schaffst Du es ja mal mit Deinen Begegnungen über Urlaubspläne und Erfahrungen aus anderen Ländern ins Gespräch zu kommen. Und im weiteren Verlauf ergeben sich dann auch tiefsinnigere Themen. So erlebe ich das jedenfalls manchmal.
Mit einigen möchte ich auch gar nicht mehr reden als „guten Tag und guten Weg“. Gerade die Mitbewohner hier im Haus grüsse ich meist nur freundlich, möchte gar nicht, dass die viel erfahren. Fragen tun die schon, aber meine persönliche Situation ist gerade sehr unsicher, das geht die nichts an. Also verdrehe ich die Wahrheit und sage, ich habe Urlaub; dabei bin ich krankgeschrieben. Mache eine berufliche Reha und muss vielleicht demnächst HartzIV beantragen. Aber das möchte ich nicht im Treppenhaus thematisieren.

Und wenn meine Welt gerade in tiefer Dunkelheit versinkt, dann kann ich all das, was ich oben schreibe, selbst nicht umsetzen. Dann blockiert mich mein negatives Denken und ich bin im Rückzug. Aber es ist auch gut für mich, wenn ich mir das bei Zeiten wieder durchlesen und in Erinnerung rufen kann.

Lieber Max, Du hast ein interessantes Thema eröffnet, das mich auch immer sehr umtreibt. Dafür ganz herzlichen Dank. Denn die Einsamkeit ist eine ganz, ganz große Nagst von mir.

Ich wünsche Dir alles Gute und hoffe, Du findest einen für Dich passenden Weg aus der Einsamkeit.
Maxegon
Beiträge: 2465
Registriert: 25. Mai 2021, 11:33

Re: Wie wird man einsam? Und wie ändert man es?

Beitrag von Maxegon »

Hallo ,
unabhängig ob nun mit Depression oder ohne, gibt es nur einen Weg der Einsamkeit zu entfliehen, auf die Menschen zu gehen, sich ggf. anpassen oder so lange suchen bis man die richtigen Spezies gefunden hat.
Alles andere bleibt Illusion, was alles nicht geht, bleibt uninteressant, da es nichts verändert.
Ich kann nicht auf der einen Seite nichts tun und mich gleichzeitig betrauern, daß sich nichts verändert.
Recht einfach oder?

MfG
T Ally
Beiträge: 594
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Re: Wie wird man einsam? Und wie ändert man es?

Beitrag von T Ally »

Maxegon hat geschrieben: Ich kann nicht auf der einen Seite nichts tun und mich gleichzeitig betrauern, daß sich nichts verändert.
Recht einfach oder?
Ja, recht einfach.
Aber mit Depression und verzerrtem Denken nicht so einfach möglich. Und wenn dann noch abwertende Gedanken hinzu kommen schon mal gar nicht mehr so einfach.

Daher wäre ein aufmunternder Post mit hilfreichen Anregungen, wie man die eigenen Hemmschwellen und Grenzen überwindet, sehr viel besser und empathischer!
Max_
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Re: Wie wird man einsam? Und wie ändert man es?

Beitrag von Max_ »

Vielen Dank für eure Beiträge! :) Ich bin wirklich geflasht von der Resonanz und euren Antworten, die ich schon beim ersten Durchlesen als sehr wertvoll wahrgenommen habe: so viel subtiles Wissen, Verständnis und detaillierte eigene Erfahrungen im Umgang mit nahestehenden Menschen und diesem Thema. Danke!

Da ich gerade am Arbeiten (Teilzeit) bin, werde ich etwas brauchen, um auf eure Beiträge einzugehen, was aber noch kommen wird. Und dann geht es natürlich auch darum, mögliche Handlungsableitungen zu finden.

Beim Nachdenken über meinen Beitrag fiel mir noch ein, dass ich nicht erwähnt habe, dass auch die äußeren Umstände etwas schwierig waren: kurz vor Pandemiebeginn hatte ich eine Trennung von einer mehrjährigen Partnerschaft, und das Wiedereinrichten eines neuen sozialen Lebens sowie das Kontakthalten mit alten Freunden und Familie wurden dann lange durch die Corona-Einschränkungen erschwert, auch wenn viele digitale Hilfen zum Einsatz kamen. Auch jetzt hindern mich meine Ängste immer noch daran, ein soziales Leben wie vor Pandemiezeiten zu führen. Aber hier und jetzt soll es ja vorallem um die Veränderung und die Chancen gehen!

Liebe Grüße
Max
Maxegon
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Registriert: 25. Mai 2021, 11:33

Re: Wie wird man einsam? Und wie ändert man es?

Beitrag von Maxegon »

T Ally hat geschrieben:
Maxegon hat geschrieben: Ich kann nicht auf der einen Seite nichts tun und mich gleichzeitig betrauern, daß sich nichts verändert.
Recht einfach oder?
Ja, recht einfach.
Aber mit Depression und verzerrtem Denken nicht so einfach möglich. Und wenn dann noch abwertende Gedanken hinzu kommen schon mal gar nicht mehr so einfach.

Daher wäre ein aufmunternder Post mit hilfreichen Anregungen, wie man die eigenen Hemmschwellen und Grenzen überwindet, sehr viel besser und empathischer!
Nur weil ich depressiv bin, bleibt doch die Realität die Realität, nur weil ich behindert bin, verändert sich doch mein soziales Umfeld nicht. Und wenn ich daran teilhaben möchte, muß ich bestimmte Regeln befolgen.
Es ist wie es ist. Niemand sagt, das es einfach ist, es ist nur die einzige Möglichkeit.
Wenn ich in einen See springe muß ich auch schwimmen, egal ob es mir schwerfällt oder nicht, sonst gehe ich unter. Oder ich besorge mir Schwimmflügel und halte mich halbwegs über Wasser.
Was nützt mir Mitgefühl und Empathie, wenn ich mich nie traue auch mal, in eben dieses Wasser zu springen, wo ich doch hinein will?
Mal ehrlich, zu viel weichstreicheln ist nicht immer von Vorteil. :o
Max_
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Registriert: 19. Jan 2018, 11:46

Re: Wie wird man einsam? Und wie ändert man es?

Beitrag von Max_ »

Kenny hat geschrieben: Der Kontakt mit gesunden Menschen kostet mich einfach nur unglaublich viel Kraft. Wenn ich mich mutig aufmache um etwas zu unternehmen, Menschen zu treffen, zu kommunizieren, zu feiern, oder was auch immer, dann ist das eine riesige Herausforderung für mich. Ich absolviere sie wie früher eine (berufliche) Aufgabe, um hinterher völlig ausgelaugt daheim aufs Sofa zu kippen.
Hallo Kenny,

danke für deinen Beitag. Das oben zitierte kenne ich gut. In einer Spezialsprechstunde in einer psychiatrischen Ambulanz hat ein mal Arzt festgestellt, dass ich viele soziale Kontakte offensichtlich ähnlich wie Prüfungssituationen wahrnehme – also mit Aufregung und einem gewissen Leistungsanspruch verbunden. Man muss unterhaltsam sein, aufgeweckt, etc. Dass das Ernegie kostet, ist naheliegend. Vielleicht geht es dir ebenso?

Kenny hat geschrieben: Trotzdem stehe ich jeden Tag wieder auf. Versuche ein paar sinnvolle Dinge zu tun, den Tag irgendwie konstruktiv zu bewältigen. Was sollte ich sonst tun?
An schlechten Tagen halte ich das ähnlich. Manchmal lässt sich ein Tag durch kleine Dinge auch ins Gute wenden.

Viele Grüße!
Max
Max_
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Re: Wie wird man einsam? Und wie ändert man es?

Beitrag von Max_ »

Katerle hat geschrieben: Was mir half, weiter rauszugehen und mich einer Gruppe anzuschließen, in der ich nun schon sehr lange bin. Habe aber auch noch zu ein paar Geschwistern Kontakt. Zwischendurch war ich auch mal in einer Sportgruppe.
Danke für deine Erfahrungen, Katerle. Ich war und bin eigentlich auch kontaktfreudig, aber mir fällt es gerade doch oft schwer, die Initiative für Treffen zu übernehmen – zu viele Zweifel, Ängste, Bedindlichkeiten. Aber ich weiss, man muss diese überwinden. Und ich glaube, man kann das üben und wieder erlernen.

LG Max
Max_
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Re: Wie wird man einsam? Und wie ändert man es?

Beitrag von Max_ »

Suchende2 hat geschrieben: Zuerst mein Eindruck als Freundin:
Ich habe eine Freundin, die regelmäßig wiederkehrende depressive Episoden hat. In dieser Zeit ist sie immer sehr egoistisch und klammerig. Solange es mir gut ging, konnte ich damit umgehen. Nun sind wir beide zur selben Zeit in einer schlechten Phase. Sie ist ständig über meine Grenzen gegangen und trotz eines Gesprächs darüber ist es weiter geschehen.
Ich habe für mich beschlossen, den Kontakt von meiner Seite aus nicht zu pflegen und weiß noch nicht, wie ich damit umgehe, wenn sie sich wieder meldet. Bei mir ist vor allem eine große Enttäuschung, daß ich IMMER Rücksicht auf Ihre Bedürfnisse genommen habe, aber sie ÜBERHAUPT nicht auf meine Rücksicht nehmen kann. Und das, wo sie am Besten wissen sollte, wie es sich anfühlt.
Nicht jeder Betroffene reagiert so, wie meine Freundin, aber die Gefahr besteht und dessen sollte man sich bewusst sein.
Hallo Suchende,

danke für diese Sichtweise. Es ist auf keinen Fall leicht für andere, mit depressiv-erkrankten Menschen richtig umzugehen. Laut Therapeutin neigen chronisch Erkrankte auch dazu, eine egoistische Haltung einzunehmen, die im Umgang mit anderen nicht förderlich ist. D.h., dass immer jeder auf die Bedindlichkeit des/r Kranken Rücksicht nehmen soll, während Probleme Anderer permanent nach hinten rücken.

Bei Freund- oder Bekanntschaften mit anderen Betroffenen finde ich es allerdings sehr angenehm, dass ein gewisses Verständnis für "kommunikative Versäumnisse" vorherrscht. Wenn man mal nicht sofort antwortet, weiss der Andere einfach Bescheid, was Sache ist :)

Es freut mich für dich, dass sich deine Arbeit in Freundschaften gelohnt hat. Ohne geht einfach nicht. Einiges halte ich ähnlich, indem ich wenigstens per Telefon, WhatsApp oder Video versuche, Kontakt zu halten – für bessere Zeiten, in denen ich wieder mehr Ressourcen für Treffen und Reisen habe. Irgendwann braucht eine Freundschaft aber auch wieder reale Erlebnisse...

Als Input von dir nehme ich mit, alte Freundschaften, von denen es einige gibt, wiederzubeleben.

LG Max
Max_
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Registriert: 19. Jan 2018, 11:46

Re: Wie wird man einsam? Und wie ändert man es?

Beitrag von Max_ »

Hallo mime,

danke für deine Gedanken, Herangehensweisen und kleineren Tipps. Sehr wertvoll. Ich meine, bei dir eine gewisse Gelassenheit herauszuhören, die mir auch gut tun könnte ;)

Weil du vom Smalltalk mit Nachbarn geschrieben hast: gerade habe ich jemand aus dem Haus auf der Straße getroffen (Großstadt, daher seltenes Ereignis) und habe die Begegnung etwas achtsamer als sonst wahrgenommen... also mich einfach dran erfreut, keine Eile gezeigt, etc. Am Ende wurde ich sogar in den Garten eingeladen, unverbindlich, aber hey!, wie schön.

mime hat geschrieben: Weißt du, defizitär sind wir alle irgendwo, aber das wissen erst mal nur wir (es steht uns ja nicht auf der Stirn geschrieben ;)). Wenn ich weiß, dass ich trotz allen Einschränkungen kein wertloser Mensch bin, kann ich ein bisschen lockerer im Umgang mit anderen werden.
Sehr auf den Punkt gebracht.
mime hat geschrieben: Zusammenfassend würde ich deine letzte Frage so beantworten: Kleine Schritte gehen, versuchen, sich nicht als Feind zu sehen, sondern als ein Mensch, der sich anderen durchaus "zumuten" darf und kann. Manchmal bekommen wir freundliche Rückmeldungen. Das kann unseren depressionsverzerrten Blick und unsere Wahrnehmung behutsam korrigieren. Manchmal ist es gut, wenn wir uns trauen, mal unter Menschen zu gehen. Es muss ja nicht gleich stundenlang sein, es müssen sich nicht gleich tiefschürfende Gesprächsthemen ergeben - vielleicht erwarten wir manchmal auch zuviel von Kontakten.

Ich habe jetzt viel von mir geschrieben, weiß nicht, ob da etwas Sinnvolles für dich dabei ist - es sollte dir nur zeigen: du bist nicht alleine mit deinen Gedanken.
Danke dafür, das ist sehr wertvoll. Und verstanden zu werden hat auch was Heilendes.
mime hat geschrieben: Ist es denn evtl. möglich für dich, alte Kontakte wieder aufleben zu lassen? Manchmal lassen sich brach liegende Freundschaften wiederbeleben. Hast du neben einem Beruf noch etwas Freizeit, die du einsetzten kannst (z. B um ein Hobby zu pflegen oder dich einer Gruppe Gleichgesinnter anzuschließen), oder bist du so eingespannt, dass du deine Zeit zum Ausruhen/Regenerieren brauchst?
Ja, ich kann an alten Kontakten anknüpfen, ich muss es "nur" wagen, mich überwinden, und die Kraft/Ressourcen von woanders dahin lenken.

Bis vor ein paar Jahren habe ich viel Zeit mit Freunden und Bekannten beim Sportmachen verbracht. Auch Urlaube. Aufgrund von Erschöpfung geht das nun schon lange nicht mehr, weil ich körperlich nicht mehr so belastbar bin, um in der Gruppe mitzuhalten. Dadurch sind viele Begegnungen weggefallen, die ich erstmal nicht kompensieren konnte.

So bin ich aber immerhin wieder zurück zur Musik gekommen und ich treffe mich ab und zu mit jemand zum Musizieren. Das möchte ich ausbauen... regelmäßiger... vielleicht auch wieder Unterricht nehmen, um sich weiterzuentwickeln. Gemeinsam Musikmachen ist einfach genial und wirkt auch sehr antidepressiv :)

Schönen Abend,
Max
AnnaD
Beiträge: 163
Registriert: 30. Mär 2014, 10:46

Re: Wie wird man einsam? Und wie ändert man es?

Beitrag von AnnaD »

Hallo Max,
ich habe deinen ersten Beitrag gelesen und gedacht:
das betrifft mich so nicht, da werde ich nichts schreiben.

Es betrifft mich deshalb nicht, weil ich es nicht anders kenne, als einsam zu sein. Von Kind an.
Deshalb, alle die ein "vor der Depression" kennen, und da befriedigende Kontakte hattet, haben den Pluspunkt, dass sie an etwas anknüpfen können.
Auch wenn ihr in den schweren Zeiten keine Pluspunkte sehen könnt. Es gibt sie.

LG Anna
Max_
Beiträge: 583
Registriert: 19. Jan 2018, 11:46

Re: Wie wird man einsam? Und wie ändert man es?

Beitrag von Max_ »

Joanni hat geschrieben:Jetzt schau ich mir ins Gesicht und sehe selbst, wie andere mich sehen. Das schreckt ab. Die Mundwinkel gehen selten nach oben, die Augen verlieren den Glanz.
Das, was andere magisch anzieht, ist weg und hat sich ins Gegenteil verdreht.

Früher habe ich das nie verstanden, warum die Leute so mürrisch durchs Leben gehen. Jetzt beneide ich die, die fröhlich sind.
Was habe ich schon zu erzählen? es passiert doch nichts in meinem Leben. Ich bin langweilig geworden.
Das stelle ich auch fest, dass man in schlechten Phasen unsichtbar wird. Niemand schaut einen mehr interessiert an, weil offensichlich die Ausstrahlung fehlt oder es eine negative ist. Und dann gibt es doch diese seltenen Tage, wo du irgendwie leuchtest, und plötzlich schauen dich auf der Straße Leute interessiert und freundlich an.

Auch hier ist es wieder ambivalent: einerseits bin ich froh, dass ich mich in schlechten Phasen durch die Anonymität der Stadt nicht noch verstellen muss; auf der anderen Seite wünsce ich mir doch die Resonanz.

Joanni hat geschrieben: hm.. was tun?
Verstellen, schauspielern, üben. Guck in den Spiegel und lach Dich mal an. Mach Dich hübsch, zwing Dich dazu. Geh duschen und quatsch mal mit dem Nachbarn Smalltalk oder wenn Du irgendwo in der Schlange stehst. Lächeln nicht vergessen.(auch wenn einem nicht danach zumute ist.

Ich kenne jemanden, der die Fassade ständig während der Arbeit aufrecht erhält und der das auch mega anstrengend findet und ja es ist auch anstrengend.
Finde ich einen guten Punkt. Auch wenn es etwas künstlich klingt, ist es sicher nicht verkehrt, ab und zu mal Signale zu senden, die positiver sind als der aktuelle Gefühlszustand. Dann kommt vielleicht auch eher was Nettes zurück, was einem Auftrieb gibt . Es gibt ja auch dieses Beispiel mit dem Bleistift im Mund, mit dem man sein Gehirn selbst verar.... :)

Erste Übung für mich: fremde Menschen auf der Straße anlächeln und schauen, was passiert.

Ständig ne Fassade aufrechterhalten kann ich nicht, das kostet mich viel zu viel Kraft. Ich will das auch nicht, denn ich möchte authentisch sein und stehe zu meiner Erkrankung.
Max_
Beiträge: 583
Registriert: 19. Jan 2018, 11:46

Re: Wie wird man einsam? Und wie ändert man es?

Beitrag von Max_ »

AnnaD hat geschrieben: Es betrifft mich deshalb nicht, weil ich es nicht anders kenne, als einsam zu sein. Von Kind an.
Deshalb, alle die ein "vor der Depression" kennen, und da befriedigende Kontakte hattet, haben den Pluspunkt, dass sie an etwas anknüpfen können.
Auch wenn ihr in den schweren Zeiten keine Pluspunkte sehen könnt. Es gibt sie.
Hallo Anna, danke für den Gedanken der Wertschätzung für das, was man hat oder hatte.

Tut mir leid, von deiner Erfahrung zu lesen. Wie gehtst du gerade damit um? Hast du dich damit arrangiert oder wünscht du dir in dem Bereich noch Veränderungen?
AnnaD
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Registriert: 30. Mär 2014, 10:46

Re: Wie wird man einsam? Und wie ändert man es?

Beitrag von AnnaD »

Hallo Max.
Als Kind hatte ich keine Ver-Bindung zu meinen Eltern und Geschwister. Meine Eltern konnte keine Beziehung zu uns aufbauen, und die Geschwister untereinander daher auch nicht.
Keine Ahnung was zuerst da war:
das Gefühl der Einsamkeit, oder die Depression.
Beides bedingt sich gegenseitig. Und ich bin in eine depressive Familie hinein geboren worden.
Jetzt bin ich 67 Jahre alt und den allergrößten Teil meines Lebens sowohl einsam als auch depressiv.
Auch in meinen Partnerschaften.
Heute denke ich, dass ich immer die Verbundenheit gesucht habe, die ein Säugling/Kleinkind von Natur aus erwartet.
Das funktioniert natürlich später nicht mehr. Und da ich das nie gefunden habe, fühlte ich mich immer weiter einsam.
Diese Erkenntnis ist für mich noch ganz neu.

Seit ich (wieder) hier lese und schreibe, komme ich öfter mal auf neue Ideen.

Wenn ich andere Menschen sah, die so schnell Kontakte knüpfen konnten, dachte mein Unterbewußtsein möglicherweise, dass es da um genau diese Art der Verbindung geht. Was natürlich auch nicht so ist.

Als Erwachsener kann man mit niemandem eine Beziehung haben, wie das kleine Kind zu seinen Eltern.
- Das ist jetzt nur meine Meinung -

Als ich noch zur Arbeit ging, hatte ich dort Kontakte. Das war gut und reichte auch manchmal.
Nach Renteneintritt und Corona fiel aber alles weg. Der Winter 2020/2021 war für ein Katastrophe. Unter den körperliche Beschwerden, die durch "nur zu Hause sitzen" entstanden sind, leide ich jetzt noch.

Gestern Abend war ich zum 2. Mal bei der Probe in einem Chor. Da gibt es nette Leute. Ich konnte mal wieder herzhaft lachen (das mache ich nämlich sehr gerne), was alleine zu Hause ein wenig untergeht. :lol:

Ich sage meinem inneren, einsamen Kind, dass ich es liebe. Und ich meine das auch so. Ich sage ihm aber auch dass es diese Liebe und Beziehung, die es von den Eltern gebraucht hätte, so einfach nicht mehr gibt.

LG Anna
mime
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Re: Wie wird man einsam? Und wie ändert man es?

Beitrag von mime »

Hallo Max,

vielen Dank für deine ausführliche Antwort und Stellungnahmen. Es freut mich, dass du aus meinem Geschreibsel etwas für dich herausnehmen konntest.

Das mit dem Nachbarn und der unverbindlichen Spontaneinladung in den Garten finde ich schön - wirst du sie wahrnehmen?

Alte Kontakte aufleben zu lassen, kannst du dir ja mal überlegen (und schauen, dass Zeit und Kraft zum "Trau-dich" gesammelt werden). Manchmal kann sich da wieder Neues, Lebendiges zurückerobern lassen, manchmal hat sich die Lebenssituation des anderen auch so verändert (Familie, Kinder usw.), dass es eher ein lockerer Kontakt bleibt, weil man nur noch wenig Berührungspunkte hat. Das finde ich auch OK. Jeder hat ja sein Leben mit Arbeit und sonstigen Herausforderungen. Man kann ja so nach und nach herausfinden, welcher Kontakt sich eignet, ggf. intensiviert zu werden.

Oh, Musikmachen finde ich toll. An welcher Art von Musik / welchem Instrument hast du denn besonders Freude? Ich habe mal in einer Dokumentation eine These gehört, dass schon Musik(hören) dieselben Gehirnareale aktiviert als wenn wir jemandem begegnen (und durchaus positiv wirkt).
Dass du jemanden "an der Hand hast", mit dem sich ggf. musizieren lässt, oder die Idee, evtl. wieder ein paar Unterrichtsstunden zu nehmen, finde ich gut.

Ich wünsche dir weiterhin gute Ideen und einen nicht allzu stressigen Tag.

VG Mime
Wir müssen lernen,
die Menschen weniger auf das, was sie tun und unterlassen,
als auf das, was sie erleiden, anzusehen.

(Dietrich Bonhoeffer)
AnnaD
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Registriert: 30. Mär 2014, 10:46

Re: Wie wird man einsam? Und wie ändert man es?

Beitrag von AnnaD »

Nachtrag:
Vielleicht kann ich mit der neuen Erkenntnis die oberflächlicheren und die Gelegenheitskontakte als positiv sehen, und nicht als etwas wo, wieder das Wichtigste fehlt.

Und noch ein Nachtrag :hello:
einfach auf Leute zugehen das kann ich gar nicht. Und Smalltalk ist auch enorm anstrengend. Da ist mein Hirn völlig leer gefegt.
Max_
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Registriert: 19. Jan 2018, 11:46

Re: Wie wird man einsam? Und wie ändert man es?

Beitrag von Max_ »

Hallo Anna,

vielleicht hilft dir das jetzige Wissen, dass du eigentlich diese Eltern-Kinde-Bindung suchst, bei der Gestaltung neuer Kontakte. Ich habe mittlerweile gelernt, dass man auch von nahen Menschen nicht zu viel verlangen sollte, da jeder auch mit seinen Problemen zu tun hat.

Die Situation der Einsamkeit hat sich bei mir auch erst in der Pandemie-Zeit so zugespitzt. Wenn diese zusätzliche Angst, sich Long Covid einfangen, nicht wäre, hätte ich viel mehr Kontakte in den letzten zwei Jahren gehabt. Vielleicht ist Angst er eigentlich Knackpunkt bei mir uns diesem Thema.

Chorprobe klingt super! :)

LG Max
AnnaD
Beiträge: 163
Registriert: 30. Mär 2014, 10:46

Re: Wie wird man einsam? Und wie ändert man es?

Beitrag von AnnaD »

Hallo Max,
es scheint tatsächlich so ein kleiner Knoten geplatzt zu sein.
Bin gespannt, wie es weiter geht.

In etwas mehr als 2 Wochen habe ich den ersten Termin in einer Selbsthilfegruppe.
In meiner Nähe gibt es einen Selbshilfeverein, der von einem Mann gegründet wurde,
dessen Mutter eine schwere Depression hatte.
Ich war da vor 30 Jahren schon mal, konnte aber nicht so viel damit anfangen.
Inzwischen habe ich mich wirklich weiter entwickelt, kann offener mit meinen Problemen umgehen.
Entweder es funktioniert oder nicht. :!:
We will see.

LG Anna
Max_
Beiträge: 583
Registriert: 19. Jan 2018, 11:46

Re: Wie wird man einsam? Und wie ändert man es?

Beitrag von Max_ »

Hallo Mime,

die Einladung in den Garten habe ich angenommen und werde auch hingehen, wenn es tatsächlich stattfindet. Und am Montag bin ich mit ehemaligen Kollegen zum Essen verabredet :)

Musikmachen ist was Tolles, und noch besser ist es mit anderen zusammen. Ich spiele Gitarre. Wie du schon sagst, es verursacht auf jedenfall was sehr Positives im Gehirn – vielleicht bedingt durch unsere Vorfahren, die in Höhlen saßen und ihre Lieder sangen (statt Netflix).

Lieben Gruß!
Max_
Beiträge: 583
Registriert: 19. Jan 2018, 11:46

Re: Wie wird man einsam? Und wie ändert man es?

Beitrag von Max_ »

Ich möchte nochmal den Faden aufgreifen. In den letzten Tagen ist mir nämlich klarer geworden, wo vorallem das Problem liegt.

Es sind weniger die depressionsbedingten Einschränkungen, die ich im Anfangspost beschrieben habe, noch die fehlenden Kontakte. Es ist vorallem eine Angstproblematik. Und zwar die Angst, mich bei sozialen Kontakten mit C. anzustecken und dann Long Covid zu bekommen. Und würde ich Long Covid bekommen, dann hätte ich wohl überhaupt keine Ressourcen mehr und könnte komplett einpacken. Fatigue kenne sich schon seit geraumer Zeit.

Diese Sorgenkette aus Verletzlichkeit und Existenzangst hemmt mich sehr. Menschen, die ich treffen könnte, wären eigentlich vorhanden, aber ich weiche dem immer aus, während es mir gleichzeitig unglaublich fehlt. Heute wieder, indem ich eine Verabredung für abends abgesagt habe. Seit dem fühle ich mich niedergeschlagen und auch sehr wütend.

Vielleicht könnt ihr mir helfen, indem ihr mir euren Umgang mit dieser Problematik schildert:
soziale Kontakte und positive Aktivitäten vs. Gefahr einer zusätzlichen längeren Erkrankung.

Wie geht ihr damit um?
Habt ihr dieses Thema schon komplett abgehakt?
Oder fühlt ihr euch auch so verletzlich?
Welcher Schaden ist größer: temporäre Einsamkeit oder Risiko (Long) Covid?
Darf oder muss ich mehr wagen?

Danke für eure Unterstützung.

ps: bitte, bitte (!) keine politische Diskussion zum Thema Pandemie, Impfungen, etc. starten. Es geht mir hier nur um euren subjektiven Umgang mit der genannten Problematik; und darum, bestenfalls für mich neue Handlungsspielräume zu entdecken. Danke.
Angelika 1964
Beiträge: 322
Registriert: 15. Okt 2021, 20:10
Wohnort: Baden Württemberg

Re: Wie wird man einsam? Und wie ändert man es?

Beitrag von Angelika 1964 »

Hallo Max,
Meiner Meinung nach ist das Risiko schwer zu erkranken bei Einsamkeit weitaus größer als die Gefahr an long Covid zu erkranken .
Klar sollte Covid nicht verharmlost werden und ich meide nach wie vor Großveranstaltungen und trage in Geschäften eine FFP2 Maske.
Trotzdem treffe ich mich jetzt wieder mehr mit Freundinnen, ich brauche manchmal liebevolle Ablenkung.
Denke in Ruhe darüber nach
Liebe Grüße Angelika
So viele Jahre in der Schule und niemand hat uns beigebracht uns selbst zu lieben und warum das so wichtig ist
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